Zweite Scene.

[9] Im Paradiese. In der Mitte der Baum der Erkenntnis und der Baum des ewigen Lebens. Adam und Eva kommen. Verschiedene Tiere umgeben sie mit zahmer Zuversicht. Aus dem offenen Himmelsthore strahlt Glorie und erklingt sanfte Harmonie der Engelschöre. Sonnenheller Tag.


EVA.

Wie ist's zu leben, ach, so süß, so schön!

ADAM.

Und Herr sein über alles weit und breit.

EVA.

Zu fühlen, wie man sorgt für uns im Vollen,

Und nichts dafür als Dankbarkeit zu zollen

Dem Spender, der uns all' die Wonne beut.

ADAM.

Abhängig sein ist wohl ein Lebensgrundsatz

Von dir. Mich dürstet Weib. Schau, wie verlockend

Die Frucht dort winkt.

EVA.

Ich werde eine pflücken.

DIE STIMME DES HERRN.

Laß ab, laß ab! Gab dir die ganze Erde,

Nur dieser beiden Bäume Lockfrucht meide,

Denn über selbe wacht ein andrer Geist,

Und sichern Todes stirbt, wer sie genießt.

Dort lächelt dir die süße Traube zu,[9]

Hier ladet kühler Schatten dich zur Ruh'

Auf weichem Moos, wenn heiß die Sonne glüht.

ADAM.

Ein wunderlich' Gebot, doch klingt's ganz ernst.

EVA.

Warum sind diese Bäume uns versagt,

Die schönsten grad'?

ADAM.

Warum ist blau der Himmel,

Die Erde grün? – Genug, daß es so ist.

Komm, folgen wir der Stimme, Eva komm!


Lassen sich in einer Laube nieder.


EVA.

Schmieg' an mein Herz dein Haupt, ich fächle dich.


Großer Windstoß. Lucifer erscheint im Gebüsche.


ADAM.

Ha Weib! was ist das? Nie hört' ich dergleichen.

Als dränge unbekannte Feindesmacht

In unsern Frieden ein.

EVA.

Ich zittere.

Nun sind die Himmelsklänge auch verstummt.


ADAM.

An deiner Brust mein' ich sie noch zu hören.

EVA.

Und mir, erlischt die Glorie dort oben,

Erglänzt hier unten sie in deinem Auge.

Wo gäb' es außer dir auch Licht für mich,

Die ich mein Sein nur deiner Sehnsucht danke;

Grad' wie in ihrem Herrscherglanz die Sonne,

Um nicht verwaist am Firmament zu stehn,

Ihr Ebenbild aufs glatte Wasser malt[10]

Und damit tändelt, froh des Spielgefährten;

Vergessend, daß nur blasser Wiederschein

Der eig'nen Glut ist, was der Spiegel zeigt,

Mit dieser auch sofort erlöschen würde.

ADAM.

Sprich nicht so Eva, du beschämst mich sonst.

Was ist der Schall, lauscht ihm kein günstig' Ohr?

Der Strahl, kann er in Farbe nicht erglänzen?

Was wär' ich, wenn nicht, wie der Ruf im Echo,

Mein Sein in dir zu schönerm Sein erwachte,

Worin ich lieben kann mein eignes Ich?

LUCIFER.

Was lausch' ich diesem zärtlichen Gekose?

Muß ab mich wenden, sonst erleb' ich noch

Die Schande, daß die kalte Überlegung

Das kindliche Gemüt beneiden muß.


Ein Vöglein auf einem nahen Zweige hebt zu singen an.


EVA.

Ach hör' nur Adam, sag', verstehst du wohl

Des kleinen Thoren holdes Liebeslied?

ADAM.

Soeben lauschte ich des Baches Murmeln,

Und fand, er singe ganz dasselbe Lied.

EVA.

Welch' wunderbare Harmonie hierin:

So viele Sprachen und ein einz'ger Sinn!

LUCIFER.

Was zaudre ich so lange? Auf zur That!

Schwur ihnen Untergang, sie müssen fallen.

Und doch hält neuer Zweifel mich zurück,

Ob mit des Wissens, wie der Eitelkeit

Und Hoffart Waffen ich nicht zwecklos kämpfe;

Denn zwischen mir und ihnen, ein Asyl,[11]

Steht, ihre Herzen vor Erschlaffung schützend

Und den Gesunk'nen aufrichtend: die Liebe.

