XVI

[98] Zana sollte tanzen!

Und Zana tanzte, vor Moki, dem Götzen und wilden lüsternen Gesellen!

In der großen Hütte mitten im Dorfe saßen auf den Reisstrohmatten Luluacs Höflinge. Sie schlugen in die Handflächen, sangen einförmige Lieder und sahen mit berauschten Augen auf die Bewegungen eines dünnen Rumpfes, dessen Glieder sich in den Stichlichtern des flackernden Lagerfeuers verkürzten, verzerrten und verknäuelten[98] wie ein Spiel phantastischer Katzen. Dieser Rumpf war Zana. Sie fuhr in dem breiten Raume wie ein Wirbelwind hin und her, näherte sich dem Feuer, machte krumme Beine, plötzliche Sprünge, man sah, hier war eine Katze, die mit dem Feuer spielte. Sie schüttelte sich wie ein Tier, bog sich in ihrem Rumpfe, der lang und biegsam war wie ein Mannesarm, stieß gellende Schreie aus und stampfte den hartgetretenen Erdboden, der dumpf widerhallte. Ihre beweglichen Füße zauberten einen hohlen, erregenden Rhythmus hervor. Sie saßen lose im Gelenk, hatten metallene Bracelets um die Knöchel und besaßen kräftige feingegliederte Zehen. Der rechte Knöchel war innen aufgescheuert und zeigte eine schründige Wunde. Zana bearbeitete den gestampften Boden wie ein Tambourin, an der engsten Stelle ihres Beines klimperten die Metallreifen, mit Ballen und Ferse holte sie die charakteristischen Läufe dieser Musik, dumpfe ungepflegte Töne, eine niedrigstehende Lautskala, aus der Unterlage hervor. Es bedurfte eines wahnwitzigen Gehörs, um auf diese Trommelfellreize verstehend einzugehen. Angestrengt gab ich mich dem Eindruck hin, der huschenden Gestalt in ihrer wilden Anmut, der Unruhe des Feuers, dem Refrain der brachial einfallenden Männerstimmen. Da hatte ich's heraus und begriff die Melodie, die diesen Füßen, Händen, Stimmen und Instrumenten, hölzernen Zimbeln, gemeinsam war. Diese rätselhafte Rhythmik ahmte den Pulsschlag unseres Blutes nach, nicht den komplizierten Prozeß unseres ornamentalen Gehirnes. Hier entsprach, was Musik hieß, noch einer primitiven physiologischen Gesetzmäßigkeit, alles Funktionelle und alles periodisch Geschehende wurde an sich musikalisch empfunden. Eine einfach repetierte Folge von Handlung und Laut enthielt für das Gehör ein Element der Befriedigung, der bloße Lärm als Produkt einer Tat rhythmischen Wert. Musik wohnte noch in jeder Aktion, jeder Passivität, jeder körperlichen Verwandlung. In diesen gesunden Leibern war die Musik noch so geradlinig erhalten wie der Übergang vom Bedürfnis zum Genuß, erfolgte so wenig systematisch wie die Lust, auf die sich das ganze Weltgeschehen hin zuspitzte, die Lust, die nur in der Einkleidung der Kultur bei avancierten Rassen Ereignis wird. Die körperliche Paarung war der gegebene musikalische Urakt, geeinte Zwei- oder entzweite Einheit erwies sich als hochgradig musikalischer Takt. Dies war das Kommen und Gehen, das Nahen und Flüchten in Zanas Körper. Und diese Musiker hier waren Mischlinge; der Zusammenstoß zweier Rassen erzeugt Musik. Eins, zwei, eins, zwei, horch, wie die Natur marschiert! Was immer du tust,[99] skandiert sie selbst. Die Pace, die Pace, ist alles in der Welt, das Um und Auf der Musik, die Urmusik, das Urereignis!

