[173] Hugo. Elvire. Otto.
ELVIRE.
Da ist er!
Schlafend meint' ich dich.
OTTO.
Ich war's.
Böse Träume weckten mich,
Aber Anfangs böse nur;
Herrlich waren sie zuletzt.
Dich, Herr Hugo, sah ich, wie
Ich dich nimmer hab' gesehen,
Seit mein Vater ist gestorben:
Heiter, wie in meinem Land
Man den Morgen sieht erwachen.
Und der Traum scheint wahr zu werden;
Denn viel anders siehst du ans,
Als ich dich verlassen habe.
HUGO.
Findest du das, lieber Knabe?[174]
OTTO.
Ja. Doch an der Mutter ist
Noch der Traum nicht ausgegangen.
Mit Darstellung des im Traum genossenen
Entzückens.
Herrlich, wie in der Verklärung
Ueber unserm Hochaltar
Heilands Mutter aufwärts schwebt,
Hab' ich dich im Traum gesehn.
Nun, du bist nicht minder schön;
Doch so leuchtend bist du nicht,
Nicht so selig dein Gesicht.
HUGO.
Was bewog dich, aufzustehen,
Und dich wieder anzukleiden?
OTTO.
Was? Nun, daß ich munter war.
Und ich habe wohl gethan;
Später hätt' ich sonst erfahren,
Was mir so viel Freude macht.
HUGO.
Was?[175]
OTTO.
Der Ritter ging vorbei,
Und ich rief ihm, und er kam,
Und erzählte mir: du seist
Nicht Graf Oerindur; mein Ohm,
Meines lieben Vaters Bruder!
Und du habest es versprochen,
Mit der Mutter, ihm und mir,
In mein Vaterland zu ziehen,
Und das bald – bald! – Ist das wahr?
HUGO.
Ja! – Dein Vaterland ist da,
Wo ich hin will. Alle, denk' ich,
Nimmt's uns auf einst.
OTTO innig vergnügt.
O, wie herrlich!
Liebe Mutter, eile ja,
Alles eilig zu besorgen,
Was ihm nöthig ist zur Reise!
HUGO.
Das ist wenig. – Sie hat's nah',
Und die milde wird mir's geben.
[176] Elvire wendet sich schmerzlich ab.
OTTO.
Deinen Kammerdiener, Kolbert,
Sprech' ich, ist er wach, noch heut.
Leichtre Kleidung muß ich haben,
Eilig diese von mir thun,
Die so schwer und lästig ist.
HUGO.
Ganz, wie du, denk' ich's zu halten.
OTTO.
Mach' es auch so, liebe Mutter,
Ob du schon dich hier so schwer,
Wie Herr Hugo, nicht beladen.
ELVIRE.
Meinst du?
OTTO.
Ja.
HUGO.
Mein Kind, du kannst,
Da du einmal auf bist, noch
Etwas hin zu Jerta tragen.
Geh' mit Kolbert in mein Zimmer.[177]
Nimm! Das Pult im Schlafgemach
Oeffnet dieser Schlüssel. Links
Findest du ein Pergament,
Daran hängt in silberner
Kapsel ein gewaltig Siegel.
Nicht zu irren, schlag' es auf,
Und sieh nach dem Anfang. Wenn
Es das recht' ist, muß er heißen:
»Das Geschlecht der Oerindur,
Unsres Thrones feste Säule,
Soll bestehn, ob die Natur
Auch damit zu Ende eile.«
Das gieb Jerta, nebst dem Schlüssel!
Er küßt ihn.
Küsse sie – für mich – und sag' ihr,
Sie soll nicht vergessen, daß ich
Kolbert herzlich lieb gehabt –
Und auch Holm – und – alle andre –
Er kämpft mit den Thränen.
Dann leg' dich zur Ruhe wieder.
OTTO.
Das soll bald geschehen seyn.
Geht nach der Thür.
[178]
ELVIRE.
Otto!
Sie eilt zu ihm, und küßt ihn inbrünstig und mit Thränen.
O, mein Kind!
OTTO.
Du weinst?
ELVIRE.
Küsse Jerta auch von mir,
Und – den Ritter – ehr' als Vater!
OTTO.
Ist er mein Großvater doch,
Den ich wahrlich herzlich liebe. –
Gute Nacht!
ELVIRE.
Gut' Nacht!
Otto ab.
Buchempfehlung
1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro