Vierzehnte Scene.

[184] Mit Schnee und Eis bedeckte gebirgige baumlose Gegend. Die Sonne erscheint als rote strahlenlose Kugel von zerrissenen Nebelschwaden umgeben. Zwielicht. Im Vordergrunde zwischen einigen verkümmerten Birken-, Wachholder- und Krummholzsträuchern eine Eskimohütte. Adam als gänzlich gebrochener Greis, kommt am Stabe vom Gebirge herab mit Lucifer.


ADAM.

Was wandern wir in dieser endelosen

Schneewelt umher, wo uns der kalte Tod

Aus leeren Augenhöhlen frostig anstarrt?

Lautlose Stille rings, wenn hie und da

Nicht uns're schweren Tritte eine Robbe

Ins Wasser scheuchen; wo selbst schon die Pflanze

Des Ringens müde scheint, nur ganz verkrüppelt

Gesträuch noch zwischen Moos und Flechten schwankt,

Und aus dem Nebelgrau der Mond mit rotem

Gesicht hervorlugt, wie des Totengräbers

Laterne in die Nacht des Grabes leuchtet.

Dort führ' mich hin, wo schlanke Palmen grünen,

Ins schöne Land des Sonnenscheins, der Düfte,

Wo sich des Menschen Seele sicher schon

Zum Vollbewußtsein seiner Kraft emporschwang.

LUCIFER.

Dort sind wir eben. Diese blut'ge Scheibe

Ist deine Sonne. Unter unsren Sohlen

Läuft der Äquator hin. Die Wissenschaft

Hat übers Los der Erde nicht gesiegt.

ADAM.

Welch' Schreckenswelt! rein nur zum Sterben gut.

Wird mir nicht leid thun ihr Valet zu sagen.[184]

Ach, Lucifer! der ich einst an der Wiege

Des Menschen stand, der ich gesehen habe,

Welch' großer Zukunft Hoffnung drin geschlummert,

Der alle seine Kämpfe mitgekämpft,

Wenn ich nun da auf diesem Riesengrabe,

Worüber die barmherzige Natur

Ein Leichentuch gebreitet, sinnend stehe,

Der erste, letzte Mensch auf dieser Welt:

Wüßt' ich doch gern, wie meine Art geendet?

In edlem Kampfe, mutig, – oder schmachvoll,

Von einer Generation zur andern

Kraftloser, tiefer stets gesunken, elend,

Bar aller Größe, keiner Thräne wert?

LUCIFER.

Ach, ach! wenn du so große Stücke hältst

Auf deinen hohen Geist, wie du einmal

Die Kraft zu nennen liebst, die's warme Blut

Durch deine Adern jagt, und für Ideen

Die junge Brust empfänglich macht, so wünsche

Dir nicht als Zeuge deiner Todesnöten,

An deinem eignen Sterbebett zu stehn.

Denn diese Stunde ist wahrhaftig eine

Gar wunderliche Probe jener Rechnung,

Die du zeitlebens ohne Wirt gemacht.

Der Todesschauer wischt des Lebensfiebers

Schillernde Bilder von der Rechentafel,

Wer mag dann wissen, was da richtig war.

Des letzten Ringens kleinlich' Wehgeschrei

Ist nur ein schallend' Hohngelächter über

Des tollen Menschenlebens eitle Kämpfe.

ADAM.

Warum, ach, ging ich denn nicht lieber dort

In jenen hehren Höhen schon zu Grunde,

Im Vollbewußtsein meiner Kraft und Seele,

Als da so schmählich meine eigne Grabred'

Mit anzuhören, wie sie mir so trocken

Die Gleichgültigkeit eines Geistes hält,[185]

Der meinen schweren Kämpfen ferne steht

Und nicht mit mir des Todes Grauen teilt?!

LUCIFER.

Daß du ein Mensch, erkenn' ich an der Thräne,

Womit du dein Erwachen nun begleitest,

Aus Schwärmerei für Klarheit der Begriffe.

Doch sei beruhigt, deine Art, noch lebt sie.

Schau, dort steht gleich das Obdach eines Menschen,

Und eben tritt der Hauswirt aus der Thüre.


Ein Eskimo tritt aus der Hütte zur Seehundsjagd gerüstet.


ADAM.

Dies Jammerbild, dies fratzenhafte Wesen,

Das wär' der Erbe meiner einst'gen Größe?

Was ließst du, Lucifer, mich solches schaun?

Der Trost ist wahrlich schlimmer als mein Kummer.

ESKIMO.

So giebt's doch Götter über uns? Sieh' da,

Leibhaftig sind sie mir erschienen! Aber

Wer weiß denn, ob sie gut sind oder böse?

Ich rette mich, denn sicher ist doch sicher.


Will sich zurückziehen.


LUCIFER.

Halt, auf ein Wort!

DER ESKIMO sich niederwerfend.

O Gnade, Gnade, Herr!

Ich opfre dir die allererste Robbe,

Die ich erjage, höre mich nur an

Und bringe mich nicht um mein armes Leben .....


LUCIFER.

Welch' Recht steht dir an jene Robbe zu,

Daß du mit ihrem Leben deines lösest?

DER ESKIMO.

Das Recht des Stärkeren. Ich sehe ja,

Wie der gewandte Fisch die Würmer frißt,

Den Fisch der Seehund und den Seehund ich.[186]

LUCIFER.

Und dich verschlingt zuletzt der große Geist.

DER ESKIMO.

Ich weiß, ich weiß; jedoch die kurze Frist,

Die er zu atmen gnädigst mir gewährt,

Erkaufe ich mit einem blut'gen Opfer.

ADAM.

Welch' feige Ansicht!

LUCIFER.

Hast's ja auch gethan.

Der Unterschied ist zwischen euch nur der,

Daß er Seehunde opfert, während du

Einst Menschenopfer hattest dargebracht,

Der Gottheit, die ihr selbst euch schufet: er

Nach seinem Ebenbild', wie du nach deinem.

DER ESKIMO.

Ich seh' du zürnst, und fühle wohl warum.

Weil ich in meiner argen Not es wagte

Ein und das andremal tief aufzuseufzen

Zum gütigen, wohlthät'gen Sonnengott,

Der nichts begehrt, nur spendet, und nach einer

Uralten Sage einst auch hier geherrscht.

O Herr, verzeih' nur diesmal und ich will

Ihm ewig fluchen!

ADAM.

Großer Gott, o sieh'

Hernieder und erröte, wie erbärmlich

Der Mensch, den du als Meisterstück erschufst!

DER ESKIMO.

Dein Freund zürnt sehr, ist er vielleicht auch hungrig?

LUCIFER.

Gerade weil er's nicht ist, zürnt er so.

ADAM.

Wie unpassend du schlechte Witze machst![187]

LUCIFER.

Das ist kein Witz, ich sage nur die Wahrheit.

Du folgerst da, wie einer, der schon satt ist,

Hier dieses Biedermanns Philosophie

Hingegen rührt vom leeren Magen her.

Mit Gründen werdet ihr einander nie

Und nimmer überzeugen, doch sofort

Vollkommen einverstanden sein, sobald

Du ausgehungert bist, und er gesättigt.

Ja, ja, du magst für noch so viel dich halten,

Stets ist das Tier in euch im Vordergrund,

Und nur wenn dies zum Schweigen erst gebracht ist,

Wird seiner Menschlichkeit der Mensch bewußt,

Um mit hochmüt'gem Dünkel zu verachten,

Was doch sein eigentlichstes Wesen ausmacht.

ADAM.

Solch' Urteil, Lucifer, ist deiner würdig,

Der du mit Schadenfreude alles Hehre

Und Heil'ge in den Staub zerrst. Also sind

All' die erhabnen, herrlichen Ideen

Und edlen Thaten nur der Küchendunst

Von unsrem Lebensherde, nur das blinde

Ergebnis von Umständen, welche sämtlich

Von einigen Gesetzen des gemeinen

Geistlosen Stoffs bewegt, gebunden werden?

LUCIFER.

Und ist's nicht so? Glaubst du, daß Leonidas

Im Engpaß stirbt, wenn er anstatt zu Sparta,

Wo's gar kein Geld gab, sich von schwarzer Suppe

Frugal zu nähren, auf lucull'schem Landsitz

In allerlei berauschenden Genüssen

Des Morgenlandes schwelgte? Oder hätt' sich

Brutus durch seinen Sklaven töten lassen,

Wenn er zur schönen Porcia nach Hause

Geeilt wär', und die Aufregung des Kampfes

Nach einem guten Mahl verschlafen hätte?[188]

Und wie gedeiht die Sünde, wie die Tugend?

Hat jene nicht verdorbne Luft und Elend

Gezeugt, und diese nicht der Sonnenschein,

Das Hochgefühl der Freiheit, sich der späten

Nachkommenschaft in Form und Geist vererbend?

Wie viele haben überlaut verkündet,

Sie hätten mit dem Leben abgeschlossen,

Und knüpften sich am nächsten Baume auf.

Doch schnitten sie dann unberufne Hände

Vom Strick herab, so ließ sie schon die bloße

Berührung mit dem Leben ihre Rechnung

Vergessen. Wenn der große Hunyady

Nicht in dem Schoße eines würd'gen Volkes

Geboren worden wäre, seine Wiege

Ein heidnisch Mohrenzelt beschattet hätte,

Was wäre aus dem besten aller Helden

Des Kreuzes wohl geworden? Oder Luther,

Wenn ihn der Zufall auf Sankt-Peters Stuhl

Erkürt hätt', und Papst Leo zum Professor

An einer deutschen Universität?

Wer weiß, ob dann nicht dieser reformiert,

Und jener seinen Bann geschleudert hätte

Auf den verwegnen ungestümen Wühler?

Was wäre aus Napoleon geworden,

Wenn ihm den stolzen Weg nicht eines Volkes

Verspritztes Blut geebnet hätt'? Er wäre

Vielleicht in einer modrigen Kaserne

Als Fähnrich oder Leutenant verkommen.

ADAM Lucifer den Mund zuhaltend.

Nicht weiter! Alles, was du da erörterst,

Erscheint so einfach, und so wahr, ist aber

Gerade deshalb um so schädlicher.

Der Aberglaube kann nur Blöde blenden,

Die ohnehin den hehren Geist nicht fühlen,

Der auf uns wirkt und uns bewegt; jedoch

Der Bessre würde alsofort den Bruder

In ihm erkennen, wenn mit kalten Zahlen

Ihn deine schroffe Lehre nicht erwürgte.[189]

LUCIFER.

Sprich nur mit deinem Kameraden da,

Es wird dir eine kleine Lektion

In kluger Selbsterkenntnis gar nicht schaden.

ADAM.

Darbt ihr noch viele hier in dieser Gegend?

DER ESKIMO.

Ja, viele, mehr als ich auf meinen Fingern

Herzählen kann. Wohl hab' ich alle Nachbarn

Ringsum bereits erschlagen, doch vergebens,

Es kommen immer wieder neue her;

Und ach, die Robben sind so rar! Ja, bist du

Ein Gott, so flehe ich dich an, o mache

Daß wen'ger Menschen und mehr Robben seien!

ADAM.

Komm, Lucifer, es war genug!

LUCIFER.

So sehen

Wir uns doch seine Gattin an.

ADAM.

Ich will sie

Nicht sehn; denn ist der Mann gesunken, ist's

Für unser Aug' ein ekelhaftes Schauspiel,

Doch weckt's Verachtung nur in unsrer Brust;

Ist aber's Weib, dies Ideal, dies hehre

Verkörperte Gedicht, zu tief gefallen,

So wird's zur Fratze, die uns schaudern macht.

Geh, geh! Verschone mich mit ihrem Anblick!


Unterdessen hat Lucifer Adam zur Hütte gezogen, jetzt stößt er die Thüre auf, drinnen sieht man Eva als Gattin des Eskimo. Adam starrt sie staunend an, indem er auf der Schwelle stehen bleibt.


ADAM.

Erkennst in ihr nicht eine alte Liebe?

Umarme sie doch, dieser gute Mann[190]

Hier wird ja auf den Tod beleidigt sein,

Wenn seiner Frau du nicht die Ehre anthust.

ADAM.

Und ich soll dieses Weib umarmen, der ich

Aspasia einst in den Armen hielt?

Die da, in der ich ihre Züge wieder

Aufdämmern sehe, aber so, als würde

Sie sich beim Kuss' zum geilen Tier verwandeln!

DER ESKIMO in seine Hütte tretend.

Weib! Werte Gäste haben wir bekommen,

Empfang sie herzlich.


Eva fällt Adam um den Hals, und zerrt ihn in die Hütte hinein.


EVA.

Fremdling, sei willkommen,

Da ruh' dich aus!

ADAM sich loswindend.

O Hilfe, Lucifer!

Fort, fort von hier! Geleit aus meiner Zukunft

Zurück mich in die Gegenwart, daß ich

Mein fürchterliches Schicksal nimmer schaue:

Den ganz fruchtlosen Kampf! Laß mich bedenken,

Ob Gottes Ratschluß ich noch trotzen soll?

LUCIFER.

Erwache denn, dein Traum ist nun zu Ende![191]


Quelle:
Madách, Imre: Die Tragödie des Menschen. Leipzig 1888, S. 184-192.
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