Vor meinen Augen, in meinen Ohren spielt es sich ab. Zana macht Krawall mit ihren Füßen, trommelt mit ihren lieblichen Fersen auf die feste Erde, daß mir der Speichel im Munde stockt und mein trockener Kopf zu fiebern beginnt. Ich höre die Besessenen heulen und sehe, wie Bewegung auf Bewegung sich an dem Püppchen folgt. Die Pace ergreift mich, ich bin mitten in der Pace, ich wohne mit Schauern dem Urtanz bei. Die Pace, die Pace fällt es mir ein, wir haben die Pace nicht mehr, Europa hat die Pace verloren, dies ist das große unheilbare Leiden! Da geht Zana wieder auf uns los, duckt sich und springt wie ein Panther, trägt ein Scheit vom Holzstoß fort und schwingt es rasend mit den Zähnen, einen feurigen Kreis rund um sich ziehend, in dem ihre magere Figur bis in jedes Schlüpfchen erleuchtet dasteht. Ihr wildes kleines Gesicht glüht verkniffen vor Gier und Ekstase wie durchhitzte Bronze. Der Chor der harten Männer im Schatten, die in den gekrätschten Knien hängen, antwortet ihren dünnen Gaumenschreien mit einer Art tierischen Wohllautes, einem sehr physischen Sehnsuchtsmotiv, von zittern- und hoffenmachender bestialischer Melancholie. Auf! meine Panther in den Djungeln, weint hinauf in den bestirnten Himmel über eurem Sehnsuchtslager, wenn die flaumige hingegebene Gattin eurem entbehrenden Leibe fehlt! Ha, wie meine Männerkatzen fauchen, hei, wie meine Panther raunzen, wenn die schöne Katze Zana, den flachen Leib auf krumme Pfoten gepreßt, ums prasselnde Feuer schleicht! Was singen die Männer, Slim, alter, irrsinniger, schreihalsiger Slim, wenn du nicht schon ganz verrückt bist, was singen sie, gib Bescheid!

Zana, singen sie,


Zana, kleines Pumaweib,

Kleiner bist du

Denn Mokis Herz!


Kleiner bist du, denn Mokis Herz! Klein bist du, denke ich, und wer ist Moki? Da stürzt das Feuer zusammen. Zana beendet aus einem Wirbel heraus ihren Tanz. Ein paar Männer fachen den Brand wieder an, er wird heller, wächst rapide, gleich darauf ist die geräumige Hütte von einem gelben gleichmäßigen Lichte ausgefüllt. Zana steht an der Wand gegenüber. Sie ist ganz nackt, selbst das Schürzchen, das die Frauen sonst aus Reinlichkeitsrücksichten tragen, hat sie abgelegt; nur eine Schnur roter Beeren hängt um Ihre Taille und umgleitet den Bauch, der von der Anstrengung in muskulösen[100] Bändern hervorgetrieben ist. Er fällt rasch zu dem spitzen buschigen Winkel zwischen ihren Schenkeln ab. Um den Nabel herum ist eine gelbe tätowierte Sichel gezeichnet und farbige Kurven verlaufen über den Magen. Ich folge magnetisiert den kunstvollen Striemen auf der glatten Haut und glaube zu sehen, daß die Sichel das aufgerissene Maul einer jappenden Katze darstellt. Je länger ich hinsehe, desto sicherer werde ich, nun geht es mir ein, daß die Muskeln des Mädchenbauches mit dem Relief des Katzenkörpers zusammenfallen. Mag sein, daß es ein brünstiger Panther ist, den Hunger oder Sehnsucht zum gequälten Schrei treiben. Um die flachen Brüste laufen Ringe und Strahlen, ein grüner Mond und eine rote Sonne. Wenn Zana sich wendet, zeigt ihr Rücken bis zu den Lenden hinab prächtige Verschnürungen. Ihr Hals ist für eine Manneshand leicht zu umspannen; ihre Beine sind kräftig, schmal, so schmal in den Gelenken und prall geschwellt um die Wade, aber ohne einen Faden Fett. Das Betörendste sind ihre Knie. O, Zana ist bezaubernd und echt, wenn sie mit ihren akrobatischen Beinen eine krummbeinige Pantherkatze nachahmt; aber wenn sie sich ohne Zwang hinstellt, ist die Flucht der Linien an den Knien am engsten, fast so enge wie am Halse, und die Beine laufen wie die Teile eines ganz, ganz stumpfen Kreuzes nach außen. Und siehe da, dies macht ihre Hüften breit, und sie ist doch nur ein Mädchen. Und über ihre Kniekehlen ist die Haut glatt gespannt wie über kleine Trommeln. In Zanas Kniekehlen ist alle Arglosigkeit, alle Demut und alle Süßigkeit zu Hause. Und doch blicken die braunen gewachsten Augen ihres kleinen Gesichtes wie Hundeaugen, und aus den Spaltnarben ihrer Oberlippe lugen böse Eberzähne schräg hervor, wie die Spitzen eines kleinen gelben beinernen Bartes. Zana sieht aus wie ein junger Krieger und ist doch ganz Sanftmut, ganz Weib. Trägt die Priesterin, die Tänzerin, die Kurtisane im Urzustand die künstlichen Zahnmale ihrer Mannbarkeit wie ihre Nachkommin nach Tausenden von Jahren? Es ist stets dieselbe alte Kunst, ob sie die Wilde oder die Bürgerstochter pflegt. Auf Zanas Backenknochen prangen grellrote Flecke – und ich muß an Schminke denken. Aber der Kopf ist um die Augenlinie befremdlich eingesunken und sieht gutherzig aus. Man darf sich nicht täuschen lassen, dies ist kein junger feuriger Krieger, sondern ein sanftes Mädchen, das in einer sinnlichen und betörenden Art sein Theater spielt.

Mächtige Jäger saßen im Halbkreis, die Tür im Rücken. Es waren Luluacs beste Leute, und wenn man ihre Kraft zusammentat, konnte man damit einen kleinen Berg sprengen. Ihre Muskeln[101] schwollen im Rausche, lebten im Zucken des Feuerscheins wie ein erstarrtes Getümmel von vielerlei Rund. Das Fleisch nahgerückter Gestalten wölbte und verschlang sich in merkwürdigen Knoten und Schnecken wie eine seltsam quellende mystische Masse. In faustgroßen Bildungen und Wüchsen saßen erschreckende Kräfte gespeichert. Ein einziger wilder Organismus von Fleisch war diese Versammlung. In die braun zerklüfteten Gesichter waren Metallstücke geklemmt, und die Oberlippen starrten von scharfen Tierzähnen. Prächtig geflaumte Federn brachen aus den Nasenknorpeln, auf den Köpfen strotzten üppige Federkronen. Eine fremde, vogelhafte Bewegung herrschte rings in der Höhe dieser Zierate, ein Eindruck von Macht und zeremoniösem Pathos steigerte kleine Bewegungen ins Riesenhafte. Die Köpfe darunter aber benahmen sich wie die ausgelassener Knaben und verschuldeten ein pompöses Spiel der Büsche. Dem allem sah der Götze Moki mit blöde verzogenen Lippen zu.

