Elfte Scene.

[127] In London. Zwischen dem Tower und der Themse wird Markt gehalten. Eine bunte Menge wogt lärmend auf und nieder. Adam als betagter Mann, steht mit Lucifer auf einer Zinne des Tower. Gegen Abend.


CHOR mit dem Getöse der brausenden Menge verschmelzend, von leiser Musik begleitet.

Rastlos rauscht die Flut des Lebens,

Jede Woge eine Welt.

Was verschlägt es dir, wenn diese

Sinkt und jene höher schwellt?

Fürchtest einmal, daß die Menge

Leicht den einzelnen verschlingt,

Und ein andermal, daß einer

Millionen kühn bezwingt.

Zitterst heute für das Wissen,

Morgen für die Poesie,

Willst doch in Systeme zwängen,

Forschbegier und Phantasie.

Magst du noch so dichten, trachten,

Was du schöpfest ist nur Schaum,

Und das ew'ge Meer rauscht weiter,

Achtet deines Ringens kaum.

Laß es rauschen, selber regelt

Sich im Kampf der Unterschied;

Nichts im Leben geht verloren,

Altes wird stets neugeboren,

Höre nur sein Zauberlied![127]

ADAM.

Das ist's, das Endziel meines heißen Strebens,

Ein wüster Irrweg war mein Pfad bislang;

Da liegt vor mir der Markt des vollen Lebens,

Wie schön, ermunternd klingt sein Wettgesang!

LUCIFER.

Schön aus der Höhe, wie ein Kirchenlied,

Wo jeder heis're Mißton, jeder Seufzer

Und Weheruf zur Arie verschmilzt

Bis er heraufgelangt. So hört's auch Gott,

Und glaubt darum, er habe diese Welt

Ganz gut gemacht; doch hörte sich's gewiß

Dort unten anders an, wo auch des Herzens

Pulsschläge in die Harmonie sich mischen.

ADAM.

Du höhn'scher Zweifler, also sag', ist dies

Nicht eine schön're Welt, als alle jene,

Durch die du mich bisher hindurchgequält?

Die moosbedeckten Schranken sind gefallen,

Verschwunden alle drohenden Gespenster,

Wie sie die grämliche Vergangenheit

Der Zukunft mit geweihter Glorie

Als ihren Fluch zu hinterlassen pflegt.

Der Brust ist freier Kampfesraum beschieden,

Nicht mehr erstehn durch Sklaven Pyramiden.

LUCIFER.

Auch in Ägypten hätte man so weit

Herauf der Sklaven Jammer nicht gehört,

Und ohne das, wie gottvoll seine Werke!

Hat nicht das souveräne Volk Athens

Gerecht, ja groß gehandelt, als es seinen

Vornehmsten, meist beliebten Mann geopfert,

Weil's Vaterland Gefahr hätt' laufen können?

Wenn wir nur alles aus gemess'ner Höhe

Betrachten, und durch Weiberthränen oder

Sonst welchen Unsinn uns nicht stören lassen.[128]

ADAM.

Hör' auf, hör' auf, du ewiger Sophist!

LUCIFER.

Und zugegeben, daß das Weh erstorben,

Ist anstatt dessen alles so verflacht jetzt.

Wo ist das Hohe, das uns anzieht, wo

Die Tiefe, die uns schreckt? wo uns'res Lebens

So süß ergreifend' buntes Wechselspiel?

Nicht mehr ist's wilden Wogenkampfes Sprühn,

Nur glatter Sumpf voll aufgeduns'ner Kröten.

ADAM.

Des ungetrübten allgemeinen Wohlseins

Gefühl ist doch Ersatz genug dafür.


LUCIFER.

Beurteilst auch von deinem hohen Standpunkt

Das Leben, welches dir zu Füßen wimmelt,

Gerade so, wie über das Vergangne

Die rücksichtslose Weltgeschichte richtet.

Sie hört nicht Wehgeschrei, nicht heis're Rede;

Was sie auf ihre ew'gen Blätter zeichnet,

Ist nur das Lied von der Vergangenheit.

ADAM.

Der Satan selbst wird schon romantisch, oder

Gar doktrinär; eins wie das andere

Ist eine wirkliche Errungenschaft.

LUCIFER auf den Tower weisend.

Das ist kein Wunder, wenn wir auf gespenst'gem

Spuk längstverwichner Zeiten fußen, mitten

In einer neuen Welt.

ADAM.

Der morsche Standpunkt

Behagt mir auch nicht, will entschlossen mich

Hinabbegeben in die neue Welt,

Und fürchte kaum, daß ich in ihren Wogen[129]

Die Poesie und der Ideen Größe

Nicht wiederfände. Möglich, daß sie sich

Nicht mehr in himmelstürmend urgewalt'gem

Titanenkampfe äußern werden, aber

Sie schaffen in bescheidenerem Kreise

Sich eine um so reizendere Welt,

Viel segensreicher, als je eine war.

LUCIFER.

Du brauchst dir auch nicht die geringste Sorge

Deshalb zu machen; denn so lang es Stoff giebt,

Besteht auch meine Macht in der Verneinung,

Die mit dem Stoffe stets im Streite liegt.

So lang ein Menschenherz noch schlägt, ein Hirn

Gedanken faßt, und ein Gebot der Ordnung

Dem Drange wilder Wünsche Schranken zieht,

Wird in der Geisterwelt auch Poesie

Und manch' erhabene Idee sich finden.

Doch sag', was sollen wir denn für Gestalt

Annehmen, wenn wir in das Volksgewühl

Hinuntersteigen? Denn so können wir

Nur hier verbleiben, wo uns Schwärmerei

Romantischer Vergangenheit umschwebt.

ADAM.

