Achtes Kapitel.
Bis die Avisen ankommen. Ein langes Kapitel!

[45] Es giebt – Ich weiß nicht ob Aristoteles oder Kovarruvias das gesagt hat. Vielleicht aber hätt ichs auch im Abulfeda lesen können, wenn ich das Arabische Seiner Majestät verstände. – Es giebt manches Ding in der Welt, das man nicht begreifen kann; und es soll auch manches Ding geben, das man nicht begreifen muß.

Das Letztere lassen wir dahin gestellet seyn; das Erstere aber, wer mir das abstreiten wollte, den wollt ich eben so trocken abführen, als Diogenes that, da ihm ein witziger Kopf abdisputiren wollte, daß es Bewegung in der Welt gebe. – Und, man sage dagegen was man will, die Methode des Diogenes ist eine sehr gute Methode, weil sie ungemein simpel ist, und schnurgerade zum Ziele führet. – Er setzte erst den rechten Fuß vorwärts, dann den linken, dann wieder den rechten, und immer so fort, einen um den andern; und so kam er denn ganz natürlich an das andere Ende des Zimmers. Dahin konnt er nicht gekommen seyn, wenn er sich nicht über den Fußboden hin beweget hätte, oder – der Fußboden hätte sich unter ihm[45] her bewegen müssen. Nichts auf der Welt kann simpler seyn.

Sollte nun – und wer weiß was sich zutragen kann? Alter Tage Abend ist noch nicht gekommen. – Sollte nun irgend ein witziger Raritätenkasten sich gelüsten lassen zu behaupten, er könne alles begreifen: so rath ich ihm wohlmeinend, es so leise zu sagen, daß ichs nicht höre; sonst würd ich mir die Freyheit nehmen, ihn a la Diogenes ad Absurdum zu bringen. Ich würde ihn ein kleines Problemchen vorlegen, so ganz aus dem gemeinen Leben, und damit sollts Lied zum Ende seyn.

Ich habe die Ehre gehabt Seine Hochwohlgebohrne Gnaden, den Edelmanne im Pommerlande, sehr lange und so genau zu kennen, als unser einer nur immer einen Edelmann kennen lernen kann: aber ich kann mit Wahrheit nicht anders sagen, als daß er nie von vielen Worten, und überall kein sonderlicher Liebhaber des geselligen Umgangs war. So gar seine nächsten Grenznachbarn, welche zwar freylich mehrentheils Hofleute oder in Kriegsdiensten waren, und sich daher nie lange auf ihren Gütern aufhielten, sprach er fast niemals, wenn sie ihm nicht etwa auf seinen gewöhnlichen Spazierritten begegneten, und dann wars guten Tag und guten Weg. Mit seinen Bedienten ließ er sich nie ein. Seine gnädige Mama hatte ihm von Kindesbeinen an viel zu scharf eingepräget, er sey ein Kavalier, und der müße sich mit keinem Bürgerlichen gemein machen, (Gemein machen hieß bey der seligen Frau: freundlich ansehen, und höflich reden.) am wenigsten mit denen, die sein Brodt äßen. Daher vergieng mancher schöne Monat, daß selbst sein Christian, ehe er Oberkammerherr wurde, ausser den nothwendigsten Befehlen keine Sylbe aus seines Herrn Munde hörte. Bloß gegen seine Pferde und Hunde war er gesprächig, übrigens das ungeselligste[46] Thier. Daß mogt er aber für sein Leben gern haben, daß Christian, oder wer es sonst von seinen Leuten war, (den Justitiarius ausgenommen, den er nicht leiden konnte, weil er überall den Juristen feind war) mit ihm sprach, ihm diese und jene Haus- oder Dorfneuigkeit erzählte, und ihm so die langen Abendstunden vertrieb. Dazu rauchte er dann im tiefsten Stillschweigen seine Pfeife, und hörte andächtig zu. Er litt aber niemals, daß einer seinen Kameraden anschwärzte oder verfuchsschwänzte, und man weiß noch heutiges Tages auf Lindenberg davon zu erzählen, daß er bey einem solchen Vorfalle zum ersten mal in seinem Leben in Wuth gerathen sey, den Säbel gezogen, und den armen Sünder mit eignen hochadlichen Händen dermaßen durchgefuchtelt habe, daß ihn der Feldscheer an die vier Wochen lang besalden und bepflastern müssen. »Wart du! rief er, will dich Racker schwänzelieren lehren!« – Dieses einzige Beyspiel war so würksam, daß seitdem nie wieder ein Klätscher auf Lindenberg aufduckte.

Hergegen, wenn ihm erzählet wurde, Hannes Bruck sey in der Verbesserung seiner Ländereyen so glücklich gewesen, daß er in diesem Jahre schon so und so viel Fuder Heu mehr gewonnen habe, als sonst; – oder Peter Imbeck wolle Hochzeit machen, und Jürgen Risch Kindtaufe geben: dann dähnte er sich gemächlich in seinem Polsterstuhle, und sah so heiter aus, als wenn er selbst der Bräutigam, oder Vater zum Kinde wäre. Hieß es aber: dem langen Friedrich ist ein Pferd umgefallen; – oder in Hannes Breymanns Schaafstall ist das Sterben gekommen: dann war er im Stands so ein trübseliges Gesicht zu machen, als ob ihm selbst die Peterfilie verhagelt wäre; und selten ermangelte er in Freud oder Leid, seine milde Hand aufzuthun. Auch war im ganzen Dorfe kein Bauer, der dürftig,[47] oder ohne Verbindlichkeit gegen den gnädigen Herrn gewesen wäre.

– Ich weiß nicht, ob sich in der Folge eine bessere Gelegenheit dazu anbieten mögte, darum will ichs hier erzählen, daß sein Verwalter den gemessensten Befehl hatte, in Absicht der Herrengefälle und Abgaben keinem einzigen Bauren eine Stunde Nachsicht zu geben, sondern ihm, dem gnädigen Herrn, so bald am Nachmittag des letzten Hebungstages die Klocke fünfe schlug, ein genaues Verzeichniß aller derer, die bezahlt und nicht bezahlet hatten, einzureichen, und vorzulesen. Traf sichs dann einmal, daß etwa ein Bauer mit den Gefällen ausgeblieben war, so ließ Er ihn zu sich rufen. »Hör, du! sagte er, mein Verwalter will dich exquiren lassen, weil du nicht bezahlen thust. Ich mag aber den Schimpf nicht haben, daß ich so'n Schlüngel auf meinem Gute hätte, der geexquirt werden muß. Da hast's Geld. Geh hin und bezahle den Verwalter.«

Diesen Weg hatte er ausgedacht, weil er glaubte, des Verwalters Rechnungen so am leichtesten übersehen zu können, wobey ihm nun die Restanten keine Schwürigkeit verursachen konnten. »'S ist einerley, dachte er, ob's der Bauer meiner Kasse oder meiner Tasche schuldig ist; und der Verwalter kann mir doch kein X für'n U machen, und meine Unterthanen werden auch nicht getribuliret. Und solcher Wege hatte er noch mehrere ausgedacht, um seinem Verwalter das X für'n U machen zu verwehren. Das Schöne bey der Sache war aber dieses, daß, wenn der Bauer dem er so geholfen hatte, ihm über kurz oder lang das Geld wieder brachte, er es niemals annahm.« Geh man hin, sagte er; bist doch 'n ehrlicher Kerl, seh ich wohl. Mach aber, daß mein Verwalter nicht wieder über dich[48] klagt. – Kannst nu man gehen, und halt 's Maul von, sonst kömmst' ins Hundeloch.«

Dieses im Vorbeygehen. Wir lenken wieder in unsern Weg.

