Erste Scene.

[40] Hugo in reicher Hauskleidung auf einem Sopha ruhend. Auf den Tischen tief herab gebrannte Kerzen. Nach einigen Sekunden tritt Jerta ein.


JERTA.

Wilder, schweißbefleckter Jäger,

Bist du endlich sichtbar wieder?

HUGO ohne aufzustehen.

Sichtbar, rein von jedem Makel.

JERTA.

Und ermattet, wie es scheint.

HUGO.

Ja – Gottlob! – – Der Leib allein[40]

Stört das Gleichgewicht der Seele,

Lehrt sie scheuen und begehren.

Zu ermatten – darum jag' ich;

Bin ich müd', so hab' ich Ruhe.

JERTA auf das Herz deutend.

Hier? Die hattest du sonst immer.

HUGO.

Sonst! – ja – sonst


Er verliert sich in Gedanken, und sagt nach geraumer Pause, als ob er Jerta's Gegenwart vergessen hätte.


Wer das erfände!

JERTA.

Was erfände!

HUGO.

Nichts! – – Die Kunst,

Wie man gestern macht zu heut,

Sonst zu jetzt, und jetzt – zu nichts.

Nichts! – –


Nach merklicher Pause.


Wo ist Elvire? Kommt

Sie nicht auch?[41]

JERTA.

Sie ist – sie war,

Will ich sagen –

HUGO einfallend.

Willst du? Sieh,

War und ist – da hast du's wieder!

Sonst und jetzt, und heut' und gestern.

Sonst war's anders. Froh entgegen

Flog sie mir, trat ich in's Haus;

Jetzt –?

JERTA.

Groß Unrecht thust du ihr.

Sie hat fürchterliche Angst

Ausgestanden deinetwillen,

Als du ausbliebst in die Nacht.

HUGO.

Warum säumt sie? Ich bin heim,

Bangt ihr noch?

JERTA.

Nein; doch erschüttert,

Tief erschüttert hat die Mähr,

Die uns Holm sogleich erzählte,[42]

Ihre weich geschaffne Seele.

HUGO.

Welche Mähr?

JERTA.

Wie dich der Eber

Angegriffen, und du ihn

Hast bezwungen und getödtet,

Simson gleich, der mit den Händen

Einen Löwen hat zerrissen.

HUGO ist aufgestanden.

's ist ein Narr, der Holm – ein Schwätzer!

Es war nichts. Mein Ungeschick

Zwang nich, etwas unsanft ihm

Hinzuhelfen. 's thut mir leid,

Hatt' auch gänzlich nicht Gefahr;

Aber – für Elviren war

Die Geschichte nicht.

JERTA.

So scheint's!

Einer Leiche gleich, die mit

Offnen Augen ist gestorben,

Sah sie drein, als Holm geendet;[43]

Hielt sich auf den Füßen kaum,

Nannte dich – ein reißend Thier!

Einen fürchterlichen Traum,

In der Brautnacht ihr gesendet,

Fing sie an, mir zu erzählen –

Du gehst fort?

HUGO.

Ich will zu ihr!

Wenn ihr Herz sich von mir wendet,

Muß ich's wieder mir vermählen;

Nur den Fernen kann sie hassen.

JERTA.

Laß ihr Zeit noch, sich zu fassen,

Lieber, und vertraue mir,

Deiner Jerta, die dich liebet,

Was den Frieden Hugo's trübet?

Wechselseit'ge Glut begegnet

Sich in eurem trunknen Blick;

Ihr besitzet euch, das Band

Ist von Priesterhand gesegnet –

HUGO halb vor sich.

Nicht von Gott![44]

JERTA.

Der Herzen Bund

Wird ja kinderlos nicht bleiben!

Was, ich bitte dich, was kann

So euch hin und wieder treiben,

Wie zwei Schiffe eines Herrn,

Die der Sturm im offnen Meere

Trennt, und an einander schleudert?

HUGO.

