Zehnte Scene.

[119] Das Ganze verwandelt sich im Momente wieder so, wie es in der achten Scene war. Adam sieht man wieder als Keppler, das Haupt auf seinen Schreibtisch niedergesenkt. Lucifer, als sein Famulus, steht neben ihm und klopft ihm auf die Schulter. Der Morgen graut.


LUCIFER.

Die Hinrichtung bleibt diesmal weg.

ADAM.

Wo bin ich?

Wo sind die Träume, die mich so erregt?

LUCIFER.

Sie sind mit deinem Rausch verflogen, Meister!

ADAM.

In dieser schnöden Zeit erzeuget also

Nur Rausch noch Großes im verwelkten Herzen?

Ha, welch' großart'ges Bild that sich da auf

Vor meinem geist'gen Auge! Blind ist wohl,

Wer diesen Gottesfunken nicht begreift,

Und war er auch mit Blut und Schmutz besudelt.

Wie groß, wie riesenhaft erschienen Tugend

Und Laster da, und wie erstaunlich beide,

Denn Kraft drückt ihren Stempel ihnen auf!

Was mußte ich aus diesem Traum erwachen?

Daß ich hier Umschau haltend nur noch besser

Erkenne die Pygmäenhaftigkeit

Der Gegenwart, mit ihrem unter Lachen

Und Scherzen gleißnerisch versteckten Laster

Und der erlogenen Gewohnheitstugend![119]

LUCIFER.

Ach, den moral'schen Katzenjammer kenn' ich,

Der sich am Morgen nach dem Rausche einstellt!

EVA aus der Laube tretend.

Hinweg von mir! So war denn mein Verdacht

Doch keine Täuschung. Also wagst du es

Zu list'gem Gattenmord mich aufzufordern,

Hältst wirklich solcher schnöden Unthat fähig,

Von der du Ritterlichkeit heuchelnd lügst,

Sie wäre deines Herzens Ideal?

DER HÖFLING.

Um Gottes willen, ruhig meine Teure!

Bemerkt man uns, so giebt es noch Skandal.

ADAM.

Auch jene beiden Weiber waren Traum nur?

Was sage ich, ein Weib in zwei Gestalten,

Verändert mit der Sturmflut meines Schicksals,

Wie eine Woge, glänzend bald, bald finster.

EVA.

Ach so, bei dir ist der Skandal die Hauptsach'!

Was kümmert im Versteck die Sünde dich,

Du tadelloser Ritter du? O weh,

Ihr höhnt das Weib so lange, bis es nicht

Der Tugend altehrwürd'ge Überlief'rung

Von sich wirft, wie ein dummes Vorurteil;

Dann seht ihr's mit geringschätzendem Lächeln

Als niedrig Werkzeug eu'res Lasters an!

Hinweg, lass' nimmer blicken dich vor mir!

DER HÖFLING.

Nun übertreibst du abermals. Wir werden

Zum Gegenstand des Spottes, wenn wir diesen

Alltagsfall gar so feierlich behandeln.

Wir sehn einander auch in Zukunft, lächeln

Und tändeln wie bisher zusammen, ohne

Über Geschehnes Worte zu verlieren.

Ich wünsche einen guten Morgen, Dame!


Ab.
[120]

EVA.

Elender! Ach, hier steh' ich Ärmste nun

Mit meiner Sünde und mit meinen Thränen.


Ab.


ADAM.

So war es nur ein Traum, und nun ist's aus.

Doch nicht mit allem! Die Ideen sind

Wohl stärker als der schlechte Stoff; Gewalt

Kann diesen stürzen, jene leben ewig.

Ich sehe meine heiligen Ideen

Sich still entwickeln, immer mehr und mehr

Klarheit gewinnend, würdevoll, bis langsam

Und langsam sie die ganze Welt erfüllen.

LUCIFER.

Der Tag rückt vorwärts Meister, 's kommt die Lehrstund',

Die ungeduld'ge Jugend sammelt sich

Ein Wort von deiner Weisheit zu erhaschen.


Läutet ein an der Sternwarte angebrachtes Glöcklein.


ADAM.

Ach, zieh' mich mit der Wissenschaft nicht auf!

Ich muß erröten, wenn man mich drum lobt.

LUCIFER.

Du unterrichtest ja die edle Jugend.

ADAM.

Ich unterricht' sie nicht, ich richte sie

Mechanisch ab nur dies und das zu thun

Nach Worten, die sie nicht verstehen können,

Weil selbe ohne Sinn, gar nichts bedeuten.

Uneingeweihte glauben, wir Adepten

Citieren Geister mit den großen Worten;

Derweil ist's Ganze nur ein Kniff, um schlau

Des Taschenspiels Kunstgriffe zu bemänteln.


Ein Schüler kommt eiligen Schrittes, und begiebt sich auf den Erker.


SCHÜLER.

Du warst so gütig, Meister, und beriefst[121]

Mich heut zu dir. Du hast mir auch versprochen,

Daß du nun meinen Wissensdrang befriedigst,

Mich tiefer in die Dinge blicken läßt,

Als du's bei andern für ersprießlich hältst.

ADAM.

Wahr, wahr, dein Eifer ist so groß, daß du

Auf dieses Vorrecht billig Anspruch hast.

SCHÜLER.

Nun bin ich da. Ich zittre vor Verlangen,

In der Natur geheimnisvolle Werkstatt

Einblick zu nehmen, alles aufzufassen

Und besser zu genießen, kühn beherrschend,

Mit dem Gefühle der Erhabenheit,

Das Reich der Stoffe, wie die Geisterwelt.

ADAM.

Verlangst zu viel, du Staubkörnlein im Weltall.

Wie willst durchschaun du das großart'ge Ganze?

Du wünschest Macht, verlangst Genuß und Wissen;

Bricht deine Brust darunter nicht zusammen,

Umfaßt du alles das, bist du ein Gott.

Verlange weniger, vielleicht erreichst du's.

SCHÜLER.

Des weiten Wissens, welch' Geheimnis immer

Du mir erschließt, ich kann nur profitieren,

Denn gar nichts, fühle ich, ist mir begreiflich.

ADAM.

Nun gut, ich sehe, daß du würdig bist.

Will ins geheimste Heiligtum dich führen,

Du sollst die Wahrheit sehn, wie ich sie sehe.

Ob aber nicht ein unberufnes Ohr

Uns wo belauscht, denn schrecklich ist die Wahrheit,

Ja tödlich, wenn sie heute schon ins Volk dringt.

Es kommt die Zeit, o wäre sie schon da!

Wo man von ihr auf offner Straße spricht;

Doch dann ist's Volk nicht minderjährig mehr.[122]

Jetzt gieb die Hand drauf, daß du nicht verrätst,

Was du vernehmen wirst. So! Höre denn!

SCHÜLER.

Wie klopft mein Herz vor Wissensdrang und Furcht!

ADAM.

Was sagtest du mir grad' vorher mein Sohn?

SCHÜLER.

Daß ich im Wesentlichen nichts begreife.

ADAM mit Vorsicht.

Nun sieh', ich auch nicht, – und du kannst mir glauben,

Auch sonsten keiner. Die Philosophie

Ist nur all' dessen Poesie, wovon

Wir keinen richtigen Begriff noch haben.

Und unter andern hohen Wissenschaften

Ist diese wohl die unschuldigste noch,

Weil sie in ihrer Welt voll Hirngespinsten

Ganz still sich mit sich selber unterhält.

Nun hat sie aber andere Geschwister,

Die in den Sand mit wicht'ger Miene schreiben,

Hier einen Strich als Wirbelschlund bezeichnen,

Dort einen Kreis als Heiligtum. Schon reizt dich's

Hell aufzulachen, doch bald wirst du inne,

Welch' schrecklich ernster Streich das Ganze ist.

Denn während mit gepreßter Brust und zitternd

Den Staubfiguren alles sorglich ausweicht,

Sind hie und da Fußangeln aufgestellt,

Die den Verwegnen, der sie überschreitet,

Auf's Blut verletzen. Solcher Unsinn, siehst du,

Steht immer uns im Wege, jede Macht,

So sie einmal besteht, als Gegenstand

Der Pietät scheinheilig stets beschirmend.

SCHÜLER.

Ach, ich versteh' dich, und bleibt's ewig so?

ADAM.