Denn es war noch jemand im Raume; eine Persönlichkeit voll ordinärer Absicht zu wirken, die ich, darob gelangweilt, gerne übersehen hätte, eine Kraft, die meine guten Nerven und meinen sauberen Geschmack kalt ließ, aber langsam und durchdringend einen erschlaffenden Schleier über meine Augen zu spinnen begann; eine rätselvolle Existenz, deren herausfordernde Erscheinung fortschreitend meine seelische Indisposition zu widerlegen anfing und mich in eine wirbelnde Niederlage, blutvoll und blamabel, hinunterriß. Oder wie war dieses Antlitz zu deuten, diese Doppelausgabe eines Kopfes, diese Verkropfung von Gesichtern, die sich kinnlos in einem senkrecht gestellten Maule vereinigten? Jeder dieser zwei wagerechten Schädel des Götzen trug auf der Stirne ein Tausendauge, eine Riesenbrombeere, das göttliche Unterteil aber bestand aus einem übermannshohen dicken Schaft, einem einfachen borkenlosen Baumstamme, der wie ein unendlicher Kragen den halslos schwebenden Kopf trug. Aus dem Schafte wuchsen vorn sechs Paar klauenartiger Knäufe, wie zwei Reihen Euter angeordnet. Sie deuteten auf gräßlich verkümmerte Greiforgane hin. Noch verkümmerter, geradezu ärmlich, ungeschickt ärmlich, so daß man dem armen Teufel darüber gram sein mochte wie über etwas sehr unverschuldet Ärmliches und Häßliches, waren seine zwei Arme. Die beiden prackerartigen Gebilde, die seitlich steif hervorstanden, wie ein paar Tennisraketts, konnten füglich keine andere Absicht hegen, als kurze Arme und hypertrophische Tatzen zu sein. Ich hätte über diese Poverkeit in Raserei geraten können, in blinde, unvernünftige Wut über diese Zumutung an meine schönheitsdurstigen Sinne; und gewiß hätte[102] ich mich zu einer Inhumanität und Gemütslosigkeit niedrigster Sorte hinreißen lassen, wenn mich nicht der überaus fragwürdige Kopf beschwichtigt und gefesselt hätte. Unmerklich zwang er mich zur Anerkennung seiner Macht, stach mit verrückten Einzelheiten nach mir, zwinkerte mich steif aus verborgenen Augenschlünden an, sog mich ein in starr allwissende Lappen, schoß aus mystischen Öffnungen mit Glühgarn und Schattenschnack nach mir und rüsselte Gesichte von unerlebter Steifbeweglichkeit aus meinem wildklopfenden Herzen. Das Maul klaffte ihm so stark, daß nur ein lotrechter Schlitz zurückblieb, und ringsherum waren seine Kopfhälften reich mit Hörnern, Bügeln und Stacheln jeder Konstruktion versehen. Aus seinen grünen Augen zuckte der elevatorische Blick; er konnte die Wucht nehmen; er, das Scheusal, konnte elfische und leichte Gefühle erwecken, tanzende Anmut ins Herz einer Versammlung zaubern, konnte unausdrückbar schwebende Schönheit verkörperlichen, konnte aus widerwärtigem Glotzen leiblichen Segen greifbar spenden und das Gesetz beschwerender Erde mit schöner Lüge verschleiern. Stumpf stehend, löste er sich nach Belieben von sei nem Ruhepunkt; teilnahmslos stotzig, beschwingte er eines menschlichen Wesens schwache Kunst, wenn es sich innig und glaubend ihm hingab. Unentzifferbar, nur in ihren Wirkungen demütig zu fassen, zog seine sinnig blutsaugerische Miene die Versammlung empor und die Schwere aus ihren Leibern, und Zana begann zu tanzen. Gott trug sie. Sie balancierte auf einem Bein, ihr Rumpf war rückwärts gebogen und ihr straffes, achsellanges Haar fegte den Boden. Das andere Bein war gehoben und im Knie geknickt. Um den Knöchel klimperte ein Bracelet von Metallstückchen. Die Sohle war rosig und die Zehen waren wie kleine Finger, am Ende aber waren sie ein ganz klein wenig verdickt. Der Rumpf bildete einen raffinierten dünnen Bogen, eine kitzelnde Kurve, die verrückt machte. Man mußte aufstehen und dieses menschliche Ornament in die Arme nehmen. Es prägte sich tief, tief ins Herz, es erregte die Sehnsucht des Gesichts und ein scharfes Herzeleid. Diese Gliederzucht krampfte die Brüste der wilden Männer zusammen, und sie stießen rhythmisch wehevolle, brennende Schreie aus. Ach Zana! Da flog das schmale, splitternackte Ding, eine Schlinge aus Nerven, Muskeln, Wirbeln und zahmen Knochen geflochten, gleichsam durch den Raum, sauste wie ein Peitschenhieb von Eck zu Eck, lag wie ein Faden am Boden vor Moki, dem wülstigen Götzen, kreiselte dünn wie eine Mücke mit ausgebreiteten Armen und Fuß vor Fuß um das Feuer. Und Gott stand still und war mächtig. Seine Ruhe gebar Rhythmus, sie war der[103] Grundton, von dem sich Bewegung abhob. Er liebte Zana, und darum ließ er sie tanzen. Ihr Körper zeigte leichte, glänzende Spuren von Schweiß, und ein kräuteriger Geruch strömte von ihr aus. In den Lichtschein des Feuers fiel etwas Buschiges, Dunkles, eins, zwei, dann ein ganzer Regen von Blumen, Zweigen, farbigen Blüten, von den wilden Männern geworfen: und die Orchideen, die nun am Boden lagen, sich im Stroh des Daches verfingen, auf Zanas Schultern hafteten, blickten erloschen wie gesprengte Muscheln, aus denen ein Perlenauge brechend starrt. Und was bedeutete der Zauber? Slim erzählte im Flüsterton, während Zana mit vorgebeugtem Körper dahinflatterte. Ihre Arme liefen längs des Körpers mit steif nach oben gekehrten Ellbogen zurück, ihre Hände bewegten sich an den Wurzeln mit sanften, flüchtigen Schlägen, ein Rhythmus brandete auf in ihnen, der sich über die Arme, gefügig wie Satin, und die wenigen Schultern hinflutend verbreitete. Der Körper lief wie eine Schraube aus dem edelsten Stoffe, menschlichem Fleische. Die Männer ringsumher summten aus gepreßten Zähnen gleich einem Schwarm toller Mücken, die gestimmten Klöppel der Holzmusik prasselten melodisch gegeneinander. Die Mannsbilder erhoben ihren Gesang. Zana also war eine kleine, winzige Mücke und tanzte vor ihrem Herrn, dem Gotte Moki, dem Blutsauger, dem Vampir der Menschen, dem Tanz-in-die-Luft-Dämon, der rotes Menschenblut soff und frohe Tänze um die Abendstunde genoß.