Doch wozu grübeln? Auf, wer wagt, gewinnt!


Neuer Sturmanfall. Lucifer erscheint vor dem erschrockenen Menschenpaare. Die Glorie umdüstert sich. Lucifer lacht.


Was staunet ihr? –


Zu Eva, die fliehen will.


Liebreizend Weib, o weile!

Nur einen Augenblick laß dich bewundern.


Eva bleibt stehen und erholt sich langsam.

Beiseite.


Wie oft wird sich dies Vorbild wiederholen!


Laut zu Adam.


Und du hast Furcht?

ADAM.

Vor dir, du Jammerbild?

LUCIFER beiseite.

Paßt auch zum Ahnherrn stolzer Mannesart.


Laut.


Verwandter Geist, willkommen!

ADAM.

Sag', wer bist du?

Kommst du von unten oder oben her?

LUCIFER.

Wie's dir gefällt, uns gilt dies gleich.

ADAM.

Nicht wußt' ich,

Daß außer uns allda noch Menschen lebten.

LUCIFER.

Oho! Noch vieles giebt's, was du nicht weißt,

Auch niemals wissen wirst. Du glaubst doch nicht

Der fromme Greis hätt' dich aus Staub geschaffen

Um seine ganze Welt mit dir zu teilen?

Du lobst ihn, und dafür erhält er dich,

Sagt dir, von diesem nimm, und jenes meide,

Behütet, leitet dich, wie's liebe Vieh;

Was hättest du auch selbst zu denken nötig![12]

ADAM.

Zu denken? – Ach, und denk' ich etwa nicht?

Bin ich mir nicht bewußt, den Sonnenschein,

Des süßen Daseins Wonne zu genießen?

Kenn' ich nicht Gottes grenzenlose Güte,

Der mich zum Gotte dieser Erde schuf?

LUCIFER.

Das hält vielleicht auch jener Wurm von sich,

Der dir das reife Obst vor'm Munde wegfrißt,

So wie der Aar, der dort aufs Vöglein stößt.

Wodurch bist du denn ihnen überlegen?

Ein Funke ist's, der in der Brust euch glimmt,

Unendlicher Gewalten leise Regung;

Grad' wie im Bache eine Welle oft

Einen Moment aufblitzt, um gleich im Grau

Des allgemeinen Bettes zu zerrinnen. –

Eins gäb' es allenfalls: das Denkvermögen,

Das unbewußt in deiner Seele dämmert;

Das könnt' dich mündig machen, denn es ließe

Dich selber wählen zwischen Gut und Böse,

Daß du dir selbst bereitest dein Geschick,

Von der Vorsehung unabhängig seiest.

Doch dir behagt es augenscheinlich besser,

Im weichen Schoße deines Düngerhaufens

Dem Wurme gleich unwissend zu vergehn. –

Bequem ist die Ergebung in den Glauben;

Schön, aber schwer auf eignen Füßen stehn!

ADAM.

Du sagst da große Dinge, deine Worte

Betäuben mich.

EVA.

Und mich begeistern sie.

Was du zum Besten giebst, ist schön und neu.

LUCIFER.

Doch Wissen ist allein noch nicht genügend;[13]

Um damit wahrhaft Großes zu vollbringen

Wär' außerdem Unsterblichkeit vonnöten.

Denn was vermag die kurze Spanne Dasein?

Hier die zwei Bäume bergen diese Güter,

Doch hat sie euch verboten euer Hüter.

Von diesem wirst du allwissend wie er,

Und deines Leibes Reiz verewigt der.

EVA.

Ach unser Schöpfer handelt doch recht grausam!

ADAM.

Doch wenn du uns betrügst?


Die Glorie klärt sich ein wenig.


HIMMLISCHER CHOR.

Welt, wehe dir,

Der Lügengeist versucht!

DIE STIMME DES HERRN.

Mensch, hüte dich!

ADAM.

Welch' Stimme wieder?

LUCIFER.

Wind rauscht in den Zweigen.

Der Schöpfung Zier,

Euch als Gebühr,

Helft Elemente

Erwerben mir!


Windstoß, die Glorie schwindet.


Die beiden Bäume da gehören mir.

ADAM.

Wer bist du denn? uns Menschen gleichst du ja.

LUCIFER.

Sieh' dort den Aar, der in den Wolken kreist,[14]

Schau' hier den Maulwurf, der im Erdreich wühlt,

Für jeden ist der Horizont ein andrer.

Das Geisterreich entzieht sich deinem Blick,

Der Mensch erscheint als Höchstes dir. Dem Hunde

Ist auch der Hund das höchste Ideal,

Hält er für seinesgleichen dich, ist's viel.

Doch ebenso, wie du auf ihn herabsiehst,

Und ihn beherrschst gleich einer Schicksalsmacht,

Ihm, göttergleich, Fluch oder Segen bringend:

Sehn wir, des Geisterreiches edle Söhne,

Auf euch, ihr Erdenkinder, stolz herab.

ADAM.

Von diesen einer wärst du also?

LUCIFER.

Ja.

Und zwar der Stärkste unter den Gewalt'gen,

Der kürzlich neben Gottes Thron gestanden,

Und teilhaft war der höchsten Glorie.

ADAM.

Was bliebst du nicht in jenen Himmelshöhen,

Wozu kamst du auf diese staub'ge Erde?

LUCIFER.

Ich wurd' es satt, der Zweite dort zu sein.

Das ew'ge Einerlei ist Höllenpein.

Unreifer Kinderstimmen fader Chor,

Langweilt mit seinem ew'gen Lob mein Ohr.

Sturm, Kampf, Disharmonie verlange ich,

Das ist mein Fall, die rechte Welt für mich,

Wo sich der Geist auf eig'ne Thatkraft stützt,

Wohin mir folgen mag, wer Mut besitzt.

ADAM.

Nicht doch. Gott wird uns strafen, weichen wir

Vom Wege ab, den er uns gütig wies.[15]

EVA.

Warum? Wofür uns strafen? – Hat er uns

Die Bahn gesteckt, auf der wir wandeln sollen,

Hätt' er uns so ausstatten müssen, daß uns

Kein Hang zur Sünde auf Abwege locke.

Wozu mit schwindeligem Haupte uns

Dem Tod' geweiht an einen Abgrund stellen?

Und liegt die Sünde auch in seinem Plan,

Wie Stürme zwischen sonn'ge Tage fallen,

Wer hält für schuld'ger jene, weil sie toben,

Als diese, weil sie wärmen und beleben?

LUCIFER.

Ei seht mir doch, der erste Philosoph!

Und eine hübsche Reihe wird dir noch,

Mein holdes Mühmchen, auf dem Fuße folgen,

Die aller Wege über selbes streitet.

So mancher kommt ins Tollhaus, mancher schrickt noch

Zur rechten Zeit zurück, ans Ziel kommt keiner.

Drum laßt das Grübeln, eitles Kopfzerbrechen.

Jedwedes Ding weist so viel Seiten auf,

Daß, wer sie alle durchstudieren will,

Stets wen'ger weiß, als er am Anfang wußte,

Und nicht dazukommt, je sich zu entscheiden.

Das Grübeln ist der Tod der frischen That.


EVA.

Ich pflücke also eine von den Früchten.

ADAM.

Der Herr hat sie verflucht.


Lucifer lacht.


Doch pflück' sie nur.

Es komme über uns, was kommen muß.

Wir wollen wissend sein, wie Gott.


Zuerst Eva, dann Adam kosten vom Apfel der Erkenntnis.


EVA.

Dazu

Auch ewig jung.[16]

LUCIFER.

Nun noch hieher, hieher.

Das ist der Baum des ew'gen Lebens. Schnell,

Beeilet euch!


Zieht sie zum andern Baume, ein Cherub mit flammendem Schwerte verstellt ihnen den Weg.


CHERUB.

Weg Sünder, weg von hier!

DIE STIMME DES HERRN.

O Adam, Adam! du hast mich verlassen,

Auch ich verlasse dich. Sieh' deine Ohnmacht.

EVA.

Wir sind verloren.

LUCIFER.

Ihr verzagt?

ADAM.

Bewahre!

Es ist nur meines Auferwachens Schauer. –

Nur fort von hier, wo immer hin, fort, fort!

Denn wüst und fremd ist mir nun dieser Ort.

HIMMLISCHER CHOR.

Ach, weinet Brüder, gebet Mitleid kund;

Die Lüge siegt, die Erde geht zu Grund'![17]


Quelle:
Madách, Imre: Die Tragödie des Menschen. Leipzig 1888, S. 9-18.
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