613. Herr Nęgenkopp.

[466] Da war einmal ein Mann, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Als die Tochter groß war und war eine schmucke starke Dirne, sagte sie: »Nun will ich aus dem Hause und dienen bei andern Leuten.« Sie ging fort und suchte einen Dienst. Sie ging weite Wege, da kam sie endlich vor einen Berg und der Berg stand offen. Da ging sie hinein, und wie sie drinnen war, war da alles von Gold, und wie sie sich ein bißchen weiter umsah, fand sie da eine alte Großmutter sitzen, die fragte sie, ob sie sie wohl in Dienst nehmen wollte. Antwortete die alte Großmutter: »Mein Herr Nęgenkopp ist noch nicht gekommen, es dauert nicht lange mehr, so kommt er, kriech hier nur unter dies Faß.« Das Mädchen kroch hinunter und versteckte sich; aber nicht lange darnach so kam der Herr Nęgenkopp in die Höhle und sprach: »Ich rieche Menschenfleisch; mag es sein, wo es will, ich finde es gleich.« Er suchte ein wenig herum und fand sie gleich; da sprach Herr Nęgenkopp: »Das ist gut, daß du gekommen bist; so ein schmuckes Mädchen habe ich mir lange gewünscht, du sollst hier bei mir in der Höhle bleiben und mir dienen.« Also hatte das Mädchen einen Dienst gefunden bei der alten Großmutter und dem Herrn Nęgenkopp und mußte bei ihnen bleiben in der Höhle und den Hausstand besorgen. Da träumte es ihrem ältesten Bruder in einer Nacht gar schwer, daß es seiner Schwester gar nicht gut ginge. Er sprach: »Ich will ihr nach und ihr helfen, wenn ich kann.« Sprach der Vater: »Wie willst du sie finden?« Der Bruder antwortete: »Laß mich nur gehen, ich will sie schon finden«, verließ das Haus, ging weite Wege und kam vor den Berg, der offen stand. Da ging er hinein und fand alles von Gold; wie ihn aber seine Schwester sah, sprach sie: »Wo kommst du her? Hier wird dir das nicht gut gehen, lieber Bruder, mein Herr Nęgenkopp kommt gleich nach Hause, und wenn er dich findet, so bist du verloren; kriech hier schnell unter dies Faß.« Der Bruder versteckte sich, aber als Herr Nęgenkopp nach Hause kam, sagte er: »Ich rieche Menschenfleisch; mag es sein, wo es will, ich finde es gleich«, und er fand den Bruder bald unter dem Faß. Da sprach er: »Du bist wohl hungrig geworden, komm her und iß«, und setzte ihm Menschenfleisch und Menschenblut vor. Aber der junge Mensch rührte nichts an und ließ alles stehen;[466] da sagte Herr Nęgenkopp: »Wenn du nicht essen und trinken willst, geh hin und kratze meiner alten Großmutter hinter dem Kachelofen ein wenig den Rücken.« Da ging er hin und wollte ihr den Rücken kratzen, aber die alte Großmutter gab ihm einen Stoß und er fiel in ein finsteres Gewölbe hinab. Da mußte er nun sitzen und hungern. Da träumte es dem zweiten Bruder, daß sein Bruder und seine Schwester in großer Not wären. Er sprach: »Ich muß hin und sie suchen und will ihnen beistehen.« Sein Vater aber sagte: »Wo willst du sie wohl finden? bleib zu Hause, es möchte dir gehen wie ihnen.« Der Sohn aber antwortete: »Ich finde sie schon«, und begab sich auf den Weg und kam an den Berg. Da ging er auch hinein, und wie ihn seine Schwester sah, sprach sie: »Ach, wie kommst du doch hierher? Hier wird dir das schlimm gehn; versteck dich nur unter das Faß; denn es ist an der Zeit, daß Herr Nęgenkopp nach Hause kommt.« Kaum hatte der Bruder sich versteckt, so kam auch Herr Nęgenkopp und rief: »Ich riech hier Menschenfleisch, es mag das sein, wo es will, ich finde es gleich«, und er fand auch den Bruder gleich unter der Tonne; da fragte er ihn: »Du bist wohl hungrig geworden?« und setzte ihm Menschenfleisch und Menschenblut vor. Aber der ließ auch alles stehen und rührte nichts an. Da sprach Herr Nęgenkopp: »Wenn du nicht essen und trinken magst, so geh hin und kratze meiner Großmutter hinter dem Kachelofen ein wenig den Rücken.« Als er nun aber hinging und der alten Großmutter den Rücken kratzen wollte, da stieß sie ihn auch in das finstere Gewölbe hinab, und da saßen nun beide Brüder zusammen darin und starben fast vor Hunger.

Nun war da noch der dritte Bruder beim Hause, der war der jüngste, aber der stärkste von allen und hieß Tolleteufel. Der hatte einen großen Hund, der hieß Muckerpell und war ein Hund über alle Hunde und klug wie ein Mensch. Tolleteufel sprach zu seinem Vater: »Ich will hin und meine Brüder und unsere Schwester suchen, mir hat geträumt, daß es ihnen schlecht geht.« Antwortete der Vater: »Ja, aber wo willst du sie finden?« Sprach Tolleteufel: »Ich finde sie wohl.« Der Vater wollte ihn gar nicht weglassen, weil er der letzte war, aber zuletzt mußte er doch ja dazu sagen: »Was willst du aber mitnehmen? So allein wird es dir nicht gut gehn.« Tolleteufel sagte: »Ich will meinen Hund Muckerpell mitnehmen und weiter nichts«, da ging er aus dem Hause, rief Muckerpell zu sich und Muckerpell lief hinter ihm her. Er kam nun auch zu dem Berge, der offen stand, und wie er hineintrat, sprach seine Schwester zu ihm: »Wie kommst du hierher? Hier wird dir das ebenso gehen, wie deinen Brüdern. Kriech hier nur unters Faß, es ist an der Zeit, daß Herr Nęgenkopp kommt.« Tolleteufel aber sprach: »Ich will nicht unter das Faß kriechen, laß deinen Herrn Nęgenkopp nur kommen«, damit setzte er sich ruhig an den Tisch und Muckerpell lag bei ihm. Nun kam Herr Nęgenkopp zu Hause, und wie er Tolleteufel da sitzen sah, fragte er ihn: »Bist du auch hungrig geworden von der Reise?« und setzte ihm wieder Menschenfleisch und Menschenblut hin. Sprach Tolleteufel: »Das ist nichts für mich,[467] Muckerpell, friß du es auf«, und Muckerpell sprang auf und verzehrte alles. Da sagte Herr Nęgenkopp zu Tolleteufel: »Wenn du nicht essen und trinken magst, so geh nur hin und kratze meiner alten Großmutter den Rücken hinterm Kachelofen.« Tolleteufel sprach: »Muckerpell, du hast gefressen und gesoffen, geh nun auch hin und kratze der alten Großmutter den Rücken hinterm Kachelofen.« Der Hund ging hin, sprang zu und riß der alten Großmutter in einem Ruff den Rücken weg, da war sie tot. Tolleteufel sprach nun zu Muckerpell: »Muckerpell, du hast gefressen und gesoffen, du hast der alten Großmutter den Rücken gekratzt hinterm Kachelofen, geh nun hin und fechte auch mit Herrn Nęgenkopp.« Da sprang der Hund zu und riß dem Herrn Nęgenkopp in einem Ruff acht Köpfe ab. Tolleteufel sprach zu seinem Hund: »Muckerpell, nun halt auf«, da hielt der Hund auf und Tolleteufel sprach zu Herrn Nęgenkopp: »Nun hast du ebensogut nur einen Kopf mehr als ich«, dann rief er wieder seinem Hund und sagte: »Muckerpell!« da riß der Hund dem Herrn Nęgenkopp auch noch den letzten Kopf herunter. Nun sprach Tolleteufel zu Muckerpell: »Muckerpell, du hast gefressen und gesoffen, du hast der alten Großmutter den Rücken gekratzt hinter dem Kachelofen, du hast mit Herrn Nęgenkopp gefochten, nun suche mir auch meine Brüder.« Da ging Muckerpell hin und suchte, und es dauerte keine Viertelstunde, da hatte er die beiden Brüder aus dem Gewölbe herausgebracht, aber sie waren ganz elend und verhungert. Da sprach Tolleteufel zu seiner Schwester: »Hast du hier gar nichts anderes zu essen als Menschenfleisch und Menschenblut?« Die Schwester antwortete: »Ja, wir haben hier kein Menschenfleisch und Menschenblut gegessen, das haben nur alle die gekriegt, die hierher kamen.« Tolleteufel sprach zu seiner Schwester: »Denn bringe nur was anderes her«, und die Schwester holte nun Essen, das waren die schönsten Speisen, und wie die Brüder etwas davon genossen hatten, so kamen sie bald wieder zu sich. Darauf sprach Tolleteufel zu seinem Hund: »Muckerpell, du hast gefressen und gesoffen, du hast der alten Großmutter den Rücken gekratzt hinter dem Kachelofen, du hast mit Herrn Nęgenkopp gefochten, du hast mir meine Brüder gesucht, nun hilf mir auch aus diesem Berg«, und den andern Mittag, als der Berg wieder offen ging, da brachte der Hund sie alle hinaus. Da sprach Tolleteufel zu seiner Schwester und zu seinen Brüdern: »Nun geht hin nach Hause, ich will hier bleiben, und sagt zu unserm Vater, er soll nur so viele Wagen herbestellen, als er kriegen kann, denn der Berg ist von purem Gold.« Und da gingen sie nach Hause, sagten das zu ihrem Vater und ihr Vater bestellte so viele Wagen, als er nur bekommen konnte, und sie fuhren Tag und Nacht das Gold von dem Berge nach Hause, denn ihnen gehörte der Berg und sie hatten ihn erlöst; da sind sie denn auf solche Weise die Reichsten in der ganzen Welt geworden, was wahrhaftig auch nicht zu verwundern war.


Aus Plön durch Dr. Klander. – Dies wohl nicht lückenlose Märchen ist doch in mancher Hinsicht merkwürdig; augenscheinlich ist eine Vermengung der Vorstellungen[468] von menschenfressenden, riesischen Waldmenschen und schatzhütender Zwerge vorgegangen, die zugleich für Frauenräuber gelten. In Angeln erzählt man »eine fabelhafte Geschichte« von drei Hunden Jalm, Ködder, Jernbräkker. Erster Bericht der Gesellsch. für Altert. S. 12.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 466-469.
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