Hydra

[206] Hoher, steiler, fester Felsen, darauf Hellas Freiheit ruht!

Seh' ich deine Wolkengipfel, steigt mein Herz, und wallt mein Blut.

Hoher, steiler, fester Felsen, den des Meeres Wog' umbraust,

Über dessen kahlem Scheitel wild die Donnerwolke saust!

Aber in das Ungewitter streckst du kühn dein Haupt empor,

Und es wankt nicht von dem Schlage, dessen Schall betäubt das Ohr;

Und aus seinen tiefsten Höhlen schleudert das erboste Meer

Wogenberg' an deine Füße, doch sie stehen stark und hehr,

Schwanken nicht, so viel die Tanne schwankt im linden Abendhauch,

Und die Wogenungeheuer brechen sich zu Schaum und Rauch.

Hoher, steiler, fester Felsen, darauf Hellas Freiheit ruht!

Hydra, hör' ich deinen Namen, steigt mein Herz, und wallt mein Blut;

Und mit deiner Segel Fluge schwebt in's weite Meer mein Geist,

Wo der Wind, wo jede Welle jubelnd deine Siege preist.

Ist Athen in Schutt zerfallen, liegt in Staub Amphions Stadt,

Weiß kein Enkel mehr zu sagen, wo das Haus gestanden hat,

Dessen Ziegel nach dem feigen Sohne warf der Mutter Hand,

Als er ohne Kranz und Wunde vor der Thür der Heldin stand:[206]

Laßt die Thürm' und Mauern stürzen; was ihr baut, muß untergehn:

Ewig wird der Freiheit Felsen in dem freien Meere stehn!

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 206-207.
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