Liebe und Sociation

[259] Zuneigung und Anziehung sind tief im Wesen der Liebe begründet. Abneigung und Abstoßung können wir unmöglich als die Gegensätze der ersteren betrachten; sie bedeuten beide nur geringere Grade von ihnen.

Zuneigung und Anziehung, Abneigung und Abstoßung machen sich bemerklich allüberall, wohin nur unser Auge dringt, mag es nun das geistige oder körperliche sein. Droben im großen Weltenraume, wo die zusammentreibenden und auseinanderreißenden Gewalten die Sphären durch die Räume bewegen, wie im kleinsten Winkel der Erde, wo das winzige Sandkorn seine Ortsveränderungen erleidet, sind sie thätig. Der große Geist, aus dessen Augen Sonnen blitzen, und der Wurm, der sich durch den Staub krümmt und windet, sie werden von ihnen belebt, und besonders ist es eine Beziehung der organisirten Wesen, in welcher wir sie am deutlichsten ausgesprochen und am augenfälligsten thätig finden – in der Beziehung der Geschlechter.

Das Geschlecht beginnt mit der niedrigsten Form der belebten Wesen und zeigt eine je größere Entwickelung und Durchgeistigung, je höher das Geschöpf auf der Stufe irdischen Daseins steht. Der Mensch ist das höchstorganisirte Wesen unseres Erdballes; darum sind seine geschlechtlichen Verhältnisse am weitesten ausgebildet und entwickelt, und Zuneigung und Anziehung, Abneigung und Abstoßung äußeren in der menschlichen Gesellschaft ihre Macht in einer Weise, welche sich der Beobachtung am klarsten darstellt.


»Liebe, Rausch und Jugend sind

Gleich drei schönen Frühlingstagen;

Statt um ihre Flucht zu klagen,[259]

Herz, genieße sie geschwind.

Herz, genieße sie geschwind,

Statt um ihre Flucht zu klagen;

Gleich drei schönen Frühlingstagen

Liebe, Rausch und Jugend sind!«


So besingt der Dichter die Flüchtigkeit der Liebe; aber Derjenige, welcher sich vornimmt, den Gegenstand mit philosophischem Auge zu betrachten und mit philosophischem Sinn zu erwägen, wird sich wohl meist einen andern Standpunkt auswählen. Ihm erscheint es oberflächlich und ungenügend, das Liebesgefühl als einen berauschenden Trunk aus dem Becher, welchen Jugend und Schönheit dem Sterblichen darbieten, anzusehen; er findet vielmehr, daß damit nur die sinnliche Seite der Liebe getroffen sei und ihr inneres Wesen sich in diesem Bilde nicht darstelle, sondern einer ganz anderen und unfassenderen Feststellung bedürfe.

Nach Hegel ist die Liebe »das Bewußtsein einer Einheit mit einem Andern,« und nach demselben Philosophen ist »die sich empfindende Einheit des Geistes, die Liebe, die Bestimmung der Familie, in der die einzelnen Mitglieder sind. Die Ehe ist die rechtliche und sittliche Existenz und Vergeistigung der Liebe.« An einer Stelle im Platon wird die Liebe bedeutend einfacher und zutreffender bezeichnet »als der Wunsch nach der genauesten und innigsten Vereinigung mit dem geliebten Gegenstand.« Aristoteles nennt Lieben: »daß wir für Jemand das wollen, was er für gut hält, und zwar nicht unsertwegen, sondern seinetwegen,« wobei also die Selbstliebe als Motiv ganz unberücksichtigt bleibt. Der Philosoph Leibnitz versteht unter der Liebe »die Empfänglichkeit für die eigene Freude an der Vollkommenheit, dem Wohle oder dem Glücke des geliebten Gegenstandes,« eine Definition, die auf jede Art von Liebe allerdings paßt, aber ihre Unterschiede nicht berücksichtigt. Was Leibnitz über die Liebe sagt, würde, auf die Geschlechtsliebe angewandt, eine Folgerung gegen die Flüchtigkeit derselben als Characterzug ergeben und vielmehr umgekehrt ihr unzerstörbares, dauerndes Wesen zu verbürgen scheinen, denn ein empfängliches Freudegefühl für Wohl oder Glück des geliebten Gegenstandes läßt sich offenbar in jedem Lebensalter feststellen, wenn anders die Disposition des Gemüthes überhaupt dafür vorhanden ist. Der Urahn einer Enkelschaar begegnet sich darin mit dem jüngsten Liebespaar, das sich mit zärtlichen Blicken betrachtet.

Bemerken wir über unsern Gegenstand noch ein Wort eines unserer[260] modernen Schriftsteller, des Franzosen Michelet, der sich in der Einleitung zu seinem berühmten Buche L'amour folgendermaßen ausspricht: »Ein anderer wesentlicher Punkt ist, daß die Liebe nicht, wie man sagt oder zu verstehen geben will, eine Krisis, ein Drama in einem Acte darstellt. Wenn die Liebe weiter nichts wäre als dies, so würde ein so flüchtiger Vorgang kaum der Aufmerksamkeit werth sein. Wir hätten in ihr dann eine jener oberflächlichen Erkrankungen zu erblicken, welche man mit so wenig Umständen wie möglich loszuwerden sucht.

Aber zu unserm großen Glück ist die Liebe (und ich verstehe darunter die treue und auf einen Gegenstand gerichtete Liebe) eine zuweilen langdauernde Aufeinanderfolge von sehr verschiedenen leidenschaftlichen Gemüthsbewegungen, welche das Leben unterhalten und erneuern. Verlassen wir die blasirten Klassen der Bevölkerung, welche Tragödien und plötzlich eintretende Wechsel nöthig haben, so sehen wir die Liebe sich als eine und dieselbe fortsetzen, oft ein ganzes Leben hindurch, mit verschiedenen Stärkegraden, mit äußeren Veränderungen, welche aber das Grundwesen nicht verändern. Allerdings brennt die Flamme nur unter der Bedingung, daß sie sich verändern, sich erheben, sich senken und wieder in die Höhe steigen und Form und Farbe wechseln kann. Aber die Natur hat dafür gesorgt. Das Weib wechselt ohne Unterlaß ihr äußeres und inneres Aussehen; ein Weib enthält ihrer tausend. Und die Einbildungskraft des Mannes wechselt ebenfalls ihren Gesichtspunkt. Auf dem im Allgemeinen haltbaren und ausdauernden Boden der Gewohnheit zeichnen sich Veränderungen ab, welche die Zuneigung modificiren und verjüngen.

In der Liebe ist der dramatische Moment interessant, ohne Zweifel. Aber dies ist derjenige der verhängnißvollen Gewalt, wo man nur sehr wenig Einfluß auszuüben im Stande ist, wo nur die Zuschauerrolle übrig bleibt. Es ist wie der Strom, den man von dem gedrängtesten Punkte aus betrachtet, schäumend und tobend. Man muß ihn aber vielmehr als Ganzes und im Zusammenhange seines Laufes auffassen. Weiter oben war er ein friedliches Bächlein weiter unten wird er zum großen aber lenksamen Fluß.«

Michelet widersetzt sich hier also hauptsächlich derjenigen Auffassung, welche die Liebe nur im Ausbruch leidenschaftlicher Auffwallung gelten lassen will. Diese seinen Landsleuten besonders sympathische und geläufige Auffassung bekämpft er dadurch, daß er der Liebe eine längere Lebensdauer[261] zuspricht, als sie als »dramatischer Moment« haben kann. Aber der Beweis läßt sich auf diese Weise nicht führen, und obgleich Michelet ganz Recht hat, die Liebe nicht blos als fiebernde Erregung, als potenzirte Leidenschaft gelten lassen zu wollen, so vergreift er sich doch in seiner Widerlegung und kommt eben dadurch zu dem ganz unnöthigen und unrichtigen Schluß, dem Liebesgefühle eine lange Dauer zuzuschreiben. Das Bild, durch welches er schließlich seine Ansicht zu stützen sucht, gewährt eine solche Stütze in keiner Weise. Denn sollte er Recht haben, so müßte also zu folgern sein, daß das Bächlein ein Fluß und der Fluß ein Strom sei. Allein wie sollten wir dazu kommen und wie läßt sich irgendwo logisch ableiten, daß zwischen diesen dreien kein wesentlicher Unterschied bestehe, weil eins in das andere übergeht und sie insofern, wenn man ihren Zusammenhang ins Auge faßt, ein Einheitliches bilden? Diese Argumentation steht offenbar auf sehr schwachen Füßen. Lassen wir aber alle irreführenden Vergleiche bei Seite, so handelt es sich zunächst doch nur um die Frage, ob die durch den Geschlechtszusammenhang vermittelte Liebesempfindung des Menschen ein Eigenthümliches auf zuweisen hat, welches ihr zum unterscheidenden Merkmal und zur wesentlichen Bestimmung gereicht – und diese Frage ist unbedingt zu bejahen.

Das geschlechtliche Liebesgefühl hat seinen Ursprung aus der Sehnsucht, und dem Gefallen gemäß das Eigenthümliche an sich, daß es ein von aller Willkür völlig behütetes Gebiet darstellt. Schon bei ihrem ersten Entstehen macht die Liebe, obwohl ihr Werdeprozeß sich von dem denkenden Beobachter wohl erfassen und im Zusammenhange darstellen läßt, auf den Menschen den Eindruck des völlig Ursprunglosen, Unentstandenen:


»Sie kommt nicht – sie ist da!«


Der erste Ton, der, die Liebe ankündigend, mit leisen, süßen Schwingungen durch die junge Seele zittert, kündigt sich sofort als Bote aus einer Welt an, die nicht allein mit unseren Sorgen und Kümmernissen nichts gemein hat, sondern auch unserm Wollen und Streben nicht unterthan ist. Ehe das neue Gefühl irgendwie die Zeit hat, zur Leidenschaft zu werden, besitzt es schon den Character des Unwiderstehlichen. Gewöhnlich wird dies auf Rechnung der Leidenschaft gesetzt. Aber das einfache Gefühl, kaum daß es entstanden, emporgehoben nur von dem ersten Begeisterungsschwung, wird sofort als etwas empfunden, dem Ueberlegung und Wollen nichts[262] recht anzuhaben vermögen. »Ich liebe ihn aber nun einmal« – diese unverständige Rede, welche den Vater empört, weil sie die einzige, von Thränen begleitete Erwiderung auf alle Gründe ist, mit denen er bewiesen hat, daß sein Kind ihren Geliebten weder lieben könne noch dürfe, noch in Wahrheit liebe, spricht gleichwohl das ganze Wesen dieses unverständigsten aller Gefühle aus, wie es vom ersten Anbeginne an ist und wie es sich erhält, so lange es eben wahrhafte Liebe ist.

Daß die Liebe, die Geschlechtsliebe, so zum Wollen steht, daß sie auf diese Weise nicht allein ungeneigt, sondern außer Stande ist, »Vernunft anzunehmen,« wie ja Molière sagt: »Le coeur ne raisonne pas,« daß sie aus innerer Nothwendigkeit instinctiv verfährt, bildet jedenfalls einen charakteristischen Zug ihres Wesens, macht sie zu einem Unvergleichlichen, unterscheidet sie sehr scharf von dem Gefühle eines zärtlichen Zusammenhanges, welches wir Eltern, Kindern, Geschwistern oder Verwandten gegenüber oder welches Gatten im weiteren Verlaufe des ehelichen Lebens für einander hegen. Alle diese Gefühle, so innig, rein und hingebend sie sein können, beruhen nicht mehr auf dem reinen Gefallen, sondern auf diesem nur im Vereine mit anderen Elementen, welche sich demselben innigst zugesellen.