Weiß ich's selbst? – – Mich dünket: Nie

Sollten Nord und Süd sich küssen.

Pole sind es Eines Stabes,

Ihre Axe trennet sie.

Hat die dunkle Macht des Triebes,

Stark, den Stab zum Ring gebogen,

Und den Pol zum Pol gezogen;

Müssen sie sich mächtig fassen.

Aber immer will der Ring,

Wie gespannten Bogens Stahl,

Wieder auf zum Stabe schnellen,

Und was eins ist, will sich lassen.[45]

JERTA.

Räthselhaftes aufzuhellen,

Zu erklären solchen Streit,

Will ein Gleichniß nicht genügen.

HUGO.

Mehr vermag ich nicht zn geben.

Selbst ein Räthsel – schwer zu lösen –

Bin ich mir; denn Pol und Pol

Einen sich in meinem Wesen.

Hier erzogen, dort geboren,

Bin ich hier und dort nicht heim.

Fremde Wurzel diesem Boden,

Fremder Wipfel jener Luft;

Tief am Stamm vom Nord erkältet,

Hoch im Laub vom Süd entflammt,

Ein' ich in mir Glut und Flut –

Erd' und Himmel –


Gepreßt.


Gott und Teufel.

JERTA.

Wunderlich verworr'ne Träume!

Sahst du gleich das Licht der Welt

Unter Spaniens heißer Sonne,

Waren unsre Aeltern doch[46]

Beid' aus Nordlands Heldenstämmen.

HUGO übereilt.

Deine, ja; doch meine nicht.

JERTA.

Wie?

HUGO stutzt, als er bemerkt, daß er gesagt, was er nicht wollte, dann ruhig.

Es ist kein Grund vorhanden,

Daß ich länger dir verschweige,

Was dein Vater mir enthüllte,

Als er, in der Schlacht verwundet,

Hinter'm sieggekrönten Heere,

Nach drei hoffnungslosen Tagen,

Sanft verschied in meinen Armen.

JERTA.

Ah! Was werd' ich hören müssen?

HUGO.

Daß ich nicht dein Bruder bin.

JERTA sinkt mit verhülltem Gesicht in einen Sessel.

Oh! ich Aermste! –


[47] Plötzlich springt sie wieder auf.


Gott! – warum –?

HUGO.

Was ergreift dich?

JERTA mit Mühe gefaßt.

Nichts. – Erzähle!

HUGO.

Edwin, Graf von Oerindur,

Dein erlauchter Vater, war

Seines Stammes letzter Sprosse.

All' sein Gut war lehenbar,

Ward verdient mit Lanz' und Rosse,

Und die zögernde Natur

Schien den Erben zu versagen,

Fähig, Land zu Lehn zu tragen.

Endlich beut sich Hoffnung dar;

Doch der zarten Gräfin Schwäche

Läßt besorgen, daß die Frucht

Das erkrankte Bäumchen breche.

Aerzte, früh um Hülf' ersucht,

Weisen sie mit Mund und Feder

In die Pyrenäenbäder,[48]

In die Luft der wärmern Zone.

Eine Dame, fern verwandt

Einem ketzerischen Throne,

(So wird uns'rer dort genannt)

Konnte sich in jenen Tagen

In ein anders glaubend Land

Nicht mit ihrem Namen wagen.

Ein katholisch-deutsches Haus

Half ihr gern mit seinem aus.

Darum ward der deutsche Name:

Hugo, auch dem Sohn gegeben,

Dessen sie genas im Süden.

Das mit Müh geborg'ne Leben

Wie des Knaben, so der Dame,

Ließ die Heimkehr lang' nicht zu.

Edwin, für des Reiches Ruh

Kämpfend, gab ihm spät den Frieden

Mit dem stolzen Feind in Osten,

Und so ging's in's dritte Jahr,

Eh' es ihm beschieden war,

Seiner Freude Kelch zu kosten.

