Vierte Scene.

[139] Jerta. Hugo blaß und entstellt.


HUGO.

Laß sie gehen!

Alles Leben flieht den Mord.


Als Jerta ihr folgen will, herrisch.


Laß sie, sag' ich – Diese ist

Mir gewiß genug – der Hölle

Abgekauft mit Bruderblut –

Solchen Handel hält der Teufel.

JERTA.

Hugo! Gott, wie war't ihr's mächtig,

Solches an euch selbst zu thun?

HUGO.

Thun? Der Mensch thut nichts. Es waltet[139]

Ueber ihm verborgner Rath,

Und er muß, wie dieser schaltet.

Thun? Das nennst du eine That?

Oh, ich bitt' dich, laß das ruhn!

Alles, alles hängt zuletzt

Am Real, den meine Mutter

Einer Bettlerin verweigert!

JERTA.

Gott vergeb' ihr, was an euch

Sie unmütterlich begangen.

HUGO.

Nicht, daß sie's beging, bringt Tod;

Daß die dein' es nicht verschwiegen –

Das hat aus dem stillen Norden

Mich zum Land der Glut getrieben,

Wo sie rasen, wenn sie lieben,

Und im Wahnsinn Brüder morden.


Vor sich hin.


Wenn die That noch ist Gedanke,

Ist sie nicht. Ist sie geschehn,

Tief im Dunkel, unbelauscht;

Ist sie auch nicht, wenn die Brust[140]

Und der Mund sie kann bewahren.


Lebhafter zu Jerta.


Sieh, das ist der Hölle Schlinge!

Weil der Mensch Gedankensünden.

Zu verschweigen hat die Macht,

Lockt's ihn, daß er sie vollbringe,

Wähnend, in des Busens Nacht

Könn' er das Gescheh'ne binden,

Wie er band, was er gedacht.

Und so trägst du das Verbrechen,

Das du aufgeladen hast;

Aber schwerer jeden Schritt,

Immer schwerer wird die Last,

Bis des Trägers Kniee brechen,

Und er stürzt, und reißet mit

In den Abgrund Weib und Vater!


Tief aus dem Schmerz herauf.


Oh!

JERTA halb vor sich, erschüttert.

Das lähmt den Muth des Arztes.

HUGO.

Arzt? Die Krankheit weiß von keinem[141]

Arzt! – Auswendig kann der Mensch

Alles lernen, was er will,

Mosis Bücher, die Propheten,

Und die ganze heil'ge Schrift;

Aber was er weiß, vergessen,

Wär' es Eine Sylbe nur,

Das ist nicht in seiner Macht,

Und kein Arzt kann das Gedächtniß

Reinigen von seinem Aussatz.

JERTA.

In der Hand des Kranken liegt,

Wenn er Kraft noch hat, ein Mittel.

Les't!

HUGO nimmt den Brief.

Was ist –?


Er lies't, von Jerta beobachtet; seine schmerzerschlafften Züge werden lebendig, die Augen bekommen Feuer, der Arm spannt sich an, endlich steht er auf.


Ha, Taube! Wer

Lehrt dich, was dem Geier frommet?

Ja, das ist's, das macht gesund![142]

Habe Dank, du milder Arzt,

Der mit Feuer heilt und Schwert!


Mit flammendem Blick.


Blut will Blut!

JERTA erschüttert von ihm weg.

O Gott!

HUGO.

Ein Mensch –

Wär's ein Bruder, feig erschossen

Aus dem fernhin treffenden

Rohre – das ist nichts! zu viel

Für die Ruh'; zu wenig für

Das Bedürfniß einer Hölle,

Die davon ist angeglommen.


Mit steigendem Affekt.


Mit der Menschheit will ich rechten,

Blutig, daß ich Mensch geboren,

Und gefallen bin, wie Menschen!

Nicht auf Einzelne, auf Völker

Schleud're mein Geschoß den Tod,

Reiße ihre Massen nieder,

Und auf Felder, blutig roth,[143]

Sä' es die zerstückten Glieder!

