Viertes Kapitel.
Das erste Kapitel vom Taufnamen.

[25] Von Gott und Rechtswegen gebühret uns Geschichtschreibern der Rang vor den leidigen Poeten, und Trotz sey dem geboten, der mir das abstreiten will! Nur Eins zu rügen: wenn diese Leutchen erst bitten und betteln müssen, daß eine Muse sich ihrer annehmen, und ihnen Nachricht von den Sächelchen geben wolle, die sie zu singen Willens sind, und die nicht selten – so bekannt sind, daß alle Zeitungen davon sprechen: so kann unser einer selbst auftreten, darf keines Vormunds oder Soufleur's, erzählet selbst, was er mit Augen gesehen, oder aus Urkunden geschöpfet hat; und das ist dann doch wohl ein wenig glaubwürdiger, als was Poet auf Treu und Glauben einer alten Jungfer sagt – oder als sein eignes Weibergeklatsche, daß er der Muse in den Mund legt. Denn, wiewohl das Ding seine großen und handgreiflichen Bequemlichkeiten haben mag, den Unsinn, den man selber zu verantworten sich nicht getrauet, durch eine Stimme vom Himmel reden zu lassen: so treibt mirs doch oft kalten Schweiß aus, wenn ein Poet die Muse die er aufgeboten hat, oder die Stimme vom Himmel gar zu erbärmlich – deräsonniren läßt. Wußt ers vorher, daß sie comme un bijou resonniren würde, warum rief er sie zu Hülfe? Und wußt ers nicht vorher, so konnt ers denn doch merken, wie sie es durch den Mund von sich gab, daß es schaal sey; warum schrieb ers denn nach? – Mit unter trägt sichs wohl zu, daß das Orakel vernünftig spricht; aber dann bringt gemeiniglich der Dichter sein Sage mir, Muse! so trotzig heraus, daß er völlig das Ansehen gewinnt, als wollt er sie nur ihre Lektion überhören. Und es mag jemand vor den Augen und Ohren des ganzen Publikum den[26] Schüler oder den Schulmeister machen, beydes – mit Gunst zu melden – kömmt immer ein bischen, ich weiß nicht wie, heraus.

Ich bin es selbst, freundlicher lieber Leser, der dir die Nachricht giebt, daß unser Edelmann eigentlich mit seinem Taufnamen Seyfried hieß. Seyfried, Erb- und Gerichtsherr auf Lindenberg. Diese Nachricht hab ich mir von keiner Muse sagen lassen, und bin überall keiner Eingebung Dank dafür schuldig, sondern ich habe sie unmittelbar aus dem Kirchenbuche geschöpft. Es würde auch wohl vergeblich gewesen seyn, wenn ich einer von den Musen den Mund drum hätte gönnen wollen, denn die Musen sind gottlose blinde Heiden, denen kein ehrlicher Küster erlauben wird, ihre Nase in ein christliches Kirchenbuch zu stecken. Besser also, ich wendete dem Küster zwey Groschen zu, als einem heidnischen Teufelsbraten einen Kratzfuß.

Seyfried hieß also eigentlich der Edelmann; aber er hörte es gar zu gern, wenn man ihn Siegfried nannte. Und – zur dienstlichen Nachricht: hier etwa fängt er an interessant zu werden, wenn es anders, wie ich sehr geneigt bin zu glauben, jemand giebt, den er intereßiren kann.

Quelle:
Johann Gottfried Müller: Siegfried von Lindenberg. Hamburg 1779, S. 25-27.
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Siegfried von Lindenberg. Komischer Roman