Hanna, deine Mutter, glühte,[49]

Ihm das Kind, das freundlich blühte,

In den Vaterarm zu legen;

Anders stand's in Gottes Buch,

Und sie mußte seinen Segen

Legen in ein Leichentuch.

JERTA.

Arme, arme Mutter!

HUGO.

Eine

Reich're nahm sich ihrer an.

Daß nur sie, nicht Edwin weine,

Ward ein seltnes Werk gethan.

Eine Freundin, dort erworben,

Von kastilischem Geschlecht,

(Ihren Namen nie zu nennen,

Hatte Hanna ihr geschworen.)

Gab ihr Kind, von gleichem Alter,

Der Verzweifelnden zu eigen.

JERTA.

Ist das möglich? Eine Mutter?

HUGO finster.

Meine Mutter hat's gethan.

[50] Ich bin der verschenkte Knabe

Aus kastilischem Geschlechte,

Das ich nicht zu nennen weiß.

JERTA.

Das ich nimmer kennen möchte,

Weil es solche Mutter hatte.

HUGO.

Lang' getäuscht ward Hanna's Gatte,

Und ich galt ihm für den Sohn,

Bis ihm Jerta ward geboren.

Da verrieth sich Hanna. Er

Wollte, daß der Name mir

Bliebe, den sie mir gegeben;

Doch zu stolz, zu hintergehen,

Zeigt' er, als sie heimgegangen,

Es dem Lehnherrn an. Die Antwort

War ein königlich Diplom,

Eigenhändig und geheim

Ausgefertigt, dieses Inhalts:

»Das Geschlecht der Oerindur,

Uns'res Thrones feste Säule,

Soll bestehn, ob die Natur[51]

Auch damit zu Ende eile.

Wem der Letzte diesen Brief

Uebergab, als er entschlief,

Sonder Ansehn Mann's noch Weibes,

Ist beliehn auf ew'ge Zeiten

Mit des Stammes Land und Leuten,

Sammt den Erben seines Leibes.«

Mit der Schrift, die, nah am Grab,

Mir Graf Edwin übergab,

Tauscht' er mir die Ruhe ab.

Weg von hier, wo niemand mir verwandt,

Zog das Band

Der allmächtigen Natur

Mich zum Land

Goldner Flur,

Das in dunklen, früh empfangnen Bildern,

Winkend durch den Nebeltag,

Vor mir lag,

Wie die Vorwelt auf der Ahnen Schildern.

Um den Aeltern nachzuspüren,

Zog ich hin, und fand Elviren,

Die es spät erst mir gelang,[52]

Nach dem Norden heimzuführen,

Und die nun derselbe Drang

Wieder abwärts treibt, nach Süden.

JERTA in rührendem Schmerz.

Oh, leb' wohl, mein goldner Frieden!

HUGO.

Jerta! Was bewegt dich so?

JERTA.

Namenloser! Kannst du fragen

Denk' an unsre Kinderzeit,

Und wie wir herangewachsen,

Nachbarblüten Eines Stieles!

Alle Ranken meines Herzens

Schlangen sich an deines an.

Heilig hatt' ein schöner Wahn

Meine Zärtlichkeit gesprochen –


Zu sanftem Weinen übergehend.


Nun sein Siegel ist gebrochen,

Bricht mein Herz dem Siegel nach!

HUGO.

Jerta! Mädchen! – Fasse dich,

Und vergiß, was Hugo sprach![53]

Lieb' ihn ferner! Brüderlich

Wird er ewig an dir hangen.

JERTA nach langsamer, verneinender Kopfbewegung.

Nein, das Traumbild ist zergangen,

Und entfesselt die Natur.

Nie mehr darf ich dich umfangen,

Denn du bist kein Oerindur.

Zwischen Lieben und Verlangen

Ist die Scheidewand gefallen! –

Fliehn aus meiner Väter Hallen,

Wo dein Schweigen mich getäuschet,

Muß ich, wenn dein Weib es heischet.


Ab.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 2, Braunschweig 1828, S. 40-54.
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