Fünfzehnte Scene.

[192] Der Schauplatz verwandelt sich in die Palmengegend der dritten Scene. Adam, wieder jung, tritt noch schlaftrunken aus der Hütte, und schaut sich verwundert um. Eva schlummert drinnen. Lucifer steht in der Mitte des Schauplatzes. Strahlender Tag.


ADAM.

Entsetzliche Gesichte! Nun, wo seid ihr

Geblieben? Wie da alles lebt um mich

Und mir zulächelt, grad' so frisch und froh,

Wie ich's verließ, indes mein Herz gebrochen!

LUCIFER.

O eitler Mensch! Am Ende willst du gar,

Die Welt soll aus den Fugen gehn, am Himmel

Als Schreckensbote ein Komet erscheinen,

Das Erdreich beben, wenn ein Wurm vergeht?

ADAM.

Hab' ich geträumt nur, oder träum' ich jetzt?

Ist's Dasein überhaupt mehr als ein Traum,

Der einen Augenblick die tote Masse

Belebt, um sich mit ihr ganz aufzulösen?

Wozu, wozu dies kurze Selbstbewußtsein?

Bloß um des Nichtseins Schrecken zu erschaun!


LUCIFER.

Du jammerst? Blöde Feigheit nur erwartet

Ganz ohne allen Widerstand den Streich,

Dem zu entgehen sich noch Wege bieten;

Doch liest der Starke ruhig, ohne Murren

Des Schicksals ew'ge Runen, und erwägt nur,

Wie er selbst unter deren Wucht bestehe?[192]

Des Schicksals Macht regiert die Weltgeschichte.

Bist bloß ein Werkzeug, blind vorwärts getrieben.

ADAM.

Nein, nein, du lügst, frei ist des Menschen Wille!

Das habe ich mir schwer genug verdient,

Entsagte doch dem Paradies dafür.

Hab' viel gelernt aus meinen Traumgesichten,

Bin manchem leeren Wahn entrückt, und jetzt

Hängt es von mir ab andern Weg zu wandeln.

LUCIFER.

Ja, wenn Vergessen, so wie ew'ges Hoffen

Nicht mit dem Schicksal eng verbündet wäre!

Vergessen heilt die Wunden dein, und Hoffnung

Verdeckt mit einem Schleier dicht den Abgrund.

Sie spricht ermunternd: hundert blind Verwegne

Sind schon hineingestürzt, du wirst es sein,

Der ihn der Erste glücklich überspringt.

Du hast ja, als Gelehrter, unter anderm

Auch solche sonderbare Parasiten

Kennen gelernt, die in den Eingeweiden

Von Katzen oder Sperbern nur gedeihn,

Und der Entwicklung erstes Stadium

Doch in der Maus allein durchmachen können?

Nicht eine, nicht die andre Maus ist grade

Erlesen Sperber- oder Katzenkrallen

Zu fühlen, und die stets mit schlauer Vorsicht

Zu Werke geht, kann ihnen auch entgehn,

Und hochbetagt im Neste ruhig enden.

Es wacht jedoch ein unerbittliches

Gesetz darüber, daß dem list'gen Feinde

So viele Mäuse immerhin verfallen,

Als nötig sind, um jenes winz'gen Weichtiers

Vorhandensein Jahrtausende zu sichern.

Der Mensch ist auch nicht individuell

Gebunden, aber seine ganze Art

Trägt jene Ketten; die Begeisterung

Reißt wie ein Strom dich hin, heut um die eine

Und morgen um die andre Sache wird[193]

Der Scheiterhaufen seine Opfer haben,

Und 's werden da sein, die den Spott besorgen.

Wer dann die Zahlen registriert, muß staunen,

Wie konsequent das laun'sche Schicksal ist,

Das Heirat, Tod, Verbrechen, Tugend, Glauben,

Wahnsinn und Selbstmord ebenmäßig leitet.

ADAM.

Halt! Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf!

Ich kann, allmächt'ger Gott, selbst dir noch trotzen.

Wenns Schicksal hundertmal sagt: Bis hierher

Sollst leben! lache ich ihm ins Gesicht,

Und wenn es mir beliebt, so leb' ich nicht.

Bin ich denn nicht allein noch auf der Welt?

Vor mir der Fels, darunter tief der Abgrund,

Ein Sprung, als letzter Aufzug – und ich rufe:

Ade, nun ist das Possenspiel zu Ende!


Adam geht der Klippe zu, Eva tritt aus der Thüre.


LUCIFER.

Zu Ende? Welch' einfält'ge Redensart!

Ist jeder Augenblick nicht End' und Anfang

Zugleich? O weh! Bloß darum hast du also

Grad' einige Jahrtausende geschaut?

EVA.

Ei sage, Adam, warum stahlst du dich

Von meiner Seite, weshalb fliehst du mich?

Es war dein letzter Kuß so kalt, und jetzt noch

Sitzt Kummer oder Zorn auf deiner Stirne.

Ich fürchte mich vor dir .....

ADAM weiterschreitend.

Was schleichst du mir

Auch nach, wozu belauschst du meine Tritte?

Der Mann, Herr dieser Schöpfung, hat noch andres

Zu thun, als Liebeständelei.

Ein Weib versteht das nicht, und ist zur Last nur.


Erweicht.


Warum hast nicht ein wenig noch geschlummert?

Weit schwerer wird mir nun das Opfer fallen,

Das ich der Zukunft bringen muß.[194]

EVA.

Vielleicht

Erleichtert's dich, mein Freund, wenn du mich anhörst;

Denn, was bisher noch zweifelhaft gewesen,

Jetzt steht's gesichert da: die Zukunft.

ADAM.

Wie denn?

EVA.

Ich weiß, dein Antlitz wird sich froh erhellen,

Wenn ich es dir zulisple. Aber komm

Ein wenig näher. Ich bin Mutter, Adam!

ADAM in die Knie sinkend.

Hast mich besiegt, o Herr! Lieg' da im Staube,

Kämpf' ohne dich, wie gegen dich vergeblich;

Magst mich erheben oder niederschmettern,

Mein Herz und meine Seele steht dir offen!

LUCIFER.

Wurm! hast du deine Größe ganz vergessen,

Die du nur mir allein verdankst?

ADAM.

O laß sie!

Es war nur eitler Trug; doch das ist Frieden!

LUCIFER.

Und du, was brüstest du dich, thöricht Weib?

Im Bann der Sünde ward dein Sohn empfangen,

In Eden schon. Durch ihn kommt alles Übel

Und jeglich Ungemach auf diese Erde.

EVA.

So Gott will, wird in Sorg' und Not ein andrer

Empfangen werden, der die Sünde tilgt,

Indem er brüderlichen Sinn zur Welt bringt.

LUCIFER.

Erhebst dich, Sklave, wider mich? Du Tier,

Auf aus dem Staub!


[195] Stößt mit dem Fuße nach Adam. Es öffnet sich der Himmel, der Herr, verklärt, von Engeln umgeben, erscheint.


DER HERR.

Geist, nieder in den Staub!

Vor mir giebt's keine Größe.

LUCIFER sich krümmend.

O verflucht,

Verflucht!

DER HERR.

Und Adam, du erhebe dich,

Sei nicht verzagt; sieh' denn, ich nehme dich

Versöhnt in meine Gnade wieder auf!

LUCIFER beiseite.

Da will ein häuslich Schauspiel sich entwickeln,

Scheint mir. So etwas mag für das Gefühl

Recht schön sein, meine kritische Vernunft

Langweilt's jedoch. Es wird am besten sein,

Ich mach' mich aus dem Staube.


Will gehen.


DER HERR.

Lucifer!

Hab' auch an dich ein Wörtlein, darum bleibe.

Und du, mein Sohn, erzähle, was bedrückt dich?

ADAM.

Herr! schreckliche Gesichte quälten mich,

Nun weiß ich nicht, was wahr, was Trug daran.

O sag, o sag, welch' Los erwartet mich?

Ist nur ein bloßes kurzes Erdwallen,

Dies engbegrenzte Dasein mir beschieden,

In dessen Kampf sich meine Seele klärt

Wie Wein, daß, wenn er ausgegohren, du ihn

Zu Boden schüttest, und er von der Erde

Staub aufgesogen werde? Oder hast du

Den edlen Geist zu Besserem bestimmt?

Geht vorwärts meine Art, um, immer mehr sich

Veredelnd, deinem Thron allmählich näher[196]

Zu kommen? Oder soll dein Ebenbild

Sich wie ein blindes Pferd am Mühlengöpel

Zu Tode rackern, ohne aus dem Kreise,

In dem 's herumgeht, je herauszukommen?

Ist Lohn beschieden jenem Seelenadel,

Den ums vergossne Blut die rohe Menge

Engherzig nur verspottet? Klär' mich auf,

Und dankbar will ich jedes Los ertragen;

Ich kann ja nur gewinnen bei dem Tausche,

Denn diese Ungewißheit ist die Hölle.

DER HERR.

Forsch' nicht nach dem Geheimnis, welches deinem

Sehnsücht'gen Blicke güt'ge Gotteshand

Mit weisem Sinn wohlwollend hat verhüllt.

