Dritte Scene.

[128] Jerta. Elvire im Schleier, mit Rosenkranz und Crucifix.


JERTA.

Wie? So spät in dieser Tracht?

War't ihr bei der kalten Nacht

In der fernen Schloßkapelle?

ELVIRE.

Auf des Kreuzes Fußgestelle

Lag ich lang' – Umsonst! Hier ist

Nicht mein Glaube, nicht mein Christ,

Kein geweihtes Haupt, der Sünden

Die Gequälte zu entbinden!

JERTA.

Gott ist überall.

ELVIRE in schwärmerischer Bewegung.

Du bist

Rein vor ihm, wie frischer Schnee;

Deine Heimath ist die Höh',

Und der Strahl von ihrem Lichte[129]

Ruht auf deinem Angesichte!


Sie wirft sich vor ihr mit dem Ausdruck einer Betenden nieder.


Jungfrau, laß zu deinen Füßen

Die geheime Schuld mich büßen,

Höre mein Bekenntniß an!

JERTA.

Gräfin! Gott, ihr fallt in Wahn!

Stehet auf!


Sie richtet sie auf.


Des Gatten That

Ist die eure nicht.

ELVIRE.

Sie ist's!

Oh, sie ist's, weil ich sie wußte!

JERTA mit Bestürzung.

Wie?

ELVIRE.

Weil ich sie wissen mußte

Nach der schrecklichen Vollendung.

Sinnenwahn band meinen Sinn;

In freiwilliger Verblendung

Gab ich mich dem Mörder hin,

Und die Ahnung, die nicht Raum[130]

Fand im sündlichen Gemüthe,

Fiel mich an im blut'gen Traum.

JERTA.

Ihr seid sinnreich, euch zu quälen.

So nicht richtet Gottes Huld,

Wie ihr selber euch verdammt.

ELVIRE.

Ich hab' ihn zum Mord entstammt,

Mein ist mehr, als sein die Schuld.


Mit sich kämpfend.


Karl – war kränklich – Hugo hoffte – –

Ich – – –


Jerta blickt sie mit dem Stolz der Unschuld an, und will sie verlassen.


Du gehst? – O Jerta, bleib!

Laß das unglückselige Weib

Der Verzweiflung nicht zum Raube.

JERTA.

Laßt mich, Gräfin, eh' ich euch

Der Verzweiflung würdig glaube.

ELVIRE.

Nein! So wahr das Himmelreich[131]

Sich der Reue nicht verschließet,

Mitleid wirst du mir nicht weigern.

Karlos Vater – ich verklage

Ungern ihn – auch er hat Schuld.

Ich bin fürstlichen Geblütes,

Aber früh ward ich verwaist;

Er, hoffärtigen Gemüthes,

Kastilianer, wie du weißt,

Warb für Karl; im Flügelkleide

Ward ich seines Sohnes Braut.

Drei Jahr' drauf ward ich getraut.

Kinder waren wir noch beide,

Kinder an Gemüth und Geist.

Ich ward Mutter – ohne Liebe –

Hugo kommt – der Schleier reißt,

Der mir barg, was ich entbehrte.

Das Verbot der Pflicht vermehrte

Die Gewalt der süßen Triebe –

Oh, was hab' ich nicht gerungen,

Und in brünstigem Gebet

Oft der Jungfrau Knie umschlungen!

Sie verwarf mich; denn zu spät[132]

Floh ich zu ihr –


Sie faßt Jerta, die mit wachsender Theilnahme sich ihr genähert, bei der Hand.


Jerta, du

Hast ihn auch geliebt, du weißt,

Daß er mörderisch die Ruh'

Aus des Weibes Busen reißt.

JERTA mit Würde, die in Mitleid schmilzt.

Das nicht weiß ich; doch ich fühle,

Unglücksel'ge, deinen Schmerz.

Wirst du's tragen, ihn zu missen?

ELVIRE erschüttert.

Gott!

JERTA.

Du bist erschreckt?

ELVIRE mit Selbstbeherrschung.

Das Herz

Weichet blutend dem Gewissen.

Seine That sprengt meine Ketten,

Nie will ich ihn wiedersehn!

