Geisternähe

[235] Der Dämmrung Schein

Durchblinkt den Hain;

Hier, beim Geräusch des Wasserfalles,

Denk' ich nur dich, o du mein Alles!


Dein Zauberbild

Erscheint, so mild

Wie Hesperus im Abendgolde,

Dem fernen Freund, geliebte Holde!


Er sehnt wie hier

Sich stets nach dir;[235]

Fest, wie den Stamm die Eppichranke,

Umschlingt dich liebend sein Gedanke.


Durchbebt dich auch

Im Abendhauch'

Des Brudergeistes leises Wehen

Mit Vorgefühl vom Wiedersehen?


Er ist's, der lind

Dir, süßes Kind,

Des Schleiers Silbernebel kräuselt

Und in der Locken Fülle säuselt.


Oft hörst du ihn,

Wie Melodien

Der Wehmuth aus gedämpften Saiten,

In stiller Nacht vorübergleiten.


Auch fesselfrei

Wird er getreu,

Dir ganz und einzig hingegeben,

In allen Welten dich umschweben.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 235-236.
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