Sechste Scene.

[375] Platz vor dem Schloß zu Rautenburg.

Ein Röhrbrunnen hinten, worauf Brandfuchs als Schäfer sitzt und singt.


Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach!

Wenn Leib und Seele scheiden

Läßt Herz und Kummer nach.

Vollend' bald meine Leiden!

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach.

Die schöne Gräfin droben stirbt nun auch, bald ist's vorbey.

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln – –

Werde sie von nun an nicht mehr Morgens und Abends am Söller hervortreten sehn, wenn ich zur Tränke trieb und dazu ein traurig Stückchen sang. Da war mir Winter und Sommer eins, und auch der Lohn nicht gering. Wie wenig Wochen dauert der Frühling, wie wenig Alles. Ich will fort, die Gegend stirbt auch hierum, irgend in der weiten Welt den Zaun suchen, woran mein Glück ein Bißchen blüht.[376]

Vollend' bald meine Leiden!

Mein Grab sey unter Weiden

Am stillen dunkeln Bach –


Golo den Jagdspieß in der Hand.


GOLO. Ein thöricht Ding, wie einem Gesang an's Herz greift, in verflossne Zeiten wieder zurückrückt! Es wehet einem durch die Seele so nahe, als könnte man's nochmahls zu sich ziehn, und doch ist es vorbey, auch für immer! Wolken, Rauch und nächtlicher Nebel ... Was kümmert mich das All'? Ist's vorbey, so ist's vorbey. – Guten Tag, Brandfuchs! Bist du als Schäfer immer noch so lustig, als du als Gärtner warst?

BRANDFUCHS. Treib' es eben so durch, wie man kann. Ein Himmel ober uns, aber drunter her vielerley Arten, sich die Zeit zu vertreiben, sagt das Sprichwort.

GOLO. Wer's kann. Achte, daß dir der Wolf dort nicht paar Schaafe zerreißt, es ist mir einer im Busch begegnet. Pfeift. He drin! Heraus!


[377] Bedienter kommt, mit einem grünen Hut, Golo schlägt ihn.


BEDIENTER. Hilfe! o! he! Der Ritter schlägt mich todt!


Andre Bedienten mit grünen Hüten.


GOLO. Ist die Hölle los, daß mir heut alle grünen Hüte begegnen? Hunde! Schurken! Schlägt unter sie.

BRANDFUCHS. Herr, thun's des Hubertus wegen, der heut und morgen gefeyert wird; können wir wegen der Gräfin Zustand morgen nicht mitjagen, wollen wir doch gerne grüne Hüte tragen.

GOLO. In die Hölle mit ihnen! Schmeißt sie alle davon, verbrennt sie! Daß mir ja keiner mehr so begegnet, wo er nicht unglücklich seyn will! Meine Augen hassen dergleichen, mein Groll empört sich tödtlich dem nach, der so mir schmäht! Bediente schmeissen die Hüte weg. Genug. Wie ist's? Habt ihr der Zeit nichts Weiteres vom Waldbruder vernommen? Meine Knechte[378] stöbern überall, wo sie ihn fangen. An den ersten besten Baum an die Füße aufgehenkt, soll er schwitzen. Was macht die droben?

BEDIENTER. Steht äusserst schlecht mit der Gräfin, die Doctores geben ihr keine Hoffnung weiter. So lange sie bey Sinnen ist, fragt sie beständig nach eurer Ankunft.

GOLO. Hm!

ANDRER BEDIENTER. Gewiß, gnäd'ger Herr, wenn ihr nicht bald hinaufgeht, trefft ihr sie nicht mehr lebendig an.

GOLO. Geht auf die Seite. – Brandfuchs, hast du seitdem nichts Weiteres vernommen, daß Bernhard mir auflauern läßt?

BRANDFUCHS. Seit der Zeit nichts mehr.[379]

GOLO. Will aller Orten ausreiten, wohin er Mannschaft gestellt, will ihn selbst aufsuchen und überstellen. Wo du etwa seiner Leute welche siehst, sag's ihnen, sie sollen sich vor mir wahrnehmen.

BRANDFUCHS. Will's; mit so was verdien' ich immer großen Dank oder gar einen Krug Wein.

GOLO. Sag's Allen genau an, daß ich's heut um diese Stunde zu dir gesprochen, um diese Zeit! Ich will nicht wie ein Schelm in's Dunkle mich verstecken und im Rücken anfallen; mein Gang ist immer im Freyen.


Steffen.


STEFFEN. Geschwind, Ritter, hinauf! Eure Mutter stirbt schwer, wenn sie euch vor ihrem Ende nicht noch einmahl sieht. Sie wartet ordentlich mit dem Wegscheiden auf euch, mein Seel'.

GOLO. Hat Andre mit geringern Umständen fahren lassen. – Adjes, Brandfuchs. Ab.[380]

BEDIENTER. Wunderbar! Kann grüne Hüte an Andern nicht vertragen und hat doch selbst einen.

STEFFEN. Hm, hat seine Ursache; weiß, warum. Ab

BEDIENTER. O du weißt auch vielleicht zu viel.

BRANDFUCHS. Aprilwetter! – Ist er zur Gräfin hin auf?

BEDIENTER. Nein, seht doch, geht erst hinunter in den Stall und sie verlangt droben doch so sehnlich nach ihm.

ANDRER BEDIENTER. Wenig Respect, der Sohn zur Mutter.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 375-381.
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