Zana, sangen sie,


Kleine Mückenfrau,

Bist nicht größer

Als Mokis Herz.


Aber nun sah ich auch meinen Irrtum über Mokis Hände ein. Es waren ja keine Hände, sondern Flügel. Zana tanzte sie, und darum verstand ich sie. Ich verstand alles, was Zana tanzte, ich las deutlich das Gesicht des Gottes, so wie sie es beschrieb, ich folgte bezwungen den Schauern ihrer Sinne und fühlte Sinn und Macht des allmächtigen Gottes sich mir unzweideutig gestalten. Da, was war das? Seine Zufriedenheit, seine allerhöchste Zufriedenheit kundgebend, begann er aus seinem Leibe wie eine unerhört große Trompete zu röhren, erhob aus seiner monumentalen Seelenruhe sozusagen einen Mückengesang in Vergrößerung. Er schlug mit den Ärmchen witzig Takt, hob sich zwei Fuß hoch über die glänzende Erdbacke, auf der Zana tanzte, schwebte getragen umher und stieß mit einem heftigen Ruck durchs Dach hinaus in die sternige Nacht. Als er in das blaue Licht gelangte,[104] sah ich, daß seine Flügel hübsch glasuriert waren, sie vergrößerten sich, gewannen Proportion, er schlug mit blendenden Feuern um sich und benahm sich mit dem großartigen Glanze eines echten Liebhabers von Metzeleien. Seine Knäufe wuchsen sich zu Fängen aus, von denen jeder ein Elementarereignis für sich bedeutete, und die Rudimente an seinem Schädel wurden Rammstifte der gefährlichsten Art. Seine Augen glotzten wie eine Riesentraube von grünen Laternen. Da erkannte ich ihn wieder. Seine ganze Geschichte lag klar vor mir. Hier also stehst du, altes Prinzip der Seelenruhe, herabgekommener Greis antiquarischer Furchtbarkeiten, und heimsest von den regsamen Pantherkindern den konventionellen Tribut deiner harmlos gewordenen Launen? Spielst, alter Mechanismus der Göttlichkeit, mit Prinzmädchen wie ehemals, läßt dich von tanzenden Gebärden ankurbeln und beziehst deine Wirkung aus den Händen einer gerissenen Pantherin? Steifer, alter Drachenochse, bettelhaft gewordener Sauggott, verholztes Monument der Seelenruhe! Ich habe dich jüngst mit einer Pistole erledigt, nun stehst du wieder da und foppst mich? Aber du foppst mich nicht. Du bringst mich über die Erkenntnis nicht weg, daß Gott sein Leben dem Blute verdankt, daß Wunder und Erleuchtungen aus dem Rhythmus schnellen, den reelle Menschenbeine stampfen, daß du, Moki, dein Leben den dünnen Knochen Zanas verdankst. In ihrem Spiel sitzt die Kraft der Elevation. Sie deutet, und du fliegst. Sie blickt schief aus ihren Augen, und du schleuderst Blitze. Dein Gesicht ist töricht ohne sie; wenn sie seine Wirkungen tanzt, heben dich die Schauer ihres Urtanzes, ihres endgültigen Leibes, ins Grauen der Götter. O, du Gott, du Geschöpf des in seinem Blute tanzenden Menschen, du Drachenhohn vor dem Wahnwitz des Panthersohnes und seines Weibes!

Als ich aus dem Qualm verbrannter Blumen, ölig schwitzender Körper, abschüssiger wilder Bewegungen des Mädchenleibes zu mir kam, stand Moki ruhig, gesättigt und verkommen wie früher an seinem Platze in der sechseckigen Hütte und markierte den letzten stoischen Sprößling aus Drachenblut. Nicht weit von ihm saß ein ekstatischer, alter Indianer und böhte in eine lange, lange Röhre, eine zusammengerollte steife Reismatte. Oben im Dache wurde eine Luke, die plötzlich entstanden war, von geheimnisvoller Hand geschlossen. Ich mußte mich der Bewegung Zanas erinnern, hatte deutlich zu merken, was sie mit ihren Gebärden, ihrem Grausen, ihrem Jubel, ihrem Flügelschlag und ihrem lüstern vorgebeugten Rumpfe von meiner Phantasie verlangte. Gern, liebe, hübsche Mücke, sollst du mein Blut und[105] meinen Glauben haben. Alle hatten wie besessen zum Dache hinaufgeschaut, als Zana dort hinauswies, und es wäre nur unanständig von mir gewesen, mich dem allgemeinen Ereignis nicht anzuschließen. Ich war vollauf befriedigt von mir. Furcht und Hohn standen in den Gesichtern der Dumaraleute zu lesen. Und, war es nicht auch eine kleine Bosheit, daß sie den großen, bösen Gott so nach Belieben mit seinem schäbigen Flügelpaar in die Lüfte steigen ließen, daß sie ihre Demut und ihr echtestes Erschauern von ihrem guten Willen abhängig machten, daß sie ihren Übermut schärften, indem sie ihm plump die Spitze abbrachen und anbeteten? Menschenseele, von wilder Deutlichkeit in der Seele des Wilden!

