Drittes Kapitel.
Vom Tode und Sterben.

[22] So war denn nun der Edelmann im Pommerlande geworden, was er den Umständen nach werden konnte: der vornehmste Bauer auf seinem Gute. Daß er nicht der elendeste wurde, davon lag der Grund, wir sagen es noch einmal, in der überwiegenden[22] Güte seines Herzens, und in einer so vortreflichen Anlage, daß sie schlechterdings nicht völlig zu unterdrücken noch auszurotten stand. Was aber davon übrig blieb, hatte freylich eine so schiefe Richtung bekommen, daß der Schade lebenslang unheilbar blieb.

Die gnädige Frau gieng aus dieser Zeitlichkeit, gerade als ihr Sohn mündig geworden war, und ließ ihn im Besitz ungeheurer Reichthümer. Seit der Konfirmation des Junkers hatte sie dem Pfarrer nicht über den Weg getrauet, darum vermachte sie ihm in ihrem letzten Willen baare zweyhundert Thaler mit der Klausel, daß er die Ehre ihr den Leichensermon zu halten, einem benachbarten Prediger übertragen mögte. Der Geistliche aber, ob er gleich arm war, und eine geizige Frau hatte, schlug das Legatum großmüthig aus, und hielt die Predigt selbst, und zwar gerade weg, wie ers gewohnt war, für jeden aus seiner Gemeine zu thun, ohne ihrem guten Leumund den allerkleinsten Kleck anzuhängen, oder ihr irgend eine Tugend nachzulügen. Schand- oder Ehrensäulen zu errichten, käme, so dachte er, dem Geschichtschreiber zu, nicht dem Prediger; Weihrauch sey all überall ein abgeschmacktes Ding; und Asa fötida könne schlechterdings kein taugliches Ingrediens einer heiligen Rede sey. – Diesen Umstand, so wenig er eigentlich in mein Buch gehören mag, kann ich, zu Ehren meines lieben Pfarrers, unmöglich verschweigen, dessen ehrwürdige Absicht, so oft er predigte, immer die war, seine Zuhörer zu erbauen und zu bessern. Dieser Zweck, davon glaubte er überzeugt zu seyn, stand nicht zu erreichen, wenn er die Tugenden oder Fehler einer vor ihm stehenden Leiche, jene zum Muster, diese zur Vogelscheuche ausstellen wollte. Aber zur Ehre des Edelmannes kann ich ebenfalls nicht verschweigen, daß er ihm die zweyhundert[23] hundert Thaler dennoch bezahlte. »Bin dem Pastoren das Schulgeld noch schuldig, daß er mich das Lesen gelehrt hat.« So sagte er, und sandte ihm überdem noch ein artiges Geschenk für die Leichenpredigt.

Als unser Edelmann sich von den Unruhen des Leichenbegängnisses einigermaßen wieder erholet hatte, schwankte er zwischen zween Einfällen hin und her, über welchen er nicht etwa seit gestern brütete. Schon lange war er mit dem heldenmäßigen Gedanken schwanger gegangen, dermaleinst, wenn die gnädige Mama versterben sollte, wieder Kriegsdienste zu nehmen. Das war der eine Einfall. Der andre war nicht vollends so halsbrechend, und die Frucht der ternhaften Unterhaltungen weiland seines Mentors, aus welchen ihm noch dieß und jenes im Gedächtnisse schwebte. Denn, das muß ich, da es hier die Gelegenheit giebt, dem Hofmeister nachrühmen, daß er sehr fleißig gewesen war, den Zögling in den Mysterien der hohen Schulen, so viel an ihm war, zu initüren, und dessen Geschmack durch die kräftigsten Burschenlieder zu bilden. Und wenn das alles nicht tiefe Wurzel geschlagen, oder schlimme Folgen hervorgebracht hatte, so ist es bloß der damaligen zarten Jugend des Junkers beyzumessen, die unstreitig zu des Mentors Zeiten ausserordentlich zart gewesen seyn muß, da er noch in den ersten Jahren seiner Bekanntschaft mit dem Ludimagister, das heißt, wie er schon nahe an die vierzig war, Mayenkäfer ankleidete und Kartenhäuser bauete. Aber so tief hatten die Erzählungen des Hofmeisters doch gewurzelt, daß sie nach dem Tode der gnädigen Frau den Einfall in seinem Gehirne erzeugten, eine Universität zu beziehen, nicht eben um zu studiren; denn er wußte nicht recht, was studiren sey: sondern um sich für sein Geld zu[24] vergnügen, weil er steif und fest glaubte, das Universitätsleben sey das lustigste Leben von der Welt.


Diese beyde Einfälle hielten einander in des Edelmanns Kopfe so ziemlich die Wage. Aber wenn er zwischen beyden, wie dort Herkules am Scheidewege, unschlüßig stand, so wars nicht etwa deshalben, weil er für jeden Einfall Gründe pro und kontra fand; – denn mit Gründen sich zu befassen, war bisher nie sonderlich seine Sache gewesen; – sondern weil ihn weder Instinkt noch Zufall zu einem von beyden determinirte. Er nahm sonach von einem Tage zum andern die Sache ad deliberandum, und so flossen ihm ganz unvermerkt ein acht oder zehn Jahre hin, in welcher ganzen Periode der Unschlüßigkeit er beständig die Lebensart fortführte, an die er sich seit dem Tode des Obristlieutenants gewöhnet hatte, ohne ein Tittelchen dran zu ändern. So wie man ihn jezt kennet, standen auch Tausend an Eins zu wetten, daß er in eben dem Gleise bis an seyn eignes Ende geblieben seyn, und sich dabey eins ums andre, jetzt an dem Glanze des Soldatenstandes, jezt an den akademischen Freuden ergötzt haben würde, wenn es nicht seinem Gestirne beliebet hätte, ihm den Ludimagister in den Weg zu führen. Diesem Manne war es vorbehalten, die Unentschlossenheit des Edelmanns zu enden, seiner Phantasie ihren Schwung zu geben, und ihn in das glänzende Licht zu setzen, wovon ich, so Gott will, in den folgenden Kapiteln einen Abglanz meinen Lesern ins Auge stralen zu lassen gedenke.

Quelle:
Johann Gottfried Müller: Siegfried von Lindenberg. Hamburg 1779, S. 22-25.
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Siegfried von Lindenberg. Komischer Roman