4.

Auf der Fährte

[546] »Mutter Thick in Hobokken,« welch' einen prächtigen, anheimelnden Klang hat doch dieser Name für die seefahrenden Angehörigen aller Nationen, die einmal vor New-York vor Anker gegangen sind! Eine zweite Mutter Thick ist nicht zu finden, so weit die Winde gehen und die Wogen rauschen, und wer nur ein einziges Mal bei ihr gewesen ist, der weiß von ihren Eigentümlichkeiten zu erzählen, von ihrer Liebenswürdigkeit zu rühmen und sehnt sich, wieder einmal bei ihr an Bord gehen zu dürfen.

Aber freilich, ein braver Maat muß er sein, sonst mag sie Nichts von ihm wissen und er ist schneller hinaus vor ihre Thür, als er hinein gekommen ist. Sie hat einen gar strengen Begriff von Ambition und wahrt das Renommee ihres Hauses eigenhändig und in so kräftiger Weise, daß schon mancher alte, widerhaarige Seemann die Kraft ihrer dicken Fäuste und die Unwiderstehlichkeit ihrer fetten Arme aus eigner Erfahrung kennen gelernt hat. Wen sie nicht bei sich leiden mag, den winkt sie einfach hinaus, und geht er nicht sofort, so nimmt sie ihn bei der Parabel und bringt ihn mit der Schnelligkeit einer Lokomotive auf die Straße. Wem es aber einmal geglückt ist, sich ihr Vertrauen zu erwerben, der darf auf ihren Schutz und Beistand in jeder Beziehung rechnen und wird sicher in keiner Noth von ihr verlassen.

Das Haus zur ›Mutter Thick‹ ist zwar blos einstöckig, aber lang und tief. Durch den breiten Flur tritt man in eine außerordentlich geräumige Gaststube, deren verräucherte Decke von hölzernen Säulen getragen wird. Vorn sind die Plätze für »Allerlei«, an den weiter zurückstehenden Tafeln dürfen nur Diejenigen Platz nehmen, welche die Wirthin als Zeichen ihrer Freundschaft mit »Du« anredet, und durch die hintere Wand führt eine Thür in ein Zimmer, wo die Steuerleute und Capitains verkehren und wohl auch einen[546] gewöhnlichen Swalker mit leiden müssen, den Mutter Thick mit ganz besonderem Wohlwollen auszeichnet.

Solche Bevorzugte bedient sie selbst, während die Andern sich an das zahlreiche Dienstpersonal zu halten haben.

Heut waren mehrere Segel und Dampfer vor Anker gegangen, und das niedrige Haus, über dessen Thür ein großes Schild mit der wohlgetroffenen, dicken Wirthin thronte, hatte in Folge dessen viele Gäste aufzuweisen. Die »Mutter« lehnte am Büffet, hatte die Arme in die breiten Hüften gestemmt und dirigirte ihr Personal trotz eines Feldherrn mit Blicken und Winken, die im Falle des Nichtverstehens mit einem kurzen, scharfen Worte begleitet wurden.

An einem der vorderen Tische saß eine Gesellschaft von Männern, die der Kenner sofort als Runners, Loafers oder Rowdie's bezeichnet hätte. Sie führten ihr Wort so laut, daß ihre Stimmen jedes andere Gespräch überschallten, und trugen eine politische Ansicht zur Schau, welche für New-York und zumal für die brave Mutter Thick etwas sehr gewagt erscheinen mochte.

»Hast Recht, Tommy,« rief Einer von ihnen; »die Nigger sind keine richtigen Menschen; sie sind halb Mensch und halb Thier und passen nur zur Peitsche. Der Teufel hole den Norden, der aus ihnen Gentlemen machen will!«

»Gentlemen? Das soll ihm so leicht nicht werden! Der Süden hat seine Rechte, die er nicht hergiebt, und wenn ich zu befehlen hätte, so kämen alle Niggerfreunde an den Strick. Mutter Thick, alte Hexe, noch ein Glas!«

Es wurde sofort ruhig im ganzen Raume, denn Jeder, der die Wirthin kannte, wußte, was nun folgen werde. Diese verließ langsam ihren bisherigen Standort und schob sich durch die Gäste auf den Sprecher zu.

»Will, stoß die Thür ein Wenig auf!« gebot sie dem Hausknechte, welcher soeben ein Faß Bier auf die Stellage gehoben hatte.

Als dem Befehle Folge geleistet worden war, nahm sie den Schreier bei den Schultern.

»Höre, mein Junge, hier im Norden segelst Du mit Deiner Hexe gegen den Schwall; ich werde Dich nach dem Süden bringen und die Zeche schenke ich Dir!«

Wie im Sturmwinde, so wurde er aus der Stube und durch den Flur hinaus auf die Straße gefegt.

Als die tapfere Frau wieder eintrat, hatten sich de Genossen des an die Luft Expedirten erhoben und schlossen einen drohenden Kreis um sie. Doch mit einigen kraftvollen Stößen ihrer Arme machte sie sich Platz und rief, zu den Umstehenden gewendet:

»Kinder, wer hilft mir von diesen Männern?«

Alle ohne Ausnahme sprangen auf, und im nächsten Augenblicke war das Zimmer gesäubert. Mutter Thick wußte ganz genau, daß sie niemals umsonst an die Bereitwilligkeit ihrer Gäste appelliren werde.

Längst schon hatte sie ihren gewöhnlichen Platz wieder eingenommen, da öffnete sich die Thür und ein junger Mann trat ein. Trotz seines nicht sehr feinen, sondern sogar etwas fadenscheinigen Anzuges machte er den Eindruck, als gehöre er eigentlich nicht in ein Local, wo Matrosen und dergleichen ihren Verkehr suchen. Er sah sehr bleich und angegriffen aus, als habe er mit schweren Sorgen zu kämpfen, oder eine schlimme Krankheit hinter sich. Schon machte er Miene, sich unweit der Thür niederzulassen, da ertönte die Stimme der Wirthin:

»Good evening, Master Wallerstein! Wollt Ihr nicht heraus in die Stube kommen?«

Sie schritt ihm voran, so daß ein Widerspruch nicht möglich war, und er folgte ihr durch die Reihen der über diese Auszeichnung bei seinem einfachen Aeußern aufschauenden Gäste in das hintere Zimmer, wo sich noch Niemand befand.

»Eine Flasche Porter, nicht, Sir?«

Selbst wenn er etwas Anderes, Billigeres gewünscht hätte, es wäre zu spät gewesen, denn schon war sie fort und brachte ihm dann den bezeichneten Trunk.

»Seid lange nicht bei mir gewesen, Sir; hatte schon Sorge, daß Euch Etwas widerfahren sein könne!«

»Habe arbeiten müssen, sehr arbeiten, Mutter Thick, und wollte nicht eher wiederkommen, als bis ich meine Schuld bezahlen konnte!«

Er griff in die Tasche; sie aber hielt seinen Arm zurück.

