Melancholie

[233] Die Nachtigall klagt bang' im Blütenschatten

Wie um den Liebling die verlaßne Braut;

Der Abendstern blickt auf die Veilchenmatten,

Blaß wie der Schmerz auf Sarkofage schaut;

Ein Trauerflor scheint ob dem See zu wallen;

Der Felsen Hörner bleicht ein falbes Licht,

Wie Vollmondglanz in dunkle Klosterhallen

Durch trübe Scheiben bricht.


Ihr Birkenhöhn, ihr Wiesengründe, lachtet

Einst holder mir, als Geßners Hirtenwelt!

Da glüht' am See, den Schwermut öd' umnachtet,

Der Zauberschein so Lethes Blumen hellt.

Gebirge, Thäler, Aun, ihr bliebt dieselben!

Doch dem Verirrten von der Hofnung Spur

Wird jeder Stern zur Lamp' in Sarggewölben,

Zum Grabthal jede Flur.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 233.
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