So gern also der Edelmann hören mogte, so wenig war er selbst fürs viele Reden, und wenn er ja den Mund öffnete, so pflegte ihm doch das Ding eigen zu seyn, das man gemeiniglich Imperatoria Brevitas zu nennen pflegt. Wie er demnach dazu kam, daß er mit dem Ludimagister manchen ausgelängten Tag verplaudern konnte, der doch mehr als Ein Jahr zubrachte, ehe er den eigentlichen Ton merkte, worinn man mit dem gnädigen Herrn reden mußte, wenn es ihm recht seyn sollte: das – ist würklich ein wenig mehr als sich begreifen läßt. Der Schulmeister pflegte zum Exempel eine Neuigkeit auf diese Art vorzubringen: Wissen Eu'r Gnaden wohl? – oder: Haben Eu'r Hochwohlgebohrne Gnaden schon gehöret? – oder auch schlechtweg: dieß und daß hat sich zugetragen. Und auf diese oder ähnliche Art mußte man dem Edelmann im Pommerlande nicht kommen. Das hatte das Ansehen als ob man ihn etwas lehren wollte. Nein, man mußte sich so zu wenden wissen, daß man immer voraus setzte, er habe das schon längst gewußt, was man jezt erzähle; zum Exempel: mich soll verlangen, wer bey dem kleinen Jungen, wovon Jürgen Risch's Frau gestern entbunden ist, morgen Gevatter stehen wird? – oder: das hat mich doch recht gefreuet, daß dem ehrlichen Hannes Bruck seine Verbesserungen so gut eingeschlagen sind, daß – u.s.w.

Noch unbegreiflicher ists, wie er sogar den Ludimagister zu seinem Vertrauten machen, und über Dinge zu Rathe ziehen konnte, die er wohl ein dutzend Jahre im Busen herum getragen hatte,[49] er, der sein Tage sich gegen keine Seele zur Vertraulichkeit herabgelassen, und niemals jemand um seine Meynung gefragt hatte.

»Muß Ihn mal in Rath nehmen, Schulmeister! Habe schon lange bey mir selbst bedacht, was ich anfangen wollte, als Mama seliger noch lebte. Dachte immer in meinem Sinn, sollst wieder in 'n Krieg gehen, wenn du länger lebst als Mama, oder auch auf Unverstäten. Und nu sie todt ist, weiß ich nicht, was ich davon thun soll, versteht Er. Und Eins von beyden muß ich doch wohl thun. Habe da all manchen lieben Tag über repliciret, und bin nicht kumpabel mich zu risolviren.«

Das war wirklich ein Donnerschlag für den Ludimagister. Er hatte sich auf dem Schlosse eingenistelt, und galt, wie selbst diese Vertraulichkeit bewies, alles bey dem Edelmanne, was ein Thier, das nicht sein Hund oder sein Pferd war, nur immer bey ihm gelten konnte! Er speisete fast täglich mit dem Justitiarius, dessen Frau, dem Sekretär, und den andern vornehmsten Bedienten seiner Gnaden! Er befand sich so wohl bey dem allen! Wenn nun der Edelmann einen von vorgedachten Einfällen befolgte. – Leser! ich habe von Deinem Verstande und Scharfsinne einen sehr hohen Begriff; aber unmöglich kannst du die unangenehmen Folgen, die ein solcher Entschluß für den Schulmeister unumgänglich hervor dringen mußte, geschwinder und deutlicher einsehen, als er sie gleich auf der Stelle einsah. Aber in der ersten Bestürzung war er nicht gleich im Stande, einen guten Einfall zu haschen, um die Entfernung des Junkers zu hintertreiben.

Halten zu Gnaden! sagte er, die Sache ist wichtig, gnädiger Herr! Aber, wenn Eu'r Gnaden mir ein vierzehn Tage oder so, Bedenkzeit ...[50]

»Schnickschnack! rief der Junker erzürnt; alle Blix, Schulmeister, so muß Er mir nicht kommen! Er wollte das in vierzehn Tagen ausdenken, hä? und ich habe da so manchen Tag über spikulirt?«

Der Schulmeister war in großer Verlegenheit. Er hatte befürchtet es nicht recht zu machen, daß er nicht auf der Stelle seinen Rath geben konnte; und siehe! er hatte es wirklich nicht recht gemacht, daß er ihn schon in vierzehn Tagen zu geben sich getraurte. Der Mann wußte noch nicht, wie schwer es sey, mit Köpfen, in denen es nicht helle ist, umzugehen.

Dero kapiren mich nicht, gnädiger Herr! rief der Politikus. Ich meynte nur, ich wollte mir ein vierzehn Tage Zeit nehmen, zu untersuchen, ob ich all überall im Stande bin, in einer so wichtigen Sache zu rathen, wo Eu'r Hochwohlgebohrne Gnaden selbst so lange zweifelhaft geblieben sind. Dicere conantem debilitabit onus!

