3.

In Eckernförde

[381] Der Prinz Karl von Hessen-Kassel, dänischer Feldmarschall und Statthalter der Provinzen Schleswig und Holstein, saß in seinem Polsterstuhle, auf den ihn das leidige Podagra bannte, und blätterte sehr eifrig in alten, vergilbten Manuscripten herum. Dabei blickte er von Zeit zu Zeit unruhig nach der Uhr; er schien irgend Jemanden ungeduldig zu erwarten.

Endlich meldete der Kammerdiener zwei Männer, welche auch alsbald eintraten und von dem Prinzen mit ausgezeichneter Höflichkeit empfangen wurden. Es war der dänische Legationsrath Morin und der Graf von Lamberg, welcher Letzterer von dem Ersteren vorgestellt wurde.

»Herr Graf,« meinte der Marschall verbindlich, »Ihre Gegenwart ist mir angenehm, denn sie bietet mir Gelegenheit, zu beweisen, daß ich den berühmtesten Mann dieses Jahrhunderts schon seit langen Jahren unter meinem Dache beherberge. Der Graf von Saint Germain befindet sich augenblicklich in meiner Bibliothek. Er wird heut' Nacht[381] Punkt zwölf Uhr zwei Aufgaben lösen, an denen die Magie und Scheidekunst schon seit Jahrtausenden vergebens gearbeitet hat. Sie kommen zur guten Stunde, und ich lade Sie ein, Augenzeuge unseres Triumphes zu sein.«

Der Graf verneigte sich dankend.

»Der Graf, den ich als Herrn von Bellamare kennen zu lernen die Ehre hatte, ist ein außerordentlicher Mann, eine Erscheinung, die sich aller unserer Berechnung entzieht.«

»Wo trafen Sie ihn zum ersten Male?«

»In Venedig, wo ich Zeuge war, daß ein einfaches Papierschnitzel, welches er einem Bekannten schenkte, von einem Banquier für zweihundert Dukaten eingelöst wurde. Er ließ eine Perle im Werthe von fünf Dukaten binnen acht Tagen so wachsen, daß man ihm sechzig Dukaten für dieselbe bot, und der Baron Stosch versicherte, ihn vor vielen Jahren in Bayonne gesehen zu haben, wo er eine viele Pfund schwere Bleitafel in reines Silber verwandelte. Er hatte seitdem nicht im Allergeringsten gealtert.«

»Haben Sie ihn musiciren hören?«

»Ja, auf dem Klaviere. Er spielt virtuos.«

»Sie werden ihn heut noch mehr bewundern. Ich sehe eine Gesellschaft bei mir, zu welcher auch Sie geladen sind. Er wird sich bei dieser Veranlassung auf der Violine produziren, wie er mir versprochen hat. Seine Meisterschaft ist hier ganz ohne Gleichen. Herr Morin hier, welcher ihn vor neunundvierzig Jahren spielen hörte, versicherte mir, daß seit dieser langen Zeit weder seine Fertigkeit noch sein Aussehen sich verändert habe.«

»Darf man nach dem Namen dieses Manuscriptes fragen?«

»Es ist ein Commendar von Raimundus Lullus, der alle Dunkelheiten des Heber, Roger Baco und Arnauld de Villeneuve aufklärt. Es kostet mich benahe viertausend Thaler; ich habe es von Saint Germain, der seiner Zeit eine bedeutend höhere Summe dafür bezahlt hat.«

»Und welches sind die Aufgaben, die der Graf heute lösen wird?«

»Ein Projectionpulver, welche augenblicklich alle Metalle in das reinste Gold verwandeln, und ein Aqua benedetta, welches nicht nur wie bisher den Einfluß des Alters hebt, sondern auch den durch äußere Einflüsse erfolgenden Tod, z.B. durch Verwundung, zur Unmöglichkeit macht.«

»Dann bin ich wirklich begierig, ob es ihm gelingen wird.«

»Ich bin davon überzeugt. Das Pulver steht schon seit fünf Jahren über dem Feuer; ich mußte immer von einer Zeit auf die andere warten, da die geheimen Stunden niemals mit der Constellation der Gestirne harmoniren wollten, und schon verlor ich die Geduld, als mir der Graf die Versicherung gab, daß heut' um Mitternacht alle astronomischen und magischen Voraussetzungen vorhanden seien.«

»Darf ich mir erlauben,« frug Morin, »zwei Herren mitzubringen, welche mich in diplomatischer Angelegenheit besuchten und sich für Excellenz lebhaft interessiren?«

»Wer sind sie?«

»Der Prinz Paranow und der Baron von Langenau.«

»Bringen Sie die Herren doch ja mit. Den Prinzen traf ich einst in Wien; er ist mir sehr willkommen, und der Baron hat sich als Diplomat ausgezeichnet; ich freue mich, seine Bekanntschaft zu machen.«

»Sie sind Beide mit ihren Damen hier.«

»Die natürlich bei der Gesellschaft sein werden. Sprechen Sie ihnen meine Einladung aus. Man kommt und geht bei mir ohne den Zwang und die Bedenken von Versailles und Potsdam. Ich habe dem Grafen Nichts gesagt von der Versammlung, welche seine Kunst bewundern soll; vielmehr beabsichtige ich, ihn freudig durch die Anwesenheit von alten Bekannten zu überraschen, welche ich eigens zu diesem Zwecke eingeladen habe. Sie werden viel besprochene und sogar berühmte Personen bei mir finden. Wir wollen jetzt den Grafen nicht stören; er hat sich jede Behelligung verboten, da alle seine Kräfte bis Mitternacht in Anspruch genommen sind!«

Der Marschall war ein eifriger Freimaurer und ist noch heute bekannt sowohl durch sein Streben, die stricte Observanz wieder herzustellen, als auch durch seine große Neigung für Mystiker und Geisterseher. Er wußte, daß man seine Freundschaft für den Grafen Saint Germain und seine Freigebigkeit gegen denselben belächelte, und wollte heute einmal eclatant beweisen, daß der Adept keineswegs ein Betrüger, sondern ein Phänomen sei, welches nur deshalb nicht recht gewürdigt werde, weil der Verstand des Uneingeweihten es nicht zu begreifen vermöge.

Die Eingeladenen erschienen Alle. Außer den schon genannten Herren und Damen hatte sich eine reiche Anzahl politisch oder wissenschaftlich ausgezeichneter Personen eingestellt, welche alle mit Spannung auf das Erscheinen des geheimnißvollen Grafen warteten. Dieser hatte bis Mitternacht im Laboratorium gearbeitet und erfuhr erst zu dieser Zeit vom Prinzen, daß er die Beweise seiner Kunst nicht ihm allein, sondern einer ansehnlichen Versammlung wißbegieriger Personen zu liefern habe. Nur nach langem Weigern war er darauf eingegangen. Es wurde ein mit Vorhängen draperirtes Podium im Salon errichtet, auf welchem endlich der Held des Abendes erschien, gehüllt in ein persisches Gewand und begleitet von mehreren Bedienten, welche verschiedene Apparate und eigenthümlich geformte Gefäße trugen. Er hatte das Aussehen eines sehr gut conservirten Sechzigers. Nachdem er die Gegenstände geordnet und den Vorhang zurückgeschlagen hatte, begann er mit tiefer, monotoner Stimme:

»Wer die Theorie der planetarischen Stunden, die Talismane des Polyphilos und des Grafen von Trier kennt und in die Geheimnisse des Artephius und Sandivaye eingedrungen ist, der mag seinen Genius ersuchen, mit mir zum Merkur, vom Merkur zum Monde, vom Monde zum Jupiter und vom Jupiter zur Sonne gehen. Es ist dies der magische Kreis des Zoroaster, der den Saturn und Mars überspringt, und den ich mit schwarzen Charakteren hier auf diese weiße Tafel zeichne.«[382]

Bisher hatte er mit niedergeschlagenen Augen gesprochen. Jetzt erhob er dieselben, ließ sie über die Versammlung gleiten und fuhr fort:

»Ich begrüße Sie im Namen der Genien des Agrippa und umschließe Sie mit dem heiligen Fünfeck des großen Salomo, dessen Kunst, den Tod zu bezwingen, ich heut' von Neuem aufgefunden habe. Hier diese Phiole enthält das neue Aqua benedetta, die herrliche Kostbarkeit, von der es genügt, alle Jahrhunderte einen einzigen Tropfen zu nehmen, um unsterblich, ewig gesund und unverwundbar zu sein. Der erste Tropfen gehört dem Erfinder – –«

Er ließ einen Tropfen der Flüssigkeit in einen mit Wasser gefüllten, goldenen Löffel fallen und sog den Trank langsam ein.

»– – der zweite wird den Mann, bei welchem wir uns befinden und der die heilige Wissenschaft durch so großmüthige Opfer unterstützte, bei ewiger Jugend erhalten; er möge sich mir nahen!«

Der Marschall erhob sich. Saint Germain nahm ihn scharf in die Augen. Bei dieser Gelegenheit fiel sein Blick auf den Mann, welcher hinter dem Prinzen Platz genommen hatte; die Hand, welche den Löffel hielt, zitterte; er fiel zu Boden.

»Halt,« rief er; »es sind finstere Dämonen in meine Kreise gedrungen; der Unglaube hat sich in diesen Raum geschlichen; ich kann nicht weiter!«

Der Vorhang fiel; der Graf raffte von den Apparaten zusammen, was er von ihnen fassen konnte, und entfernte sich. Die Gesellschaft war verdutzt und beobachtete ein minutenlanges Schweigen, welches endlich von einer scharfen, lachenden Stimme unterbrochen wurde.