So standen die Dinge. Nämlich, Moki stand wieder fragmentarisch dort in seiner Ecke, und Zana – Zana aber war tot. Man hatte die Mücke erschlagen. Man hatte ihr den Garaus gemacht. Umgebracht hatte man sie, mit Orchideenzweigen hatte man sie totgeworfen. Die Mücke war tot.

Zana tanzte den Pumatanz und den Mückentanz. Sie tanzte den Blutdurst ihrer Seele. Aber Zana war auch eine sehnsüchtige Grille und legte die Arme, nein, die schmalen, langen Flügel dicht hinten an den Leib. Sie bog den Kopf zurück in den Nacken, ihre Brust trat hervor, stark, stärker, in unendlichem Schmerze, und nun gewahrte man an dem bloßen Spiel ihrer Brüste und ihres Magens, daß sie schluchzte.


Zana, kleine Grillenfrau,

Weint um ihren

Fernen Liebsten,


sangen die Jäger. Sie rasselten und feilten schrill mit allem Metall, das sie hatten aufbringen können, und hierbei war es, daß unsere leeren Sardinenbüchsen sich als ingeniös musikalisch erwiesen.

Die Folge davon, daß Grillen um den Liebsten weinen, ist, daß man die wundervolle Architektur ihrer Eingeweide zu sehen bekommt. Zana hatte zwischen den Lenden einen weiblichen Anflug von Wölbung; eine flache Schale bildete den Unterleib. Aber sie war so flach, daß sie mehr ein dunklerer Schmelz der flaumigen Haut als eine plastische Erhebung schien. Der Tätowierkünstler hatte der bildhauerischen Natur überflüssig nachgearbeitet. Jetzt aber wurde seine Kunst ganz zuschanden. Denn die Grille litt unsagbar und ihr eingezogener Magen unter der verdrängenden kleinen Büste zeigte fibröse Rillen wie bei einem Knaben. Die ganze Monotonie ihres Schmerzes lag in den Hüpfschritten, mit denen sie unzählige Male im Schwirren der[106] Instrumente denselben Kreis vollendete. Dann aber schlug sie hin und war tot vor Schmerz. Abermals war Zana heute gestorben.

Und nun geschah an diesem unvergeßlichen Abende etwas Entscheidendes. Zana tanzte zum vierten Male. Sie war nicht umzubringen, elastisch und unermüdlich war sie wie ein wirklicher Künstler; die Anstrengung glückte ihr spielend, ihre Konzentration vertiefte sich; morgen aber, fürchte ich, wird sie einen trüben Tag haben. Aus ihrem formenreichen, sanft ergiebigen Körper holte sie einen neuen Sinn heraus. Als sie wieder aufkam, stand Luluac da, ihr Bruder. Sie ging ihm bis zu den Hüften. Er war hoch, und sein Oberkörper war wie ein Keil in Hüften und Gesäß gepflanzt, die, aus der Wurzel der gewölbten Schenkel geeinigt, den kräftigen Stamm trugen. Seine Brust war mehr hoch als breit und hob sich hart von dem muskulösen Rückenschilde vor, zu dem die Rippenbänder zurückstrebten. Der Brustkorb selbst, dessen Bügel eng standen und eine tiefe männliche Busenkerbe bildeten, war ein stumpfer Kegel. Darunter fiel der Felsenbruch des Magens ab. Der Kopf war klein und rund, mit starkem Hinterschädel, glatt rasiert, und nur über der Stirn stand ein Besen dünner spröder Haare erhalten. Wie dieser Kopf waren auch die übrigen Teile seines Knochenbaues von einem raumsparenden Prinzipe gebildet, als typisches Produkt einer langen blutwählerischen Zucht. Diese Knochen waren verbesserte Urinstrumente, bei denen an Masse zugunsten der Widerstandskraft durch Biegungen, Schwellungen, Verkolbungen gespart war. Sie wurden von einem übersichtlichen Muskelsystem in Bewegung gesetzt. Ihr Hauptantrieb saß an den Gelenken; die Kraft- und Nervenherde in deren Nähe; und hier war es auch, wo der Mann seine Stärke hatte. Alle anderen Teile schienen von Masse entblößt und unansehnlich, er war nicht einmal übertrieben muskulös. Über den Knochen spannte sich die Haut, aber er konnte sie an der Brust wie ein Halstuch in Falten legen. Der Magen war als sichtbarer Muskel in den Rost der Taille eingefügt. Die Waden waren hoch, nicht geballt, sondern lang gestreckt. Das Gesicht erschien häßlich, lauschend, schlau, gierig wie das eines Tieres. Wenn seine Lippen sich unter einer physischen Anstrengung von den Zähnen zurückzogen, sah man die weißkantigen Trapeze der Kiefer. Die Zähne waren künstlich geschärft. Dadurch erhielt der Mund dieses Menschen etwas Verlangendes, sein Gesicht wurde kindlich. Auf seinem kleinen buchtigen Schädel saß die Krone aller indianischen Federkronen. Die wildesten und buntesten Flügel des Djungles hatten zu der wilden Gravität dieses Häuptlings beigesteuert.[107] Die geringste Neigung erhielt in dieser Weise eine gespenstische Bedeutung, ein ganzer kleiner Wald nickte bunt, und menschliche Motive wurden in etwas eigentlich Lebloses hineingebracht. Ja, ja, sagte der Federbusch, wenn er sich ein Stück nach rechts hin schüttelte; und nein, nein! wenn er sich wie ein steilwerdender Garten gegen den Rücken hin aufmachte. Und wehe, wehe! hieß es, wenn er auf dem hitzigen Kopfe des jungen Häuptlings durch die Luft fuhr.

Dieses Prachtstück von einem Federbusche machte den langen Luluac übermenschlich, als er mit seiner Schwester Zana zum Tanz antrat. Die groteske Überlegenheit des Mannes war ein Genuß für alle, die es sahen. Zana selbst schien bis in die letzten Fasern ihrer weiblichen Demut davon berührt. Gefällig bog sie sich unter ihm. Ihre familiären Beziehungen schienen etwas seltsamer Art. Andeutungen kamen mir in Erinnerung. Während sie tanzten, traten an ihren Körpern die Merkmale wilder geschlechtlicher Erregung zutage. Sie betrachteten einander aus den Augenschlitzen mit bestialischer Verliebtheit. Der Instinkt der Inzucht, der bei primitiven oder bei überfeinerten Rassen, die noch gesund sind, auftritt, machte sich in ihren Sympathien geltend. War es Spiel oder Ernst? Obwohl Zana klein war, zeigte ihr Körper doch auffallende Gemeinsamkeiten mit dem ihres Bruders. Sie waren beide lang, ihre Gesichter waren nahezu gleich im Ausdruck. Sie waren in die eigene Art verliebt, und wie sie da tanzten, gaben sie der Wollust über die Absolutheit und Rassigkeit ihrer Wesen Ausdruck.

War die Narzißlaune, das Prinzip der Eigenverehrung, nicht eine Verbesserungs- oder Erhaltungstendenz der Schönheit? Ähnlichkeit wirkt bei differenzierten Säugetieren abstoßend auf die Phantasie. Aber darüber hinaus wirkt sie bei ausgebauten Rassen mit Gleichgewicht und gereiftem Geschmacke anziehend, denn sie wird Kern der klassischen Entwickelung. Innerhalb edler Rassen genügt der verschärfte Geschlechtsunterschied, der in harte und zarte Typen scheidet, der Sehnsucht nach der Variation.