Theils treten zu ihnen früh erworbene Empfindungen der Pietät, theils wirkt die Gewöhnung, wie dies bei all' diesen Verhältnissen, namentlich auch bei dem Gefühle, welches Gatten für einander hegen, der Fall ist, sodaß es oft völlig ununterscheidbar ist, wo das Gefallen noch selbstständig im Menschen wirkt und wo durch die Gewöhnung ganz oder theilweise schon ein Ersatz geschaffen ist. Die Gatten selbst sind grad' über diesen Punkt selbst die allerunzuverlässigsten Zeugen, am ehesten ist ein orientirendes Urtheil nach einem dritten, unparteiischen Beobachter ermöglicht.

Weil sich dies so verhält, besteht nun auch ein vollständig anderes Verhältniß dieser Liebe zum Wollen. Die Kindesliebe mag einmal ermüden, aber sie schöpft neue Kraft aus einer pietätsvollen Mahnung an das Gewissen des Menschen, und diese Pietät bleibt dem Herzen treu für's Leben lang, ebenso treu, wie das Gedächtniß die Zeit des Jugendparadieses festzuhalten pflegt:


Ich gedenke, ich gedenke

An's liebe Vaterhaus,[263]

Des Stübchens, da der Sonnenstrahl

Geäugelt ein und aus.

Kam nie ein Pünktchen mir zu früh',

Hielt nie zu lang die Wacht –

Jetzt wünsch' ich oft mir, daß mein Hauch

Möcht' enden über Nacht!


Ich gedenke, ich gedenke

Der Röslein, naß vom Thau,

Der Lilien und der Veilchen Schaar,

Gewebt aus Saphirblau;

Rothkehlchens Nest im Fliederbusch,

Und den als Schößling kaum

Mein Bruder pflanzt' am Wiegenfest –

Jetzt ist's ein großer Baum.


Ich gedenke, ich gedenke,

Wie ich geschaukelt froh

Und dacht', beim Sturme müßte sein

Dem Schwalbenfittig so!

Da flog mein Geist auf Federn noch,

Der matt jetzt wankt und schwer,

Und kühlen konnten seine Gluth

Die Bäche nimmermehr!


Ich gedenke, ich gedenke

Der Föhren, schwarz und hehr;

Ich glaubte, daß ihr schlankes Haupt

Dicht, dicht beim Himmel wär'!

Es war ein kind'scher Unverstand, –

Doch ach! wie traurig-klar:

Daß ich dem Himmel ferner jetzt,

Als da ich Knabe war!


Ebenso vermag die Liebe der Eltern oder Verwandten einmal matter zu werden, aber sie findet doch immer wieder neue Nahrung; die Gatten gedenken ihrer ehelichen Pflichten oder der goldenen Zeit ihres jungen Liebesglückes, und sie fühlen sich wieder neu für einander belebt, wenn die Gefühlswärme zu verschwinden begann – sie alle vermögen unter[264] Umständen ihr Lieben zu wollen und dasselbe sich dadurch lebendig zu erhalten; aber welcher Liebende würde je daran denken können, sich das Gefühl für seine Geliebte aus irgend welchen Rücksichten erhalten zu wollen – der bloße Gedanke an ein solches Wollen spricht das Todesurtheil des Gefühles aus, und nur der Schatten des letzteren irrt dann noch in der Seele umher.

Auf diese Weise behauptet die Geschlechtsliebe eine durchaus eigenthümliche Stellung; sie ist etwas Eigenartiges, welches sich grad' in dem Grundprinzipe ihres Wesens von anderen, mehr oder weniger verwandten Gefühlen scharf unterscheidet, und so muß wohl auch diese Besonderung bei der theoretischen Betrachtung genau festgehalten werden.

Ein Gefühl, welches seinen Ursprung von dem reinen Gefallen nimmt, ist stets sehr leicht verwundbar, und es kann zu seiner Erhaltung ihm von keiner Seite Hülfe geleistet werden. Jede einigermaßen erhebliche Veränderung seines Gegenstandes kann das ursprüngliche Wohlgefallen an demselben in das grade Gegentheil umschlagen lassen, und nicht weniger bedroht ist dieses Wohlgefallen durch die Veränderung des Subjectes. Und wo ist in unserer veränderlichen Welt ein Schutz gegen solche Veränderungen die aus unzähligen Ursachen jeden Augenblick eintreten können, als die bestimmte Beschaffenheit des Individuums selbst von einer großen und unabsehbaren Reihe ineinandergreifender Ursachen abhängig ist. Doch besitzt das Liebesgefühl theils durch die Tiefe des Eindruckes, aus dem es hervorwächst, theils durch die inhaltsvolle Befriedigung der Selbstliebe, welche sich unmittelbar mit ihm verbindet, in sich selbst eine Stütze, welche es vor allzu jähen Veränderungen schützt. Und selbst wenn wir zugestehen wollten: indem es auf den höchsten Gefallen als seinem ursprünglichen Prinzipe beruht, indem Alles, was es thut und treibt, was es dichtet und denkt, Steigerungen der gewöhnlichen Seelen- und Sinnenzustände enthält, veranlaßt es eine Anspannung der Lebensgeister, welcher nothwendigerweise eine Reaction folgen muß – selbst wenn wir dies zugestehen wollten, müßten wir doch ehrlich und wahrheitsgetreu hinzufügen, daß der lebendige Funke nie verlöschen, nie ersterben kann und unter der todten Asche fortglimmt, um seiner Zeit zu neuer Flamme emporzulodern. Wer kennt nicht Lord Byrons: »Einst, da wir schieden!« aus welchem der Wiederschein jener neuaufflammenden Gluthen lodert; die bei dem Gedanken an die von ihm getrennte Gattin sein Inneres durchzuckten:[265]


Einst, da wir schieden,

Weinend und stumm,

All' unser Frieden

In Leid gewandt um:

Fahl ward die Wange dir,

Kälter dein Kuß –

War's nicht, als bange mir

Herb'rer Verdruß?


Der Thaufall vom Morgen

Sank kalt mir und klar

Wie ein Vorfrost der Sorgen

Von heute in's Haar;

Und dein Schwur ist gebrochen,

Dein Leumund verblich,

Wird dein Name gesprochen,

Erröth' ich für dich!


Spricht von dir das Gelder,

Wie wird mir so trüb,

Es faßt mich ein Schauder ....

Was warst du so lieb!

Keins ahnt, daß voll Gluth ich

Mit dir einst gekos't,

Mein Herz weint sich blutig

Und findet nicht Trost.


Wir sah'n uns verstohlen –

Verstohlen ich's klag',

Daß dein Herz unverhohlen

Die Treue mir brach.

Soll't nach Jahren ich blicken

Dich wiederum,

Wie mein Grüßen dir schicken?

– Weinend und stumm!


Wie lang oder wie kurz die »drei schönen Frühlingstage: Liebe, Rausch und Jugend im Leben des Einzelnen sind, ist natürlich von individuellen[266] Verhältnissen abhängig, und hierbei sind nicht allein Wesen und Beschaffenheit des Individuums, seine vitale Energie, seine Kraft, Frische und Gesundheit, sondern auch die äußeren Lebensumstände desselben von wesentlichster Bedeutung. Im Grunde sollten wir von vornherein vermuthen, daß die Liebe sich nicht allein am reichsten entfalten, sondern auch am vollsten und längsten ausleben würde in denjenigen Existenzen, welche ihrer socialen Stellung nach den begüterten Classen angehören. Denn was spricht nicht Alles zu ihren Gunsten! Von allen belästigenden Zumuthungen, welche die Nothdurft des Daseins auferlegt, entbürdet, haben sie zunächst in sehr erhöhtem Maaße die Möglichkeit, den schönen Schein des Lebens um sich her zu verbreiten. Wie viel aber der schöne Schein für das Gefallen und also für die Liebe bedeutet, bedarf kaum einer weiteren Ausführung. Der einzelne Mensch erregt Gefallen nicht allein durch das, was er ist, sondern vor Allem auch durch die Umgebung, in der er sich befindet, diese hebt oder entstellt ihn. Kann sie seinen innern Werth nicht vernichten, so kann sie doch verhindern, daß derselbe zur Geltung kommt. Und hierbei handelt es sich noch gar nicht einmal um den innern Werth, sondern nur um Dasjenige, was, von Liebesblicken gesucht, mit süßem Liebreiz der Erscheinung unser Herz bestrickt. Die Umgebung ist für den Menschen häufig dasselbe, was günstige Beleuchtung, Licht und Schatten für die Landschaft ist. Dasselbe Landschaftsbild, welches uns heut' im vollen Glanze der Sonne entzückte, läßt uns morgen gleichgültig, weil wir es ohne die malerische Wirkung eines verklärenden Farbenspieles im nüchternen Grau daliegen sehen. Und so der Mensch. Mitten in den schönen Schein einer anmuthigen Wirklichkeit gestellt, ruht auf ihm Etwas von dem Abglanze seiner Umgebung; wird ihm aber der Boden derselben entrückt, so verlischt der Strahl, welcher ihn spielend mit Lichtwellen umgab. Es muß alsdann schon eine besondere Fügung der Umstände obwalten, wenn gleichwohl ein gleich magnetisch wirkender Zug, wie es unter einer günstigeren Umgebung der Fall sein konnte, das Gefallen an seine Person bindet.«

Größere Bedeutung noch als der schöne Schein, mit dem die besitzenden Classen ihr äußeres Leben zu umgeben vermögen, hat es, daß sie sich eher und besser die Freiheit der Stimmung zu erhalten im Stande sind. Die Freiheit der Stimmung ist theilweise abhängig von der Freiheit der Zeit, d.h. von der freien Verfügung über die dem Menschen zu Gebote stehende Zeit. Sie wird wesentlich beeinträchtigt durch angestrengte,[267] angespannte, keine Umschau gestattende und aufgenöthigte Arbeit. Wo, wie in den Lebensläufen Unzähliger dies die Regel bildet, welche die Noth des Lebens erzwingt, wo von früh auf ein beschwerliches Arbeitsjoch den werdenden Menschen in abstumpfender Gleichmäßigkeit belastet, da bleibt oft kaum eine Spanne, ein Bruchtheil Zeit übrig, um der Seele Ruhe und Freiheit zu gönnen, daß sie sich der Liebe öffne. Kein Bruchtheil Zeit und kein Bruchtheil Stimmung! Freilich erzwingt der Naturtrieb, der Liebe letzter und mächtigster Hort, sich schließlich doch immer Geltung, aber das Ergebniß ist alsdann immer ein von der Ungunst der Verhältnisse mehr oder minder entstelltes. So treibt der Same, der zwischen Stein und Trümmer, zwischen ein kärgliches Erdreich fiel, wohl auch eine Pflanze hervor, aber ihre Blätter, die sie mühsam durch das Gerölle an das Tageslicht bringt, sind bestäubt und beschädigt, und ihr Wachsthum ist ein verkümmertes.

