Frühling am Meer

[22] Nun braust vom Felsen

zum Meeresstrand

auf Wolkenschwingen

der Sturm durchs Land;

am Dünenhange

zerschmilzt der Schnee: –

in Frühlingsjubel

erbraust die See! –


Und sproßt kein Blättchen

aus Sand und Stein,

und lacht kein Veilchen

im Sonnenschein, –

Schaumkämme blitzen

wie Blütenschnee:

in Jubelhymnen

erbraust die See! –


Wie Gottes Odem

die Luft so rein![22]

Ich sauge den Frühling

ins Herz hinein:

da fließt vom Auge

zertauter Schnee; –

in Sturmakkorden

erbraust die See! –


Zu meinen Häupten

die Möwe zieht,

weit über die Wasser

erschallt mein Lied:

Verweht vom Sturme

des Winters Weh –

in Frühlingsjubeln

erbraust die See!


Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 22-23.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Der Freiheit zu eigen: Gedichte 1884-1905