Dritte Scene

[26] Asla, schmucklos wie Irma gekleidet, kommt aus der Gallerie links. Irma. Erichson.


ASLA wirft sich in heftiger Bewegung in Irma's Arme.

Oh, meine Mutter! – Hochgelobt sei Gott,

Daß meine Augen nur ein Blendwerk sahen!

IRMA.

Was ist dir, Asla? Bleich kamst du geflogen,

Und plötzlich wird dein Antlitz wieder roth,

Wie von der Glut des Nordlichts überzogen.

ASLA.

Es sind des Blutes frei gewordne Wogen,

Die Schreck und Angst gebannt hielt in der Brust.

IRMA.

So war es dennoch, was ich, unbewußt,[26]

Ob's in mir oder außer mir geschähe,

Zu sehen glaubte? – Ritter, ist das Wacht,

Die Flammen nicht gewahrt in solcher Nähe?

ASLA.

Was schiltst du ihn? Steht es in seiner Macht,

In meinen Adern Ruhe zu gebieten,

Wie in den Gängen dieser Burg? – zur Nacht

Vor bösen Dünsten mein Gehirn zu hüten,

Und meinen Schlaf zu schirmen vor dem Traum?

IRMA betroffen.

Ein Traum? Auch du? –

ASLA.

Ein fieberhaftes Brennen,

Bald Qual, bald Lust. Noch weiß ich selber kaum,

Ob ich es Traum soll, ob Erscheinung, nennen.

IRMA.

Wie seltsam! So, genau so ist's auch mir.

Erzähl' den Traum!

ASLA.

Verlang' es nicht – nicht hier;

Des Dritten Ohr macht deine Asla blöde.[27]

IRMA.

Entfernt euch, Ritter!


Erichson geht ab.


Schildre dein Gesicht!

ASLA nachdem sie einige Augenblicke sich gesammelt hat.

Erwart' es nicht in kindlich klarer Rede,

Wie du gewohnt von deiner Tochter bist.

Das ist vorbei! die Klarheit meiner Seele –

Mich dünkt, du nanntest sie sonst Kindersinn

Floh mit der Ruhe dieser Nacht dahin,

Und kehrt nicht wieder! Welche Wort' ich wähle;

Glaub' nimmer, daß ihr Inhalt Wahrheit ist,

Rein, wie vorhin! Wieviel ich dir erzähle;

Wiss' im Voraus, daß ich dir mehr verhehle! –

Ich kann nicht anders, wie ich mich auch quäle.

Der Felsenquelle spiegelnder Kristall

Ist über seines Beckens Rand gestiegen,

Und rings umher berührt er überall

Naschhaft die Blumen, die ihm nahe liegen –

Und wie im Winde seine Wellen spielen,

Und er sich hebt zu ihrer Kelche Kuß,[28]

Leckt er den dürren Sand von ihren Stielen,

Und kommt getrübt vom flüchtigen Genuß.

Es ist vorbei! darfst Asla nicht mehr trauen,

Kannst nicht den Grund mehr ihres Busens schauen!

IRMA.

Wie seltsam find' ich dich gestimmt – gesinnt

Möcht' ich nicht sagen! – Sammle dich, mein Kind.

ASLA.

Dein Kind? – Nenn' mich nicht mehr mit diesem Namen!

Ich bin nicht Kind mehr; auch das deine nicht –

Das fühl' ich in mir, wie des Todes Samen!

In einer einz'gen, schwülen Nacht zerbricht

Der mächt'ge Trieb im Korn sein schmal Gehäuse,

Und üppig schießt er auf in Halm und Aehre,

Daß ihn die Sichel von der Wurzel reiße,

Und weg vom Boden ihn der Rechen kehre.

So ist's mit mir! Verscheucht ist Asla's Frieden!

Vom Kinde hat das Mädchen sich geschieden,[29]

Ich bin dir nichts mehr – gar nichts! Gieb mich auf!

IRMA.

Asla! Unschuldig Wesen! Dich verwirret

Des raschen Blutes ungewohnter Lauf.

Es ist dein Herz nicht, das sich hat verirret;

Es ist der Geist, der noch das Herz nicht kennt.

Wenn dich auch Kind noch meine Lippe nennt,

Der Jungfrau wird sie leicht das Räthsel lösen.

Sprich es nur aus, gern seh' ich dich – erröthen;

Und wenn ich je dir Mutter bin gewesen,

Jetzt bin ich's mehr, du hast sie mehr vonnöthen.

ASLA.

Wenn du mich liebst, fühlst du in deiner Brust

Die Möglichkeit, je davon abzulassen?

Mich weniger zu lieben? gar nicht? mich – zu hassen?

IRMA.

Du fragst, wie ich's noch nie von dir vernommen.

Ich kann es nicht, dein Herz ist sich's bewußt.[30]

ASLA.

Nun sieh, ich kann's. Mir ist die Macht gekommen,

Die schreckliche, das heilige Gefühl

Der Kindesliebe von mir abzustreifen,

Wie ein Gewand, das mich beengt im Spiel,

Und meinen Fuß umstrickt mit seinen Schleifen.

Ich fühl' in mir ein seltsam fremdes Walten,

Die Ahnung einer nie gekannten Lust

Hat schnell und tief mein Innerstes gespalten.

Ein drittes Wesen lebt in meiner Brust,

Um das ich euch – dich und den Vater -hassen,

Euch fluchen könnt', und euch im Tod verlassen.

IRMA lächelnd.

Dein Nachtgesicht lehrt mich das meine deuten.

Von Feuersgluten wähnt' ich dich umfangen;

Es war die Rede nicht von künft'gen Zeiten

In meinem Traum, er ist schon ausgegangen.

Die Flamm' ist da, sie brennt auf deinen Wangen;

Doch sey getrost, sie senget dir kein Haar.

Ihr milder Nam' ist – jungfräulich Verlangen,[31]

Es ist die Zeit, du zählest sechzehn Jahr.

An mir und Yngurd hat dein Herz gehangen

Mit einzigem und ungeteiltem Streben;

Jetzt zieht der zweite Pol es mächtig an,

Es fühlt bestürzt sich in der Mitte schweben,

Und glaubt sein Glük verloren gegen Wahn.

Wohl ist's ein Wahn, doch mehr werth, als das Leben!

Wie mich einst, Asla, mög' er dich beglücken!

Er kann dich führen auf verschlungne Bahn;

Doch du bist gut, die Kindesliebe kann

Er nimmermehr in deiner Brust ersticken.

ASLA.

Er kann es nicht? – Er hat's im Traum gethan.

Ich weiß es wohl, daß Träume nicht enthüllen,

Was künftig ist; doch was du fühlst im Traum,

Lieb' oder Haß, hat dir im Busen Raum,

Und was du träumend willst, das schläft in deinem Willen.


Nach kurzer Pause.


Ein junger Ritter, glänzend wie der Tag,

Zog her von Osten mit bewehrten Schaaren.[32]

Er zog vorüber, und mein Blick ihm nach,

Ihm nach der Wunsch: Entrinne den Gefahren!


Ein andres Heer von stahlbedeckten Leuten

Zog her von Westen, dunkel wie die Nacht,

Und fing sich an im Blachfeld auszubreiten,

Und sich zu ordnen, wie zur blut'gen Schlacht.


Vernichte sie! rief ich empor zum blauen

Gewölb' des Tags: Gieb Sieg des Ritters Speer! –

Da trieb mich's, achtsam wieder hinzuschauen,

Und ich erkannte – König Yngurds Heer.


Und ich erkannt' auf schaumbedecktem Pferde

Des Vaters Federstraus und Helm und Schild,

Und wirbelnd hob der Staub sich von der Erde,

Und Schlachtgewühl bedeckte das Gefild.


Da war's, als faßt' es mich mit rauhen Händen,

Und wollte theilen die beklommne Brust;[33]

Doch immer nach dem Ritter sich zu wenden,

Zwang meinen Blick ein schauerlich Gelust.


Und siegreich sah ich seine Fahnen wallen,

Und freudig rasch flog mir das Blut durch's Herz:

Des Königs Banner sah ich niederfallen,

Der Normann floh – ich fühlte keinen Schmerz.


Doch plötzlich stand die Flucht. Ich hört' ein Fluchen

Von Yngurds Stimme; sah ihn löwengleich

Sich wenden, und den zarten Ritter suchen,

Und meine Wangen fühlt' ich kalt und bleich.


Der steile Fels, von dessen Spitz' ich schaute –

Als sollt' ich nicht erblicken, was geschäh –

Wuchs in die Wolken, daß mir schwindelnd graute;

Doch nieder zog mich's aus der stillen Höh.


Und tiefer stets, halb fallend, halb getragen,

Sank ich herab. – Oed' war das Kampfgefild.[34]

Der Ritter lag – – der Ritter lag erschlagen,

Zerschmettert! und weit von ihm lag sein Schild.


Und seitwärts sah ich, nach des Waldes Nächten,

Den König fliehn, sein Haar des Sturmes Spiel.

Das meine riß ich wild aus seinen Flechten,

Und rauft' es mir, und stürzt' auf den, der fiel


Und Buchte dem, der floh vom blut'gen Werke –

Ich wußt' es wohl, daß es mein Vater war –

Und dennoch

IRMA in höchster innerer Bewegung.

Oh, hör' auf! Des Mannes Stärke

Hält das nicht aus – mir sträubet sich das Haar!

ASLA.

So auch im Schlaf war's; so erschienst du mir,

Ein starrer Schmerz, ein leichenhaft Entsetzen.

Von des Erschlagnen Locken festgehalten,

Und rings umschlungen, wie von Jägernetzen,[35]

Fühlt' ich den Schweiß auf meiner Stirn' erkalten,

Und wollte los, und konnte nicht zu dir;

Und sah dich ängstlich, sterbend nach mir winken,

Und sah's um mich, wie Wetterleuchten, blinken,

Und hört' es tosen, wie wenn Donner sich

Dem Sturm vermählt! – Und endlich rafft' es mich

Empor, und – zweifeln könnt' ich noch, ob ich

Erwacht sei, säh' ich nicht von der Geschichte

Den düstern Eindruck stehn auf deinem Angesichte.

IRMA mit sichtbarer Anstrengung, sich zu fassen.

Ein Traum ist nichts – bedeutet nichts, fürwahr!

Bewegtes Blut wirft seinen Schaum auf, wie

Bewegtes Wasser. Darin ist kein Sinn,

Ob er sich so gestaltet, oder so. – Ich bin

Ergriffen, ja! Wie sollt' ich nicht? Noch nie

Hast du so stark geschildert und so klar,

Was du gefühlt. – Ich hab' in bösen Stunden,

Die längst vorbei sind, Aehnliches empfunden.

Ich war ein glücklich Kind – ein glücklich Weib –[36]

Zu früh zwar schied der Mutter Geist vom Leib;

Doch innig, wie die Pflanz' am Boden, hing

Mein Herz am Vater. Seine Lieb' umfing

Mein ganzes Leben. Selbst der Königssinn,

Der ungern sich mit niederm Blut verbindet,

Schmolz an dem Feuer, das mein Herz entzündet:

Er gab die Tochter seinem Ritter hin,

Und in der Einigkeit der schönsten Triebe

Fühlt' ich dein Keimen, Frucht beglückter Liebe.

Da ward ich frech vom Boden ausgerissen –

Vom Vaterherzen!


Mit unaufhaltsam ausbrechendem Schmerz.


Die Geschichte bricht

Mein Herz noch, wie sie seines hat gebrochen.

ASLA.

Siehst du es wohl? Ich hätte schweigen müssen;

Doch hast du nie von diesem Schmerz gesprochen.

IRMA sich fassend.

Es taugt dir nicht, so Quälendes zu wissen.

Auch ohnedieß hätt' ich dein Nachtgesicht

Nicht unbewegt gehört. Wer träumt, der lebt,[37]

Ist glücklich und unglücklich – er empfindet;

Und wenn er wachend uns den Traum verkündet,

Regt sich das Mitgefühl. – Nur Aberglaube webt

Aus Träumen Stoff sich zu Bekümmernissen.

Vergiß das, Kind! Vergiß den klaren Ritter,

Bis er erscheint, und selbst dir Bürge wird,

Daß ihn der König nicht im Kampf getödtet.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 3, Braunschweig 1828, S. 26-38.
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