Eine in der Liebe mächtig und eigenthümlich eingreifende Auszeichnung der bevorzugten Classen ist es ferner, daß der ganze Inhalt einer verfeinerten und intellectuellen Cultur auf sie einwirkt. Unendlich Vieles ist ja hierin mit inbegriffen, alle feineren Strömungen geistigen und sinnlichen Lebens, geistigen und sinnlichen Genießens nehmen hier ihren Ursprung. Empfänglichkeit für das Schöne und Aneignung desselben auf allen Gebieten, auf denen der menschliche Geist sich eine thätige Werkstätte desselben geschaffen hat, ist nur durch sie ermöglicht. Musik, Gesang, Poesie, die darstellenden Künste, selbst sinniger Naturgenuß erschließen ihre Schätze nur Dem, dem ein gewisser Grad höherer intellectueller Cultur erreichbar war. Die Welt des Schönen um uns wird erst tönend und leuchtend, indem sie von einer Nervenreizbarkeit empfangen und wiedergeboren wird, welche sich ohne ein bestimmtes Maaß höherer geistiger Cultur nicht aneignen läßt. Eine Natur, deren Leben fast ohne jegliche Gehirncultur den äußersten Grad des Robusten und Festen erreicht, ist zwar für alle Witterungseinflüsse und ihre schädlichen Folgen unzugänglich, aber auch allen Einflüssen der feineren Sinnenreize so gut wie verschlossen. Gerade die zartesten Verbindungen zwischen Außenwelt und Innenwelt, zwischen den Schwingungen draußen um uns und den Erregungsmittelpunkten drinnen in uns, können nicht geschaffen werden, da die Leitungen dazu einfach nicht vorhanden sind. Und wie nahe berührt dies alles nicht das Gebiet der Liebe, welches aller Duft der Poesie zu verklären, alle Glorie der Künste zu erhöhen[268] und zu schmücken beeifert und berufen sind. Reiner und glänzender strahlt ihr Bild, inniger und lebendiger wird ihr Pulsschlag empfunden, wo eine Seele, die dem Schönen sich erschlossen, ihr die Pforten öffnet, als wo ein Herz das ehrlich und brav, aber von Bildungseinflüssen wenig berührt, ihr eine Stätte bei sich bereitet.

Noch einen Punkt giebt es, der im Gegensatze zu der oben berührten Seite das materielle Uebergewicht der besitzenden Classen betrifft. Schon bei den Alten galt der Spruch: sine Cerere et Libero friget Venus, die Liebe ist der eigentlichen Dürftigkeit nicht hold. Flieht sie das schwelgerische Wesen und den Luxus der Paläste, so sitzt sie doch auch nicht gern vor leeren Schüsseln, und wo Schmalhans Küchenmeister ist und die Noth zum Fenster hereinschaut, da wird ihr unheimlich, sie macht sich davon und sucht sich einen trauteren Aufenthalt. Nun sind die besitzenden Classen vor dieser Extremität geschützt. Das Darben kommt bei ihnen nicht vor, sie sind also insofern jedenfalls denjenigen Classen der Bevölkerung auch hinsichtlich der Liebe überlegen, welche vor der Noth des Lebens sich nur mühsam und unzulänglich schützen können. Kommt diese Ueberlegenheit ihnen gleich wohl nicht zu Gute, verwandelt sich durch Mißbrauch der Segen wieder in Fluch, so hat das hier, wo es sich zunächst nur um die realen, der Möglichkeit nach verfügbaren Mittel handelt, außer Betracht zu bleiben.

Natürlich ließe sich leicht auch eine Gegenrechnung aufstellen, und wenn es sich darum handelte, den sittlichen Gehalt der höheren Classen der Gesellschaft nach ihrer Befähigung, die Liebe im Leben zu gestalten, abzuschätzen, so ließe sich eine solche Gegenrechnung auch gar nicht vermeiden. Diese würde alsdann die Gefahren der Halb- und Ueberbildung, der künstlichen Dressur für die Gesellschaft und ihre Ansprüche, der Zustutzung unseres Gefühlslebens nach den Gesichtspunkten der Convenienz, der Entwöhnung, Geist und Seele unmittelbar aus dem frischen Born der Natur zu speisen, der Abhärtung gegen die Lüge etc. zu berücksichtigen und nach diesen und ähnlichen Gesichtspunkten schließlich eine Bilanz aufzustellen haben.

Es ist ein Zug der gegenwärtigen Zeit vorhanden, welcher darin liegt, daß in ungleich erhöhtem Maaße gegen frühere Zeiten ein sehr gesteigerter Begriff des Wohllebens als Ideal des Lebensinhaltes die Gemüther beherrscht. Blicken wir in die Gesellschaft, und zwar nach welcher Richtung es immer nur sei, untersuchen wir, welche Schicht wir wollen, diejenige,[269] deren Beruf das Geld ist, wie ebenso diejenige, deren Beruf Kunst und Wissenschaft ist, wir finden kein schärferes, kein allgemeineres Gepräge, als eine große Verehrung des Wohllebens. Und zwar fast durchgehend in der völlig trivialen Form desselben – prächtige Wohnung, Kleiderstaat, Equipagen, Villa's, Diners, Badereisen etc. – oder so viel davon erreichbar ist – vor Allem aber äußerte Bequemlichkeit und in steigendem Maaße das Bedürfniß, alles sammelnde Thun ablehnen zu dürfen und immer auf's Neue der Erholung leben zu können. Zu anderen Zeiten ist, wie ja zugegeben werden muß, theilweise viel toller gewirthschaftet, viel excentrischer mit den Mitteln, welche der Reichthum an die Hand giebt, umgesprungen werden. In höherem Grade waren in manchen Perioden Zuchtlosigkeit, Schwelgerei, Raffinement des Genusses unter den bevorzugten Classen verbreitet, leichtsinniger und rücksichtsloser wurde die Lebenskraft in ihrem Dienste verschleudert. Seit durch den Industrialismus die Verschiebung des Reichthumes an die mittleren Classen begonnen hat, ist jene andere, schwerfälligere, solidere Art des Wohllebens in den Vordergrund getreten. Mehr Ehrbarkeit, weniger Kraft, mehr Materie, weniger Geist, mehr Langeweile, weniger Frivolität.

Mit seiner ganzen Schwere lastet dieser Zustand der Dinge vor Allem auf dem weiblichen Geschlechte. Das Weib der mehr oder minder vornehmen Gesellschaftsclassen ist es, welches am ungünstigstes dadurch beeinflußt wird, weil das Wohlleben in der geschilderten Form sich ihm als ein pasiv zu erduldender Zustand gegenüberstellt. Der Mann, von dem herrschenden Triebe der Verehrung des höchst gesteigerten Wohllebens erfaßt, hat vielleicht alle Spannkraft des Geistes, alle Arbeitskraft, welche seine Natur aufzubieten vermag, für die Beschaffung und Vermehrung der materiellen Mittel des Reichthums anzuwenden. Er macht sich ein Strebensziel aus dieser aufregenden und verzehrenden Jagd, für ihn ist das eine Gymnastik, was seine Frau und die Familie außerhalb des Bereiches aller sittlichen Gymnastik stellt. Es handelt sich daher vor allen Dingen um den weiblichen Nachwuchs, der die Verwöhnung des Daseins in tausendfältigen Formen von kleinauf ruhig über sich ergehen lassen muß, und dem die Gewöhnung an die Verwöhnung vollständig zur anderen Natur wird. So unvermerkt und selbstverständlich macht sich diese Gewöhnung, daß es gar keinen Widerstand, kein Zurwehrsetzen dagegen giebt, selbst wenn die Natur dazu aufgelegt wäre. Aber wie wenige[270] Naturen sind dazu überhaupt aufgelegt, in wie wenigen regt sich der Geist des Widerspruches, wenn der bequeme Schmeichelbetrug, daß verwöhnte Lebensgewohnheiten und die materielle Möglichkeit dazu ein wirklich vornehmbares Lebensprincip repräsentiren, von allen Seiten auf sie eindringt. Rechnen wir dazu noch die Kraft jenes kühlen Rechenexempels, welches jedem Kinde unserer Tage, männlichen oder weiblichen Geschlechtes, vollständig geläufig ist, daß alles dies lediglich vom Geldbesitze abhängt, so ist das Ergebniß keineswegs ein wunderbares. Dieses Ergebniß aber ist, daß jedes junge Mädchen der höheren Gesellschaftskreise schon sehr früh die Vortrefflichkeit, Schönheit und Unentbehrlichkeit bequemer, ja äußerst bequemer Lebensverhältnisse als ein, wenn nicht höchstes, doch kaum hoch genug zu veranschlagendes Gut schätzen lernt und die völlige Unerläßlichkeit begreift, in dieser Beziehung jedenfalls gedeckt dazustehen. Diese Lebensweisheit wird unendlich früh erworben, wie sie durch die frühesten Eindrücke geweckt und befestigt wird. Und diese bildet dann bewußt oder unbewußt die Grundlage, wonach später der Courszettel der Liebe entworfen wird.

Es giebt kaum einen Moment, welcher weniger in das Wesen der Liebe eingeht, als diese Art von solidem Materialismus. Wenn irgend Etwas unbestreitbar und unbezweifelt ihrer Gefühlsweise eigenthümlich ist, so ist es jener Zug eines aufwallenden Idealismus, der die materiellen Lebensgüter gering achtet, dem sie vollständig gleichgültig erscheinen gegenüber dem höheren Gute des Besitzes der Geliebten, wie dies Walter Scott in seinem »Mädchen von Isla« schildert:


O Maid von Isla, hoch vom Riff,

Das gähnend in die Tiefe sinkt,

Erspähst du jenes kleine Schiff,

Das trotzig mit der Brandung ringt?

Wie bäumt es sich und knirschet jach,

Sein Deck in Schaum und Gischt begräbt's;

Warum es trägt solch' Ungemach? –

O Isla's Maid, zur Heimath strebt's!


O Isla's Maid, die Möve schau',

Die schimmernd durch den Nebel glüht,

Wie durch der schwarzen Wetter Brau'

Im Zickzack sie zum Fels sich müht;[271]

Durch Meergebrüll und Wolkennacht,

Vom Sturm gepeitscht, vom Schaum genäßt;

Was zieht zum Felsen sie mit Macht? –

O Isla's Maid, ihr Heimathnest!


Wie Wind und Wetter jenem Schiff,

Bist feindlich meinem Werben du,

Und kalt wie Schnee auf jenem Riff,

Wo Möven finden Rast und Ruh';

Ob kalt wie Fels, wie Meerfluth trüb:

Zu dir doch komm' ich, Isla's Maid –

Im Grab nur oder deiner Lieb'

Ist Heimath mir und Seligkeit!


Wo dieser Aufschwung verhindert oder unmöglich gemacht worden ist oder wo er nur flügellahm von statten geht, da hat die Liebe von vornherein ihr Heimathsrecht eingebüßt, und keine Kunst, keine Geistescultur und keine sonstigen Vorzüge können ihr das Verlorene zurückgeben. Die Liebe ist ein sehr einfaches, aber kraftvolles Gefühl. Sie hat ein Anrecht auf die höchste Verklärung, welche der Geist ertheilen kann, und sie wird, von ihm geschmückt, nur um so herrlicher erglänzen, aber sie kann im Nothfalle auch dieses Schmuckes entrathen, ohne in ihrem Wesen geschädigt zu werden. Aber nicht bestehen kann sie, ohne ihre Nahrung zu ziehen aus jener gesunden, einfachen und straffen Seelenstimmung, welche die bequeme Verwöhnung und das ihr folgende innere Erschlaffen in ihrem innersten Bestande angreifen und verändern.


Als kühn beim Trommelwirbelklang

Der Krieger vorn im Treffen stand:

In seinen Traum dein Bild sich schwang,

Und gab die Schlacht in seine Hand.

Die Kindlein beim Drommetenschall

Sieht er sich schaukeln auf dem Knie, –

Dann stürmt er los zum Feindeswall

Und bricht hindurch für dich und sie!


sagt der englische Dichter Alfred Tennyson und bezeichnet mit seiner Strophe jenes kraft- und machtvolle, jenes siegreiche und unwiderstehliche Nachaußentreten der Liebe, welches nur eine Folge dieser einfachen und[272] straffen Seelenstimmung ist. Jedes dürftige Kind des Volkes, blaß und müde von seiner Hände Arbeit, das den Ertrag derselben als sein einziges materielles Gut unbedenklich seinem Liebsten opfert, steht der Substanz der Liebe näher, als die geist- und lebensprühende junge Dame der vornehmeren Kreise, die uns mit dem tiefsten Verständnisse eines Robert Schumann oder Franz Lißt entzückt, aber von der Liebe nichts weiter begreift, als daß sie die Krönung ihrer gewohnten Genüsse und die Erfüllung ihres Wohllebens sein müsse, jedenfalls aber nicht ohne dieselben gedacht werden könne.

Die Liebe aber ist die Poesie des Weibes. Jede Einbuße an der Ersteren ist auch eine Einbuße an der Letzteren bis zur völligen Vernichtung. Im tiefsten Grunde ihres Wesens ist daher das Kind des Reichthumes, die Tochter unserer durch materielle Glücksgüter ausgezeichneten Stände, auf die das Gesagte Anwendung findet – und auf wie wenige findet es nicht wenigstes theilweise Anwendung – eine unpoetische Erscheinung und Wesenheit. Wie sehr sie auch über Geist und Witz und Phantasie verfügen und äußere Vorzüge und Talente aller Art zu einem blendenden Gesammtbilde vereinen mag, das alles wird nur einen sehr dürftigen Beobachter und ein sehr bestechliches Urtheil über ihren Hauptmangel hinwegtäuschen. Diesen unersetzlichen Mangel aber faßt das eine Wort zusammen: die Tochter der verwöhnten Stände ist dem Schicksale ausgesetzt, nicht lieben zu können. Ist damit auch kein absolutes Muß ausgedrückt, das überall volle Anwendung findet, so bezeichnet es doch die Richtung, die mit gradweisen Unterschieden gültig ist.

In den hier erörterten Beziehungen nimmt das weibliche Geschlecht eine ausnahmsweise Stellung ein, welche sich in keine Vergleichung mit derjenigen des Mannes bringen läßt. Dieser Punkt ist wohl in's Auge zu fassen. Nehmen wir zwei Kinder, Knaben und Mädchen aus einem reichen Hause. Beide wachsen in einer wesentlich gleichartigen Umgebung auf, beide umgiebt derselbe Zuschnitt der Verhältnisse und beide erlangen vielleicht denselben Grad der Verwöhnung innerhalb eines sehr gepflegten, von allen Widerwärtigkeiten sorgfältig behüteten Lebens. Zollweise Unterschiede, die sich daraus ergeben, daß Erziehung und Lebensgewohnheiten des Knaben sich im Laufe seiner Entwickelung stets etwas kräftiger, derber, oder auch wohl rauher gestalten als beim Mädchen, wollen wir gar nicht in Anschlag bringen, sondern gleich den ungünstigsten Fall nehmen,[273] daß auch bei ihm das Wohlleben sich in der festesten Form als Begriff und Gefühl des unumgänglich Nothwendigen und völlig Unentbehrlichen etablirt habe. Die Folgen für beide Geschlechter, sobald das Liebesgefühl sich geltend zu machen beginnt und in die Gestaltung der Verhältnisse eingreift, ist gleichwohl keine gleichartige.

Der Mann erwirbt. Begeistert ihn eine Liebesneigung so weit, daß er ein völlig mittelloses Mädchen an seine Seite zu ziehen sich vornimmt, so kann er sich sagen: »Ich werde eifriger arbeiten als vorher; das Glück wird meinen Unternehmungen hold sein, und ich werde allen Glanz des Lebens besitzen und – sie dazu.« Dem Mädchen ist nicht die Möglichkeit geboten, ein solches Raisonnement anzustellen, und die Passivität ihrer Lage kommt hier zum schärfsten Ausdrucke. Bindet ihr Gefühl sie an einen vollständig mittellosen Mann, so spricht sie damit eine Trennung von dem bisherigen Glanze und der Bequemlichkeit ihres Lebens aus. Die Trennung braucht allerdings nicht eine unwiderrufliche zu sein, die Jahre mögen eine Aenderung bringen, einen Wechsel, eine Verbesserung herbeiführen, aber vorläufig ist sie doch eine Thatsache, deren Aufhebung in das Reich der Unsicherheit gehört. Und dies gilt für alle Fälle, den einzigen etwa ausgenommen, in welchem das verfügbare Vermögen des jungen Mädchens auf der Stelle alle Schwierigkeiten hebt und ebnet.

Der Unterschied ist somit sehr in die Augen springend. Der junge Mann kann doch jenem aufwallenden Idealismus, von dem oben die Rede war, nachkommen und Folge leisten, seine Verhältnisse und geistigen oder materiellen Mittel erlauben ihm das, er stellt einen Wechsel auf seine Zukunft aus und schlägt sich einstweilen die Sache aus dem Sinne, um seinem Liebesglücke zu leben. Ihn belastet, da er solchergestalt ein Auskunftsmittel besitzt, der Materialismus der Verhältnisse bei Weitem nicht so drückend und so entscheidend wie das Weib.

Ich erinnere daran, daß ich an dieser Stelle nur von diesem Materialismus des Wohllebens spreche und von nichts Anderem. Wenn das Burgfräulein vergangener Zeiten den niedrig geborenen Knecht verschmähete, für dessen Wohlgestalt und körperliche Vorzüge sie im Innern gleichwohl erglühte, so gestattete sie zwar auch der Liebe, die den Standesunterschied nicht kennt oder wenigstens nicht achtet, keinen freien Spielraum, aber zwischen dem Momente, welches der Liebe dort hindernd in den Weg trat, und dem, welches aus einer bloßen Gewöhnung des Wohllebens heraus[274] das Gleiche bewirkt, ist doch wohl der erheblichste Unterschied. Dort vernichtete das Standesurtheil, das, so engherzig und grausam es sein kann, doch eine Menge ethischer Beziehungen in sich aufnimmt, eben durch diese letzteren die Möglichkeit, daß der Knecht seiner Herrin im vollsten Sinne des Wortes als Ideal erscheinen konnte. Sie mochte ihn bewundern und gewissermaßen eine Sehnsucht empfinden, ihn als Geliebten anschauen zu dürfen, aber sie vermochte es eben nicht, ihn in Wirklichkeit so zu erblicken. Seiner Männlichkeit fehlte ein Wesentliches, welches ihr befangener Sinn nicht von dem Geliebten zu trennen vermochte, und er war entstellt in ihren Augen, wie sehr sie auch sonst in jeder andern Beziehung ihm den Preis zuerkannte. Mit diesem seelischen Vorgange, der in allen ähnlichen, auch den modernen Verhältnissen wiederkehrt, wo ein wirkliches Standesbewußtsein die Schranke errichtet, hat selbstverständlich jeder andere, den ich berührte, nichts gemein. Er haftet als eine Eigenthümlichkeit an unserer Zeit und an Zuständen der Gesellschaft und Personen, die ebenso leicht an Vorurtheilen und leider häufig auch an Ueberzeugungen, als schwer am Materialismus der Genußsucht zu tragen haben.

Es existirt ein psychologischer Zusammenhang, der sich meines Erachtens gar nicht verkennen läßt, obwohl er wenig beachtet wird, zwischen den hier erörterten Beziehungen und der Cameliendamen-Literatur, deren Blüthe wir alle erlebt haben. Diese Literatur, so spezifisch französisch sie ist, so individuell sie außerdem ihrem geistigen Vater angehört, ist doch gleichzeitig eine signatura temporis und muß in diesem Lichte betrachtet werden. Sie enthält – von allen Redensarten abgesehen, welche der herkömmlichen Moral, dem Anstande, gewissen Schicklichkeitsrücksichten etc. zu Liebe gemacht werden und die eben nur Redensarten sind – nur Eins, was ihr spezifisch eigenthümlich ist oder vielmehr ihren Kern bildet: die Apotheose des gesunkenen Weibes. Und der langen Reden, welche bei Gelegenheit solcher Apotheosen gehalten werden, kurzer Sinn ist immer: »Es ist wahr, dieses Weib ist gesunken, sie hat zügellos ausgeschweift, sie hat die Sitte beleidigt und mit Füßen getreten, sie hat excentrisch geschwelgt, aber sie liebt gleichwohl, sie kann lieben. Berührt von der Liebe, an die sie selbst nicht mehr glaubte, stößt sie die Pracht, in der sie lebte, weit von sich... sie ist eine poetische Erscheinung.« Und grad' hier liegt das Verbindungsglied mit dem Materialismus der Gesellschaft. Ich vermeide, über dieses Thema weitläufig zu werden und in Untersuchungen über die[275] Verzerrung, welche das Poetisch-Reine durch seine Einsenkung in unreine Lebensverhältnisse erleidet, einzugehen. Aber zu bestreiten scheint mir nicht, worauf es mir zunächst ankam, daß, je unpoetischer das Weib in der Gesellschaft wird, desto mehr dem Verzerrt-Poetischen eine Folie erwächst, welche dasselbe emporhebt.

Dieser Hebel wird nicht zu übersehen sein, wenn wir verstehen wollen, warum grade jetzt mehr wie in früheren Zeiten ein literarischer und Bühnenerfolg der gedachten Art ermöglicht war. Daß andere Momente außerdem bedingend eingreifen, wird damit natürlich nicht in Abrede gestellt, aber unsere Untersuchung hat sich auf diese nicht einzulassen.

Treten wir aus diesem niederen Dunstkreis heraus und richten wir unsern geistigen Blick noch einmal auf die Lichterscheinung, deren unveränderliches, wenn auch oft nur in schwachen Linien angedeutetes Wesen wir zu erkennen uns bemühten. Geboren von dem Drange des organischen Werdens, tritt die Liebe als sehnendes Verlangen in des Menschen Leben; sie erschafft sich ein Ideal, mit dem in Eins verbunden zu werden, der Traum ihrer Träume ist; sie erhält in der Gegenliebe die äußerste Beseligung; sie schaut voll reiner Empfindung des höchsten Entzückens in das Himmelreich eines Glückes, in dessen Anschauen ihr alle irdische Umgebung verwandelt erscheint und das eigenste Wesen des Menschen den flammenden Liebesopfertod ersehnt. Die Liebe ist ungelehrt und ungelehrig. Sie kennt nur den einen Artikel ihres kurzen Glaubensbekenntnisses und weiß und begreift nichts von einer Pflichtenlehre. Bei dem leisesten Versuche eines Zwanges entflieht sie, freiwillig aber gewährt sie ohne Rückhalt Alles, was sie besitzt. Die Liebe ist herrisch, wo ihre Kraft herausgefordert wird, und sie wohnt nicht in einer Seele, welcher durch Naturanlage solche Kraft nicht eigen ist oder der sie im Wohlleben versiechte, aber ihr eigenstes Wesen ist doch: selige Ruhe, selige Selbstgenüge, tiefste Befriedigung, die wie ein kraftvoller Athemzug in reiner Luft den ganzen Menschen, Leib und Seele, im innersten Grunde des Seins ernährt und erquickt. Welchem Menschenkinde sie fehlt, dem kann nicht der Ausruf gelten: »ich habe gelebt,« denn die Liebe ist eben das Leben, ohne ihr ist das Letztere nicht möglich, und da sich in der Liebe der Geschlechter der beglückende und beseligende Einfluß der göttlichen Himmelskraft am deutlichsten zeigt, so giebt es wohl keine größere Entsagung, als das Verzichten auf diese[276] Liebe oder die Entbehrung jener Zuneigung, welche Mann und Weib wie für Ewigkeiten vereinigt. Das ist es, was der englische Dichter Toulmin so ergreifend in seinem »Blinden Mädchen« schildert:


'S ist nicht, weil ich die Vögelein,

Die Blumen nicht kann seh'n,

'S ist nicht, weil ird'sche Schönheit mir

Ein traumhaft Phänomen;

Nicht, weil verschlossen mir der Raum

Des Himmels blau und rein,

Des Berges Haupt, der Welle Schaum,

Daß ich so seufz' und wein'!


Die Vögel, deren Lied so voll

Mir tönt und süß und rein,

Die eben sollen von Gestalt

Nicht alle lieblich sein;

Die schönsten Blumen, sagen sie,

Entlockt dem Erdenschooß,

Sind meine Lieblingsblumen nicht –

Nein, kalt und düftelos!


Mein kleiner Bruder führet mich

Zum Veilchen thaugetränkt;

Kenn' seinen sanft-vorsicht'gen Tritt,

Das Händchen, das mich lenkt;

Der Mutter Wort ist sanft und süß,

Musik ihr Nein und Ja,

Der ganze Luftkreis athmet Lieb',

Wenn Eins von Beiden nah'.


Mein Vater zieht mich an sein Herz,

Um mich den Arm er flicht,

Und küßt sein armes, blindes Kind –

Sein theuerstes er spricht!

Dann geht mir's wie ein Stich durch's Herz

So jäh – ich seufz' und wein',

Und denk': der Lieb' in's Aug' zu schau'n,

Wie glorreich muß es sein![277]


Für einen logischen Kopf giebt es vielleicht nichts Unfruchtbareres, Sinnverwirrenderes und Ermüdenderes, als die große Debatte, ob die Frauen für befähigt zu erachten sind, am politischen Leben in einem activeren und ausgedehnteren Sinne, als es bisher üblich war, teilzunehmen. Nichts Unfruchtbareres und Ermüdenderes, denn selbst die zugegebene Befähigung entscheidet nichts für die Hauptfrage, der sie doch eigentlich zu Gute kommen soll: ob nämlich eine solche Antheilnahme der Frauen zu erstreben ist und ob wir die dahin zielenden Bestrebungen zu secundiren und ihnen wenigstens unsere moralische Unterstützung zu leihen haben. Sie entscheidet für diese Hauptfrage nichts, wenn sie nicht gleichzeitig die andere Frage, bei der aber gänzlich veränderte Gesichtspunkte zur Geltung kommen, entscheidet, ob die Begünstigung einer etwa vorhandenen und also als thatsächlich anzuerkennenden Befähigung des Weibes für das öffentliche Leben nicht ihre unzweifelhaft vorhandene und außer aller Debatte stehende Befähigung, als Mutter d.h. als Ernährerin des Menschengeschlechtes zu wirken, beeinträchtigen, schmälern, und also ganz oder theilweise aufheben würde.

Kommen wir aus irgend welchen Gründen dazu, diese Frage zu bejahen, so hilft es uns nichts, daß wir vorher die Befähigung des Weibes für das politische Leben nicht in Abrede gestellt haben, da die Waagschale in solchem Falle entschieden zu Gunsten des Bestehenden zu Boden zu sinken scheint. Es dürften sich wohl nur wenige vorgeschrittene Geister finden, welche den Verlust, den die gesammte Menschheit erleiden würde, wenn der ernährende und erziehende Beruf des Weibes als Mutter eine ernsthafte und unvermeidliche Schädigung erlitte, durch den Gewinn, den das politische Leben etwa erfahren würde, genügend compensirt finden könnten, oder welche die Frage mit der Tentenz genügend abgethan und erledigt erachten, daß es sich um ein Recht der Frauen handele und daß ein Recht stets allen anderen Rücksichten vorauszugehen habe. Das angebliche Recht läßt sich ohnehin auf den Nachweis der Befähigung unmöglich allein gründen. Jede Befähigung ist nicht ohne Weiteres und durch sich selbst schon ein Rechtstitel für die Ausübung und Bethätigung der in der Befähigung liegenden Anlage und Kraft, sondern sie ist es jedenfalls nur dann, wenn dadurch unzweifelhaft bestehende, allgemeinere Pflichten nicht geopfert werden.

Das politische Leben besteht und kann zur Noth bestehen auch ohne die Heranziehung der Frauen zum Staatsdienst und zur Ausübung öffentlicher[278] Pflichten; die öffentlichen Angelegenheiten werden verwaltet auch ohne die begehrte Ausübung des politischen Stimmrechtes, wie aber die Pflege und gedeihliche Entwickelung des heranwachsenden Menschengeschlechtes zu Stande kommen sollte ohne die auf diese größte Aufgabe unverbrüchlich geleitete und an ihr beharrlich ausdauernde mütterliche Pflege und Fürsorge des gesammten weiblichen Geschlechtes, das entzieht sich nicht nur aller und jeder Berechnung, sondern auch aller und jeder Vorstellung. So lange aber eine solche Vorstellung nicht besteht, so lange uns nicht irgend Jemand anzugeben vermag, wie ein Ersatz für das, was das Weib gegenwärtig leistet, zu beschaffen, wie ein Ausfall zu decken wäre, so lange dürfen wir von einer Pflicht des Weibes reden, auf diesem Posten auszuharren, so lange müssen wir alle vorgeschlagenen und angestrebten Aenderungen in seiner Stellung hauptsächlich von diesem Gesichtspunkte aus betrachten und entscheiden.

Gegenüber der Behauptung, daß es überhaupt gar keinen weiblichen Geschlechtsberuf giebt, sondern nur einen allgemein menschlichen und einen individuellen, halten wir uns berechtigt, hierbei von einem Berufe des Weibes als Weib zu reden, weil der Beruf eines größeren Ganzen, eines Stammes, eines Volkes, einer Nation, einer Abtheilung der Menschheit – und also auch der weiblichen Abtheilung – immer dann entsteht und vorhanden ist, wenn dieselben zu einer bestimmten Leistung befähigt und ausgerüstet sind, wenn solche Leistung von niemand Anderem übernommen werden kann und wenn dieselbe für die Erhaltung und Entwickelung des Ganzen wesentlich und unentbehrlich ist. Diese drei Indicien treffen, bis der Gegenbeweis erbracht ist, daß ein Ersatz im Reiche der Möglichkeit liege, auf die ernährende Qualität des Weibes in der weiteren Bedeutung des Wortes zu, und deshalb wird hier mit durchaus richtiger Anwendung des Sinnes von einem Geschlechtsberuf des Weibes stets geredet werden müssen. Daß es individuelle Ausnahmen, gewissermaßen falsch construirte Frauennaturen giebt, braucht nicht erst bewiesen zu werden, da dieselben selbst dafür sorgen, daß sie nicht in Vergessenheit gerathen, aber es ist doch wohl eine starke Zumuthung, daß wir uns grad' durch sie über das Nichtvorhandensein des weiblichen Geschlechtsberufes unterrichten und überzeugen lassen sollen.

Die Frage: würde und müßte eine lebhaftere Betheiligung des weiblichen Geschlechtes an den Pflichten und ausübenden Thätigkeiten des[279] öffentlichen Lebens nicht ihre Befähigung, Ernährerin des Menschengeschlechtes zu sein, beeinträchtigen, ist also die allerwichtigste und allererste, und jedenfalls kommt ihr, wenn man den Gegenstand prinzipiell und umfassend behandeln will, keine geringere Bedeutung zu, als der nach der Befähigung des Weibes für das öffentliche Leben. Sehr beherzigenswerthe Worte über diese Seite der Frage enthält die Schrift eines der gründlichsten und besonnensten französischen Schriftsteller, des 1872 verstorbenen Grafen Agenor de Gasparin. Die aus seinem Nachlasse veröffentlichte und von R. Lutz übersetzte Broschüre: »Was die Frauen fordern« (Bremen, Heyse 1873) faßt zunächst die Einführung der allgemeinen Abstimmung in das Auge. Gasparin bezweifelt das Gelingen.

»Die echten Frauen,« sagte er, »werden von diesem Rechte keinen Gebrauch machen; sie werden weder dem Tumulte noch den unsanften Berührungen des öffentlichen Lebens die Stirne bieten; selbst angenommen sie hätten es auch nur einen Tag lang versucht, so würden sie voll Bestürzung und Schamgefühl eilends ihre Heimstätte wieder aufsuchen, um sich daselbst zu verbergen und sie nicht zum zweiten Male zu verlassen. Statt der allgemeinen Abstimmung würdet Ihr erreichen was das Schlimmste wäre: die Abstimmung einer Minderzahl, einer Minorität irregeleiteter Geister, fraglicher Existenzen von Frauen, die nichts mehr zu verlieren haben. Um eine solche Minorität politischer Frauen zu befriedigen, hättet Ihr den holdseligen Einfluß und den edeln Beruf der Frauen überhaupt in Frage gestellt.«

Der Verfasser erwägt alsdann die allgemeinen Folgen, wenn es zur Einführung der Abstimmung käme, und wenn er hierbei auch zunächst an französische Zustände und an den Character seiner Nation denkt, so läßt sich seinen Bemerkungen doch eine gewisse Allgemeingültigkeit nicht absprechen.

»Man vergesse nicht,« sagt Gasparin, »daß wenn in sturmbewegten Zeiten die Frauen mit abstimmen, die Leidenschaft nur es sein wird, welche die Stimmen abgiebt. Es handle sich um Krieg, und man sieht die Frauen sich noch kriegerischerer geberden als wir; denkt an die Weiber der Griechen, Römer, Germanen, Gallier; erinnert Euch der Spinnrocken, mit denen sie die friedliebenden Jünglinge beschenkten; und werfen wir – ohne so weit zurückzugreifen – nur einen Blick auf die jüngsten Ereignisse, welche Pulvertrunkenheit, welche Gier nach Aufregung, welchen Epaulettencultus[280] und was für ohnmächtige und unter dem Anstrich des Patriotismus verborgene Wuthausbrüche gewahren wir da! Handelt es sich um Revolution, so sehen wir die schrecklichen Gestalten wüthender und blutgieriger Weiber mit schäumendem Munde, das Messer in der Hand, stets bereit, Reden zu halten und abzustimmen, zu morden und den Männern ihre Feigheit und Weichlichkeit vorzuhalten!

Wir dürfen uns ferner nicht verhehlen, daß die Abstimmung von Frauen in sämmtlichen katholischen Ländern vor Allem von der Geistlichkeit würde unterschrieben werden. Es ist der Mühe werth, darüber nachzudenken. Diese Abstimmung abgerechnet – was verdanken wir der Geistlichkeit nicht bereits? Die Expedition von Mexico, von China, von Rom, die Kriegserklärung an Preußen. Mit dieser Abstimmung hätten wir ihr die Erweckung eines lateinischen Europa's im Kampfe mit dem protestantischen zu verdanken, vielleicht die vermittelnde Sendung unserer Truppen in den Orient zur Förderung der katholischen Mission; vielleicht sehen wir unsere Truppen in Italien, um die weltliche Macht des Papstes wieder aufzurichten, vielleicht in Spanien, wenn dieses seine Pforten dem Evangelium allzuweit öffnen würde. Fügen wir hinzu, daß die politisch-religiösen Fragen allein im Stande sind, die große Mehrheit der Frauen trotz ihrem innern Widerstreben gegen die Abstimmung, dahin zu drängen und daß die Geistlichkeit sie dahin treiben möchte.«

Gasparin untersucht ferner, welche Bedeutung es für das Leben der Frau haben müßte, wenn ihr gewisse öffentliche Aemter übertragen würden. Er sagt hierüber unter Anderem:

»In den Vereinigten Staaten haben Hunderte von Mädchen das Diplom als Aerzte erhalten. In Frankreich fangen einige Frauen an, die ›Ecole de médecine‹ zu besuchen, und mehrere haben die Prüfung mit Auszeichnung bestanden. Wenn es sich, wie es heißt, nur darum handelt, den Frauen überhaupt nur Aerzte ihres eigenen Geschlechtes zu geben, um dadurch ein berechtigtes Zartgefühl zu schonen, so ist Alles recht und wir haben Nichts dagegen einzuwenden; und wenn Amerika beabsichtigt, einen Theil seiner weiblichen Aerzte nach China und dem Oriente zu schicken, um ihnen mittelst ihrer medicinischen Kenntnisse den Zutritt in die Harems zu verschaffen, so können wir diese Ausdehnung des Feldes weiblicher Thätigkeit nur willkommen heißen. Man spreche aber nicht von Frauen als Advokaten und Pfarrern: alsdann wächst die Unverträglichkeit,[281] denn hierbei verschwindet die Frau, um nur noch einen Mann im Weiberrock übrig zu lassen.

Man versuche, sich ein junges Mädchen als Pfarrer vorzustellen, während der Mann unter den einfältigen Gläubigen Platz nimmt! –

Es gilt: zu wählen. Selbst bei völliger Gleichheit der Fähigkeiten kann man nicht Alles zumal sein. Die Frau wie auch wir, wir müssen uns mit einer von zwei Rollen begnügen.

Wohlgemerkt, das öffentliche Leben läßt sich mit dem weiblichen Beruf um so weniger vereinigen, als dasselbe immer größere Anforderungen an uns stellt. Mit den freien Einrichtungen wachsen auch die Bürgerpflichten. Bald ist es eine Wahl mit ihren vorausgehenden Versammlungen und Vorbereitungen, bald eine Stadtraths-, Gemeinderaths- oder andere Sitzung; bald sind es Untersuchungscommissionen oder Zusammenkünfte, wo gewisse Fragen verhandelt, angegriffen und vertheidigt werden bald sind es Zeitungen, die politische Literatur, Rundschreiben an die Wähler und Anderes mehr, das uns beschäftigt. Und diesem Allen soll sich die Frau, sollen sich die Kinder, vom Manne ganz zu schweigen, anbequemen? Es sei denn, daß der Mann durch einen gerechten Umschlag der Dinge, nachdem er ja lange genug die Staatsangelegenheiten besorgt hat, dazu verdammt werde, den Küchenlöffel zu führen und die Kinder zu reinigen!

Geben wir uns keiner Täuschung hin. Die politische Emancipation braucht nicht in ihrer ganzen Ausdehnung zur Anwendung zu kommen, um viel Unheil anzurichten. Schon die Idee reicht hin, die Familie zu erschüttern. Das falsche Ideal verrückt die Stellungen, verfälscht die gegenseitigen Beziehungen und stört das liebende Vertrauen.

Die Frauen, welche die politische Gleichheit fordern, versichern zwar laut und meinen es wohl ohne Zweifel auch ganz treuherzig: sie würden weder ihre Pflichten als Ehefrauen versäumen, noch ihre Pflichten als Mütter; sie würden im Gegentheil, indem sie sich mehr Wissen und Lebensernst aneigneten, ihre Verpflichtungen um so besser erfüllen können. Wir bestreiten diesen Punkt keineswegs. Die geistliche und sittliche Ausbildung könnte nur ein willkommener Vortheil sein. Allein es handelt sich nicht um die Ausbildung, sondern um die dem einen Geschlechte gehörigen Rechte und Pflichten, welche das andere beanspruchen will; es handelt sich um die ganze Umgestaltung des Berufes, der Gedanken, der Arbeiten, der[282] Individualität, und man wird uns schwerlich überreden können, zu glauben, daß, während es den Männern so schwer wird, Männer zu sein, die Frauen, ohne ihren Frauencharacter aufzugeben, ebenfalls Männer werden, d.h. zwei Rollen auf einmal übernehmen, einen doppelten Beruf ausüben, die Menschheit in ihrer zweifachen Erscheinung darstellen könnten. Die Frau ginge uns dabei verloren, ohne ein Mann zu werden. Dafür aber würden wir dieses mißgestaltete Etwas, dieses abstoßende Wesen erhalten, welches bereits in unserem Gesichtskreise auftaucht. Das Erscheinen des Mannweibes ist mehr als eine Drohung, ist es beinahe eine vollendete Thatsache. Sein Vorläufer ist die burschenhaft auftretende Jungfrau; sie wird Zeitungen redigiren, Reden einstudiren, Wahlumtriebe machen; zum Streite in Wort und Schrift stets gerüstet, ebenso sehr Pedant wie Politiker, wird sie durch unsanfte Berührung bald die schamhafte Zurückhaltung, welche zugleich die Anmuth und den Schutz ihres Geschlechtes ausmacht, abgestreift haben; mit dem weiblichen Reize wird unsere Achtung schwinden, und da wir es nur noch mit Männern zu thun haben, werden wir roh und lümmelhaft werden.

Wer sollte uns die feine Gesittung lehren, gegen wen brauchten wir Rücksichten zu üben, wozu unserm Wohlbehagen das geringste Opfer auferlegen? Die Sitten werden sich ihrer Geschmeidigkeit entkleiden, der Verkehr wird kalt und schroff werden, der wahre Anstand, die echte Feinheit, die gute Sitte – lauter Dinge, die unter dem Auge der Frau gepflegt wurden, werden verschwinden, sobald es keine Frauen mehr giebt. Der Schutzengel senkt seine Flügel, das Haus steht öde und jedem Widerstande preisgegeben, ein Gegenstand ohne Namen, den man mit Entsetzen flieht.«

So weit Gasparin!

Der vortreffliche und geistreiche Verfasser des Buches »La famille« hält auch hierbei seinen Blick vor Allem auf die Familie gerichtet, ein Umstand, welcher seinen Auseinandersetzungen keineswegs wohl zum Schaden gereichen wird. Das Weib in der Familie ist ihm eben das Weib in seiner ernährenden Eigenschaft, und selbst wenn wir die Möglichkeit zugeben wollten, daß die Familie nichts Unvergängliches wäre, daß eine spätere Zeit eine andere Form des geschlechtlichen Beisammenlebens schaffen könne, so würde doch eben nur die Form geändert sein. Jenes tiefe und innige Zusammenhalten der einzelnen Familienglieder,[283] welches in der Natur eines jeden einzelnen Menschen begründet ist, wirft seinen verklärenden Schein sogar auf leblose Dinge und Gegenstände, wie Eliza Cook in ihrem »alten Lehnstuhle« so schön ausführt:


»Ich lieb' ihn! ich lieb' ihn! – Wer schmälte mir

Zu lieben den alten Lehnstuhl hier?

Ich hab' wie ein Kleinod geheget ihn lang,

Mit Thränen benetzt und umseufzet bang;

Verknüpft sind wir uns tausendfach,

Keine Bande bricht, keine Fessel giebt nach;

Und fragt ihr warum? – Eine Mutter saß hier,

Und ein Heiligthum ist der Lehnstuhl mir!


In Tagen der Kindheit saß ich nah'

Dem geweihten Orte versunken da,

Wenn die Mutter in Worten lieb und hold

Mich lehrt' wie ich leben und sterben sollt',

Nie treffe, verhieß sie, uns Schmach und Spott,

Wenn die Wahrheit uns Richtschnur und Lenker uns Gott;

Sie lehrte mich lispeln mein frühstes Gebet,

Das ich knieend am alten Lehnstuhl gefleht.


Wie hab' ich so liebend nach ihr geschaut,

Als matter ihr Blick ward, ihr Auge ergraut';

Wie der Heiligen eine lächelte lind'

Von der Bibel sie auf, zu segnen ihr Kind.

Und Jahre vergingen... ein letztes kam,

Das zurück einen Engel zum Himmel nahm;

Was ein Herz ertragen kann, lernt' ich da,

Als ich sterben im alten Lehnstuhl sie sah!


Vorüber! Vorüber! – Doch denk' ich der Zeit

Mit stockendem Odem, mit brennendem Leid;

Dort war's wo sie liebte, dort wo sie entschlief,

Und Erinnerung glühet wie Lava tief.

Ja! heißt es nur Thorheit, von Schwäche klagt,

Wenn glühend sich Thräne mit Thräne jagt,

Doch ich lieb' ihn, ich lieb' ihn – zu keiner Frist

Mein Herz einer Mutter Lehnstuhl vergißt[284]


und in der Tiefe und Innigkeit dieses Zusammenhaltens scheint die Gewähr zu liegen für das unveränderte Fortbestehen der Familie. Und sollte die Form eine Veränderung erleiden, so bleibt doch das Princip dasselbe, und der zu Grunde liegenden Bedeutung nach ist es gleichgültig, ob ich sage: legt nicht Hand an die Familie, oder: legt nicht Hand an das Weib in seiner ernährenden Eigenschaft! Dieser letztere Ausdruck hebt nur das Verhältniß, auf das es meines Erachtens nach vor Allem ankommt, am schärfsten und bezeichnendsten hervor; er läßt weniger Unklarheit aufkommen, als wenn ich die Vorstellung der Familie erst dazwischenschiebe, und bezeichnet einfacher die Richtung, der sich unsere Betrachtung vor Allem zuwenden sollte.

Am ehesten ist wohl hinsichtlich der beanspruchten Antheilnahme am politischen Leben zu der Einsicht und Ueberzeugung zu gelangen, daß dieselbe in der That mit dem natürlichen Berufe des Weibes in der hier immer festgehaltenen Bedeutung des Wortes unverträglich ist, daß dieselbe die unentbehrlichste Leistungsfähigkeit desselben in dieser Richtung schmälern und mehr oder minder aufheben müßte, und daß die Oeconomie im Welthaushaltungsplane, wie wir sie vorläufig noch begreifen und verstehen, ein solches gefährliches Experiment noch nicht verträgt. Aber der gleiche Gesichtspunkt findet natürlich, da es sich hierbei um ein Grundverhältniß in der Stellung des Weibes handelt, Anwendung auf die unendlich viel ernsthaftere, verwickeltere und schwierigere Seite der Frage, welche einerseits die Arbeit und andererseits die Erziehung der Frau betrifft.

Die Schwierigkeit ist deshalb so ganz anderer und viel ernsthafterer Art, weil sich den hier entstehenden Forderungen kein radikales Veto wie auf politischem Gebiete entgegensetzen läßt, sondern es sich hierbei auf die Untersuchung von Fall zu Fall handelt. Wir können und müssen, wenn wir den Blick auf das Ganze gerichtet halten, wozu wir als Gesetzgeber verpflichtet sind, die politischen Forderungen der Frau a limine abweisend behandeln, aber wir haben bei der Frage der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechtes resp. der Erweiterung derselben die socialen Nothstände welche dahin drängen, zu berücksichtigen und bei der Frage nach der Betheiligung des weiblichen Geschlechtes an den höheren Bildungsmitteln die thatsächlich vorhandenen Gebrechen in der Erziehung des Weibes in das Auge zu fassen, die uns ebenfalls jederzeit geneigt machen müssen, Verbesserungsvorschlägen[285] ein offenes Ohr zu leihen. Je mehr wir den politischen Ansprüchen, nachdem wir ihre Unzulässigkeit begriffen haben, unsere Unterstützungen versagen, desto mehr kann es als Pflicht erscheinen, sie nach der anderen Seite mit vollen Händen zu spenden. Meistens steht die öffentliche Meinung auf diesem Standtpunkte, und grad' die wohlmeinendsten Geister lassen sich hierin nicht gern irgend welche Einschränkungen auferlegen. Einschränkung gilt als Conservatismus und zopfige Engherzigkeit. Werden edle Vorhalte überhaupt noch gemacht, so beziehen sich diese, wie namentlich bei der Zulässigkeit des Erwerbs höherer Bildung für das weibliche Geschlecht, hauptsächlich doch nur auf die Durchführbarkeit.

Daß es nicht mehr wie recht und billig sei, dem weiblichen Geschlechte das volle Bildungsmaterial in demselben Umfange wie dem männlichen zur Verfügung zu stellen, wird meistens ohne viel Bedenken zugegeben. Kenntnisse und Aneignung von Bildung ist ja etwas so Vortreffliches, das Verlangen darnach ist etwas so Anzuerkennendes, wie sollte es angehen, das weibliche Geschlecht außerhalb der vollen Strömung derselben halten zu wollen?

In dieser Richtung geht ein außerordentlich starker Zug der Zeit, und derselbe würde, unterstützt von der rührigen Propaganda der eigentlichen Frauen-Pionniere, noch bedeutend fühlbarer sein, wenn die materiellen Hindernisse nicht so außerordentlich erhebliche wären, wenn der Kostenpunkt, die Gewöhnung unserer Sitten und andere Momente nicht zusammenwirkten, um beispielsweise der Benutzung der vorhandenen höheren Lehranstalten von Seiten des weiblichen Geschlechtes, der Schaffung von Mädchengymnasien u. drgl. mehr erschwerend entgegenzuwirken.

Allein diese Hindernisse können überwunden werden, und wenn Amerika, welches auf diesem Gebiete tonangebend ist, uns das Experiment vormacht und uns den Beweis der Fruchtbarkeit der weiblichen gelehrten Bildung durch Ernennung einer Anzahl von weiblichen Prozessoren auf allen möglichen Gebieten des Wissens liefert, so wird für Unzählige, welche die Frage nur von dieser Seite betrachten, die Frage gelöst erscheinen. Der Zweifel verstummt. »Es geht in der That; es würde kleinlich sein, sich den glänzenden Resultaten ungläubig verschließen zu wollen; die Thatsachen reden laut und deutlich,« sagt man. Allein was reden denn eigentlich die Thatsachen in solchem Falle? Doch höchstens[286] nur, daß die Anlagen des weiblichen Geistes in individuellen Fällen einen weiteren Wissenshorizont zu umspannen vermögen, als ihnen bei den gegenwärtig ihnen gewährten Bildungsmitteln meistens erreichbar ist. Nun, wer sollte das bezweifeln? Schon die zu Nero's Zeit lebende Epidauererin Pamphile, die 33 Bücher geschichtlicher Denkwürdigkeiten verfaßte, lieferte das merkwürdige Beispiel einer weiblichen Gelehrsamkeit, die eine staunenswerthe Belesenheit mit der gründlichsten Kritik vereinigte. Und wenn Pamphile nicht Professor war, so verdiente sie es jedenfalls zu sein.

Aehnliche Beispiele finden sich durch alle Zeiten bis auf die neueste. Wo eine besondere Gunst der Verhältnisse sich wirksam erweist – wie das auch in dem erwähnten Falle zutrifft, da Phamphile einer Gelehrtenfamilie angehörte – steigen die Leistungen der Frauen und erreichen in einzelnen Fällen eine sehr bemerkenswerthe Höhe, welche das Durchschnittsmaß sehr übersteigt. Man kann vielleicht so weit gehen, zu sagen, daß sich die bisherigen, sehr vereinzelt vorkommenden Ausnahmefälle zu einer Regel erheben lassen würden, wenn der geistigen Cultur der Frau alle jene Hilfsmittel, alle jene höheren Bildungsanstalten etc., welche die männliche Abtheilung der Menschheit hauptsächlich für sich geschaffen hat und noch heut zur Benutzung besitzt, verfügbar gemacht würden; man kann die Aussicht eröffnen auf eine erhebliche Förderung der Wissenschaft, auf einen erheblichen Zuwachs an allgemeiner Bildung, auf Erhöhung des ganzen Culturzustandes der Menschheit durch einen solchen Umschwung im Leben der Frau. Derartig kann gedacht wenden, die Möglichkeit ist nicht zu bestreiten, ein strikter Gegenbeweis läßt sich nicht führen, weder aus dem, was wir über die geistigen Kräfte der Frau im Allgemeinen zu wissen glauben, noch aus ihren bisherigen Leistungen, wie sich das ohne alle Umstände sehr leicht einsehen läßt. Allein diese Möglichkeit eröffnet doch auch andere Möglichkeiten, welche gleichzeitig berücksichtigt sein wollen, und die bei einer solchen einseitigen Rechnung viel zu leicht bei Seite geschoben werden.

Wenn es möglich ist, der Frau einen viel weiteren Wissenshorizont zu eröffnen und dadurch auch für die strenge Wissenschaft selbst oder für die Gebiete höherer geistiger Thätigkeit überhaupt einen Gewinn zu erobern, der allerdings dann dem Ganzen der Menschheit unverloren sein würde, ist es möglich, daß sich dies vollziehen sollte ohne die tiefste Rückwirkung[287] auf das Gemüthsleben des Weibes? Ist es unwahrscheinlich, anzunehmen, daß das Weib, welches rivalisirend mit der männlichen Intelligenz in die Schranken tritt, deren Erziehung systematisch in diese Bahnen gelenkt wird, jede Störung in der darauf zu verwendenden Arbeit als eine lästige Abziehung empfinden würde? Muß dies nicht von vornherein dem Gemüthsleben des Weibes den Impuls ertheilen, sich zu der großen Aufgabe, welche die Natur ihm zuertheilt hat, deren geheiligtes Werkzeug es ist, unsympathisch zu stellen? Würde das Ergebniß nicht die Frau sein, die uns ohnehin ja schon oft genug entgegentritt, welche die eigene Kinderlosigkeit mit Wohlgefallen betrachtete, da Kinder »eine zu arge Last sind?« Heute noch Ausnahmen, da das Motiv, daß Kinder allzusehr belästigen, um Gegenstand des Wunsches zu sein, einen gewissen Cynismus der Auffassung bekundet, zu dem man sich nicht gern bekennt, könnten diese Frauen sehr leicht zur Regel werden, wenn die ganze Ausbildung sich den Wissenszwecken zuwendete und die Abneigung vor dem Belästigtwerden sich demnach aus einem höheren Gesichtspunkte als dem der bloßen abwehrenden Bequemlichkeit rechtfertigen ließe.

Statt der primitiven Empfindung, die ja auch heut' zum Glück noch nicht erstorben ist, daß die fruchtbare Frau sich von Vielen geehrt und ausgezeichnet, die unfruchtbare sich gedemüthigt findet und einer ihr zukommenden Auszeichnung beraubt erscheint, würde alsdann die umgekehrte Empfindung Raum gewinnen, daß die kinderlose Frau, weil sie »an den höhern Zwecken des Lebens« am wenigsten Einbuße erlitte, zu beneiden, dagegen die mit Kindern reich gesegnete zu beklagen sei. Der mächtige Hebel, der von jener primitiven Empfindung aus das Seelenleben des Weibes, seine Gefühle, Vorstellungen, Ideale, sein Fürchten und Hoffen beherrscht oder wenigstens in der Ausübung des natürlichsten Berufes auf's Wesentlichste unterstützt, wäre zerbrochen, und kein Zuwachs an Wissen, kein noch so gehobenes Geistesleben vermöchte in der Richtung dessen, was verloren gegangen ist, einen Ersatz zu schaffen.

Wenn diese Folgen eintreten, würde also ohne Frage die ernährende Qualität des Weibes eine ganz wesentliche Beeinträchtigung erlitten haben, d.h. das Weib würde durch Aenderung seiner Stimmung, seiner Geschmacksrichtung, seines Sehnsuchtsdranges, seiner Interessen, seines ganzen innern Menschen minder befähigt, weil minder geneigt geworden sein, seinen ist so unendlich schweren Lasten verknüpften mütterlich ernährenden und[288] erziehenden Beruf zu erfüllen. Die Keimpflege der Menschheit würde unersetzlichen Schaden erlitten haben und damit eine Folge eingetreten sein, gegen welche aller Vortheil, der auf der Seite des geistigen Erwerbes liegen könnte, federleicht wiegt.

Ich spreche hier allerdings nur von Möglichkeiten, aber von Möglichkeiten, die sehr nahe liegen und die außerordentlich schwer wiegen, und was sich daraus ergiebt, ist, daß bei der Frage der Betheiligung der Frauen an den höheren Bildungsmitteln und den bisher den Männern vorbehalten gebliebenen Formen des Unterrichtes die Frage der Durchführbarkeit und des Bedürfnisses, die gewöhnlich in die erste Linie gestellt wird, erst in die zweite Linie gehört, die Frage der Schädigung der erwähnten Eigenschaft des Weibes, die gewöhnlich sehr kurz abgefertigt und höchstens in die zweite Stelle gerückt wird, dagegen in die erste Stelle gehört und der eindringlichsten Erwägung werth ist. Diesen Gesichtspunkt genau feststellen, von seiner prinzipiellen Bedeutung durchdrungen sein und ihn zur obersten Richtschnur der Beurtheilung erheben, scheint mir die erste Vorbedingung, um auf dem hier in Betracht gezogenen Gebiete nicht allen vernünftigen Halt zu verlieren, und dem wirklich Wünschenswerthen und Heilsamen sich nirgends verschließend, schließlich auch den Punkt zu finden, wo es heißt: principiis obsta.

Diese allerdings allgemeinen Betrachtungen bezogen sich nur auf die socialen Verhältnisse der Liebeswirkungen im Großen und Ganzen und die Stellung des Weibes zur Gesellschaft. Dieser letztere Punkt ist es, welcher uns nun auf einiges Besondere führen wird. Wenn wir von der Bedeutung sprachen, welchen die ernährende Eigenschaft des Weibes als Mutter etc. zu beanspruchen hat, so ist damit auch schon gesagt, daß das Weib eigentlich die Mutter der Gesellschaft sei, und zwar nicht blos im körperlichen, im physischen Sinne. Was ist es wohl, was Milnes mit seiner Liebesversunkenheit sagen will?:


»O laß nicht Worte – der Gedanken Haft –

Sich drängen in dies sel'ge Schweigen ein,

Und sprichst du mit der Dichter Leidenschaft:

Sie würden Mißklang unserm Himmel sein!


Du lächelst zweifelnd? Hör' und sprich mir nun

Was du begehrst und dann nur kurze Frist[289]

Laß schweigend dein Madonnaköpfchen ruhn'

Auf meiner Brust – und sprich was besser ist.


Jetzt laß in Lieb' uns schwelgen – spar' das Wort

Für Klagen einst um die Vergangenheit,

Doch nicht entweihen laß es diesen Ort

Tief-stiller, schrankenloser Seligkeit!«


nichts Anderes als jene Wonnetrunkenheit, jenes Versunkensein in eine unnennenbare Seligkeit, welche das Weib spendet und der Mann entgegennimmt. Auch der Geist und das Herz, das Gemüth entnimmt seinen Ursprung dem holden, liebenden Wesen einer reinen, schönen und beglückenden Weiblichkeit. Von ihr empfängt das Kind, der Jüngling, der Mann die geistigen Stoffe, welche er nothwendiger Weise zu verarbeiten hat, wenn er seinen äußeren Pflichten nachkommen und mit Erfolg sich an dem Ringen nach den Gütern des Erdenlebens betheiligen will. Werfen wir einen Blick auf:

Das Weib als Geliebte, so erkennen wir sofort und ohne alle Mühe, welchen bedeutenden und für ein gewöhnliches Maaß gar nicht passenden Einfluß sie auf den Jüngling auszuüben vermag und auch wirklich ausübt, Begeisterung, Thatkraft, Energie und Ausdauer, und wie die Stimmungen seines Gemüthes und Richtungen seiner plötzlich angespannten Geistesthätigkeit heißen mögen, sie mögen in seinem Wesen, in seiner Begabung gelegen, geruht, geschlummert haben, aber unter dem Drucke eines weichen Händchens, dem leuchtenden Blicke eines liebenden Auges, dem magnetischen Wogen eines warmen Busens sind sie zum Leben erwacht und beginnen eine Thätigkeit, deren Erfolge kaum in dem Bereiche einer Berechnung liegen. Die Erde, die Welt ist dem Jünglinge mit einem Male zu klein geworden, alle Hindernisse verlieren an Größe, Breite und drohender Gewalt, kein Raum ist zu weit, keine Anstrengung zu groß, keine Last zu schwer, keine Entsagung zu drückend, kein Ziel zu hoch; vor seinem Muthe ebnen sich die Berge, heben sich die Abgründe, überbrücken sich die Thäler, senken sich die Felsen; es schwindet die Menschenfurcht, es stärkt sich das Selbstvertrauen, es erweitert sich der geistige Horizont, es stählt sich die Kraft – aber Eins muß der Fall sein, Eins muß er können und dürfen: seinen Blick senken in ein freundlich Auge, in ein sympathisches Angesicht, einen Arm fühlen um seinen Nacken und ein Wort hören aus[290] zärtlichem Munde. Seine Sonne muß ihm leuchten, jene Sonne, ohne deren Strahl er nicht leben kann und die ganze herrliche Blüthenpracht seines Innern verwelkt und verdorrte wie der Wiesenflor unter dem erkältenden Wehen des Nordwindes. Darum auch ist sein Muth, die Spannkraft seines Geistes und der Glaube an den Erfolg dahin, sobald seine Sonne erlischt und sich das Auge schließt, aus welchem er geistige Nahrung gesogen:


»Ich sah der Sonne letzten Gruß

Um dunkle Wolken sprühn

Und zitternd unter ihrem Kuß

Den Waldessaum erglühn:

Du süße Hoffnung, reich an Glück,

Das sich mit liebeswarmem Blick

Aus dunklem Auge zu mir stahl,

Du warst mein einz'ger Sonnenstrahl!


Nun ist es Nacht – der Himmel weint;

Kein Stern, der tröstend mir erscheint.

Wild heult der Sturm, dumpf braust das Meer,

Und von den Zweigen tropft es schwer,

Müd' senkt die Wimper sich zur Ruh

Und deckt das feuchte Auge zu –

Ade, ade viel tausend Mal,

Du lieber, lieber Sonnenstrahl!«


Das Weib als Gattin hat einen nicht minder großen Einfluß auf den Mann, als die Geliebte auf den Jüngling, nur ist dieser Einfluß ein steter, ein ruhiger wirkender geworden. Die hochauflodernde, nach allen Richtungen flackernde und züngelnde Flamme hat sich gesenkt zum erwärmenden und festen Zwecken dienenden Feuer des häuslichen Herdes; die Sturm- und Drangperiode, in welcher Körper und Geist sich an Titanenthaten versuchen wollten, ist in eine Zeit abgemessenen und überlegten Schaffens übergegangen, welches mit stiller und herzlicher Freude, mit frommer Genugthuung seine Blüthen schwellen und seine Früchte reifen sieht. Der Blick für die umliegenden Zustände, für die Verhältnisse und Anforderungen des Lebens hat die so nothwendige Sicherheit gewonnen, die Wahrscheinlichkeitsberechnung des jugendlichen Alters hat gelernt, sich[291] fester und untrüglicher arithmetischer Zahlen und geometrischer Maaße zu bedienen, die Ziele schwimmen nicht in der Morgenröthe, sondern gründen sich auf festen und ersteigbaren Boden, und Alles, was der Mann denkt, fühlt, spricht und thut, hat den Einfluß einer irreführenden Schwärmerei von sich geworfen und geschieht an der Hand einer besonnenen Ueberlegung, welche zwar mit freundlichem Lächeln sich der Luftschlösser früherer Tage erinnert, aber ohne Unterbrechung an dem Aufbau praktischer und in das Reich der Wirklichkeit gehörender Gebäude arbeitet. Und die Seele dieses schönen, genugthuungsvollen Schaffens ist das Weib, die Gattin. Ihr Mitwirken ist ein ebenso anhaltendes als intensives, obgleich es ohne Geräusch und Anspruch vor sich geht. Sie wirkt nicht für das beobachtende neugierige und oft rücksichtslose Auge der Außenwelt, sondern in der heiligen Zurückgezogenheit des häuslichen Lebens, aber hier ist sie die treibende, belebende, stärkende und nährende Kraft, welcher der Mann seine Erfolge verdankt, ohne daß er oft geneigt ist, es zuzugeben. Für Denjenigen aber, der zu dieser Erkenntniß gekommen ist, ist das Weib mehr als ein körperliches Wesen, welches er an seine Seite genommen hat, um für seine Bequemlichkeit und andere äußerliche Dinge gesorgt zu sehen; sie ist die Vertreterin einer Liebe, die einer höheren als der irdischen Region entstammt, einer Kraft, die ihren Ursprung über den Nebeln des Erdenlebens hat, und ist sie zurückgekehrt in die höhere Heimath, so bekleidet das Andenken die Geschiedene mit himmlischem Gewande und erblickt sie in einer Verklärung, welche den Schmerz des Getrenntseins milder und der Hoffnung auf ein Wiedersehen Stärke, Kraft und Dauer verleiht:


»O du mein Alles weiland,

Mein Grämen und mein Sein,

Im Meer mein grünes Eiland,

Mein Bronnen und mein Schrein,

Umrankt von tausend Blumen,

Und alle Blumen mein!


O Traum, zu süß zum Währen!

O Stern, zu hold zum Glüh'n!

Nur durch Erinnrungszähren

Mag euer Glanz noch sprüh'n,[292]

Nur aus vergang'nen Mähren

Ein Lenz mir wieder blüh'n!


Der Winter ließ vergreisen

Der Liebe jungen Flaum;

Mag Blüthenschnee noch weisen

Der sturmzerriss'ne Baum?

Der blinde Adler kreisen

Am luft'gen Bergessaum?


Nur Nachts aus meinen Qualen

Empor der Traum mich hebt,

Wo deine Augen strahlen,

Und, ätherduftumwebt,

Auf silbernen Sandalen

Dein Fuß mit Engeln schwebt,«


singt der amerikanische Dichter Edgar Allan Poë, und aus jedem seiner Worte klingt die Idealisirung des Weibes, welches seine Aufgabe erfüllt hat, die »Seele des Mannes« zu sein. Eine ebenso große und vielleicht noch schwieriger zu lösende Aufgabe hat

das Weib als Mutter. Hier betheiligt sie sich direct an dem Aufbau und dem Fortbestehen der menschlichen Gesellschaft, und zwar nicht blos dadurch, daß sie den Gliedern derselben das Leben giebt, sondern auch ganz besonders durch den Einfluß, welchen sie bei der Erziehung der Kinder in jeder Beziehung auf dieselben ausübt. Dieser Einfluß ist gar nicht hoch genug anzuschlagen, und es läßt sich mit Wahrheit die Behauptung aufstellen, daß der Mann mehr äußerlich, das Weib aber mehr innerlich an der Wölbung des socialen Baues arbeite. Nie darf das einzelne Kind den Dank vergessen, den es seiner Mutter schuldet, und wie kann das Geschlecht der Menschen die Höhe der Wohlthaten ermessen, die ihm von den Millionen der Mütter erwiesen sind. Im Herzen der Mutter entspringt der lebende Quell alles irdischen Lebens, mag es nun ein rein körperliches oder geistiges sein, und so hoch wir Männer uns auch dünken, die Mutter ist es doch, welche uns beherrscht, und zwar nicht blos den Einzelnen, nein, durch diesen Einzelnen auch das große Ganze, die Entwickelung aller unserer Verhältnisse – das Leben und Schicksal des Individuums und das Leben und Schicksal der Menschheit. Es würde uns[293] natürlich zu weit führen, wollten wir der Geschichte einzelne Beispiele entnehmen, in denen die Mutter durch den Sohn tief in den Gang der politischen, ja der weltgeschichtlichen Ereignisse eingriff, es gilt vielmehr hier nur, diesen Ein fluß zu constatiren und einige allgemeine Bemerkungen zu machen über

das Weib als Glied der öffentlichen Gesellschaft. Unsere früheren Auseinandersetzungen haben wohl zur Genüge dargethan, daß eine Betheiligung an dem politischen Leben nicht im Interesse einer echten und wahren Weiblichkeit liege, nämlich eine directe Betheiligung, und zwar in dem Sinne und der Ausdehnung, wie es von den Vertretern und Vertreterinnen einer zu weitgreifenden Emancipation bezweckt und gefordert wird. Das Weib wirkt, wie schon gesagt, im Stillen; aber trotzdem ist sein Wirken von einer Bedeutung und einem Erfolge, wie ihn die Arbeit des männlichen Geschlechtes nicht bedeutender und kostbarer aufzuweisen hat. Grad' dieses Wirken im Stillen sichert den Erfolg, wie z.B. ein Staatsmann auch nur dann seine Aufgaben erfüllt, seine Zwecke am sichersten erreicht, wenn er seine Intentionen der Oeffentlichkeit nicht preisgiebt. Das Mädchen im stillen Sinnen über das Glück des Geliebten, die Gattin im ruhigen, anspruchslosen Sorgen für das Wohl des Gatten, die Mutter am Lager des schlafenden Kindes, sie sind uns heiligere und ehrwürdigere Erscheinungen, als die politischen und socialen Amazonen, welche mit dem Schwerte ihrer Zungen in einen Kampf ziehen, dessen Berechtigung und Tragweite sie unmöglich bestimmen und ermessen können. Es muß wohl zugegeben werden, daß das Weib ein heiliges Recht, ein mit dem Manne gleich großes Recht habe, an der Entwickelung der öffentlichen Verhältnisse sich zu betheiligen, aber diese Betheiligung muß in ihrer Art und Weise dem gegebenen Character, den verliehenen Gaben, den von der Natur gegebenen Aufgaben und Bestimmungen angemessen sein, und es wird ja Niemand bestreiten wollen oder gar bestreiten können, daß zwischen dem Wesen des Mannes und demjenigen des Weibes ein bis in das Tiefste und Kleinste gehender Unterschied sei. »Ein Jeder schaffe mit den Gaben, die ihm verliehen sind!«[294]

Quelle:
Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung.] Dritte Abtheilung. In: Das Buch der Liebe. [Erste Abtheilung] S. 11–144; Dritte Abtheilung S. 1–208. – Dresden (1876), S. 259-295.
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