Nun, welche immer, Dank dem Schicksal giebt's

Nichts, was hervorragt mehr. Um zu erfahren

Wie's Volk fühlt, müssen wir hinuntersteigen

Zur breiten Schichte des gemeinen Volks.


Beide steigen in das Innere des Towers hinab, und treten als Arbeiter gekleidet zu dessen Thor heraus sich in das Gewühl mischend. – Ein Marionettenmann steht bei seiner Bude, auf welcher ein Affe sitzt, in rotem Rocke, an einer Kette.


DER MARIONETTENMANN.

Hieher liebwerte Herren, nur hieher!

Die Vorstellung allda beginnt sogleich.

Das Stück ist äußerst lustig anzuschaun,

Wie Schlangenlist das erste Weib verführt,

Schon damals der Neugierde Unterthan,[130]

Und wie das Weib damals schon in die Patsche

Gebracht den Mann. Zu sehn ein Affe schnurrig,

Mit welcher Würde er den Menschen spielt;

Ein Bär auch als Tanzmeister ist zu sehn.

Hieher liebwerte Herren, nur hieher!


Gedränge um die Bude.


LUCIFER.

Ach Adam! meiner Treu man spricht von uns hier.

Es ist doch schön, wenn einem solche Rolle

Zu Teil ward, daß noch nach sechstausend Jahren

Die heitre Jugend ihren Spaß dran findet.

ADAM.

Weg von dem abgeschmackten Scherze! Weiter!

LUCIFER.

Ein abgeschmackter Scherz? schau nur die Knaben,

Die grad noch in der Schulbank über Nepos

Geschlummert haben, wie vergnügt sie sind.

Nun soll mir Einer sagen, wer hat recht?

Diejenigen, die erst ins Leben treten,

Mit kaum erwachtem Kraftgefühle, oder

Derjenige, der mit vermorschtem Hirn

Aus selbem schon hinaustritt. Findest du

An einem Shakespeare etwa mehr Gefallen,

Als sie an diesem kunterbunten Zerrbild?

ADAM.

Ei Lucifer, das Zerrbild ist 's ja eben,

Was ich nicht leiden kann.

LUCIFER.

Es haftet dir

Noch aus dem alten Griechentume an.

Schau, ich, der lieblichen Romantik Sprosse,

Wenn's besser dir gefällt, auch deren Vater,

Bei Geistern ist's kein großer Unterschied – –

Ich bin entzückt vom Zerrbild. Ist es nicht

Ein Affenzug auf stolzem Menschenantlitz,[131]

Dem Hohen nachgeschmißner Straßenkot,

Verrückter Edelmut, ein härnes Prachtkleid,

Der Keuschheit Lob in frecher Dirnen Mund,

Verhimmlung alles Niedern und Verworfnen,

Des Abgelebten Fluch auf Liebesfreuden?

Es macht vergessen, daß mein Reich verloren,

Weil ich in neuer Form nun wieder aufleb'.

DER MARIONETTENMANN Adam auf die Schulter klopfend.

He, was verstellt ihr da den besten Platz?

Ihr Lumpenpack, es macht umsonst nur Spaß,

Wer lebenssatt sich hängen lassen will.


Adam und Lucifer weichen zur Seite. Ein kleines Mädchen kommt Blumen verkaufend.


DAS KLEINE MÄDCHEN.

Kauft Veilchen, liebe Leute, Veilchen kauft!

Des Lenzes erste Boten, selbstgepflückt;

Dies holde Blümchen giebt der Waise Brot,

Ist eine Zier, die auch den Armen schmückt.

EINE MUTTER indem sie Veilchen kauft.

Sollst für mein totes Kind mir diese lassen.

EIN MÄDCHEN gleichfalls kaufend.

Wird gut zu meinen dunklen Locken passen.

DAS KLEINE MÄDCHEN.

Kauft Veilchen, meine Herren, Veilchen kauft!

EIN JUWELENHÄNDLER in seiner Bude.

Daß uns dies Unkraut immer Konkurrenz macht,

Und wir's nicht aus der Mode bringen können.

Mehr zieren einen schönen Hals doch Perlen,

Um deren Glanz schon der verwegne Taucher,

Der sie heraufgeholt, die Ungeheuer

Der Meerestiefe freventlich versucht hat.


Zwei Bürgermädchen kommen miteinander.


ERSTES BÜRGERMÄDCHEN.

Welch' prächt'ge Stoffe, teuere Juwelen![132]

ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN.

Schön wär's, wenn jemand uns was kaufte, gelt?

ERSTES BÜRGERMÄDCHEN.

Nur zu verruchten Nebenzwecken thäte

Noch so etwas die heut'ge Männerwelt.

ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN.

Nicht einmal so! sind aller Feinheit bar,

Verderbt von Dirnen und von Kaviar.

ERSTES BÜRGERMÄDCHEN.

Ja darum sind sie gar so übermütig,

Daß sie uns nicht einmal beachten.

ZWEITES BÜRGERMÄDCHEN.

Oder

So sehr bescheiden, daß sie nichts mehr wagen.


Gehen vorüber. In einer Laubhütte schenkt man Wein. Um den Tisch zechende Arbeiter. Weiter hinten Musik und Tanz. Soldaten, Bürger und verschiedenes Volk unterhalten sich und gaffen umher.


WIRT zwischen seinen Gästen.

Nur immer lustig! Gestern ist vorbei

Und Morgen holst nie ein; drum nichts vertagt.

Die Vögelein am Feld' speist Gott der Herr

's ist alles eitel, wie die Bibel sagt.

LUCIFER.

Ei, diese Art Philosophie gefällt mir.

Nun setzen wir uns auf die schatt'ge Bank da,

Und sehn wir zu, wie billig und wie gut

Bei saurem Wein und greulicher Musik

Das sorgenlose Völklein sich belustigt.

ERSTER ARBEITER beim Tische.

Ja, die Maschinen sind des Teufels Werk!

Sie nehmen uns das Brot vorm Munde weg.

ZWEITER ARBEITER.

Bleibt uns zu trinken nur, verschmerzen wir's.[133]

ERSTER ARBEITER.

Ha, und der Reiche – ist der Teufel selber,

Saugt sich gemächlich voll an unserm Blut.

Käm einer jetzt daher, schickt ihn zur Hölle!

Wie's jüngste Beispiel thäten mehr noch gut.

DRITTER ARBEITER.

Was hättest du davon? Heut' baumelt er,

Und unser Los, wird's deshalb minder schwer?

ZWEITER ARBEITER.

Einfält'ge Reden! mag der Reiche kommen,

Ich thu ihm nichts, setz ihn da neben mich,

Will sehn, wer nobler ist, wer flotter zecht.

DER WIRT zu Adam.

Mit was kann ich Euch dienen Herr?

ADAM.

Mit nichts.

DER WIRT.

Dann schert euch fort von meiner Bank, Schlaraffen!

Meint ihr, daß ich das Geld nur stehle, oder

Zu Bettlern werden lasse Weib und Kind?

ADAM aufstehend.

Wagst so zu sprechen?

LUCIFER.

Laß den Grobian!

ADAM.

So gehen wir, was sehen wir auch zu,

Wie sich der Mensch zum rohen Tier erniedrigt!

LUCIFER.

Ach da ist, was ich schon so lange suche,

Hier geht's gemütlich, ungezwungen her,

Dies tolle Stampfen, dieses wilde Lachen,

Der helle Ausbruch bachanal'schen Feuers,

Das Rosenglut auf fahle Wangen malt,[134]

Wie eitler Wahn manch Elend überfirnißt.

Ist das nicht herrlich?

ADAM.

Ach, mich ekelt's an!


Sind unterdessen zu den Tanzenden gelangt. Zwei Bettler kommen zankend.


ERSTER BETTLER.

Das hier ist mein Platz, da bin ich befugt.

ZWEITER BETTLER.

Hab' doch mit mir Erbarmen, sterbe Hungers,

Bin schon zwei Wochen keiner Arbeit fähig.

ERSTER BETTLER.

So bist du also gar kein rechter Bettler,

Du hergelaufner Störer du; ich rufe

Den Bettelvogt.


Der zweite Bettler schleicht sich fort. Der erste nimmt den Platz ein.


Um Christi Wunden willen

Dem Dulder ein Almosen, liebe Herren!


Ein Soldat reißt einem Handwerkergesellen seine Tänzerin vom Arme.


SOLDAT.

Fahr ab, du Bauernlümmel! oder meinst

Am Ende gar, du wärst was Rechts?

HANDWERKERGESELLEN.

Sollst's fühlen,

Wenn du's nicht glaubst.

ZWEITER HANDWERKERGESELLE.

Ei laß ihn, weich ihm aus;

Denn sein ist alle Macht und Herrlichkeit.

ERSTER HANDWERKERGESELLE.

Was braucht er Einen noch zu schmäh'n, wenn so schon

Sein Stand wie ein Blutegel saugt an uns.

EINE LUSTDIRNE.

Goldne Äpfel zu erbeuten

That man einst mit Drachen streiten. –[135]

Äpfel wachsen wohl noch immer,

Drachen giebt's schon lange nimmer.

Blöd ist, wer sie wo erschaut,

Und sich nicht zu pflücken traut.


Schmiegt sich an einen Jüngling.


LUCIFER in den Anblick der Lustbarkeiten versunken.

Nun schau, derlei Koketterie gefällt mir,

Wer reich ist, soll auch zeigen seine Schätze;

Worauf der Geizhals sitzt, die Eisentruhe

Kann ebensogut Sand wie Gold enthalten.

Wie rührend dieses Lümmels Eifersucht,

Wie er die Blicke seines Mädchens hütet!

Er weiß den Wert des Augenblicks zu schätzen,

Obschon er ganz im Reinen ist mit ihr, –

Jedoch was kümmert's ihn, – daß binnen kurzem

Sie einem andern in die Arme sinkt.

ADAM zu einem der Musikanten.

Mensch, warum gehst du mit der Kunst so um,

Sag nur, gefällt dir etwa, was du spielst?

DER MUSIKER.

Bewahre, 's ist mir eine helle Pein,

Tagtäglich diese Melodei zu geigen,

Und hören, wie man stampft und jauchzt dabei.

Der wilde Ton verfolgt mich selbst im Traume.

Was thun? muß leben, und sonst kann ich nichts.

LUCIFER noch immer in den Anblick vertieft.

Wer setzte von der flatterhaften Jugend

So praktische Philosophie voraus?

Dies Mädchen weiß, daß es im Leben nicht

Der letzte Augenblick, den sie genießt;

Und während sie umarmet, sucht ihr Auge

Bereits ein neu Verhältnis. Teure Kinder,

Welch große Freude ihr mir da bereitet,

Daß ihr so frohen Mutes für mich schanzt!

Mein Segen: Schuld und Elend sei mit euch![136]

ZWEITER HANDWERKERGESELLE singend.

Wem nach wochenlanger Plag'

Herzensfroh, bei Sang und Klang,

Weib und Wein gefallen mag,

Hei, dem macht kein Teufel bang!


Man hört die Endakkorde einer Kirchenmusik. Eva als Bürgermädchen kommt, ein Gebetbuch und einen Blumenstrauß in der Hand, mit ihrer Mutter aus der Kirche.


EIN HÄNDLER.

Hieher, mein schönes Fräulein, nur hieher!

Es kann Euch niemand billiger bedienen.

EIN ANDERER HÄNDLER.

Ei, trauet ihm nicht, er führt falsches Maß

Und alte Ware. Hieher, schönes Fräulein!


ADAM.

Du hältst mich an so schnödem Ort zurück,

O Lucifer! dieweil das Heil, verkörpert,

Mir da beinahe unbemerkt entschwebt.

LUCIFER.

Dergleichen ist dir doch nichts neues mehr?

ADAM.

Sie kommt grad aus der Kirche, o wie schön,

Wie schön sie ist!

LUCIFER.

Sich sehn zu lassen war sie

Nur dort, vielleicht sogar sich umzuschaun.

ADAM.

Der Spott ist kalt, tritt ihr damit nicht nahe!

Es schwebt ihr noch die Andacht auf den Lippen.

LUCIFER.

Bekehrst dich, wie ich sehe, wirst am Ende

Sogar noch Pietist?[137]

ADAM.

Ein schlechter Witz das.

Denn ist's in meiner Brust auch noch so frostig,

So schadet das nur mir; jedoch im Weibe

Verlang ich Vorurteil, dies heil'ge Feuer

Verklärter Poesie, entschwundner Zeiten

Musik, den unberührten Schmelz der Blume.

LUCIFER.

So zeige mir, wo ist denn dies Stück Himmel?

Das kannst du selbst vom Teufel nicht erwarten,

Daß er um deinen wechselnden Geschmack

Stets zu erraten sich den Kopf zerbreche.

Genug, wenn er herbeischafft, was du wünschest.

ADAM.

An dieses Mädchens Brust! Wo sonst?

LUCIFER.

So spricht

Der Grünspecht auch, hat er wo einen Wurm

Erwischt; er schaut sich eifersüchtig um,

Und meint, es gäbe keinen bessern Bissen,

Während's die Taube ekelt vor dem Fraße.

So findet auch der Mensch sein Heil nur selbst,

Und oft gerade da, wo statt des Himmels

Ein andrer sich die Hölle hat bereitet.

ADAM.

Und welche Würde, welche keusche Tugend;

Ach, kaum getraue ich mich ihr zu nahn!

LUCIFER.

Nur keck drauf los! Bist bei den Frauenzimmern

Gewiß kein Neuling, und bei rechtem Licht

Betrachtet, wird sie auch erkäuflich sein.

ADAM.

Schweig doch![138]

LUCIFER.

Vielleicht um höhern Preis als andre.


Ein Jüngling tritt unterdessen bescheiden zu Eva, und überreicht ihr ein Pfefferkuchenherz.


DER JÜNGLING.

Ich bitte Fräulein dieses Marktgeschenk

Aus meinen Händen gütigst anzunehmen.

EVA.

Wie hübsch von Euch, daß Ihr an mich gedacht!

Wir haben Euch schon lange nicht gesehn.

Warum besucht Ihr uns so selten, Arthur?


Sprechen leise miteinander, Adam sieht aufgeregt zu, bis sich der Jüngling entfernt.


ADAM.

Soll der unreife Knabe da besitzen,

Wonach mein Männerherz umsonst sich sehnt?

Ach, wie vertraut sie thun, und wie sie lächelt!

Nun winkt sie ihm zum Abschied gar noch nach! –

O welche Pein, die Eifersucht verzehrt mich!

Ich kann nicht mehr umhin sie anzusprechen.


Nähert sich Eva.


MUTTER.

Wohl weiß ich, Arthurs Eltern sind vermöglich,

Doch bin ich nicht recht sicher, ob zu eurem

Verhältnis sie auch gute Miene machen?

Drum sollst du seinen mindern Nebenbuhler

Nicht ganz beiseite setzen, der dich heut

Mit diesem Blumenstrauße überraschte.

ADAM.

Laßt, Damen, mein Geleite euch gefallen,

Damit euch im Gedränge nichts geschieht.

EVA.

Ei, welche Keckheit!

MUTTER.

Unverschämter, weg!

Glaubt er vielleicht, er hat vor sich ein Mädchen,

Dem Allewelt Schönheiten sagen darf?[139]

ADAM.

Was sonst, beim Himmel, könnte man denn sagen?

So schwebte weiblicher Vollkommenheit

Lieblichstes Ideal im Traum mir vor.

MUTTER.

Ja träumen mag er dreist, was ihm beliebt;

Wem aber dieses Mägdleins Reize blühn,

Darf kein so hergelaufner Tagdieb sein.


Adam steht verwirrt da, eine Zigeunerin tritt zu Eva.


ZIGEUNERIN.

Ach Schönste aller Schönen, stehet stille,

Weist her die Hand, so winzig weiß und zart;

Laßt euch wahrsagen, welche Segensfülle

Im Schoß des schwanken Schicksals euer harrt!


Indem sie ihre Handfläche betrachtet.


Ein schöner Bräutigam, – recht nah sogar, –

Gesundheit, Reichtum, hübscher Kinder Schar .....


Kriegt Geld.


LUCIFER auf Adam weisend.

Hochweise Schwester, lass' auch etwas hören

Vom Schicksal meines Kameraden hier.

ZIGEUNERIN.

Ich kann fürwahr nicht recht ins Reine kommen,

Ob Hunger oder Galgen ihm bevorsteht.

ADAM zu Eva.

O weiset mich doch nicht so schnöde ab,

Dies Herz, ich fühl es, ist für mich geschaffen!

EVA.

Gieb Mutter, doch nicht zu ....

MUTTER.

Ich ruf' die Wache,

Wenn er nicht weicht![140]

EVA.

Laß ihn, er kommt vielleicht

Von selber zu Vernunft, und eigentlich

Hat er ja gar nichts Schreckliches verübt.


Entfernen sich.


ADAM.

O heil'ge Poesie, so bist du denn

Aus dieser Welt der Prosa ganz verschwunden?

LUCIFER.

Warum nicht gar! Das Pfefferkuchenherz,

Der Blumenstrauß, die Laube und der Tanz,

Was waren sie wohl sonst? Sei nur nicht gar

So wählerisch, genug giebt's noch zu schwärmen.

ADAM.

Dank schön dafür, wenn Habsucht, Eigennutz

Dahinter steckt, und rein selbstloser Aufschwung

Gar nirgends mehr zu finden ist!

LUCIFER.

Auch der

Dürft' reichlich auf der Schulbank vor sich finden,

Wo's Leben noch nicht gänzlich aufgeräumt.

Da kommen ein'ge solche Kameraden.


Einige Studenten schlendern daher.


ERSTER STUDENT.

Heut sind wir, Jungens, den Schulmoder los,

Heut wollen wir einmal was Rechts genießen.

ZWEITER STUDENT.

Hinaus ins Freie, denn die Stadt, die hass' ich,

Mit ihrer Ordnung, ihrem Krämersinn!

DRITTER STUDENT.

Versuchen wir's irgendwo anzubinden,

Das Raufen ist ein männliches Vergnügen.

ERSTER STUDENT.

Entreißen wir den Söldnern ihre Mädchen

Frisch weg vom Schoß, da haben wir gleich Streit;[141]

Wir eilen stracks ins Freie dann mit ihnen,

Geld für Musik und ein paar Krüge Bier

Hält auch vor, und so werden wir bis Abend

Mit den Erinnerungen uns'res Sieges

Im Kreise roter Wangen Prinzen sein.

VIERTER STUDENT.

Ach herrlich, herrlich! den Philister ärgern .....

ERSTER STUDENT.

Die Bande uns'res Bundes fester fügend, –

Und froh genießen, was nur eben möglich,

Bis einst, begeistert für das Vaterland, sich

Auf edlerm Kampfplatz tummelt uns're Thatkraft.


Gehen vorüber.


ADAM.

Ein schönes Schauspiel in der flachen Welt,

Mein Herz ahnt bess'rer Zeiten Keim darin.

LUCIFER.

Wirst sehen, wie sich dieser Keim entwickelt,

Wenn einst der Schulstaub abgeschüttelt ist.

Die beiden Fabrikanten, die da nahn,

Sind jung gewesen, was jetzt diese Burschen.


Es kommen zwei Fabrikanten im Gespräch.


ERSTER FABRIKANT.

Umsonst, man hält die Konkurrenz nicht aus!

Ein jeder greift nach dem Wohlfeilern nur,

Ich muß die Güte meiner Ware fälschen.

ZWEITER FABRIKANT.

Der Arbeitslohn, der muß vermindert werden.

ERSTER FABRIKANT.

Das geht nicht, lehnen sich ja jetzt schon auf,

Weil sie nicht leben können, diese Hunde!

Vielleicht ist ihre Klage nicht ganz grundlos;

Wer heißt die Racker aber sich beweiben,

Was brauchen sie ein halbes Dutzend Kinder?[142]

ZWEITER FABRIKANT.

Man muß sie mehr beschäftigen. Sie sollen

Die halbe Nacht zur Arbeit noch verwenden,

Sich auszuruhn genügt die andre Hälfte,

Wem 's träg zu träumen ohnehin nicht frommt.


Gehen ab.


ADAM.

Was führtest du mir diese Zwei vor Augen!

Doch sag, wo ist das Mädchen hingekommen?

Nun Lucifer, jetzt zeige deine Macht,

Hilf, daß sie mich erhöre.

LUCIFER.

Selbst der Satan

Vergeudet ungern seine Kraft für nichts.

ADAM.

Dir mag es nichts sein, mir ist's eine Welt.

LUCIFER.

Nun, so gewinne sie. Vermöge nur

Deiner Gefühle immer Herr zu werden,

Schrick nicht vor Lug und Trug zurück, geh ein

Auf meine Fragen, und sie ist die Deine.


Laut, daß es die hinter ihnen lauschende Zigeunerin hört.


Ihr seht, Mylord, wie unbequem es ist

Derart vermummt sich unters Volk zu mischen;

Wir stoßen jeden Augenblick auf neue

Beleidigungen. Hätte dieses Volk

Nur die geringste Ahnung, daß noch heute

Aus Indien vier uns'rer Schiffe hier

Vor Anker gehen, sicher würde man

Ganz anders uns behandeln.

ADAM.

Sehr wahrscheinlich!

ZIGEUNERIN beiseite.

Ha, diese unerwartete Entdeckung

Ist eine hübsche Summe Geldes wert!


[143] Zu Adam.


Ich bitte, auf ein Wort. Ihr habt euch listig

Verstellen wollen, dafür hab ich euch

Gestraft mit meiner schlimmen Prophezeiung;

Denn, wie ihr seht, vor mir giebt's kein Geheimnis,

Seit lange bin mit Satan ich im Bunde.

LUCIFER beiseite.

Das ginge mir noch ab, du alte Vettel!

ZIGEUNERIN.

Es kommen eure Schiffe heut noch an.

Was aber viel erfreulicher als das,

Ist, daß ein schönes Mädchen für euch glüht.

ADAM.

Wie kann ich sie gewinnen?

ZIGEUNERIN.

Ist sie doch

So gut wie euer schon.

ADAM.

Sie wies mich ab.

ZIGEUNERIN.

Ei, eben deshalb läßt sie nicht von euch.

Ihr werdet sehn, bald ist sie wieder da,

Erinnert euch dann meiner Prophezeiung.


Ab.


ADAM.

Dies alte Weib da überbietet dich.

LUCIFER.

Es sei mir fern, ihr glänzendes Verdienst

In Zweifel ziehn zu wollen; sie vertritt

In diesem Augenblick des Teufels Stelle.


Ein Marktschreier erscheint auf einem Karren, unter Trompetenschall, von einer Menge Volk umgeben, und bleibt in der Mitte des Schauplatzes stehen.


DER MARKTSCHREIER.

Platz da! Mit Achtung soll man mir begegnen,

In Wissenschaften ist mein Haupt ergraut,[144]

Bis die geheimsten Schätze der Natur

Ich unermüdlich forschend aufgedeckt.

ADAM.

Was ist das für ein wunderlicher Kauz?

LUCIFER.

Die Wissenschaft ist's, die sich, um zu leben,

Zur niedrigsten Marktschreierei bequemt;

Gerade so, wie damals, als du selbst

Der Wissenschaft oblagst, nur daß es jetzt

Mehr Lärmens noch bedarf, als ehedem.

ADAM.

So arg hab ich's doch nie getrieben. Pfui,

Der Schändliche!

LUCIFER.

Was kann er denn dafür,

Wenn 's seinem ganzen Wesen widerstrebt

Und er das Schicksal abzuwenden trachtet,

Daß über seinem Grab geschrieben stehe:


»Ex gratia speciali

Mortuus in hospitali«,


Wenn er für andre Tag' und Nächte opfernd

Dahin gelangte seinen Lohn zu fordern?

DER MARKTSCHREIER.

Zum wahren Wohl der Menschheit müht' ich mich,

Nun könnt ihr 's euch zu nutze machen.

Seht dieses Fläschchen Lebenselixir

Giebt Jugendkraft dem Altersschwachen,

Hier Tankreds Zaubertrank, das Hausrezept

Fand man in Memphis Felsengrüften,

Dies Schönheitsmittel brauchte Helena,

Da Kepplers astrolog'sche Schriften!

ADAM.

Hörst, was er feil hat? während wir das Licht

In ferner Zukunft suchten, findet er's

Im längst Vergangenen.[145]

LUCIFER.

Die Gegenwart

Wird nie geehrt, wie 's keinen großen Mann

Im Schlafrock giebt. Sie gilt für unsre Ehfrau,

Zehn Jahre nach der Hochzeit, wo uns schon

Bekannt, wie viel sie Sommersprossen hat.

DER MARKTSCHREIER.

Kauft, kauft, sollt's nicht bereuen. Nie im Leben

Wird's bessere Gelegenheit mehr geben!

AUS DER MENGE.

Nur her damit, ich kann was immer brauchen! –

Ach, welches Glück, welch' vorteilhafter Kauf!

LUCIFER.

Nun sieh, wie dieses Volk, das nicht mehr glaubt,

Dennoch nach allem Wunderbaren hascht.


Eva kommt mit ihrer Mutter zurück, die Ziegeunerin folgt ihnen flüsternd.


EVA.

Unnütz Gewäsch, kenn' euresgleichen schon.

ZIEGEUNERIN.

Ich soll nicht selig werden, wenn's nicht wahr ist.

Der Herr ist so verliebt in euch, daß er

Euch heute noch zur Maitresse sich erkürt.

Wie eine Fürstin werdet ihr logieren,

Mit Vieren auf den Ball, ins Schauspiel fahren.

MUTTER.

Bedenkt man's wohl, ist's hundertmal gescheiter,

Als unter schlichter Haube zu verblühn

In eines schmier'gen Schusters dumpfer Werkstatt.

ZIEGEUNERIN.

Schaut nur, dort steht er, – wie er späht nach euch!

EVA.

Es ist nicht schön von ihm, fast nehm' ich's übel,

Daß er so lange braucht um mich zu finden.

Hat wirklich feine Hände, noble Haltung![146]

MUTTER.

Selbst sein Begleiter scheint mir annehmbar.

Ist seine Nase auch ein wenig krumm,

Und hinkt er auch ein bißchen, er ist doch

Ein stattlicher recht netter alter Herr.

Ich gehe Kind, die beste Art Vermittlung

Ist, miteinander euch allein zu lassen.

ZIGEUNERIN zu Adam.

Da ist sie, sichtlich schmachtet sie nach euch.

ADAM.

Ich fliege schon zu ihr. O welche Wonne!

ZIGEUNERIN.

Denkt aber auch an die Vermittlerin!

LUCIFER giebt ihr Geld.

Dies Geldstück ist von meinem Kameraden,

Und dieser Händedruck von mir.

ZIGEUNERIN aufschreiend.

Au weh!

Das nenn ich aber eine harte Faust.


Ab.


LUCIFER.

Mein Händedruck erfüllte dich mit Wonne,

Wenn du das wirklich wärest, altes Beest,

Wofür du dich so unverfroren ausgiebst.

EVA zu Adam.

Ihr könntet mir ein Marktgeschenk verehren,

Dies Schönheitsmittel sticht mir in die Augen ...

ADAM.

Auf deinen Wangen liegt der echte Zauber

Der Wirklichkeit, und diesem Schönheitsmittel

Kommt wohl nichts gleich.


Der Marktschreier fährt unterdessen ab.


EVA.

Ihr seid zu gütig, Herr![147]

ADAM.

Beschäme mich nicht. Diamanten will ich

Und Perlen um den schönen Hals dir legen;

Nicht ihn zu schmücken, sondern nur weil diese

An würdigerem Ort nicht strahlen könnten.

EVA.

Dort drüben sah ich viele Juweliere,

Doch paßt so etwas nicht für arme Mädchen.

ADAM.

Nun schaun wir uns die Sachen einmal an!

LUCIFER.

Ist gar nicht nötig, denn zufällig hab' ich

Ganz auserlesnen Schmuck bei mir.


Überreicht Schmucksachen, die Eva mit großer Freude betrachtet und anprobiert.


EVA.

Wie schön,

Wie niedlich, ach, wie wird man mich beneiden!

ADAM.

Doch dieses Herz da will ich nimmer sehn!

EVA.

Ich kann's wegwerfen, wenn es Euch zuwider.


Wirft's weg.


LUCIFER.

Und ich zertrete es.


Tritt darauf.


EVA.

Was ist denn das?

Mir war's als hört ich einen Schmerzensschrei,

Ach, oder bilde ich es mir nur ein?


Unterdessen bringt man einen Verurteilten auf dem Armensünderkarren über die Bühne, Volk drängt sich ihm nach.


AUS DER MENGE.

Beeilen wir uns! Hab ich nicht gesagt,

Wie feig er ist? Noch trotzt er. Auf, ihm nach![148]

ADAM.

Was für ein Lärm, welch' unerhört Gedränge?

EVA.

Man henkt da einen. Gut, daß wir gerade

Zur Stelle sind. O gehn wir mit! Es ist

Ein packend Schauspiel, und auch eine schöne

Gelegenheit in meinem Schmuck zu glänzen.

ADAM.

Was hat denn wohl der Elende verbrochen?

EVA.

Ich weiß es nicht.

LUCIFER.

Es ist auch einerlei,

Doch will ich's euch erzählen. Lange Zeit

War er in der Fabrik Lowells beschäftigt;

Das Blei ist aber Gift, und mußte er's

In einem fort einatmen. Also kam er

Auf Wochen ins Spital. Bei seinem Weibchen

Stellt' sich die Not ein. Lowells Sohn war jung

Und herzensgut; bald fanden sie einander,

Und haben alles um sich her vergessen.

ERSTER ARBEITER.

Mut, Kamerad! Du stirbst als Märtyrer,

Dein Name wird geehrt sein unter uns.

LUCIFER.

Der Mann genas und fand sein Weib nicht mehr,

Sein Platz war ausgefüllt, vergeblich sucht'

Er Arbeit. Bis ins Innerste empört,

Wagt' er zu drohen. Lowells Sohn erwidert'

Mit einem Faustschlag. Da geriet ein Messer

Dem Unglücksel'gen in die Hand, – jetzt führt

Man ihn hinaus. – Der alte Lowell wurde.

Wahnsinnig.


Bei den letzten Worten kommt Lowell in melancholischem Wahnsinn.
[149]

LOWELL.

Ach, du lügst, du lügst, mein Geist

Ist nicht gestört! Verstehe ich denn nicht

Was meines Sohnes blut'ge Wunde raunt?

Nimm alle meine reichen Schätze hin,

Und mache, daß ich's nimmer fasse. Lieber

Wollt' ich in Wirklichkeit wahnsinnig sein!

DRITTER ARBEITER.

Halt' dich nur tapfer, bleibst nicht ungerächt!

ERSTER ARBEITER.

Erhebe dich, auf sie fällt nur der Schimpf!


Der Verurteilte mit seinem Gefolge ist vorübergezogen.


ADAM.

O markerschütterndes, grausames Schauspiel!

Was führst du meinen Rechtssinn in Versuchung?

Wer kann entscheiden, wen da ärgre Schuld trifft?

Wär' etwa gar nur die Gesellschaft Schuld? –

Wo diese faul ist – wuchern alle Laster.

LOWELL.

Ja die Gesellschaft. Nimm den Reichtum mir,

Nur lass' mich jener Wunde Mär' vergessen.

EVA.

Kommt, kommt, denn wir bekommen keinen Platz!

ADAM.

Wie dank ich dir, o gütiges Geschick,

Daß du mich keinen Richter werden ließest!

Am grünen Tische, im bequemen Armstuhl

Ist's leicht Gesetze schreiben, – rasch verurteilt

Die Oberflächlichkeit; doch ach, wie schwer

Kommt's dem an, der die Herzen untersucht,

Deren geheimste Falten würdigend!

LUCIFER.

Bei solcher Ansicht käme kein Prozeß

Jemals zu Ende. Niemand thut das Böse[150]

Nur weil es böse ist. Der Teufel selbst

Beruft sich stets auf irgend einen Rechtsgrund,

Und jeder hält den seinigen für stärker.

Der Rechtsgelehrte haut kurzweg den heillos

Verworrnen Knoten durch, den zu entwirren

Zehntausend Philanthropen nicht vermöchten.


Unterdessen sind sie beim Tower angelangt, wo sich in einer Nische ein Heiligenbild befindet.


EVA.

Laßt uns, mein Freund, ein wenig hier verweilen,

Will meinen Strauß zum Heil'genbild da stecken.

LUCIFER flüsternd.

Gieb's ja nicht zu, sonst ist es aus mit uns!

ADAM.

Die reinste Unschuld, – ich verwehr's ihr nicht.

EVA.

Von früh'ster Kindheit an bin ich gewohnt,

So oft mein Weg mich hier vorüber führt,

Des Bildes zu gedenken, und auch jetzt

Thut's mir so wohl. Im Nu ist es geschehn,

Und flink ausschreitend bringen leicht wir ein

Was wir versäumt.


Steckt den Blumenstrauß an das Bild, er verdorrt aber plötzlich, und von ihrem Halse, von ihren Armen kollern die Schmucksachen in Eidechsen verwandelt herab.


Mein Gott, was ist denn das?

LUCIFER.

Ich warnte dich vergeblich.

EVA.

Hilfe, Hilfe!

ADAM.