Einst wird man übers Ganze weidlich lachen.[123]

Es sieht den Staatsmann, den wir groß genannt,

Den Orthodoxen, den wir angestaunt,

Die Nachwelt für Komödianten an,

Sobald an ihre Stelle wahre Größe,

Natürlich ungekünstelt Echtes tritt,

Das dort nur springt, wo's einen Graben giebt

Und seine Wege sucht, wo frei die Bahn.

Die Lehre, die jetzt nur zum Wahnsinn führt,

Durch ihr verwickelt Wesen, wird, obschon

Sie niemand lernt, doch jedermann verstehn.

SCHÜLER.

Dies also ist die Sprache, leicht verständlich,

Wie die Apostel sie gesprochen einst.

Wenn aber alles andre Plunder ist,

So raube mir den Glauben an die Kunst nicht;

Und diese zu erlernen muß man doch

Zu festgesetzten Regeln sich bequemen.

ADAM.

Die Kunst ist auch dann am vollkommensten,

Wenn sie sich so verbirgt, daß man von ihr

Nichts merkt.

SCHÜLER.

Soll ich denn also bei der rauhen

Profanen Wirklichkeit nun stehen bleiben?

Es hauchet unsern Werken doch gewiß

Nur Idealisierung Seele ein.

ADAM.

Wahr, wahr, die streuet Geist aus über selbe,

Erhebt, macht ebenbürtig der Natur,

Und zeitigt zum lebendigen Geschöpf,

Was ohne sie nur totes Machwerk bliebe.

Brauchst nimmer zu befürchten, daß, indem

Du idealisierest, du die große

Lebendige Natur je übertriffst.

Die Regeln und die Muster aber lasse.

Wer Kraft in sich verspürt, in wessen Brust[124]

Ein Gott wohnt, der wird reden, meißeln, singen,

Wühlt Schmerz in seiner Seele, wird er schluchzen,

Ganz herzerschütternd, und beseligt lächeln,

Wenn sich sein Geist in Wonneträumen wiegt.

Und bricht er sich auch neue Bahnen, sicher

Gelangt er stets zum vorgesteckten Ziel.

Aus seinem Werke macht sich neue Regeln,

Zur Fessel wohl, doch nie als Schwingen,

Für Zwerggeschlechter die Abstraktion.

SCHÜLER.

Ach Meister, sag, was soll ich also thun?

Der ich der Wissenschaft so viele Nächte

Geopfert, ward ich nur dem Hohlkopf gleich,

Und ist so viele Mühe ganz verloren?

ADAM.

Verloren nicht, denn grade dies giebt dir

Ein Recht nun jede Lockung zu verschmähn.

Wer der Gefahr noch nie ins Aug' geblickt,

Ist wohl, wenn er zurückweicht, feig zu nennen;

Doch der erprobte Held kann ungestraft

Den Stänker meiden, man wird seinen Mut

Drum nicht in Zweifel ziehen. Also nimm

Hier alle die vergilbten Pergamente,

All' diese schimmeligen Folianten,

Und wirf sie in den Ofen; denn sie sind es,

Die uns entwöhnen, auf den eignen Beinen

Einherzuschreiten, und die uns des Denkens

Mit unsern eignen Köpfen überheben.

Sie schleppen die Gebrechen von vergangnen

Jahrhunderten hinüber in die Neuzeit.

Ins Feuer denn mit ihnen, und hinaus

Ins Freie! Schad' wär's immer nur zu lernen

Was Singen heißt, und wie der Laubwald aussieht

Indes dein Leben zwischen staub'gen Wänden

Freudlos verrinnt? Hältst für so lang das Leben

Daß bis ans Grab du Theorien studierst?

Zusammen sagten wir Valet der Schule,[125]

Dich leite deine frische, ros'ge Jugend

Zu heiterm Sonnenschein und frohen Liedern;

Mich führe du, mein zweifelhafter Schutzgeist,

In jene neue Welt, die sich entwickelt,

Wenn die Ideen eines großen Mannes

Der Menschheit einmal klar verständlich sind,

Und es dem scheu verborgenen Gedanken

Vergönnt sein wird ein freies Wort zu sprechen

Auf den Ruinen fluchbeladner Wälle.[126]


Quelle:
Madách, Imre: Die Tragödie des Menschen. Leipzig 1888, S. 119-127.
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