Dritte Scene.

[18] Prachtvolle Gegend außerhalb des Paradieses. Kleine Holzhütte. Adam schlägt Pflöcke ein zu einer Umzäunung. Eva pflanzt eine Laube. Lucifer.


ADAM.

Dies hier ist mein. Anstatt der großen Welt

Wird dieser Raum nun mein Zuhause sein.

Besitze ihn, schütz' ihn vor wilden Tieren,

Und zwinge ihn mir reiche Frucht zu tragen.

EVA.

Und ich pflanz' eine Laube, wie die vor'ge,

Und zaub're das verlorne Paradies

In unser neues Heim.

LUCIFER.

Welch' großes Wort

Habt ihr da ausgesprochen. Eigentum,

Familie wird eure Welt bewegen

Und allen Glück's und Jammers Quelle sein.

Und diese zwei Begriffe wachsen fort,

Bis Vaterland und Industrie d'raus werden,

Die alles Schöne und Erhab'ne zeugen

Und schließlich ihre eigne Brut verschlingen.

ADAM.

Du sprichst in Rätseln. Sagtest Wissen zu;

Darob verschmäht' ich des Instinkts Behagen,

Um, kämpfend zwar, mir Größe zu erringen.

Und was ist der Erfolg?[18]

LUCIFER.

Ei, fühlst du's nicht?

ADAM.

Ich fühle wohl, daß, wie mich Gott verließ,

Mit leerer Hand uns in die Wüste stieß,

Auch ich von ihm mich wandte, und nun selbst

Mein eigner Gott ward. Was ich mir erringe,

Ist ehrlich mein. Dies macht mich stark und stolz.

LUCIFER beiseite.

Magst, eitler Fant, jetzt in die Faust dir spucken,

Will sehn, wie stark dein Herz, wenn Blitze zucken.

EVA.

Ich aber setze meinen Stolz darein,

Daß ich der Menschheit Mutter werde sein.

LUCIFER beiseite.

Welch' Ideal schafft sich des Weibes Herz,

Verew'gen, was die Schuld schuf: Not und Schmerz!

ADAM.

Was soll ich ihm auch danken? Bloßes Sein?

Mein Dasein, wenn es aufwiegt seine Last,

Ist es nicht das Ergebnis eigner Plage?

Muß den Genuß, den ein Trunk Wasser beut,

Mit heißen Durstes Pein mir erst verdienen.

Es liegt der Preis von eines Kusses Honig

In der Verstimmung, die dem Kusse folgt.

Und ist auch jedes Band der Dankbarkeit

Gelöst, steht mir auch frei, mein Schicksal nun

Selbst aufzubaun und wieder zu vernichten,

Was ich im Dunkel tastend mir ersann,

Dazu braucht' ich wohl deine Hilfe nicht,

Das hätte meine eigne Kraft bewältigt.

Du nahmst die schwere Kette mir nicht ab,

Womit mein Leib mich an die Scholle bindet.[19]

Ich fühle wohl, kann ich's auch nicht benennen,

Was meine stolze Seele niederhält.

Und sei's ein Härchen, – um so schmählicher.

Sieh, will ich springen, fällt mein Leib zurück;

Möcht' ich erspähen, was die Ferne birgt,

Versagt mein Ohr, mein Auge mir den Dienst;

Und schwebe ich auf leicht bewegten Schwingen

Der Phantasie einmal in höhern Sphären,

Zwingt mich der Hunger wiederum in Demut

Herabzusteigen zu dem groben Stoffe,

Den ich vorher mit Füßen schon getreten.

LUCIFER.

Dies Band ist stärker, mächtiger als ich.

ADAM.

O weh, du bist mir ein recht schwacher Geist,

Wenn dieses unsichtbare Spinngewebe,

Dies Nichts, das tausend Wesen gar nicht merken,

Mit dem Gefühl der Freiheit darin zappeln,

Und wen'ge auserles'ne Geister nur

Undeutlich ahnen, dir noch trotzt.

LUCIFER.

Und dies allein ist's, was mir trotzen kann,

Denn Geist ist's auch, wie ich bin. Oder meinst du,

Weil es verborgen und im Stillen schafft,

Es sei nicht stark? – Du irrst. Oft sitzt im Dunkel,

Was Welten bauen und erschüttern kann,

Denn schwindeln würde man bei seinem Anblick.

Nur Menschenwerk gleißt gern und macht Getöse,

Des Dauer eine Spanne Zeit beschränkt.

ADAM.

Nun so gewähre mir ein wenig Einblick

In dieses Walten. Wie du weißt, besitze

Ich Mut genug, und möchte wahrlich sehn,

Was da auf mich noch Einfluß üben soll,

Der ich in mir begrenzt ein Ganzes bin.[20]

LUCIFER.

»Bin« – welch' ein lächerliches Wort! Du warst,

Wirst sein. Das Leben ist ein nimmer müdes

Unausgesetztes Werden und Vergehn.

Doch schau dich um und sieh mit Geisteraugen.

ADAM was er in der Folge sagt, wird alles sichtbar.

Welch' sanfte Flut quillt rings um mich empor,

Ununterbrochen in die Höhe strebend,

Wo sie sich teilt und bis zu beiden Polen

Als Sturm dahinjagt?

LUCIFER.

Sieh', das ist die Wärme,

Die in das Reich des Eises Leben trägt.

ADAM.

Und der zwiefache Feuerstrom, der jetzt

An mir vorüberzuckt. Zermalmt mich schier

Und wirkt auf meine Nerven doch belebend.

Was ist's, was ist's? Mir saust der Kopf davon.

LUCIFER.

Das ist der Magnetismus.

ADAM.

Selbst das Erdreich

Wankt unter mir. Was ich für fest und formlos

Gehalten habe, ist gährender Urstoff,

Unwiderstehlich, der Gestalt begehrt,

Nach Leben ringt. Dort als Krystall und hier

Als Knospe. O! wohin kommt meines Ich's

Geschloss'ne Individualität

Inmitten dieses wirren Durcheinanders?

Was wird aus meinem Leib, auf den ich blöde[21]

Als festes Werkzeug mein Vertraun gesetzt

Bei meinen großen Plänen und Begierden?

Verwöhntes Kind, das ebensoviel Pein

Als Wollust mir verursacht, sinkst du wohl

Zu einer Handvoll Asche nur zusammen,

Indem dein übrig Wesen, Luft und Wasser,

Das rot und frisch soeben sich noch freute,

Mit meinem Sein ins Wolkenmeer verdunstet?

Ein jedes Wort, der flüchtigste Gedanke

Verzehrt je einen Teil von meinem Hirn.

Ja, ich verbrenne! – und das arge Feuer

Schürt ein verborgner Geist vielleicht darum,

Daß er an meiner Aschenglut sich wärme.

Weg, weg mit dieser Vision, sie treibt mich

Zum Wahnsinn noch! So mitten in dem Kampfe,

Mit dem Bewußtsein der Verlassenheit,

Allein stehn zwischen tausend Elementen,

Ist schrecklich, schrecklich! O warum auch stieß ich

Die Vorsehung von mir, die mein Instinkt

Bereits geahnt, doch nicht gewürdigt hat,

Und jetzt mein Wissen hoffnungslos ersehnt!

EVA.

Nicht wahr, nicht wahr? Ich fühle auch dergleichen,

Wenn du mit wilden Tieren kämpfest, oder

Ich unser Gartenfeld ermattend pflege.

Mein feuchter Blick durchwandert Himmel, Erde,

Ich schau' mich um im weiten Weltenall,

Und nirgends ein Verwandter, nirgends Freunde,

Die uns ermut'gen, trösten, schützen wollten.

Einst war es anders, einst in schönern Zeiten!


LUCIFER höhnisch.

Nun, ist in euch die Seele so verschrumpft,

Daß ohne Fürsorg', ohne Pfleg' ihr friert,

Und Unterordnung euch so sehr vonnöten;

So will ich einen Gott heraufbeschwören,

Viel freundlicher, als jener rauhe Alte:[22]

Den Schutzgeist dieser Erde. Kenne ihn

Vom Himmel her, ist ein bescheidner Bursche.


Erscheine, Erdengeist!

Entrinnst mir nicht, du weißt.

Urzweifel rufet dich,

Wer sonst erkühnte sich?


Flammen schlagen aus der Erde, eine dichte dunkle Wolke bildet sich mit einem Regenbogen unter schrecklichem Donner.


LUCIFER zurücktretend.

Wer bist du, schauderhaftes Ungetüm?

Du bist es nicht, den ich gerufen habe;

Der Geist der Erde ist ja schwach und sanft.

DIE STIMME DES ERDENGEISTES.

Was dir im Himmelschore schwach erschien,

Im eignen Wirkungskreis ist's stark unendlich.

Da bin ich nun, weil eines Geistes Ruf

Ich folgen mußt'; doch merk' dir, eine Macht

Entfesseln und regieren ist nicht eins.

Zeig' ich mich, wie ich bin, so unterliegst du

Und diese beiden Würmer da vergehn.

LUCIFER.

Sag', wie erreicht dann deine stolze Nähe

Der Mensch, wählt er zu seiner Gottheit dich?

STIMME DES ERDENGEISTES.

Verteilt im Wasser, im Gewölk, im Hain,

Allüberall, worein den Blick er senkt

Sehnsuchtsvoll und erhobenen Gemütes.


Verschwindet.

Den Hain, die Quelle bevölkern leichtfüßige, spielende Nymphen.


EVA.

Ah sieh' die reizenden Gesichter rings!

Wie lieblich winkt uns ihr verwandter Gruß.[23]

Nun sind wir nicht verlassen, einsam mehr,

Sie brachten uns des Glückes Weihekuß.

Sie spenden uns im Kummer Trost gelind,

Und guten Rat, wenn wir in Zweifel sind.

LUCIFER.

Wo fändet ihr auch bessere Berater –

Ihr, die ihr schon beschlossen, wenn ihr fragt –

Als diese leichten, lieblichen Gestalten,

Die stets antworten, wie die Frage lautet.

Auf reine Herzen blicken sie mit Lächeln,

Als widerwärt'ge Fratzen grinsen grausig

Sie den, der in Verzweiflung, grimmig an.

In allerlei Gestalten werden sie

Euch bis an euer Ende treu begleiten,

Dem weisen Forscher sänstigende Schatten,

Den ewig jungen Herzen Ideale.

ADAM.

Was nützt der Flimmer dieses Gaukelspiels,

Das hier an mir vorüberzieht? Begreif's nicht,

Und hab' nur um ein Rätsel mehr zu lösen.

O Lucifer, halt' mich nicht länger hin,

Laß alles wissen mich, wie du versprochen!

LUCIFER beiseite.

Dies Wissen wird dir noch recht schlecht bekommen,

Und sehnst nach Einfalt dich gewiß zurück.


Laut.


Geduld, Geduld! Du weißt wohl, daß du jeden

Moment Genusses bitterlich erkämpfen,

Manch' harte Lehre dir gefallen lassen

Und viel' Enttäuschungen verwinden mußt,

Bis endlich alles dir verständlich wird.

ADAM.

Ei ja, du kannst leicht von Geduld salbadern,

Vor dir liegt eine Ewigkeit, doch ich[24]

Hab' nicht genossen von des Lebens Baume,

Mein kurzes Dasein mahnt zur Eile mich.

LUCIFER.

Alles, was lebt, hat gleiche Lebensdauer,

Der hundertjähr'ge Baum, die Eintagsfliege.

Kommt zu Bewußtsein, freut sich, liebt und stirbt,

Wenn's Tagewerk vollbracht, der Trieb befriedigt.

Es eilet nicht die Zeit, wir ändern uns,

Ein Tag und ein Jahrhundert sind sich gleich.

Laß's sein, auch du erfüllest deinen Zweck,

Nur glaube nicht, es sei des Menschen Wesen

In diesen staubgebornen Leib gezwängt.

Schau die Ameise und den Bienenschwarm.

Tausende eilen sinnlos hin und her,

Sie handeln blind, sie irren und sie fallen;

Doch lebt und webt in einheitlichem Geiste

Als bleibend Individuum die Art,

Und führt den festen Plan gewiß zu Ende,

Bis alles aufhört, alles stille steht.

Dein Leib zerfällt in Staub, wohl ist es wahr,

Ersteht jedoch in hundert Neugestalten,

Und nichts brauchst du von neuem zu beginnen.

Sündigtest du, bereuen's Kindeskinder,

Dein Zipperlein erbt sich in ihnen fort;

Was du gefühlt, erfahren und erlernt,

Bleibt Millionen Jahre lang dein eigen.

ADAM.

Dies ist ein Rückblick, der dem Greise ziemt.

Nach andrem sehnt sich meine junge Brust:

Möcht' einen Blick in meine Zukunft werfen;

Lass' sehn, wofür ich kämpf', weshalb ich leide.

EVA.

Auch mich lass' sehn, ob in so vieler Wandlung

Nicht schwinden, nichts verlieren meine Reize.[25]

LUCIFER.

Es sei! Ich senke euch in Zauberschlaf,

Und ihr sollt eurer Zukunft fernstes Ende

In schwankem, wandelbarem Traumbild schaun.

Doch wenn ihr seht, wie nichtig euer Ziel,

Wie schwer der Kampf, den ihr zu kämpfen habt;

Daß euch kleinmüt'ges Zagen nicht befalle,

Und ihr die Wahlstatt nicht verzweifelt räumt,

Setz' ich ein Licht an eures Traumes Himmel,

Das euch bestechen wird, was ihr geträumt,

Für Täuschung anzusehn: den Strahl der Hoffnung.


Führt Adam und Eva unterdessen in die Hütte, wo sie entschlummern.
[26]


Quelle:
Madách, Imre: Die Tragödie des Menschen. Leipzig 1888, S. 18-27.
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