Vor den Mauern fester Städte

Pflanze sich das Brandgeräthe,

Werfe, ob der Fromme bete,

Feuer in sein friedlich Haus!

Prasselnd schlägt die Flamme aus,

Straßen stehn in Glut und Graus,

Und die Bomben, im Zerspringen,

Tödten, die da Hülfe bringen.

Ueber Leichen, aufgethürmt,

Wird der letzte Wall erstürmt,

Und die Thore gehn in Trümmer;

Und die losgelaß'ne Schaar,

Aufgereizt zu blinder Wuth

Durch der Kameraden Blut,

Stürzet jubelnd in's Gewimmer;

Läßt am Altar Weiber bluten,

Schleudert bei dem blonden Haar

Zarte Kinder in die Gluten –


Langsamer.


Und am Abend, wenn der Sieger

Hat gebändigt seine Tiger;[144]

Wenn der Tod den Jammer hat

Still gemacht,

Und die Nacht

Einhüllt die verheerte Stadt,

Werden Lampen angezündet,

Und »Herr Gott, dich loben wir!«

Weint aus halb verbranntem Tempel!

JERTA von Schauder durchdrungen.

Oh, entsetzlich! Nein, so hab' ich's

Nicht gemeint. Aus Feindes Ketten

Sollt ihr menschlich Brüder retten,

Ob des Todes Pfeil euch träfe;

Und der Lorbeer um die Schläfe

Soll das Kainszeichen decken,

Das auf eurer Stirne glüht!

HUGO.

Nun – nun ja doch! Mein Gemüth

Ist nicht bös; die Phantasie

Labt nur spielend sich am Schrecken.

Ich begreife, was du meinst:

Sterben soll ich, außerm Lande,

Fern begraben meine Schande –[145]

JERTA weinend an ihm.

Oh! mein Bruder!

HUGO weich.

Sieh, du weinst.

Glaubst du, daß ich sterben scheue?

Tod ist leichter, als die Reue!

Selig sind die Todten!

JERTA.

Bleibe!

Lebe, Hugo, deinem Weibe,

Und dem Knaben ohne Vater,

Und dem Vater ohne Sohn!

Aber, Mann, ersinne nur

Eine Arbeit, ein Bestreben,

Das Elviren Muth kann geben,

Liebend dir im Arm zu liegen,

Und dem Ritter Kraft, zu siegen

Ueber seinen Schmerz, und dich

Stolz einst seinen Sohn zu nennen.

HUGO.

Nun, das alles findet sich,

Wenn wir kurze Zeit uns trennen[146]

Spanier sind sie, stolzen Herzens;

In Elvirens Adern rollt

Fürstenblut; nach Ordenssternen

Steht des Kastilianers Sinn.

Hab' ich jener einen Gatten,

Diesem einen Sohn erschlagen;

Bin ich Mann, Ersatz zu leisten

Beiden, wenn auf meinem Haupt

Eine Fürstenkrone pranget.

JERTA bestürzt.

Oerindur!

HUGO entschlossen.

Sie soll! bei Gott!

Schick' das ab. – Erobern will ich

Die verlorenen Provinzen;

Doch dem König nicht, dem Sieger.

Will den schnöd' verschenkten Sohn

Mächtig auf den Thron

Heben, und Elviren

In das reiche Haar

Diamanten, klar

Wie die Sterne, säen,[147]

Daß das Aug' erblinde,

Das sie angesehen;

Will die Stirn' ihr zieren

Mit der Fürstenbinde,

Ihren schlanken Leib

Mit dem Purpur schmücken –

Dann das schöne Weib

An den Busen drücken,

Und vor Lust vergehen!

Eile! Schnell muß es geschehen.

JERTA.

Ja, fürwahr, die Hölle bindet

Fest, was einmal sie gefaßt.

