Sehnsucht nach Rom

Alme Sol, curru nitido diem qui

Promis et celas, aliusque et idem

Nasceris: possis nihil urbe Roma

Visere maius.

Horatius.


1798.


Wie Filoktets umwölkten Blicken

Der Vatererde lachend Grün,

Auf Lemnos unwirthbarem Rücken

In jedem Halm zu weben schien:


So mahnt mich, wo der Wildniß Ranken

Hier um des Klosters grauen Dom

Im goldnen Morgenstrale wanken,

Selbst jedes Moos an dich, o Rom!


Es brausen, Königin der Tiber,

Nur deines Namens Feierhall

Der Alpen Stürme mir herüber,

Ihn donnert mir der Ströme Fall!


Wann Eos früh die Wipfel röthet,

Grüß' ich Borgheses Paradies,

Wann Filomel' ihr Nachtlied flötet,

Den Lorbeerwald von Medizis;
[32]

Wann sich die Frühlingsblum' entfaltet,

Pamfilis Anemonenflur:

Doch, ach! bis diese Brust erkaltet,

Aus öder Fernung Nebel nur.


Daß, eh' des Daseyns Fackel sänke,

Ich einmal noch den Himmelsduft

Der Hesperidengärten tränke

Und ihres Aethers Zauberluft!


Daß mir der Hohen Schluß vergönnte,

Im Abendlicht Anthusas Höhn

Und ihre Göttermonumente

Mit Einem Blick nur noch zu sehn!


Euch, Siegesbogen, Basiliken,

Dich, stillerhabnes Pantheon,

Und Obelisken, euch! Antiken

Am Nil der Vorwelt Pilgern schon!


Und Kolisäum, dich! so brausend

Sich auch des Zeitstroms Woge bricht,

Du troztest mächtig dem Jahrtausend,

Nur dem gekrönten Frevler nicht.


Ach! hätten dich Barbarenhände,

Du Riesendenkmal nicht entweiht,

Gleich einem Urgebirge stände

Dein ganzer Wunderbau noch heut.


Dich, Forum, wo der Strom der Wahrheit

Sich von den Lippen Ciceros

So oft mit Arethusas Klarheit

Und mit des Rheinfalls Kraft ergoß;


Wo er, der glücklichste der Streiter

Für Freiheit, Recht und Vaterland,[33]

Der ernsten Nemesis Geweihter,

Ein Fels im Wogenaufruhr, stand;


Und würdiger der Siegespalme,

Als wen Bellonens Wagen trug,

Wie Hagelsturz der Ceres Halme,

Der Mordwuth Rotte niederschlug.


Von Romas Wundern seid vor allen

Des Bildners Wunder! mir gegrüßt,

Ihr Göttlichen! in deren Hallen

Der Schönheit Urquell sich ergießt;


Wie Bienen zum Hymettus, kehrte,

Selbst vom erhabnen Meisterstück

Wo Rafael den Herrn verklärte,

Zu euch, doch nur zu euch mein Blick.


Vom Nachglanz der gesunknen Sonne

Die einst den Praxitelen schien,

Sieht euch mein Geist mit Schmerz und Wonne

In jedem Traum der Sehnsucht glühn:


Dich, dessen Qual die Seele tiefer

Als Ugolinos Qual bewegt,

O Dulder, dem des Unthiers Kiefer

Sich graunvoll in die Seite schlägt;


Euch, quirinalische Kolosse,

Die ihr den Hall des Ruhms vernehmt,

Indeß der Arm die Flammenrosse,

Jach, wie Neptun die Fluten, zähmt;


Dich, Torso, weitgepriesne Trümmer

Des Sohns der langen Wundernacht,

Dem an der Thaten Ziel, der Schimmer

Von Hebes Nektarschale lacht;
[34]

Des Keulenschwingers, der mit Leuen

Mit Hydern und mit Riesen rang

Und kühn, Alcesten zu befreien,

Selbst in des Orkus Nächte drang;


Dich, Sonnengott im Belvedere!

Doch Mnemosynens Jammerton

Füllt deines Tempels dumpfe Leere

Und Echo seufzt: Er ist entflohn!


Du stehst nun unter den Gebilden

Des Ungeschmacks voll Trauer da,

Wie einst im Kreise roher Wilden

Auf Tauris Ifigenia.


Wann winkt die ernste Pyramide,

Die sich am Scherbenberg' erhebt,

Zum Thal mich hin, wo Lethes Friede

Um stille Fremdlingsgräber schwebt?


Werd' ich, an Vestas Tempelrunde,

Ach! unter Götterschwärmerein,

Den Grazien, in heilger Stunde,

Nie mehr den ersten Becher weihn?


Wie oft, bis zu der Sterne Schwinden,

Hab' ich dem Katarakt gelauscht,

Der wild in Tiburs Felsenschlünden

Und stolz in Flakkus Hymnen rauscht!


Wann werd' ich wieder dich erklimmen,

Albanos Berg! auf dessen Höhn

Im Mondlicht oft Heroenstimmen

Des Donnrers Tempelhain entwehn?


Hoch sei der hehre Tag gefeiert,

Als hier, von Rom bis Ostia,

Mein Blick vom Zeitgewölk entschleiert,

Der Thatenbühnen größte sah!
[35]

Verweht, gleich einem Nachtfantome,

War plözlich der Verödung Graun,

Des Tempes Haine rings am Strome

Durchschwärmten Oread' und Faun.


Froh staunte da die Morgenhore

Der goldnen Zeiten Wiederkehr,

Die Bann- und Fluchstadt der Gregore

Und Alexander war nicht mehr!


Wie jauchzten des Olymps Päane,

Als um den alten Palatin

Die Roma der Vespasiane

In stolzer Herrlichkeit erschien;


Als aus dem Grause der Vernichtung

Der Tempel Majestät sich hob

Und ihren Rosenflor die Dichtung

Mild um die Schöpfung wieder wob!


Wie scholl an lodernden Altären

Dem Gotte der zum Indus drang,

Der milden Spenderin der Aehren

Und ihm dem Heerdenschüzer Dank!


Wie sorglich waltete, vom Scheine

Der heilgen Opferglut verklärt,

In göttlich hoher Seelenreine,

Der Jungfraun Chor um Vestas Heerd!


Wie schwebte, bis die Berge westlich

In Grau sich tauchten, dir zum Preis

Der Hekatomben Wolke festlich

Um deine Burg, Befreier Zeus!


Wie glänzten vom Tyrrhenermeere

Der Flotten Purpursegel her![36]

Wie drängten Heere sich an Heere

Von aller Zonen Beute schwer!


Stolz zog des Kampfgefährten Retter,

Im schönen Kranz der Menschlichkeit,

Dem Heldenschmuck der Eichenblätter,

Ein Sieger zehnfach, aus dem Streit!


Wie wälzte die entzückte Menge

Sich brausend längs der Tiber Bord

Beim Donnerhall der Siegsgesänge

Mit des Triumfzugs Pompe fort!


Am Kapitol, dem Felsensize

Des Adlers, der mit stolzem Flug

Im Thatensturm Kronions Blize

Voran den Weltbezwingern trug:


Soll da nicht einmal meine Seele

Noch dem Tyrannenmörder glühn!

Und vor dem hohen Mark-Aurele

Dem Genius der Menschheit knien?


Dort ists, wo, im verklärten Lichte

Des Abendsterns in stillen Seen,

Der Vorwelt göttliche Gesichte

Lebendig vor uns auferstehn!


Wo Rom, in ernster Heldenschöne,

Indeß der Weltkreis ahnend schwieg,

Im Waffenschimmer wie Athene,

Verhängnißvoll der Nacht entstieg;


Und mit Alcidens Kraft schon muthig

Der Drachen viel als Kind bezwang,

Eh' sie, von tausend Kämpfen blutig

Des Erdballs Diadem errang!
[37]

Wie lauschte, schwebten still der Manen

Geweihte Chöre dort empor,

Den Scipionen, den Trajanen

Und Cato, dir mein trunknes Ohr!


Dort, wo der fernsten Nachwelt Sohne

Dem Himmelsglut im Busen wallt,

Ein jeder Stein mit Heroldstone

Ins Herz noch diese Namen hallt!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 2, Tübingen 1912, S. 28-29,32-38.
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