JERTA.

Wohl! So hoff' ich ihn zu retten.[133]

ELVIRE ängstlich.

Retten? – Gott, was ist geschehn?

Ist Gefahr?

JERTA.

Du fragst? Wie könnt' er

Leben unversöhnt mit sich?

ELVIRE.

Oh, wie sühnt man solche That?

JERTA.

Thaten heben, wie sie stürzen.

Großes muß er unternehmen,

Sich am eignen, stolzen Werke

Aufzurichten von dem Falle.

ELVIRE gespannt.

Was?

JERTA.

Ein mächt'ger Feind besitzt,

Von der Ostsee Flut beschützt,

Seines Lehnherrn ferne Staaten;

Eine Flotte liegt im Hafen,

Und der König sucht ein Schwert,

Stark, ein Räubervolk zu strafen,[134]

Das sein Eigenthum verheert.

Dorthin, auf das Feld der Thaten,

Muß Graf Hugo –

ELVIRE.

Ah! Wie kann –?

JERTA.

Hat er nicht als tapfern Mann

Unter Edwin, meinem Vater,

Sich der Krone schon bewährt?

An den Herzog, meinen Ohm,

Geht dieß Schreiben heut noch ab,

Daß er in des Grafen Namen

Um das Heer den König bitte.

ELVIRE.

Billigt Hugo denn –?

JERTA.

Er wird.

Ist's der Tod nicht, den er suchet?

Nun, den kann er dort ja finden!

ELVIRE.

Gott im Himmel! – Nein, er darf

Nicht von meiner Seite.[135]

JERTA.

Wie?

Nie wollt ihr ihn wiedersehn,

Sagt ihr, und er soll nicht scheiden?

ELVIRE.

Will ich? Sagt' ich das? Ich war

Sinnlos, wenn ich das gesagt.

Daß ich sollte – sollte, was ich

Nicht vermag zu wollen, das

Ist die Schraube, die mich foltert.

Geh, Entsetzliche! du willst,

Weil er dir nicht kann gehören,

Ihm den Untergang bereiten.

JERTA.

Untergang? Der Stern am Pol,

Der zur Fahrt dem Schiffer leuchtet,

Geht nur unter mit der Welt:

Nur mit mir stirbt mein Geliebter.

Ewig nah' dem innern Sinne,

Wie das überirdische

Ideal in Künstlers Busen,

Theilt er nicht das Loos des Stoffes,[136]

Der begehret werden kann,

Und besessen, und zerstört.

Nur der Flecken im Gemälde,

Stets sich vor das Auge drängend,

Stört die Lust der Phantasie.

Darum lasset Hugo ziehn,

Daß sein Schwert den Feind verderbe;

Dann, dann lebt er, ob er sterbe!

ELVIRE mit steigender Heftigkeit.

Magst du, Stolze, schon dem Himmel

Hier auf Erden angehören,

Ewig Wesen sondern können

Von den irdischen Gestalten,

Und das Leben von dem Ruhm;

Ich vermag nicht, so zu trennen,

Was ich liebe, nicht zu spalten.

Ganz, wie meine Arm' ihn halten,

Ist der Graf mein Eigenthum;

Jerta wird nicht d'rüber schalten!

JERTA.

Er entscheide! Seine Tritte

Hör' ich in der Gallerie.[137]

ELVIRE ängstlich.

Ist er's?

JERTA der Thür näher.

Ja.

ELVIRE.

So muß ich fliehn.

JERTA.

Fliehn? Nicht lassen wollt ihr ihn,

Und nicht sehn!

ELVIRE heftig.

Ich will ihn hier,


Auf ihre Kleidung deutend.


Will nicht so ihn wiedersehen,

Nicht vor Zeugen – will vor dir,

Kalte Richterin, nicht stehen!


Sie eilt nach einer Thür im Hintergrunde, Hugo tritt durch eine andere ein, sie erschrickt an seinem Anblick.


Ha!


Sie eilt in ein Seitenzimmer.


JERTA.

Ich lass' allein euch, bleibt.[138]

ELVIRE.

Nein, ich kann nicht.


Ab.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 2, Braunschweig 1828, S. 128-139.
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