An Laura

[73] Wann der Abend die Gefilde röthet,

Alles sich im Dämmerlicht verschönt,

Wann die Nachtigall im Grünen flötet,

Und des Dorfes Glocke tönt;


Wann mit Golde sich die Wolken säumen,

Wann des Baches Stimme leiser hallt,

Und von duftbewölkten Gartenbäumen

Blüthenregen niederwallt;


Oder wann, mit hoher Ahndung Schauer,

Die verschwiegne Nacht vom Himmel sinkt,

Und voll Sympathie und stiller Trauer

Jeder Stern herunterblinkt;


Wann der volle Mond, mit bleichem Strale

Schwermuthsvoll wie ein getrennter Freund,

Auf die frühen moosbewachs'nen Maale

Himmlischer Geliebten scheint:


Dann erwache, mit dem Himmelsklange

Der Begeisterung, dein Saitenspiel,

Dann, o Laura, werde zum Gesange

Süsser Schwermuth dein Gefühl!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 73-74.
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