»Kikelkakel! Ist'n Gelehrter und kann nicht rathen? Das ist man Schnack. Wofür ist Er denn 'n Gelehrter, hä? – Krischan! Wollen morgen mehr von sprechen, Schulmeister. – Krischan, den Hans!«

Der Junker zündete eine Pfeife an, schwang sich auf den schnellfüßigen Hans, gab ihm die Spornen, und galopirte davon. Der Schulmeister aber gieng mit sich zu Rathe, wie er den Junker im gewohnten Gleise erhalten wollte.

»Na, Schulmeister, rief der Junker ihm am folgenden Morgen entgegen, hat Er's beschlafen?«

Aufzuwarten Eu'r Gnaden!

»Hab's all manch' liebe Nacht beschlafen, ich, und kann doch nichts 'raus schlafen. Na? was meynt Er?«

Hm! Ha! Hm! – Ich meyne – ich – Aber[51] mit unterthänigster Permißion zu fragen, wozu hätten Eu'r Gnaden wohl die meiste Lust?

»Alle Blix, Schulmeister, das ists eben, daß ich zu beyden Lust habe.«

Wenn Eu'r Gnaden nicht ungnädig vermerken wollten ...

»Nee, nee, Schulmeister! Will's ganz gut vermerken.«

– so mögt ich wohl unterthänigst so frey seyn, Eu'r Gnaden zu fragen, ob Dero wohl Lust hätten, noch in die Schule zu gehen?

»Hagel noch mal, so muß er mir nicht kommen, oder –«

Halten zu Gnaden unterthänigst – Bitte gar schön, Eu'r Gnaden! – Sagten Eu'r Gnaden nicht, Dero hätten wohl Lust, auf Universitäten zu gehen?

»Nu ja, auf Unversetäten.«

Im Grunde, gnädiger Herr, sind das doch Schulen. Freylich hohe Schulen, wo die Schulmeister Professoren heißen, aber doch Schulen ...

»'S ist nicht wahr! – Der Blix! 's ist doch wohl wahr. Also wenn Er 'n Professer hieße, da wäre seine Schule 'ne Unversetät?«

Beynahe, gnädiger Herr!

»Und nu Er nicht Professor heißt, da ists nur 'ne Schule? Hm! – Bin doch wohl zu alt noch in 'ne Schule zu gehen. Muß wohl wieder Dienste nehmen, hä«

Gott behüte Eu'r Gnaden davor! Dero würden sich doch wohl von einem Rittmeister oder Oberst-Wachmeister nicht – halten zu Gnaden! – übers Maul wollen fahren lassen? Und – ich meyne nur so! – wenn Eu'r Hochwohlgebohrne Gnaden nun etwa als Lieutenant ...

»Pack ein! Pack ein! Höre schon, wo er hinaus[52] will, Schulmeister! – Aber der Blix! zu einem muß ich doch greifen, so muß ich. Hä?«

Halten zu Gnaden! unser einer sieht nun freylich so weit nicht. Aber, unvorgreiflicher maßen, da Eu'r Gnaden nun schon so manches Jahr Land und Leute regieret haben ...

»Hab ich das? – Sieh mal! gewiß und wahrhaftig, das hab ich auch!«

– so dächt ich, meines unmaßgeblichen Dafürhaltens, Eu'r Gnaden blieben dabey.

»Hagel noch mal, daß ich da nicht eher angedacht habe! Hätt' nicht nöthig gehabt, mir so lange den Kopf zu strapenziren, als ich gethan habe. Will man dabey bleiben. 'Sist doch, mein Seel! kurjos, daß ich da nicht einmal an gedacht habe, hä? 'n Glück ists, daß mir 's noch eben zu rechter Zeit einfiel.«

Der Schulmeister, zufrieden den gnädigen Herrn umgestimmt zu haber, ließ ihm gar gern die Ehre des Einfalls, welche der Edelmann sich gemeiniglich zuzuschreiben pflegte. Denn bey seiner großen Unwissenheit und Narrheit war der Ludimagister nichts weniger als ein Dummkopf.

Dieses Kapitel ist ein bischen lang geworden; aber es gehöret auch Zeit dazu, Avisen von Hamburg nach Pommern kommen zu lassen.

Quelle:
Johann Gottfried Müller: Siegfried von Lindenberg. Hamburg 1779, S. 45-53.
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