»Wollt Ihr einmal aufrichtig sein, Master Wallerstein?«

»Gewiß!«

»Habt Ihr in den drei Wochen so viel verdient, daß Euch das Geld drückt?«

»Hm, das nun grad nicht, doch möchte ich –«

»Weiß, weiß schon! Drum soll es so sein. Ihr seid mir gewiß und werdet mich bezahlen; jetzt aber mag ich das Geld nicht haben, absolut nicht, sondern später; ich werde Euch schon selber daran erinnern. Ihr habt geschrieben?«

»Ja, Noten.«

»Das ist ein Anfang. Es wird sich schon auch noch etwas Besseres finden. Nur abwarten und dann rasch zugreifen, so heißt es hier zu Lande.«

»Hm, wenn Einem nur das Zugreifen etwas leichter gemacht würde!«

»Wieso? Hat sich Euch Etwas geboten?«

»Ja.«

»Was?«

»Ihr wißt, Mutter, daß ich eigentlich Juwelier und Goldarbeiter bin. Ich verstehe mein Fach und grad jetzt eine ganz gute Stellung finden wenn – –«

»Nun, wenn – –?«

»Wenn ich sie annehmen könnte.«

»Warum könnt Ihr das nicht, he?«

»Der Caution wegen.«

»Ah! Ist's bei einem Juwelier?«

»Ja.«

»Wie viel sollt Ihr legen?«

»Zweihundert Dollars.«[547]

»Master Wallerstein, gefällt Euch der Mann, der Euch diesen Platz anbietet? Denn das ist die Hauptsache!«

»Ja.«

»Well, Sir, so sollt Ihr das Geld haben, nämlich von mir und heut Abend noch!«

»Mutter Thick – Ich habe Euch den Fall nicht erzählt, um – –«

»Weiß schon, weiß schon, Sir! Kenne ja Eure Vergangenheit und Euch ganz genau. Aber der Herrgott verläßt Keinen, der sich Mühe giebt; merkt Euch das. Nun aber trinkt und laßt mich einmal nach vorn sehen!«

Sie trat in die große Gaststube zurück und kam grad zur rechten Zeit, um den Eintritt eines Mannes zu bemerken, bei dessen Anblicke ihr die Freude aus allen Zügen lachte.

Von hoher, breiter und außerordentlich muskulöser Figur, trug er einen Hut auf dem glattgeschorenen Kopfe, dessen ungeheure Krempe hinten weit über den Nacken herunterschlappte, während ihr vorderer Theil über dem Gesichte einfach weggeschnitten war. Den Leib bedeckte ein kurzer, weiter Sackrock, dessen Aermel kaum bis über die Ellbogen reichten und erst die Aermeltheile eines sauber gewaschenen Hemdes, dann die braun gebrannten Vorderarme und endlich zwei Hände sehen ließen, die einem vorsündfluthlichen Riesenthiere anzugehören schienen. Die Beine staken in einem Paar ebenso weiter Hosen von leichtem Zeuge, unter denen zwei Stiefel sichtbar wurden, deren Leder aus dem Rücken eines Elephanten herausgeschnitten sein mußte.

Der Mann sah in dem alten Hute, dem moosgrünen Rocke und den gelben Hosen einer Maskenballfigur ähnlich, welche sich vom Saale verirrt hat, und schritt mit weit auseinander gespreizten Beinen und balancirenden Armen zwischen die Tische und Stühle hindurch, als befinde er sich in einem Boote, welches von den Wogen auf- und niedergeworfen wird.

»Mutter Thick,« rief er, die Arme nach der Wirthin ausstreckend, halte-là – heigh-day – heda, Ihr Leute, laßt mich doch einmal hindurch! Good evening, Mutter Thick; da bin ich wieder! Wie gehts, mon bijou?«

»Peter – –? Wahrhaftig, das ist der Peter Polter, der mir – –«

»Natürlich, der Peter Polter aus Langendorf, früher Hochbootsmannsmaat auf Ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe ›Nelson‹, dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹ und jetzt – hallo, Mutter Thick, komm an meine Weste und laß Dich küssen!«

Er nahm sie bei der Taille, zog sie an sich und drückte ihr einen schallenden Kuß, den sie auch ruhig litt, auf die Lippen.

»Bist doch stets und immer der Alte, Peter! Immer gut vor dem Winde und – –«

»Und durstig vor dem Glase. Bring' einige Schlucke von meiner Sorte heraus, denn ehe ich Dir erzählen kann, muß ich erst die Lucke waschen!«

Er trat in die hintere Stube und nun erst sah die Wirthin, daß er nicht allein gekommen war. Es folgte ihm ein junger Mann, dem man den Gentleman auf tausend Schritte ansehen konnte, und es war eigentlich zu verwundern, wie der alte Südwester in eine so noble Gesellschaft hatte kommen können.

Mutter Thick war schnell wieder bei der Hand. Sie brachte das Verlangte und stellte zugleich drei Gläser auf den Tisch.

»Eins für mich!« meinte sie. »Denn es versteht sich ja ganz von selbst, daß ich mit meinem liebsten Gaste den ›Welkome‹ trinke.«

»Natürlich, Du alte, liebe Fregatte Du! Aber höre zuvor muß ich gentlemanlik sein und Dir hier den Master Treskow vorstellen, der ein verteufelt guter Freund von mir ist.«

Sie machte ihren besten Knix und Peter fuhr fort:

»Wir haben uns da drüben bei meinem Bruder getroffen, der –«

»Bei Deinem Bruder? Ja, leben sie denn noch, die Du da drüben hast?«

»Leben? Alas, das fällt Keinem von ihnen ein; nur der Heinz steht noch unter Segel und liegt bei einem Duc oder Lord oder Prinz von Schönberg vor Anker, mit dem ich manche schöne Leine abgewickelt habe. Aber um wieder auf meinen Maat Treskow zu kommen, hast Du denn so eine Koje oder zwei, worin wir einige Nächte schlafen können?«

»Versteht sich, versteht sich, Peter! Wen Du mir bringst der ist willkommen, und ich werde Euch Beiden ein Plätzchen zurecht machen, wo Ihr besser schlaft, als der Steward oder gar der Präsident selbst. Wirst Du wieder an Bord gehen?«

»Welche Frage! Wo denn hin? Kannst Du mir vielleicht sagen, in welcher Gegend der Windrose die ›Swallow‹ zu finden ist?«

»Das kann ich Dir ganz genau sagen: Sie ging unter Lieutenant Parker vor drei Wochen nach New-Orleans.«

»Kennst Du den Lieutenant?«

»Warum soll ich nicht, da er hier in diesem Room so oft gesessen hat! Er ist ein junger prachtvoller Offizier, der den Admiral in sich stecken hat.«

»Well, das denke ich auch. Wir werden nach New-Orleans gehen, um ihn zu treffen, denn der Herr Polizeilieutenant von Treskow hat – –«

»Stopp, Peter Polter!« befahl Treskow mit einem warnenden Blicke auf den Goldarbeiter. »Du weißt ja, daß diese Dinge unerwähnt bleiben sollen! Wer ist der Mann dort am Tische, Mutter Thick?«

»Ein Deutscher.«

»Auswanderer?«

»Ja.«[548]

»Wo ist der junge Mann her?« frug der Polizeilieutenant von Treskow Mutter Thick.

»Aus Berlin.«

»Aus Berlin? Was ist der Mann?«

»Goldschmied, Juwelier oder so Etwas. Ist ein sehr ordentlicher Junge, hat aber viel Unglück gehabt. Sein Vater hatte das größte Geschäft da drüben, wurde aber ermordet und beraubt, und – –«

»Ermordet und beraubt?«

»Ja, um eine horrente Summe, wie mir Master Wallerstein erzählt hat.«

»Wallerstein? Ist das sein Name?« frug Treskow, auf's Höchste überrascht.

»Ja, Wallerstein. Kennt Ihr den Mann, Sir?«

»Hm, wäre wohl möglich. Wollen sehen!«

Er erhob sich und trat zum Tische, an welchem der Betreffende saß.

»Sie verzeihen, mein Herr,« redete er ihn deutsch an, »daß ich mir gestatte, Sie anzureden!«

»Sie wünschen?« frug Wallerstein, sich von seinem Stuhle ebenfalls erhebend.