»Er hat uns erkannt, Baron; er fürchtet sich. Kommen Sie!«

Es war der Prinz Paranow, welcher diese Worte zu dem Herrn Baron von Langenau sprach. Beide traten zum Marschall.

»Excellenz, wollen Sie die Güte haben, uns zu dem sogenannten Grafen von Saint Germain zu begleiten?« frug der Prinz.

Der Angeredete befand sich seinen Gästen gegenüber in großer Verlegenheit; die Aufforderung kam ihm gelegen; er nickte zustimmend und winkte den beiden Männern, ihm zu folgen. In einigen Augenblicken standen sie vor dem Gesuchten.

»Sie kennen mich wohl, Herr Graf?« frug der Baron. »Ich hatte die Ehre, Ihnen in Versailles zu begegnen, nachdem Sie die Bekanntschaft meines Vaters aufgegeben hatten; im Haag war es mir leider nicht möglich, Ihnen meine Aufwartung zu machen, da Sie zu schnell abreisten, desto mehr freut es mich, Sie hier zu sehen und Ihnen diesen Herrn mitbringen zu können, dessen Sie sich vielleicht noch erinnern!«

»Mein Gedächtniß ist Jahrhunderte alt,« antwortet stolz der Graf; »es verläßt mich nie!«

»So werden Sie sich wohl auch des Diamanten erinnern,« meinte jetzt Paranow, »welchen Sie mir in Wien für fünf Tausend Dukaten als ächt verkauften. Er stammte aus Ihrer mit dem Grafen Zobor gegründeten Manufactur und erwies sich als Composition. Sie sind ein Betrüger, Herr von Montferrat, von Bellamare, von Schöning, von Welldone, von Soltikow, von Tzarogy und von Saint Germain. Sie sehen, ich kenne alle Ihre Namen, welche diejenigen eines Schwindlers sind. Sie werden nicht Ehrgefühl genug haben, um Satisfaction zu fordern!«

»Ich habe Nachsicht genug, um mich durch die Raisonnements eines Unsinnigen nicht aus der Fassung bringen zu lassen!«

»Beim Teufel, Graf, das wäre schändlich!« meinte der Marschall. »Nach dem, was dieser Herr Ihnen gesagt hat, müssen Sie sich mit ihm schlagen. Ich müßte sonst auf Ihre Gesellschaft verzichten.«

»Gut; aber wenn ich es thue, so geschieht es nur aus Rücksicht auf Sie, Excellenz.«

»Excellenz risciren dabei Nichts,« lachte Paranow höhnisch. »Der Graf bleibt Ihnen erhalten; er hat einen Tropfen seines Aqua benedetta getrunken und ist unverwundbar.« –

Die vier Männer blieben längere Zeit von der Gesellschaft abwesend. Nur drei von ihnen kehrten zurück; der Graf blieb unsichtbar.

Beim ersten Morgengrauen hörte man draußen zwischen den Dünen zwei Schüsse krachen, und einen Tag später verbreitete sich die Nachricht, daß der berühmte Graf Saint Germain plötzlich gestorben sei. Seine Anhänger glaubten, sein Geist habe nur eine neue Wandlung angetreten; der Graf hatte immer von seiner Apostasie gesprochen. Seine Gegner waren anderer Meinung.

Zu den Letzteren gehörten jedenfalls die zwei Männer, welche einige Tage nach seinem Tode in einer Postkalesche die Stadt verließen. Sie unterhielten sich von ihm. Zwei Damen saßen bei ihnen.

»Er hatte wirklich Angst vor mir,« meinte der Eine. »Er schoß fehl; meine Kugel drang ihm grad in die Brust. Sein Erbe gehört dem Marschall.«

»Es wird wenig genug sein,« fügte der Andere hinzu; es war der Baron von Langenau, »ein Stück vergoldetes Blei und ein Fläschchen mit Aqua destillata!«

»Welches dieselbe Wirkung haben wird, die das berühmte Aqua benedetta bei Ludwig dem Fünfzehnten und der Frau von Pompadour gehabt hat, nämlich keine.«

Die Sprecherin war die Baronin von Langenau, jene Nichte der Frau von Hausset, welche ihrem jetzigen Manne in Paris das aufklärende Billet mit der Unterschrift »Ihre zärtliche Amély Hausset« geschrieben hatte.[383]

[Fußnoten]

1 »Es giebt keinen Menschen, der bei gesetzlicher Prüfung seiner Handlungen und Gedanken sich nicht wenigstens sechs Mal hängenswerth fände; es ist daher schade und sehr ungerecht, zu strafen.

Seinem Freunde, dem Grafen von Saint Germain.

M. Eyquem de Montaigne.«


2 Sie ist dasselbe Mädchen, welches später als Frau von Genlis so berühmt wurde.

Quelle:
Aqua benedetta. Ein geschichtliches Räthsel von Emma Pollmer. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzigi (1878). Nr 24, S. 384.
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