Juni

[57] Ich trag' ein Kleid von weichen Rosenherzen,

Ich schlaf' in einem Bett von Rosenduft,

Bis mich der rosenrothe Morgen ruft,

Ein Stündlein in den Knospen zu verscherzen.


Der Mittag liebt ein herzlicheres Herzen,

Dringt heiß bis in des Kelches tiefste Kluft:

Da fliegt manch Rosenblättchen durch die Luft,

Und seufzt von bittrer Lust und süßen Schmerzen.


Der Abend kommt, den Blumen Trost zu geben,

Die matt und blaß in seinem Thau sich baden,

Bis allen ihren Zorn sie ausgekühlt.


Behagt dir, Freund, dies rothe Rosenleben,

So sei von mir auf morgen eingeladen,

Denn alle Tage wird solch Spiel gespielt.

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 57.
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