Wie die Nadel, wenn sie hat

Den Magnet berührt, nach Norden

Ewig ihre Spitze drehet,

Kehrt, wer Einmal bös gethan,

Ewig seinen Sinn zum Bösen.

HUGO.

Nun, was ist denn was ich meine,

Böses eben?[148]

JERTA stark.

Hochverrath!

Völkermord! Weh über euch!

Euch beherrscht des Vaterfluches

Finstre Macht!

HUGO nach kurzer Stille.

Ja, du hast Recht.

Oh, ich bin ein böser Mensch!

JERTA.

Faß' dich, Hugo! die Entdeckung

Hat, ein Blitzstrahl, dich betäubt.

Was du in der Ohnmacht träumtest –

Wachend wirst du's nicht erfüllen.

HUGO.

Meinst du? ja, in deinem Haupt

Ist entsprungen der Gedanke,

Darum muß er gut seyn, denk' ich.

JERTA.

Gut gemeint zum wenigsten

Ist er, ob die Jungfrau irrte,

Spähend in des Mannes Brust.[149]

HUGO.

Nein! du irrest nicht. Hinaus

Muß ich, wo die Würfel fallen,

Daß mein Schicksal freier schalte

Ueber mir und meiner Schuld.

Sende das zum Herzog; doch

Laß zugleich ihn mündlich wissen,

Daß ich selbst dem Boten folge

Auf dem Fuße. – Wer bestellt es?

JERTA.

In mein Zimmer hab' ich den

Sekretär beschieden.

HUGO.

Wohl!

Ich will selbst ihn sprechen. – Sei

Gleich der Feldherrnstab vergeben;

Ich will mit in die Gefahren,

Wär' es als gemeiner Reiter!


Er geht mit Jerta nach der Thür; in diesem Augenblicke schlägt die zwischen Eilf und Zwölf zeigende Wanduhr zwei Viertel, Hugo blickt nach[150] ihr auf, und tritt auf einmal abgespannt zurück.


Ha!

JERTA.

Was ist dir?

HUGO.

Siehst du nicht?

Noch ist es nicht Mitternacht.


Er geht in den Vorgrund.


Eh' nicht der verfluchte Tag

Ist vorüber, will ich nichts –

Gar nichts wollen, und nichts thun.

Heut regiert mein böser Stern!

JERTA.

Wohin irrst du, Mann?

HUGO ängstlich.

Nein, nein!

Hab' ich's euch denn nicht gesagt?

In dem Thierkreis abgebildet

Ist mein Leben: Stier und Brüder,

Weib und Schütz und Skorpion.

Sieh', ich hab' es ausgerechnet,[151]

Ganz für mich, daß niemand wußte,

Wo die Sonn' und mein Planet

Stand, als ich Don Karl erblickte,

Ihn vom andalusischen

Kampfstier rettete – zuerst

Seines Weibes Reiz mich rührte –

Und – – hier ist kein Ungefähr!

Ich bin bös nicht von Natur,

Wahrlich nicht! allein das Schicksal

Führt auf böse Wege mich,

Wo Gefahr ist. – Thoren sind es,

Welche suchen in den Sternen,

Was geschehn wird. Dahin reicht

Menschenwitz nicht. Doch Vergangnes

Mag man drinnen wiederfinden,

Und sich wahren, stehn sie wieder,

Wie zur bösen Stund' sie standen.

JERTA vor sich.

Furchtbar mächtiges Gewissen!

Den Verstand auch folterst du?

HUGO.

Wär' es nichts, warum denn just[152]

Wären ihrer fünf? die Zahl

Aus Gerad' und Ungerade,

Gut und Böse, die des Menschen

Seele deutet? – Heut wie damals

Steht die Sonne gegen sie.

Laß mir das!

JERTA mit trübem, mitleidigen Lächeln.

Es sei; du wirst

Morgen noch, wie heute, fühlen,

Daß du handeln mußt, nicht schwärmen.

Ich bereite deine Reise.


Ab.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 2, Braunschweig 1828, S. 139-153.
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