18

[167] Er hatte seine ganze bedeutende Körperstärke nötig, um sich gegen den Gewittersturm zu halten, der ihn beim Verlassen der Thürstufen wütend anfiel. Es sah schlimm aus über ihm und um ihn her. Das schwarze, kochende Wolkengemenge da oben hatte der Blitze genug und wohl auch Hagel in seinem Schoße, und der fauchende Wüterich, der ihn schüttelte und wie einen Ball vor sich her stieß, konnte sich jeden Augenblick den Spaß machen, einen der ächzenden Waldriesen wie einen Blumenstengel zu entwurzeln und über den dahintaumelnden, machtlosen Erdenwurm her zu schleudern ...

Zwischen den vier roten Wänden war es freilich sicherer gewesen, und ein anderer mit kühlem Kopfe und normalem Pulsschlag wäre jedenfalls zurückgekehrt – ah, um keinen Preis that er das! Er hatte jetzt das Heft in der Hand! Einen besseren Bundesgenossen, als dieses erschreckende Wüten und Toben in den Lüften, konnte er sich nicht wünschen. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, ein ganz verstohlenes, leises, das ihm gleichsam ohne seinen Willen aus der Seele heraus glänzte.

So kämpfte er ein tüchtiges Stück auf der Fahrstraße weiter, bis plötzlich ein Blitz niederzischte, dem sofort ein anhaltender, so entsetzlich krachender, erderschütternder Donnerschlag folgte, wie er nur im engen Thalgrund, zwischen hohen, versperrenden Bergen dröhnen kann. – Einen Augenblick stand Herr Markus betäubt, als habe der Blitz zu seinen Füßen eingeschlagen und ihn gestreift; der Sturm schwieg wie im jähen Schrecken und machte einer sekundenlangen Stille Platz, in welcher noch das schwefelgelbe Licht des Blitzes auszuzittern schien ... Aber nun stürzten aufs neue wie erlöst die Wassermassen nieder, in klatschender Wucht und einen ganzen Hagel kleiner, rasselnder Eiskörner mit sich schleppend.

Herr Markus sprang quer über die Wiese, den Abhang hinauf. Da oben stand, wie er wußte, ein kleiner Schuppen, ein Unterschlupf für die Waldarbeiter, halb verdeckt vom Dickicht, unter den Tannen. In wenig Augenblicken hatte er das primitive[167] Asyl erreicht ... Es hatte drei aus groben Bruchsteinen mühelos hergestellte Wände und ein Dach aus dünnen Fichtenstämmen, und wenn der Regenguß nicht das festgestopfte Moos aus den Fugen riß, dann war der Schutzsuchende wenigstens notdürftig vor Sturm und Nässe geborgen.

Er zog sich in die Tiefe des Schuppens zurück und sah, halb gepackt von Grauen, in das Unwetter hinaus ... Da war es nun, was am Sonntag Pfarrer und Gemeinden der Walddörfer inbrünstig vom Himmel erfleht hatten, das köstliche, strömende Naß, das die halbvertrockneten Adern der Pflanzenwelt füllen und die Hoffnung auf den Erntesegen, auf das nötige Stück Brot neu beleben sollte! Aber unter welchen furchtbaren Kämpfen gab es die Natur heraus! ... So grauenvoll lebendig zuckte und zischte die Feuerschlange aus allen Richtungen, so ohne allen Unterlaß krachten die folgenden Donnerschläge, daß man meinen konnte, dem alten Griechengott sei das Bündel seiner Blitze entfallen – es war, als wollten diese erschütternden Detonationen die seit Jahrtausenden eng zusammengerückten Bergwände auseinander treiben ... Und die hereinbrechenden Wasserfluten wandelten im Nu die flache Wiese zum Seespiegel, sie füllten das ausgetrocknete Bett des kleinen Baches und schossen lehmfarben durch den Grund, Steingeröll und entwurzelte Pflanzen und schließlich auch den lose hingelegten Steg mit sich reißend ... Ob wohl der braven Griebel diese »Pelzwäsche« gründlich genug war? ...

Uebrigens blieb das Stückchen Waldboden, das die drei Wände umschlossen, vollkommen trocken; das Wasser floß zu beiden Seiten den Abhang hinab. Auch das Dach hielt wacker stand; die unteren Aeste der sausenden Tannenwipfel peitschen freilich das schwanke Gefüge, aber sie wehrten auch den ersten Aufprall des Regengusses, und nur wenn es dem Sturm gelang, sich einzuwühlen und die mächtigen Stämme wie Gerten auseinander zu reißen, da kam ein direktes Sturzbad so prasselnd hernieder, daß dem Geflüchteten in seinem Schlupfwinkel Hören und Sehen verging.

