Elegie an den Tod

[127] Wo Zipressen traurend niederhangen,

Wo auf moosbedecktem Leichenstein

Der Verwesung Schauer mich umfangen,

Hier, o Tod, gedenk' ich ruhig dein.

Freundlich wie im Lenz die Abendsonne,

Mild wie Mondlicht in der Blütenzeit,

Lacht dein Antliz Paradieseswonne,

Genius der Unvergänglichkeit.


Immer hat mit hohen Engelminen,

Herlich von der Gottheit Licht umstralt,

Wie du einst dem Sokrates erschienen,

Mir die Phantasie dein Bild gemalt.

Immer hat im Thränenweidenthale,

Wo der West durch Todtenkränze bebt,

Leuchtend von der Hofnung goldnem Strale,

Mich dies engelschöne Bild umschwebt.


Holder Jüngling! deines Blickes Milde

Hebt auf Ahndungsflügeln meinen Geist[127]

In die ewig blühenden Gefilde,

Wo Vollendung alles Jammers fleußt.

Schweb' ich schon im Lichte der Verklärten,

Sanft begrüßt von Engelharfenton?

Knie' ich schon im Chore der Erhörten,

Tief anbetend an Jehova's Thron?

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 127-128.
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