Zana tanzte tief und hingegeben. Es verlangte sie nach dem gefiederten Pfeile Luluac. Unwillkürlich sah ich zu Slim hinüber. Sein Gesicht war verzogen. In seine nordischen Züge mischte sich der Indianer, unter seinem Barte lauerte das Tier, das ich hier in allen Gesichtern sich ergötzen sah. Mit einem kranken Blicke folgte er dem Paare. Van den Dusen aber war hochrot im Gesicht und sah gezwängt aus; er folgte den Vorgängen mit offenem Munde, förmlich hinten am Gaumen. Luluac bewegte sich in männlichen kühlen Kurven,[108] mit sichtbarer technischer Meisterschaft, er blieb hart, rhythmisch, formell, nur seine Augen gaben sich feurig. Man verstand, er begehrte Zana, er turnte um sie, er warb um sie, aber er verhielt sich vor ihren Lockungen reserviert; man konnte nicht wissen, wie gefährlich das kleine Frauenzimmer war, und ob es erlaubt war, sie zu berühren. Eine Prinzessin, eine Priesterin konnte sie sein und dem Sterblichen, der sie nahm, konnte Unheil drohen. Zanas Knöchel waren gefesselt, dies verstärkte ihren demütigen und harmlosen Anblick; die Bracelets waren ineinander verhakt. Sie sprang mit kurzen federnden Schritten, die wie Bälle waren, auf ihren Fersen; sie umkreiste Luluac, sank in die Knie, und verschränkte die Arme hinter dem Nacken. Rührte ihr demütiges Anerbieten den Häuptling nicht? Soviel war klar, sie war ein Weib, sie war gefesselt, die Konvention klimperte um ihre Knöchel, und sie hatte nicht die Freiheit ihrer Wahl und ihrer Lust zum Manne.

Luluac ließ sie nahe herankommen. Schon ergreift er sie in einer Pose, die seine Nacktheit drastisch preisgibt, als er sich wieder zurückzieht. Er verwahrt sich gegen die Wirklichkeit eines solchen überirdisch begehrlichen Wesens, er stellt die ganze schöne Tatsache in Frage. Es ist ausgeschlossen, daß soviel Wünschbarkeit wirklich ist. Sie ist ein Trug der Sinne, der Untergang bedeutet. Vielleicht ist Zana eine Pantherfrau? Sie zerreißt den menschlichen Geliebten, der sich von ihr betören läßt. Oh über ihre Zahmheit! Er schwingt die Arme und zückt Speer und Schild, denn es gilt, einen Puma sich vom Leibe zu halten. Er fällt plötzlich in den bekannten Kriegstanz, hebt die Beine mit wagerechten Schenkeln und spielt ein Rennen am Ort. Teuflisch, hu! Zana umschmeichelt ihn in vollendeten Linien. Ihre gehobbelten Knöchel folgen mit unterwürfigen kleinen Schritten; traurig ist es, wie die Knorpel der gespannten Kniekehlen sich berühren! Rührend ist es, und es wird uns allen das Herz brechen! Da kann auch Luluac nicht länger widerstehen. Eine suggestiv getanzte Umarmung bedeutet Besitznahme. Er hat sie nicht berührt, die Gebärde blieb ästhetisch. Und alle verstehen die Anspielung, die in den gerungenen Armen liegt! Luluac nimmt das Werben der Pantherin an! lautet die Losung. Die geschlechtliche Spannung der beiden Körper ist gestiegen, oh, oh, oh, beide sind selig, beide sind nahe daran, sich zu vergehen. Zana roßt wie eine junge Stute. Eine monotone Musik schwellt die Nerven und Muskeln und weckt den Stich und die Unschuld der männlichen Empfindung. Der kreisrunde Verfolgungswahnsinn dieser Noten erzeugt gelinden Schwindel, die Schläfen hämmern und[109] die Augen laufen mit dem Gehirn zu einer einzigen sehnsüchtigen Masse zusammen. Das Fleisch an den Körpern der Männer beginnt gleichsam zu gären, ein lauer, niederträchtiger, menschlicher Geruch macht sich in der Hütte fühlbar. Luluac schreit rasend auf und die Männer fallen triumphierend und befriedigt ein. Der Höhepunkt ist vorüber. Der wilde, schöne Krieger hat nun Zana in seine Hütte geführt. Sie hockt hinterm Feuer. Er ist fortan ihr Herr. Prahlerisch pflanzt er sich im Vordergrunde auf. Wer will sie ihm entreißen? Niemand; dies ist so Sitte. Schluß! Weg mit dem Tanz und Spiel und bringet Mandiokamet, daß wir Heiseren und Feurigen uns kühlen und laben! Da geschieht etwas Unerwartetes; etwas, das nicht ins Programm gehörte. Slim erhob sich und legte die rußige, weiße Jacke ab. Dann zieht er das dünne Netzhemd über den Kopf und steht mit nacktem Oberkörper da. Slim!

Quelle:
Robert Müller: Tropen. München 1915, S. 98-110.
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