Das war nur ein Gewitter im Walde! Ein zornschnaubendes, versprengtes Ungetüm in einer Sackgasse! Es konnte nicht über die Berge und tobte, bis ihm der Atem ausging ... Das dauerte lange, unerträglich lange – Herr Markus lief schließlich, glühend vor Unruhe und Ungeduld, in dem engen Raum auf und ab. – Aber nun wurde es auch allgemach heller, der Donner verrollte und die Regengüsse ließen nach. Allmählich wagten sich[168] andere Laute hervor, das Piepen und Locken der Vögel, raschelndes Schlüpfen kleinen Getiers durch das tropfende Geäst und schwaches Lebensgeräusch von menschlichen Wohnstätten herüber. Auch fernes Wagenrollen auf quiekenden Rädern wurde hörbar; es kam auf der Fahrstraße näher und näher und hielt einen kurzen Moment an – jedenfalls vor dem einsamen roten Hause. Dann schwankte der Wagen in dem zerweichten Boden schwerfällig weiter und erschien endlich auf dem Stück Wegbiegung, das Herr Markus übersehen konnte. Es war ein Leiterwagen mit übergelegter Plane, der wahrscheinlicherweise den heimkehrenden Forstwärter aufgenommen und nun vor seiner Wohnung abgesetzt hatte.

Ah, der Grünrock war nunmehr zu Hause! Nun löste der Pfleger die Pflegerin ab, und wenn Angst und Besorgnis um andere, von dem grausen Unwetter überraschte Menschenwesen in ihr lebten, so frug sie nicht nach dem immer noch fallenden Regen, nach dem schwimmenden Boden – sie benutzte ihre Freiheit, ihre Erlösung von den gebieterischen Wärterpflichten und kam! ...

Ja, sie kam! Sie kam daher wie eine dem Gefängnis Entsprungene – Schleierhut und Handschuhe und Schirm waren im Forstwärterhause liegen geblieben. Sie hatte die Schleppe über den Arm geschlagen; die schlanken, behenden Füße flogen den Weg daher, und mit wilden Bewegungen wandte sich der Kopf suchend nach allen Richtungen – meinte sie, ein vom Blitz Erschlagener müsse am Wege liegen? –

Herr Markus verließ den Schuppen und duckte sich hinter das nahe Tannendicht. Sie konnte von unten aus den offenen Raum zwischen den drei Wänden übersehen und sollte und mußte ihn leer finden. Mit einem den Schuppen überfliegenden Blick eilte sie denn auch vorüber und schlug den schmalen, durch den Wald nach dem Hirschwinkel führenden Gehweg ein.

Daß dieser Pfad heute nicht mehr passierbar war, hatte sie freilich nicht wissen können – nun machte sie Halt und prallte zurück vor dem breiten schäumenden Gewässer, zu welchem das halbversiechte, friedfertige, die Passage quer durchschneidende Bächlein angeschwollen war ... Kein Steg weit und breit! – Sie lief wie verzweifelt am Ufer hin und suchte nach einer eingeengten Stelle, die sie überspringen könne.

Währenddem war der Gutsherr unhörbar den Abhang herunter, über den weichen, schwimmenden Wiesenboden her gekommen. Er stand hinter ihr in dem Moment, wo sie hastig ihre Kleider[169] zusammennahm, um das Wasser zu durchschreiten. – Blitzschnell schwang er die Arme um sie und hob sie hoch vom Boden auf. Sie stieß einen Schrei aus – ihr Antlitz, das wie in halber Ohnmacht auf seine Schulter sank, war furchtbar verweint und noch angstentstellt, aber jetzt verklärte es sich unter einem tiefen, erlösenden Aufatmen.

»Ich thue es nicht aus allgemeiner Menschenpflicht –« flüsterte er ihr lächelnd ins Ohr, während er sie durch das Wasser trug – »ach nein, solch ein Allerweltshelfer bin ich nicht! – ich thue es einzig um Ihretwillen

Drüben ließ er sie sanft auf den Boden niedergleiten.[170]

»Sie haben sich wehe gethan!« fuhr sie empor und faßte nach seiner verbundenen Hand, weil er mit einer raschen Bewegung von ihr weggetreten war.

»Ich habe mir nicht wehe gethan,« sagte er doppelsinnig. Jeder Unbefangene hätte den versteckten Schalk in seinen Augen sehen müssen, – sie in ihrer großen Aufregung nicht. »Möglich, daß unter dem Verbande da etwas nicht in Ordnung ist,« meinte er achselzuckend; »aber was thut das? Meine robuste Natur wird sich schon selbst zu helfen wissen ... Und nun gehen Sie schleunigst heim! Ich weiß, die alten Leute verzehren sich in Angst um die Blumensucherin ... Aber der Onkel wird schön zanken, daß Sie ohne Handschuhe ankommen – soll ich sie holen?« – Er machte Miene, nach dem Forstwärterhaus zurückzulaufen.

Sie schüttelte abwehrend den Kopf, und jetzt dämmerte auch ein schelmisches Lächeln in ihren verweinten Zügen auf.

»Und der Hut ist auch liegen geblieben –« sagte er, »die Regentropfen blitzen wie Brillanten in Ihrem Haar und werden Sie erkälten ... Nun, den dünnen, grauen Schleier hätten sie auch nicht respektiert – da lobe ich mir das Kopftuch, das liebe, weiße Kopftuch meines Heilgehilfen! – Und nun leben Sie wohl!«

Mit diesen letzten Worten war er durch das rauschende Gewässer zurückgesprungen und schritt, ohne noch ein einziges Mal den Kopf umzuwenden, durch die Wiesen nach dem Fahrweg. Mit dem gewaltsamen, romantischen Pfadsuchen im wilden Unterholz war es selbstverständlich heute nichts – das hätte eine Griebelsche »Pelzwäsche« sondergleichen gegeben –, den Weg aber, den die »Blumensucherin« ging, wollte er um jeden Preis vermeiden, und so mußte er sich bequemen, das Forstwärterhaus zu passieren und in den ein beträchtliches Stück davon entfernten gutgebahnten Waldweg einzulenken, denselben, auf welchem Frau Griebel bei der ersten Begegnung vom Grafenholz hergekommen war.

Hurtig legte er den Weg zurück – er hatte Eile. – Der Regen hatte aufgehört; dagegen stand der Wald voll beladen; und wenn der Dahinstürmende an einen überhängenden Zweig stieß, da brauste es wie ein Sturzbad über ihn her ... Wasser in Fülle hatte diese eine bange Stunde gespendet – der weiche, moosige Boden stand voll Lachen, und der kleine Fluß, der die Schneidemühle trieb, schoß, bis an den Rand gefüllt, ungebärdig tosend durch das Wiesenthal.

Drunten am Ufer stand der Sägemüller mit fröhlichem Gesicht. »Heute hat es Brot geregnet, Herr Markus!« rief er dem[171] Vorübereilenden zu, und im offenen Hofthor kam ihm Peter Griebel entgegen. »Nun hat es gute Wege mit dem Verhungern auf dem Walde – die Kartoffelernte wird heuer eine gute! – Ja, solch eine Staupe lasse ich mir gefallen!« sagte der Pächter tief befriedigt und reckte den Arm hinaus über das schwimmende, glitzernde Gelände ... In der Hausflur aber lief Frau Griebel dem eintretenden Gutsherrn in die Hände. Sie kam aus der Speisekammer und hatte zwei volle Papiertüten in der Rechten.

»Na, Herr Markus, was sagen Sie nun zu so einem Wetterchen?« meinte sie, den Arm in die Seite stemmend. »Gelt, das donnert und rumort ein bißchen anders, als auf so einer breiten Kuchenschüssel, wie Ihr ›Zuhause‹ eine ist? – Ja, sehen Sie, ohne ein rechtschaffenes Gepolter thun wir's nun einmal nicht – das ist bei uns so Mode, und das hör' ich so gern wie die Orgel in der Kirche ... Und das hier sind sie,« – sie zeigte ihm die strotzenden Tüten – »die Rosinen nämlich, die ich den Tillröder Kindern extra in den Kuchen backen will – es hat gar zu schön geregnet!«

»Recht so – Rosinenkuchen! Und ich gebe den Wein dazu! ... Und – können Sie auch schöne Hochzeitskuchen backen?« Mit diesen Worten umfaßte der Gutsherr übermütig die kleine dicke Frau und wirbelte ein paarmal mit ihr im Kreise herum.

»Hochzeitskuchen?« wiederholte sie verschnaufend, mit mißtrauischem Blick. »Wo haben Sie denn eigentlich gesteckt, Herr Markus, daß Sie gar so fidel heimkommen? Und naß wie ein Pudel sind Sie auch! – Ach Herrje, und die Lehmstapfen da auf meinen schönen frischgescheuerten Flurdielen! Gehen Sie mir weg – tanzen auch noch und haben den halben Hirschwinkel an den Stiefelsohlen! Na ja, Hanne wird schön brummen, daß sie noch einmal mit dem Scheuerwisch anfangen muß! ... Hochzeitskuchen sagten Sie? O ja, den kann ich schon backen – zwei Hände hoch und locker, daß er einem auf der Zunge zergeht ... Aber nun frage ich, für wen denn in unserem stillen Hirschwinkel? Wer soll ihn denn essen?«

»Wer? Ei, wer Lust hat, der mein Gast sein will! – Alt und jung, reich und arm – sie sind alle eingeladen! Wer einen Schatz hebt, der darf auch mit seinem Dank nicht knausern!«

Er lachte ihr voll Uebermut in das verdutzte Gesicht, und die Treppe hinaufsteigend, sang er mit schönem Bariton Georg Browns: »Komm, o holde Dame!«

»Sag' an, wie ist dein Name!« scholl es noch in die widerhallende Hausflur herab, dann flog droben die Thür zu.[172]

Quelle:
Eugenie Marlitt: Gesammelte Romane und Novellen. Band 10, Leipzig 21900, S. 167-173.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amtmanns Magd
Amtmanns Magd; Roman

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon