O einmal noch!

[42] O einmal noch den Goldpokal

an meine Lippen setzen,

in hast'gem Zug zum letztenmal

mit sprüh'ndem Schaum sie netzen!

O einmal nur in jäher Lust

auflodern und – verderben, –

dann mag verwehn der Rosenblust,

dann schmettert hin, ihr Scherben!! –


Gewandert bin ich ohne Stern,

fand nirgends Ruh und Segen,

das holde Glück zog meilenfern

vorüber meinen Wegen;

Zuweilen klang in stiller Nacht

sein Ruf mir leis und linde,

er klang so süß, er lockt mit Macht

und ist verweht im Winde – – –


Du lichte Welt, du grüner Hag,

geschmückt mit Blumenkränzen,

du sonnengoldner Sommertag,

nicht mir gilt euer Glänzen!

Verrauscht, verrauscht ist Spiel und Tanz,

es welkt das Grün der Linde:

Auf meinem Grab der Totenkranz,

bald flattert er im Winde!
[43]

O einmal noch den Goldpokal

an meine Lippen setzen,

in hast'gem Zug zum letztenmal

mit sprüh'ndem Schaum sie netzen!

O einmal nur in jäher Lust

auflodern und verderben, – – –

dann mag verwehn der Rosenblust,

dann schmettert hin, ihr Scherben!


Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 42-44.
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