Nur ruhig Liebste, wir erregen Aufsehn! –

Du sollst noch zehnmal reichern Schmuck bekommen.[151]

EVA.

Weg, weg von mir! fort! Hilfe! ach Erbarmen!

Ein ehrlich Mädchen ward von bösen Gauklern

Und einer alten Hexe da beschimpft!


Es bildet sich ein Volksauflauf, die Zigeunerin kommt mit Wachleuten.


ZIGEUNERIN.

Man gab mir falsches Geld, sie müssen hier sein,

Quecksilber war's, zerschmolz mir in der Hand!

LUCIFER.

Es lag vielleicht an deiner Hand, und nicht

Am Gelde. Adam, machen wir uns auf,

Hier zu verweilen ist nicht ganz geheuer!


Verschwinden in den Tower, und während unten der Volksauflauf und die Verwirrung zunimmt, erscheinen sie oben auf der Mauerzinne wieder.


ADAM.

Ich hab' mich abermals getäuscht. Ich wähnte,

Es wär' genug die nächtlichen Gespenster

Der finsteren Vergangenheit zu bannen,

Und für gesunden Wettstreit Raum zu schaffen.

Warf eine wicht'ge Schraube aus dem Uhrwerk,

Welches die Pietät zusammenhielt,

Versäumte aber, sie durch eine andre

Befestigung sorgfältig zu ersetzen.

Was ist das für ein Wettstreit, wo der eine

Bis an die Zähne kriegerisch gewappnet

Dem nackt Entblößten gegenübersteht?

Welch' eine Unabhängigkeit, wo Scharen

Elend verhungern müssen, wenn sie sich

Ins Joch des einzelnen nicht beugen wollen?

Dies ist ein Kampf von Hunden um den Knochen!

Ich will statt dessen eine Volksgemeinschaft,

Die schützt, nicht straft, ermuntert, und nicht abschreckt,

Die mit vereinter Kraft zusammenwirkt,

Wie sie der Wissenschaft im Geiste vorschwebt,

Und deren Ordnung die Vernunft bewacht.[152]

Sie kommt gewiß, ich fühle das, ich weiß es ....

O führ' mich, Lucifer, in diese Welt!

LUCIFER.

Du eitler Mensch, weil dein beschränktes Auge

Nur einen wüsten, wirren Haufen sieht,

Glaubst schon, es gäbe kein Zusammenwirken,

Und keine Ordnung in des Lebens Werkstatt?

So thue einen Blick mit Geisteraugen,

Und schau das Werk, das allesamt vollbringen;

Doch nur für uns, nicht für ihr winz'ges Ich.


Es wird finster. Der ganze Markt bildet sich zu einer Gruppe, die an einem in der Mitte des Schauplatzes gähnenden Grabe gräbt, und dasselbe umtanzt, bis nacheinander alle hineinspringen, teils stumm, teils wie sie nacheinander gesprochen.


CHOR.

Drauf los, der Spaten klinge hell!

Kein Aufschub, heut' muß es geschehen,

Obschon des Werks Vollendung noch

Jahrtausende nicht zu ersehen.

Ja Wieg' und Sarg ist einerlei,

Der Anfang muß vom Ende borgen;

Stets hungrig und doch immer satt,

Was heute fällt, ersteht schon morgen!


Das Sterbeglöcklein ertönt.


Horch, horch, die Abendglocke ruft!

Gethan ist's, ziehen wir von hinnen;

Es mag, wem neues Sein beschert,

Das große Werk von vorn' beginnen.

DER MARIONETTENMANN.

Das Stück ist aus, von meinen Possen

Hab' nur ich selber nichts genossen.

DER WIRT.

Habt euren Wein getrunken nun,

Wünsch', werte Gäste, wohl zu ruhn![153]

DAS KLEINE MÄDCHEN.

Wer Veilchen will, den Weg nicht scheue,

Auf meinem Grabe blühen neue.

ZIGEUNERIN.

Sein Schicksal wollte jeder schauen,

Nun schließt er's Auge voller Grauen.

LOWELL.

Kein Glück barg meine Geldertruhe,

Jetzt finde ich umsonst die Ruhe.

ARBEITER.

Um sind die schweren Wochentage,

Erhole mich von deren Plage.

STUDENT.

Ich träumt' so süß, – man stört' mich auf,

Nehmt Träume wieder euren Lauf!

SOLDAT.

Meint' Wunder, wie ich wacker wär',

Und stolpre in die Grube leer.

LUSTDIRNE.

Der Rausch verflog, die Schminke ging herab.

Hier ist's so kalt, wird's besser sein im Grab?

DER VERURTEILTE.

Lass', Fesseln, euch zurück, wohin ich zieh'

Gilt wohl ein anderes Gesetz als hie.

DER MARKTSCHREIER.

Mit eitlem Wissen machten wir uns breit,

Nun stehn wir staunend vor der Wirklichkeit.

EVA.

Was gähnst du, finstre Tiefe, mir zu Füßen?

Durch deine Nacht, meinst, giebt's nicht Weg noch Steg;[154]

Den Erd' geboren, nur der Staub verfällt dir,

Ich schreite glorreich über dich hinweg.

Der Geist der Liebe, Poesie und Jugend

Führt mich in meine ew'ge Heimat ein,

Auf diese Welt bringt nur mein Lächeln Freude,

Fällt's auf ein Wangenpaar wie Sonnenschein.


Schwebt, indem sie ihren Schleier und Mantel in das Grab fallen läßt, verklärt empor.


LUCIFER.

Nun Adam, kennst du sie?

ADAM.

Ach! Eva, Eva![155]


Quelle:
Madách, Imre: Die Tragödie des Menschen. Leipzig 1888, S. 127-156.
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