Santa Madonna di Capri

[244] Ein grauer Nebel flattert durch die Luft,

auf Schattenarmen trägt er Myrtenduft,

und allen Wohlgeruch der Inselau

streut er zu Füßen unsrer lieben Frau

Santa Madonna di Capri!


Scheu durch den Nebel schleicht sich, schlangengleich,

ein Wallfahrtszug. Dem Bilde, süß und bleich,

vom Licht umkränzt, von jedem Makel frei,

dem Bild dort oben tönt die Litanei:

Santa Maria di Capri!
[244]

Dem Stern der Meere! Und ein Priester hebt

die blasse Hand. Auf allen Lippen bebt

ein frommes Lied. Die Stirnen neigen sich . . .

ich fahr vorüber und grüße dich,

Santa Maria di Capri!


Du heilige Frau, du Weltentragende,

Erlösende und Nieversagende,

Tausende beten –, und dich kennt allein

mein Herz, die Rose und der Sonnenschein,

Santa Maria di Capri!

Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 244-245.
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