Denn sähest du, daß deine Seele sich

Auf Erden nur vorübergehend birgt,

Und jenseits ew'ges Leben deiner harrt,

Wär's keine Tugend mehr allda zu leiden.

Und wenn du wieder sähest, deine Seele

Verrinnt im Staub', was sollte dir ein Sporn sein

Dem rohen Vollgenuß des Augenblicks

Für sittliche Ideen zu entsagen?

Während du jetzt, wo deine Zukunft dir

Durch graue Nebel nur entgegenschimmert,

Wenn deines Daseins Last dich niederdrückt,

Vom Hochgefühle der Unendlichkeit

Getragen wirst. Und sollte hie und da,

Dieses Gefühles Stolz zu weit dich führen,

So setzt die Spanne Lebensfrist dir Schranken,

Und Seelengröße, Tugend sind gewahrt.

LUCIFER hohnlachend.

Fürwahr, die Bahn, die du betrittst, ist glorreich!

Dich sollen also Tugend, Größe leiten?

Zwei Worte, dir nur so zu Thaten werden,

Wenn Aberglaube, Vorurteil und eitle

Unwissenheit sie festigend beschirmt?

Was mußte ich auch mit dem Menschen Großes

Beginnen, der aus Staub und Sonnenstrahl[197]

Zusammgeknetet, nur ein Zwerg im Wissen

Und riesengroß im blinden Wahne ist!

ADAM.

O spotte nicht, Lucifer, spotte nicht!

Ich sah ja deines Wissens klaren Bau,

Dort war es meinem Herzen gar zu kalt.

O Herr! wer aber wird mich aufrecht halten,

Damit ich auf dem rechten Weg' verbleibe?

Die Hand, die mich geführt, entzogst du mir,

Als ich des eitlen Wissens Frucht gekostet.

DER HERR.

Dein Arm ist stark, dein Herz voll Hochgefühl,

Das Feld unendlich, wo du schaffen sollst;

Und merkst du gut auf, klingt dir eine Stimme

Ohn' Unterlaß entgegen, die dich warnend

Zurückhält oder anregt und erhebt.

Der folge nur. Und wenn der Himmelslaut

In deines regen, thatenreichen Lebens

Lärm und Getöse manchesmal verstummt,

Wird dieses zarten Weibes rein're Seele,

Vom Schmutz der Selbstsucht weniger verunglimpft,

Ihn sicherlich vernehmen, und er wird

Sich durch des weichen Weiberherzens Pulse

Zu Poesie und Sangesweisen läutern.

Mit diesen beiden Mitteln wird es dir

Getreu zur Seite stehn in Glück und Unglück,

Bald traulich tröstend und bald launig lächelnd,

Ein teilnahmvoller guter Genius.

Und Lucifer, du auch ein Kettenglied

In meinem weiten Weltall, wirke weiter!

Dein frostig Wissen und dein thöricht Leugnen

Sei eben nur die Hefe, die den Geist

In Gährung bringt. Und wenn sie auf Momente

Den Menschen auch vom rechten Wege ablenkt,

Das schadet nicht, – er kehrt doch bald zurück.

Endlos wird aber deine Sühne sein,

Indem du immer wieder sehen mußt,[198]

Daß, was du zu verderben trachtest, stets

Ein neuer Keim des Schönen, Edlen wird.

CHOR DER ENGEL.

Wählen zwischen Gut und Böse,

Welch' erhebender Gedanke!

Und doch wissen, daß dein Schirmwall,

Gottes Gnade, nimmer wanke.

Darum thue stets das Rechte,

Wenn es sich auch nicht verlohnet;

Lohn sei dir das Selbstbewußtsein,

So in großen Thaten wohnet.

Großes leistet nur der Edle,

Denn er schämt sich klein zu handeln;

Dieses Schamgefühl erhebt ihn,

Wo der Wicht im Staub muß wandeln.

Doch auf deinen hohen Pfaden

Ja den blinden Wahn nicht nähre,

Was du etwa Gutes thuest,

Thätest du zu Gottes Ehre,

Und er stünde erst auf dich an

Seinen Ratschluß auszuführen.

Dich ziert's, wenn er dir gestattet,

Herz und Hand für ihn zu rühren.

EVA.

Ach, ich versteh' das Lied, Gott sei gepriesen!

ADAM.

Ich ahn' es auch, und will darein mich finden,

Das Ende, ach, könnt' ich nur das verwinden!

DER HERR zu Adam.

Lass' dir's gesagt sein: kämpfe und vertraue![199]

Quelle:
Madách, Imre: Die Tragödie des Menschen. Leipzig 1888, S. 192-200.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Tragödie des Menschen
Die Tragödie des Menschen

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon