An den Lebensnachen

[66] 1780.


Wenn schleierlos am Himmel die Sonne lacht,

Kein Sturmgewölk die Bläue des Aethers hüllt,

Wenn kühle Sommerwinde wehen

Und mit den Lokken der Haine spielen:


Dann, Lebensnachen, schwebe, gehaltnern Flugs,

Auf deines Stromes spiegelnder Woge fort;

Daß ich der Uferblumen viele

Um meine Schläfe zu duften, breche!


Wenn aber Nacht aus Donnergewölken träuft,

Den Riesenfittig dräuend die Windsbraut hebt

Des Erdballs Säulen tief erzittern,

Schauernd sich Sterne mit Wogen gatten:


Dann eil', o Nachen, schneller als sonnenan

Der Adlerjüngling, kühneren Aufschwungs, fleugt,

Daß ich an blühenden Gestaden

Früher der stürmenden Nacht vergesse!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 66.
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