»Nichts mehr und weniger als Ihre Gesellschaft. Wollen Sie die Güte haben, mit hier bei uns Platz zu nehmen!«

»Welchem Umstande verdanke ich das Vergnügen, diese Einladung zu erhalten?«

»Einer Angelegenheit, die Sie sehr nahe anzugehen scheint. Wir haben, wie ich von der Wirthin soeben erfuhr, eine und dieselbe Heimath. Ich bin der Polizeilieutenant von Treskow und – –«

»Von Treskow? Richard von Treskow?«

»Derselbe!«

»Ich danke Ihnen, Herr Lieutenant, und weiß nun mit einem Male, warum Sie mir gleich bei Ihrem Eintritte so bekannt vorkamen. Ich hatte schon einmal die Ehre, mit Ihnen, allerdings nur flüchtig, zusammenzutreffen.«

»Ich entsinne mich. Es war bei einem kurzen Besuche, den ich Ihnen machte, um mich über einen Fall zu unterrichten, der von so tief eingreifenden, betrübenden Folgen für Sie geworden ist. Auch Sie kamen mir jetzt bekannt vor, doch sind Sie in Ihrem Aeußern – Sie verzeihen diese Bemerkung – so verändert, daß ich mich nicht sofort besinnen konnte. Aber bitte, wollen Sie zu uns übersiedeln!«

Wallerstein folgte mit gespannter Erwartung der so freundlich ausgesprochenen Einladung.

»Steht die Angelegenheit, von welcher Sie sprechen,[561] Herr Lieutenant, mit ihrem damaligen Besuche in irgend welcher Beziehung?«

»Gewiß. Es wurde ein junger Offizier als Mörder Ihres Vaters verhaftet?«

»Ja, der Lieutenant von Schönberg-Wildauen. Er entfloh leider.«

»Leider? Ich bin sehr geneigt, zu sagen: glücklicher Weise!«

»Wieso? Das Entkommen eines Raubmörders kann doch wohl nicht anders als beklagt werden!«

»Sie halten ihn also für den Thäter?«

»Er ist es; seine Schuld ist erwiesen. Er vermochte keinen einzigen Entlastungsmoment aufzubringen und ist – geflüchtet. Dieses Letztere spricht deutlicher als alle andern Beweise. Ich bin durch ihn ruinirt und habe verarmt die Heimath verlassen, um mir hier eine neue Existenz zu gründen. Dabei will ich allerdings aufrichtig bemerken, daß der Gedanke, ihm hier hüben vielleicht zufälliger Weise zu begegnen, sehr viel zu meinem Entschlusse, nach den Vereinigten Staaten zu gehen, beigetragen hat.«

»Dieser Gedanke ist derjenige, welcher auch mich herübergeführt hat, nämlich die Absicht den wirklichen Thäter zu entdecken.«

»Den wirklichen Thäter? Sie haben die Reise nur deshalb unternommen? So vermuthen Sie, daß die That von einem Andern begangen wurde, und haben bereits triftige Gründe zu dieser Ansicht, Gründe, die Sie sogar bestimmen, sich den Beschwerden einer so bedeutenden Reise auszusetzen?« frug Wallerstein ebenso überrascht wie erstaunt.

»So ist es! Wollen Sie einmal die Güte haben, diesen Gegenstand in Augenschein zu nehmen?«

Er öffnete den Ueberrock, zog den Gehrock auseinander und deutete auf seine Weste.

»Diese Uhrkette? Sie scheint – mein Gott, das ist ja die Kette meines Vaters! Um Gotteswillen, wie kommen Sie zu derselben, Herr Lieutenant?«

»Und die Uhr, welche an ihr befestigt ist? Betrachten Sie auch diese!«

Er zog sie hervor und reichte sie ihm zu Besichtigung entgegen.

»Auch sie gehörte dem Vater. Ich bin – bin außer mir, Herr Lieutenant! Bitte, Aufklärung. Sie sehen, ich zittere vor Erregung.«

»Ich nahm diese Uhr nebst Kette einem Manne ab, dessen Bruder sie ihm schenkte. Dieser Bruder war zur Zeit der That in Berlin; auch Sie hat er besucht; er ist der Mörder, wenn mich meine Combination nicht täuscht.«

»Wie heißt er? Bitte, schnell; ich muß den Namen sofort hören!«

»Latour, Francois Latour aus l'Havre de Grace, Seecapitain, Sklavenhändler, Pirat und – Vicomte, damals, als der Raubmord geschah.«

»Latour – der Vicomte de Latour! Mein Gott, mir schwindelt. Lassen Sie mir Zeit, mich zu fassen; dieser Name weckt Gedanken in mir, denen mein von Kummer und Sorgen angestrengter Kopf für den Augenblick nicht gewachsen ist!«

Er zog das Taschentuch hervor, um sich den Schweiß von der Stirn zu trocknen, und erst nach einer längeren Pause bat er:

»Darf ich über Ihr Zusammentreffen mit seinem Bruder das Nähere erfahren, Herr Lieutenant?«

»Ich stehe Ihnen natürlich sehr gern damit zu Diensten.«

Er erzählte ihm das Nöthige über jenes Ereigniß auf dem Bahnhofe zu Wildauen und fuhr dann fort:

»Ich versicherte mich natürlich sofort der Person des Mannes und telegraphirte nach l'Havre. Nach einiger Zeit erhielt ich die Photographie, die betreffenden Briefe und einige andre Gegenstände, welche der dortigen Polizei von Bedeutung geschienen hatten. Ich konnte nun den Franzosen frei lassen, und da ich wußte, daß sein Bruder nach Amerika sei, stellte ich mir, nebenbei getrieben von Rücksichten, deren Erwähnung nur nebensächlich sein würde, die Aufgabe, ihn dingfest zu machen. Vorher aber ging ich zu Ihnen, um mich noch einmal über gewisse Punkte zu informiren, hörte aber, daß Sie Berlin verlassen hätten. Uhr und Kette nahm ich in der Weise, wie Sie es gesehen haben, mit, um sie jeden Augenblick bei der Hand zu haben, und auch die Photographie, welche – –«

»Führen Sie diese bei sich?«

»Natürlich; sie ist mir vollständig unentbehrlich, obgleich ich die sehr zweifelhafte Ehre habe, dem Originale persönlich begegnet zu sein!«

»Darf ich sie sehen?«

»Hier ist sie!«

Er zog ein Portefeuille hervor, öffnete es und entnahm ihm eine Photographie, welche er dem Juwelier zur Ansicht übergab.

»Er ist es, ja, er ist es. Das Bild ist außerordentlich gut gelungen!«

»So erinnern Sie sich noch seines Besuches bei ihnen, wo Sie ihn sahen?«

»Oh, ich brauche nicht in so ferne Zeit zurückzugehen; ich traf ihn hier.«

»Hier in New-York?«

Der Lieutenant sprang auf. Der erste Fußtapfen der gesuchten Spur schien gefunden.

»Ja, hier in New-York, hier in Hobokken, hier bei Mutter Thick!«

»Ja, hier bei mir, Sir!« bekräftigte die Wirthin, welche der Unterredung mit wachsender Theilnahme gefolgt war.

»Wann und unter welchen Umständen, Herr Wallerstein?«

»Vor einigen Wochen. Ich hatte von Mutter Thick gehört und beschlossen, bei ihr zu boarden. Auch er wohnte seit Kurzem hier, und zwar unter dem deutschen Namen Heinrich Sander. Es hatte sich ihm eine zweite Person[562] angeschlossen, welche sich Peter Wolf nannte. Ich erfuhr nachher von ihm selbst, daß der Mann sein Diener sei.«

»Er wohnte hier, in dem einfachen Schifferhause? Er mußte verwirrt sein bei dem Zusammentreffen mit Ihnen; er mußte nach einem Grunde suchen, seine Anwesenheit hier zu erklären!«

»Diesen Grund hatte er, wie er mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraute.«

»Welcher war es?«

»Es steht hier in den Staaten eine politische, vielleicht auch kriegerische Verwickelung bevor; er war von seiner Regierung in Beziehung darauf mit geheimen Missionen betraut, die ihm ein strenges Incognito auferlegten.«

»Ah –!« dehnte Treskow; »eine zwar schlaue, aber sehr gewöhnliche Zuflucht! Der Diener war Jean Letrier, ein Mensch, von dem ich – –«

»Jean Letrier?« rief die Wirthin; »der ›böse Jean‹, der mit dem ›schwarzen Capitain‹ gesegelt ist, wie sich die Maaten erzählen, die bei mir verkehren? O, hätte ich das gewußt, hätte ihn nur Einer von den Leuten hier erkannt!«

»Ja, der ist's, Mutter Thick, alte Seejungfer,« meinte Peter Polter. »Und der Labour oder Latour, der sich Heinrich Sander geheißen hat, ist der ›schwarze Capi tain‹ in eigener Person, so wahr ich Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe ›Nelson‹ und dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹ gewesen bin!«

»Was Du sagt, Peter!« meinte sie erschrocken. »O, hätte ich das gewußt, hätte ich's gewußt, ich hätte für so ein Dutzend Ketten und Handschellen gesorgt, daß diese Hallunken es wagen, mein gutes Haus zu verschimpfiren!«

»Er hat sich natürlich nach der Begegnung mit Ihnen schleunigst unsichtbar gemacht?« frug Treskow weiter.

»O nein. Er zeigte große Theilnahme für mein Geschick, gab mir Gelegenheit, mich ihm näher anzuschließen und verlängerte durch die mir erwiesene wohlwollende Aufmerksamkeit meinen Aufenthalt in New-York, der eigentlich nur für einige Tage berechnet war.«

»So muß er hierfür einen besonderen Grund gehabt haben, einen Grund, der selbst seine Befürchtung, entdeckt zu werden, überwog!«

»Den hatte er, wie ich zu meinem eignen Schaden bald bemerken mußte.«

»Nun?«

»Ich war wirklich von seiner Freundlichkeit bestrickt und machte ihm Mittheilung über Verhältnisse, welche ich der vorhin erwähnten Existenz zu Grunde legen wollte.«

»Und diese Verhältnisse? Oder ist diese Frage vielleicht zu indiscret?«

»Nein. Sie dürfen, Sie sollen und müssen sogar Alles erfahren! Mein Vater ist nicht stets der wohlhabende Mann gewesen, der er in den letzten Jahren seines ihm von Mörderhand geraubten Lebens war. Er stammte vielmehr von sehr armen Eltern, welche ihre beiden Söhne zwar während der Lehre unterstützten, sonst aber Nichts weiter für die Brüder thun konnten. Er wurde nach seiner Neigung Goldarbeiter, während der Bruder sich dem Forstwesen widmete und später eine Försterstelle auf den Besitzungen des Fürsten – wir haben den Namen vorhin bereits genannt – des Fürsten von Schönberg-Wildauen erhielt.«

»Good lack,« fuhr Peter empor, »so hat er vielleicht gar meinen Heinz gekannt!«

»Wer ist das?«

»Wer das ist? Nun, wer denn anders als mein Bruder Heinrich Polter aus Langendorf, der am crutch laufen muß, an der Krücke, weil er ein Bein und einen Stelzfuß hat! Er ist Kammerzofe oder wie das Ding heißt, beim Minister Schönberg oder Prinz oder was der alte Lewdrian eigentlich ist.«

»Möglich! Da kam die Zeit der Gährung da drüben, die Manchen als Flüchtling über die See gejagt hat; mein Onkel wurde mit in den Strudel gerissen, verlor Heimath und Stellung und verschwand. Erst nach einigen Jahren durfte er wagen, uns zu schreiben. Er war nach Amerika gegangen und hatte sich als ausgezeichneter Schütze einer Gesellschaft von Pelzjägern angeschlossen. Den Ertrag seiner Mühen sandte er stets den Eltern, und als diese gestorben waren, seinem Bruder, dem diese Spende geschäftlich sehr zu statten kam. Dann gab es eine Zeit, während welcher wir lange nichts mehr von ihm hörten, bis eines Tages mein Vater zu einem der bedeutendsten Banquiers gerufen wurde und eine Summe ausgezahlt erhielt, deren Höhe uns fast schwindeln machte. Ein dabei ausgehändigter Brief des Onkels erklärte uns das Nähere. Er hatte die Bekanntschaft eines Indianerhäuptlings gemacht, auf welche Weise, war nicht erwähnt, welcher Winnetou hieß und – –«

»Winnetou?« rief Peter. »Mille tonnere, sacré de Trekschuit, das ist ja der Häuptling der Apachen, den ich bei Sam Fire-gun getroffen habe, als ich damals nach dem Westen segelte, um in der alten Prairie, von der ich so viel gehört hatte, einmal gehörig Ausguck zu halten!«

»Sam Fire-gun?« frug Wallerstein überrascht. »Kenne Sie ihn?«

»Ob ich ihn kenne? Versteht sich! Ihn und Dik Hammerdull und Pitt Holbers und Bill Potter und Alle, die da drin im Hide-spot stecken, wie der Schiffsmaat in seiner Koje!«

»Welch ein Zusammentreffen! Sam Fire-gun, diesen Namen hat mein Onkel von den Jägern erhalten, und zwar wegen der Geschicklichkeit, mit welcher er die Büchse zu führen versteht.«

»Euer Onkel? Cheer up, junger Mann, gebt mir doch einmal Eure zehn Finger herüber; ich muß sie ein Wenig drücken! Mutter Thick, hol' doch noch einige Tropfen von diesem braunen Wasser da, denn wenn sich Peter Polter freut, so muß er trinken!«

»Was meinten Sie vorhin mit dem Hide-spot?«

»Das ist ein Versteck, welches sich die alten Swalkers ausgesucht haben, damit sie von den rothen Männern nicht[563] gebissen werden, ein Versteck sage ich Euch, in dem man ebenso sicher liegt wie in Abrahams Schooß, oder wie in einem Bette bei Mutter Thick!«

»Und wissen Sie, wo es zu suchen ist?«

»Hm, das ist ein böses Ding! Beschreiben läßt sich so ein Weg nicht, aber wenn man den richtigen Cours zu steuern weiß, so kann man schon dort vor Anker gehen.«

»Gut, wir werden darüber noch weiter sprechen. Ich muß es gradezu ein Glück nennen, daß ich hier so mit Ihnen zusammengetroffen bin. Doch nun wieder zu meinem Berichte! Dieser Winnetou also hat dem Onkel einen Platz im Gebirge gezeigt, wo eine außer ordentliche Menge Gold zu finden sein muß, denn der Onkel ist oben gewesen, und was er gefunden hat, ist eben zu dem Betrage gewesen, den er uns schickte. Wir wurden dadurch in den Stand gesetzt, unserm Geschäft einen Aufschwung zu geben, der allerdings mit der Ermordung und Beraubung des Vaters einen fürchterlichen Abschluß erreichte. Dieses Unglück hatte eine längere Pause in dem Briefwechsel mit dem Oheim zur Folge, bis ich vor nicht gar langer Zeit die Einladung erhielt, eine ähnliche Summe und zwar persönlich in Empfang zu nehmen, da der Onkel sich sehne, einmal einen Verwandten bei sich zu sehen, er selbst sei zu sehr an den Westen gewöhnt, als daß er sich entschließen könne, ihn oder gar die Staaten zu verlassen. Ich sollte den Arkansas hinauf und bis hinter Fort Gibson gehen, wo ich bei einem gewissen Winklay – –«

»Master Winklay, der Irishman? Thunder storm, den kenne ich auch! Ist eine verteufelt langweilige Seele, der Kerl, und hat den schlechtesten Kautabak, den ich zu Wasser und zu Lande getroffen habe!« bemerkte der Steuermann.

»Also richtig! Dort sollte ich bleiben und nach Sam Fire-gun fragen.«

»Nun, Master Wallerstein oder Wallerstone, warum sitzt Ihr denn da noch am Quai und seid nicht abgesegelt nach dem alten Arkansas?«

»Weil – ja, da komme ich eben wieder auf den Herrn Vicomte de Latour. Ich theilte ihm diese Absicht und ihre Veranlassung mit. Er frug mich, ob der Onkel mich persönlich kenne oder ob ich mich genügend bei demselben zu legitimiren vermöge. Ich wieß auf meine polizeilichen Papiere und auf des Onkels Briefe hin, die ich bei mir führte. Er ließ seine Bedenken fallen, und erst später fiel mir auf, daß er das Gespräch auf unsere Familie lenkte, jedenfalls nur, um sich gehörig zu unterrichten und aus dem Gehörten Nutzen zu ziehen, denn am andern Tage waren, als ich von einem Ausgange zurückkehrte, meine Papiere, mein Geld, alle meine Habseligkeiten und auch der Herr Vicomte mit sammt seinem Diener verschwunden.«

»Ah –!« machte Treskow. »Sie haben doch sofort Anzeige gemacht?«

»Allerdings, aber vergeblich. Ich war nun vollständig mittellos, da ich an dem Tage nur wenig Baarschaft in der Tasche geführt hatte und vermochte nicht einmal, meine Rechnung zu bezahlen. Daß ich nicht in die äußerste Noth gerieth, habe ich nur unserer guten Mutter Thick zu verdanken.«

»Pah, Master Wallerstein! Eure Zeche ist nicht so bedeutend, und ich wage Nichts dabei, denn ich weiß, wie ich mit Euch halte.«

Treskow blickte sinnend vor sich nieder.

»Heut ist mir eine nicht ganz üble Stellung angeboten worden,« fuhr der Juwelier fort, »und vielleicht hätte es mir auch geglückt, sie annehmen zu können; nach Dem aber was ich jetzt erfahren habe, möchte es mich keinen Augenblick länger hier in Hobokken leiden, wenn – –«

»Nun, wenn?« frug die Wirthin.

»Wenn ich die nöthigen Mittel hätte,« ergänzte der junge Mann mit niedergeschlagener Miene, »den beiden Schurken folgen zu können. Bis ich sie erworben habe, ist Alles zu spät geworden.«

»Das laßt Euch keine Sorge sein, my dear! Was Ihr braucht, das sollt Ihr haben, und ich hoffe, daß Ihr mich damit nicht zurückweiset!«

»Stopp, Mutter Thick,« meinte der Steuermann, »erst kommt Peter Polter, ehe das Weibsvolk hier zu reden hat. Ein Dreimaster ist ein stattlich Ding, und nur wenn er leck geworden ist, steigt man in den Kutter. Ich bin der Dreimaster und Du bist der Kutter, so ist es, verstehst Du mich? Und leck, god dam, leck bin ich noch lange nicht! Der Peter Polter hatte sich so einige Guineen zurückgelegt, um den Seinen eine Freude zu machen; da sie aber Alle zum Himmel gesteuert sind und der Heinz auch Nichts brauchte, so steckt der alte, dumme Mammon noch grad so hier in der Tasche, wie ich ihn hineingeschoben habe. Er soll heraus, und der Master Wallerstone wird dem Peter Polter nicht das Herzeleid anthun, ihn mit seinen Dollars absegeln zu lassen.«

»Halt, Peter,« remonstrirte Treskow lächelnd, »Ihr meint es Beide jedenfalls gleich gut, aber diese Sache werdet Ihr wohl mir überlassen müssen, und zunächst haben wir noch Anderes zu besprechen. Sind Sie vollständig überzeugt, daß nur Latour sich Ihrer Papiere bemächtigt haben kann?«

»Vollständig. Der Boardkeeper hat ihn sogar aus meinem Zimmer kommen sehen.«

»Dann hat er die Absicht, nach den Westen zu gehen, um sich Ihrem Onkel als Neffen vorzustellen. Dieses und der Umstand, daß er sich hier einzuschränken hatte, giebt mir Einiges zu bedenken. Wo ist der Raub hin, die ungeheuere Summe, welche er Ihrem Vater damals abgenommen hat?«

»Dieser Gedanke hat auch jedenfalls seine volle Berechtigung!«[564]

»Ausgegeben, verschwendet und verpraßt ist ein solches Vermögen in so kurzer Zeit nicht;« fuhr Treskow fort. »Verloren –? – sehr unwahrscheinlich; versteckt –? – vielleicht; aber dann hätte er sich wenigstens mit Genug versehen, um auf dem ihm geläufigen Fuße leben zu können. Mir scheint nur zweierlei möglich: entweder sind wir auf falscher Fährte, so daß er der Thäter nicht ist, oder er hat Complicen, einen oder mehrere, und ist auf irgend eine Weise um sein Antheil gekommen. Ich neige mich zu der letzteren Ansicht. Im Hotel, welches er bewohnte, logirte ein junger Mensch neben ihm, mit dem er auf sehr vertrautem Fuße stand und der zu gleicher Zeit mit ihm abreiste; das erfuhr ich später. In wie weit der Diener Jean Letrier mit im Complote steckt, ist nicht zu sagen. Jedenfalls aber bleiben mir zwei Aufgaben: den Lieutenant von Schönberg und den Pseudo-Vicomte schleunigst aufzusuchen, Ersteren, um ihn von dem fürchterlichen Verdachte zu reinigen, Letzteren, um ihn der Gerechtigkeit zu überliefern. Und da Mutter Thick sagt, daß Lieutenant Parker mit der ›Swallow‹ nach New-Orleans ist, so lassen sich beide Aufgaben sehr wohl vereinigen: wir gehen zu Dreien nach New-Orleans und von da den Arkansas hinauf nach dem Hide-spot, von dem der Steuermann uns erzählte. Ich bin beinahe überzeugt, Latour und Letrier dort zu finden. Sie sind natürlich bei dieser etwas ausgedehnten Parthie, Herr Wallerstein?«

»Von ganzem Herzen,« antwortete der Gefragte, freudig aufathmend; »doch erwähnte ich schon – –«

»Bitte, darüber mag jetzt kein Wort mehr verloren werden! Ich wünsche nur, daß wir die Swallow noch richtig treffen.«

»Bitte, Herr Lieutenant, Sie sprechen von einem gewissen Parker, während es sich doch um den Prinzen von Schönberg-Wildauen handelt!«

Treskow lächelte.

»Wer gezwungen ist, als Mörder zu entfliehen, pflegt vor allen Dingen seinen Namen mit einem andern zu vertauschen. Parker und Schönberg sind Einer und Derselbe. Mutter Thick, welches ist die schnellste Gelegenheit nach dem Süden? Meinen Sie, daß wir die Bahn wählen oder eine Schiffsgelegenheit benutzen sollen?«

»Ja, Sir, mit der Bahn kämt Ihr eigentlich um Einiges früher als mit dem Schiffe, aber es fährt sich jetzt da unten in den Niggerstaaten außerordentlich unsicher, denn die Revolution steht vor der Thür. Zur See habt Ihr dergleichen Störungen nicht zu befürchten und im Gegentheil[577] vielleicht noch den Vortheil, daß Ihr der ›Swallow‹ begegnet, wenn sie im Süden einen neuen Cours erhalten hat.«

»Ich stimme Ihnen bei. Wissen Sie vielleicht ein Schiff, welches bald die Anker lichtet?«

»Hm, der Unions-Dampfer ›Leviathan‹ geht noch heut in der Nacht in offene See; der Kapitän hat noch am Lande zu thun und kommt ganz sicher her, um der Mutter Thick fare well zu sagen. Das Schiff ist scharf auf dem Kiel gebaut und der Capitain ein tüchtiger Offizier. Ein Orlogschiff ist allerdings nicht eigentlich für Passagiere, aber mein Wort gilt Etwas bei ihm, und ich werde also mit ihm reden.«

»Thun Sie das, Mutter Thick!«

»Natürlich thue ich es, obgleich es mir lieb wäre, Euch noch länger bei mir behalten zu können. Doch ich hoffe, daß Ihr mich nicht back- oder steuerbord links liegen laßt, wenn Ihr zurückkehrt, denn ich muß ganz genau erfahren, wie der Faden von hier weitergelaufen ist.«

»Silence, Mutter Neugierde,« meinte Peter. »Ich werde Dir das Tau Zoll für Zoll abwickeln, wenn wir wiederkommen, denn ich weiß, daß Du – –«

»Du, Peter –? Du willst auch mit?«

Der alte Seemann riß den Mund auf und starrte sie mit weit offenen Augen an.

»'sdeath alte Schaluppe, was soll ich denn? Etwa mich hier aufstapeln und ruhig warten, bis hier mein lieber Herr Policeman mit sammt dem Master Waldstone von den Haien gefressen oder von den Indsmen gespießt worden ist? Das sind zwei ganz unglückselige Landratten, folglich muß ich mit zur See. Und wer will ihnen denn den Weg zu Master Winklay und zum Hide-spot zeigen, wenn es der Steuermann Peter Polter aus Langendorf nicht thut? Der alte Lord Schönberg hat mir den Sir hier auf die Seele gebunden und der Heinz mit dem crutch ebenso; ich lasse ihn also keinen Augenblick aus dem Glase und segle mit ihm Bord an Bord, wo er nur immer hinsteuern mag!«

Die brave Frau war wirklich herzlich betrübt, ihren Freund wieder so bald zu verlieren; doch ließ sich Nichts dagegen machen.

Die Unterhaltung hatte ein Ende. Es fanden sich nach und nach Gäste ein, und auch der Capitän des »Leviathan« kam, wie Mutter Thick gesagt hatte. Sie hielt Wort und sprach mit ihm, und auf ihre Verwendung hin ließ er sich bereit finden, gegen den auf Kriegsschiffen herrschenden Gebrauch die drei Männer mit nach New-Orleans zu nehmen.

Sie mußten sich sofort reisefertig machen, da keine Zeit zu verlieren war, und begleiteten ihn nach einem herzlichen Abschiede von der Wirthin an Bord. Noch bei Tagesgrauen verließ der Dampfer den Hafen und stach in See. Die Reise zeigte einen schnelleren Erfolg als Treskow sich hätte träumen lassen. Er stand an Deck und ließ den Blick hinaus auf die See schweifen, deren Wogen weit, weit drüben im Osten das heimathliche Land bespülten. Er dachte an Die, denen er den Frieden wiederbringen sollte und an das Glück, welches seiner wartete, als der köstlichste Lohn, der ihm geboten werden konnte. –

Die Fahrt ging ohne Unfall und Aufenthalt schnell von statten. In der Metropole des Südens angekommen, verließen sie das Schiff, um sich nach der »Swallow« umzusehen.

Sie fanden die Stadt in einer ungeheuren Aufregung; die politische Scheidung von Nord und Süd war immer augenfälliger zu Tage getreten. Man hielt Meetings, man rüstete und betrachtete jeden Nordländer mit offenbarem Mißtrauen, so daß der Aufenthalt jedem ruhig Denkenden nicht nur verleidet, sondern sogar von Stunde zu Stunde schwieriger und gefährlicher wurde.

Auf ihre Erkundigung erfuhren sie an sicherer Stelle, daß Lieutenant Parker sofort nach seinem Eintreffen den Befehl erhalten hatte, mit der »Swallow« um Cap Horn herum nach Californien zu gehen. Diese Ordre war jedenfalls eine Folge der gegenwärtigen, politischen Lage; Parker war zur See unmöglich mehr zu ereilen. Treskow mußte einstweilen von ihm absehen und sein Augenmerk auf den gesuchten Mörder richten.

Da Schaden im Verzuge liegen konnte und New-Orleans sich ihnen von einer nichts weniger als angenehmen Seite bot, so bestiegen sie, nachdem sie sich mit den nöthigen Waffen versehen und ihre jetzigen Anzüge mit der praktischen Trapperkleidung umgetauscht hatten, den ersten aufwärts gehenden Missisippisteamer, der sie bis an die Mündung des Arkansas trug.

Ohne besondere Abenteuer kamen sie hier an, stiegen ab und fuhren mit einem kleineren Dampfer bis Fort Gibson, wo sie sich drei wackere Pferde kauften und die Beutel mit einem gehörigen Quantum von Munition und Proviant füllten. Dann ging es zu Roß mehrere Tage lang am Flusse weiter, bis sie das kleine Settlement erreichten, wo Master Winklay sein »Store and boarding-house« aufgeschlagen hatte.

Treskow und Wallerstein waren Beide, wenn auch nach europäischer Art und Weise, gute Reiter; anders aber verhielt es sich mit Peter Polter, welcher in einer gradezu unbeschreiblichen Stellung auf dem Pferde hockte und die Kniee in die Höhe zog, als wate sein Thier bis hinauf zum Sattel im Schlamme. Grad er hatte einen außerordentlich widerspenstigen Dakotatraber erwischt, der ihm gar viel zu schaffen machte, obgleich der brave Steuermann sich bei seinem früheren Aufenthalte in der Prairie wenigstens so viel Geschicklichkeit angeeignet hatte, daß er nicht aus dem Sattel zu bringen war.

»Have care – Achtung – attention – hopp, Du falscher Racker!« raisonnirte er, als sein muthiger Fuchs den Versuch machte, mit allen Vieren in die Luft zu steigen. Ein Hieb mit der gewaltigen Faust zwischen die Ohren belehrte das Pferd, daß es außer dem seinen noch einen höhern Willen gebe, den es zu respectiren habe. »Da hast[578] Du Eins, wenn Du meinst, daß der Peter Polter aus Langendorf ein Seiltänzer sei oder ein ähnliches halsbrecherisches Individuum! Wirft mir die Bestie den Schwanz in die Höhe wie die Sternflagge eines Dreimasters und schlägt mit dem Gehör um sich, als wolle sie Seekrebse damit fangen! Hätte ich Dich nur zwischen Vor- und Mittelmast eines guten Oceaners, so wollte ich Dir zeigen, was ein Steuermann zu bedeuten hat! Grace à dieu – heigh – day, da ist ja die Kabine, in der Master Winklay, der Irishman vor Anker liegt. Herunter von der Raae, Peter Polter; und Du, Teufelsgaul, Dich werde ich hier mit dem Riemen an die Fenzlatte sorren, damit Dich die Strömung nicht hinaus in die See treibt! Steigt ab, Master Treskow und Herr Wallerstone, wir sind im rechten Hafen!«

Er trat mit so weit auseinander gereckten Beinen auf, als habe er vom Reiten die Seekrankheit bekommen, und schob sich dann vorsichtig durch den Flur und die offenstehende Thür in den Boarraum des Irländers.

»Good day, alter Marsgast!« grüßte er diesen, der sich ganz allein in der Blockstube befand. »Schaff' etwas Nasses zur Stelle', sonst segle ich Dich über den Haufen, so liegt mir der Durst in den Segeln!«

Die beiden Andern zeigten weniger Redseligkeit; sie nahmen schweigend Platz und überließen ihrem Gefährten die Einleitung zu dem beabsichtigten Gespräch.

»Helà my good Haggler, kennst Du den Peter Polter noch?« frug dieser.

Der Wirth zog sein vertrunkenes Gesicht in schmunzelnde Falten.

»Kenn Dich schon noch. Wer so trinken kann wie Du, den vergißt man nicht so leicht!«

»Well done – bon! Hätte Dir aber einen solchen Merks kaum zugetraut! Weißt noch, als ich mit Dik Hammerdull, Pitt Holbers und noch Einigen hier Abschied trank und doch zwei Tage länger warten mußte, weil die Andern gar nicht wieder aufwachen wollten?«

»Yes, yes, das war ein ›Drink‹, wie ich noch keinen erlebt hatte und wohl auch keinen wieder mitmachen werde. Wo bist Du denn herumgestiegen?«

»Bin nach dem Osten und zur See, habe hierhin geguckt und dorthin und will nun wieder auf eine Woche oder zwei zum alten Fire-gun. Ist doch noch zu haben, der alte Trapper, he?«

»Meine es! Den löscht so leicht kein Indsman aus, und die bei ihm sind, wissen sich und ihn zu halten. Dik Hammerdull ist hier gewesen vor nicht gar langer Zeit; der lange Pitt war auch bei ihm. Sind dann fortgegangen und auf die Rothen gestoßen, wie ich mir denke. Man sagt, die Ogellallah's hätten einen Zug überfallen und von Sam Fire-gun und Winnetou eine gute Portion Blei und Eisen erhalten.«

»Winnetou? Ist der Apache auch wieder zu haben?«

Der Irländer nickte.

»Freilich; war sogar hier bei mir und hat mich bei der Gurgel gehabt, daß mir beinahe der Athem ausgegangen ist.«

»Alas, alter friend, bist ihm wohl quer durch den Cours gerudert?«

»War so Etwas! Kannte ihn nicht und wollte ihm keine Munition verkaufen, kam aber da verdammt an den Unrechten. Willst Du Bill Potter sehen?«

»Bill Potter? Ist er hier an Bord?«

»Meine es! Ist nur ein Wenig in den Wald gegangen und hat sein Pferd hinter dem Hause stehen.«

»Lack-a-day, das paßt sich gut! Wie segelt er, von oder zu dem Colonel?«

»Zu – zu ihm; ist einige Zeit da unten in Missouri gewesen, wo er Verwandte hat, und will nun wieder hinauf nach den Bergen.«

»Wann macht er sich an die Ankerwinde?«

»Wie? Rede doch so, wie einem ehrlichen Manne der Schnabel gewachsen ist. Wer soll denn dieses schauderhafte Zeug verstehen?«

»Bist ein dull-man, ein Dummkopf, wie er im Buche steht, und wirst auch einer bleiben! Wenn er fortgeht von hier, meine ich!«

»Kann es nicht sagen, wird aber nicht in alle Ewigkeit hier liegen bleiben.«

»Hat er abgesattelt?«

»Nein.«

»So wird er sich vielleicht noch heut in die Ruder legen, und wir machen mit!«

Der Wirth schien wirklich sehr freundschaftliche Gesinnungen für den originellen Seemann zu hegen, denn der sonst so schweigsame und zurückhaltende Mann hatte sich wohl seit Jahren zu keinem so langen Gespräche herbeigelassen, wie das gegenwärtige war.

Jetzt machte sich Treskow zu einer Frage bereit. Er griff in die Tasche und zog die Photographie Latours hervor.

»Wollt Ihr mir nicht sagen, ob vor Kurzem bei Euch zwei Männer vorgesprochen haben, zwei Deutsche, Master Winklay, die sich Heinrich Sander und Peter Wolf nannten?«

»Heinrich Sander – Peter Wolf? Hm, ich will mein ganzes Schießpulver verschlucken und eine Portion Schwamm und Feuerzeug dazu, wenn das nicht die beiden Green-horns waren, die zu Sam Fire-gun wollten!«

»Wie sahen sie aus?«

»Grün, sehr grün, Mann; mehr kann ich nicht sagen. Der Eine – Heinrich Sander glaube ich war es – machte uns den Spaß und ging mit seiner Mückenflinte dem dicken Hammerdull zu Leibe, wurde aber ganz gehörig heimgeschickt. Ich glaube, Dick hätte ihm einige Zoll Eisen zu kosten gegeben, wenn er nicht gesagt hätte, daß der Colonel sein Oheim sei.«

»Gefunden!« meinte Treskow freudig. »Wo sind die Beiden dann hin?«[579]

»Fort mit dem Langen und Dicken, hinaus in die Savanne. Mehr weiß ich nicht.«

»Seht Euch doch einmal dieses Bild hier an, Master! Kennt Ihr den Mann?«

»Wenn das ein Andrer ist, als der Heinrich Sander, so sollt Ihr mich auf der Stelle theeren und federn!«

Dann aber trat er, wie unter einem plötzlich in ihm auftauchenden Gedanken, um einen Schritt zurück und frug in zurückhaltendem Tone:

»Sucht Ihr den Mann, Sir?«

»Warum?«

»Hm! Ein Westmann trägt niemals so ein Conterfey mit sich herum, und Ihr seht – seht so nett und sauber aus, daß – daß – –«

»Nun, daß – –«

»Daß ich Euch einen guten Rath geben möchte!« verbesserte er den beabsichtigten Satz.

»Welchen?«

»Was hier bei mir vorgeht, das kümmert mich nichts; so lange man mir meine guten Hausrechte läßt. Ich frage Niemanden und antworte auch Keinem. Euch aber habe ich Rede gestanden, weil Ihr mit Dem da gekommen seid, sonst hättet Ihr Nichts von mir erfahren. Aber zeigt Niemand das Bild wieder vor und erkundigt Euch nicht eher nach irgend Wen, als bis Ihr ein Wenig mehr nach der Savanne ausseht, denn sonst – sonst – –«

»Weiter! Sonst –?«

»Sonst hält man Euch gar für einen Policeman, für einen Dedective, und das ist oft sehr schlimm. Der Westmann braucht keine Polizei, er richtet selber, was es zu richten giebt, und wer sich da hineinmengt, den weißt er mit dem Bowiekneif zurück!«

Treskow wollte eben antworten, da aber öffnete sich die Thür, und ein Mann trat ein, bei dessen Anblick der Steuermann sich mit lautem Zurufe erhob.

»Bill Potter, alter Swalker, bist Du's wirklich? Komm her und trink; ich weiß noch ganz genau, daß Deine kleine Kehle ein ganz verteufelt großes Loch ist!«

Der Angeredete war ein winziges, dürftiges Männlein, an dessen Körper sich kaum ein halbes Pfund Fleisch vermuthen ließ. Er sah den Sprecher verwundert an, wobei sich sein kleines Gesichtchen in hundert lachende Falten und Fältchen legte.

»Bill Potter –? Swalker –? – trinken –? großes Loch –? Hihihihi, wo hab' ich nur den Kerl gesehen, der mir so bekannt vorkommt!«

»Wo Du mich gesehen hast? Hier, natürlich hier. Streng nur Dein Gehörnchen ein Bischen an!«

»Hier? Hm! Kann mich doch nicht gleich besinnen. Bin so oft hier gewesen und mit so verschiedenen Männern, daß ich den Einzelnen nicht so schnell aus dem Haufen herausfinden kann. Wie klingt Dein Name, he?«

»Donnerwetter, hat der kleine Junge hier bei Master Winklay an meiner Seite gesessen und dabei getrunken, daß er zwei Tage lang mit keinem Finger wackeln konnte, und fragt mich jetzt, wie mein Name klingt! Und noch dazu bin ich mit ihm im Hide-spot gewesen, wo wir bei Sam Fire – –«

»Stopp, Alter! Hihihihi, jetzt kenne ich Dich!« fiel ihm der Kleine hier in die Rede. »Heißest Peter Folter oder Molter oder Wolter oder – –«

»Polter, Peter Polter aus Langendorf, zuerst Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe Nelson und dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹, wenn Du Dir es merken willst!«

»Weiß – weiß – weiß! Bist ja mit bei uns gewesen und hast mir zu guter Letzt beinahe noch den Tod an den Hals getrunken. Hihihihi, hast eine Gurgel, wie ich noch keine gesehen habe, und kannst trinken wie – wie – wie der alte Vater Missisippi selber. Wo warst Du denn nachher, und wo willst Du hin?«

»War ein Weniges in der Welt herum, und will jetzt wieder zu Euch, wenn es Dir recht ist.«

»Zu uns? Weshalb?«

»Diese Gentlemen hier haben mit Eurem Capitän oder Colonel zu reden. Wird er daheim auch zu finden sein?«

»Denke es. Wenn wollt Ihr fort von hier?«

»So bald als möglich. Reitest doch mit, he?«

»Möchte schon, wenn Ihr mich nicht zu lange warten laßt!«

»Je eher, desto lieber ist es uns. Iß und trink, alter Schießpügel, und dann mag es vorwärts gehen!«

Es war nur kurze Zeit vergangen, so saßen die Männer zu Pferde und verließen das Store and Boarding-house des ehrenwerthen Master Winkley.

Sie schlugen ganz dieselbe Richtung ein, welcher vor ihnen Dik Hammerdull mit seinen Begleitern gefolgt war, deren Spuren allerdings nicht mehr bemerkt werden konnten.

Bill Potter erwies sich als ein ausgezeichneter Führer. Das kleine Männchen entwickelte eine Ausdauer, einen Scharfsinn und eine Beweglichkeit, welche ihm das Vertrauen der drei Anderen gewann.

So hatte der Ritt schon einige Tage fortgedauert, als sie den Schienenstrang der Bahn erreichten, an welchem der Ueberfall der Ogellallah stattgefunden hatte. Es war am frühen Morgen, als Bill Potter plötzlich sein Pferd hielt und aufmerksam in die Ferne schaute.

»Seht Ihr, Mesch'schurs,« rief er, mit dem Arme vorwärts deutend, »die Todtengräber (Präriegeier) in der Luft und die Coyotes (Schakals, Savannenwölfe) am Boden? Dort hat irgend Wer den letzten Stich oder die letzte Kugel erhalten. Wollen hoffen, daß es eine Rothhaut gewesen ist, hihihihi. Kommt, laßt uns einmal nachsehen!«[580]

Die vier Reiter setzten ihre Pferde in Trapp und gelangten auf den Kampfplatz. Die Leichen der Erschlagenen lagen, von Geiern und Wölfen ihres Fleisches beraubt, noch da, wie sie gefallen waren. Die Bahnzüge waren vorübergesaußt, ohne daß deren Insassen die Stätte beachtet hatten. Potter untersuchte jede Kleinigkeit genau.

»Lack-a-day,« meinte er endlich; »hier hat ein fürchterlicher Kampf stattgefunden. Seht Ihr diese Schienen hier? Sie sind reparirt worden. Die rothen Hallunken haben den Zug überfallen wollen, sind aber von den Weißen daran verhindert worden. Es waren die Ogellallah; ich sehe es an der Tätowirung. Und diese zerspalteten Schädel – einen solchen Hieb vermag nur der Colonel, Sam Fire-gun zu führen. Dik Hammerdull ist dabei gewesen und Pitt Holbers auch. Hier haben sie gestanden, wie gewöhnlich Rücken an Rücken; ich sehe es an den Fußspuren, die tief in die Erde gegraben sind. Dort haben die Feuer gebrannt; da drüben hatten die Indianer ihre Pferde angepflockt – seht Ihr die Löcher im Boden – und hier, kommt, hier sind Zwei geflohen und verfolgt wor den!«

Er zog sein Pferd hinter sich her und folgte den Spuren, die bei der Flucht Heinrich Sanders und Peter Wolfs in den weichen Boden so tief eingegraben worden waren, daß man sie noch jetzt zu erkennen vermochte.

»Hallo, hier ist's aus gewesen; hier sind ihre Pferde von den Lariat's niedergerissen worden, und egad, Mesch'schurs, es sind zwei Weiße gewesen, aber nicht verfolgt von Rothen, sondern von drei Weißen und nur einem Rothen. Hihihihi, diese Fußtapfen sollte ich wohl kennen! Ich lasse mir vom ersten besten Grizzly die Hirnschale einbeißen, wenn das nicht der Colonel war mit Dik Hammerdull und Pitt Holbers und – und – wahrhaftig, das ist kein Anderer gewesen als Winnetou, der Häuptling der Apachen!«

Die Anderen mußten über den Scharfsinn und die Sicherheit erstaunen, mit welcher der kleine Jäger aus den verworrenen und schon vielfach verwischten Spuren seine Schlüsse zog.

»Zwei Weiße sind es gewesen, die von ihnen verfolgt wurden?« frug Treskow gespannt.

»Zwei Weiße, Sir, das ist sicher, denn ihre Tapfen gehen hier, wo sie gestanden haben, mit den Zehen auseinander, während die Rothen meist mit den Zehen nach einwärts laufen. Und seht, wie unsicher ihr Schritt gewesen ist? Ich glaube, sie sind gebunden und auf die Pferde geschnallt worden, weil die Thiere von hier aus paarweise gegangen[593] sind. Die Sieger haben die Pferde der Beiden an dem Zügel genommen.«

Obgleich die stillen Vermuthungen Treskows der Wahrheit ziemlich nahe kamen, konnte sich doch Keiner so recht erklären, wie nach einem Kampfe zwischen Rothen und Weißen zwei der Letzteren von ihren Kampfgenossen hatten verfolgt werden können. Man sprach die verschiedensten Meinungen aus, bis Bill Potter dem vergeblichen Grübeln ein Ende machte:

»Sie haben die Richtung nach dem Hide-spot eingeschlagen, doch will ich wetten, daß die Indsmen sich gesammelt haben und sie nun verfolgen. Das Beste ist, Mesch'schurs, wir bleiben auf der Spur!«

Die Drei stimmten bei und trabten dann munter hinter dem Kleinen her.

»Behold,« rief er nach Verlauf von kaum einer halben Stunde, »habe ich nicht recht gehabt? Hier sind zwei Trupps Pfeilmänner von rechts und links gekommen. Sie haben den Kampfplatz umritten, um die Richtung zu finden, in welcher die Weißen fortgegangen sind, und sich hier vereinigt, um ihnen zu folgen. Der Sand behält die Spuren lang, so daß ich vermuthe, sie haben einen Vorsprung von mehreren Tagen. Doch sind unsre Pferde gut, und sie haben jedenfalls Verwundete bei sich, die einen schnellen Ritt nicht vertragen können. Wir holen sie noch ein, ehe sie den Hide-spot erreichen.«

Wieder ging es vorwärts, nicht blos Stunden, sondern Tage lang und immer auf der aufgefundenen Spur, die bald deutlich erkennbar war, bald sich wieder auf dem harten Gestein oder im weichen Grase verlor, stets aber von Bill Potter wiedergefunden wurde.

So gelangte man in jene Gegend, wo der Arkansas-River einen weiten Bogen nach den Smoky Hills beschreibt, und zahlreiche Bäche ihm von den Bergen herab entgegenströmen.

Die offene Prärie ging durch weitgebreitetes Gebüsch nach und nach in den hochstämmigen Urwald über, und der Führer der kleinen Gesellschaft wurde von Minute zu Minute vorsichtiger, da die Spur, welcher sie folgten, sich immer jünger zeigte und sie hinter jedem Baume auf einen der Wilden stoßen konnten.

Da plötzlich hielt Bill Potter an und unterwarf den weichen, mosigen Boden einer sehr sorgfältigen und genauen Prüfung.

»Wahrhaftig, hier kommen die Spuren weißer Männer aus dem Walde, Sie sind mit den Wilden zusammengetroffen, ohne daß ein Kampf stattgefunden hat. Seht her, hier in diesem Kreise haben die beiden gegenseitigen Anführer gestanden und mit einander verhandelt; dann ist das Calummet, die Friedenspfeife herumgegangen; Ihr seht es hier an dem kleinen Rest von Punks (Präriefeuerzeug), der halb verkohlt am Boden liegt. Es ist jedenfalls eine Schaar Bushhawkers (Buschklepper) gewesen, die sich mit den Rothen vereinigt hat, um unsern Hide-spot ausfindig zu machen, ihn zu überfallen und sich in die Beute zu theilen.«

»Mille tonnere – Millionen-Schock-Backborddonnerwetter,« fuhr Peter Polter auf; »da werde ich einmal mit diesen meinen guten Fäusten dreinfahren, daß die Weißen roth und die Rothen vor Schreck weiß werden! Wenn mich die Luft nicht trügt, so haben wir gar nicht mehr weit zu segeln, um in dem Hide-spot vor Anker zu gehen. Aber was thun wir hier mit unsern vierbeinigen Fahrzeugen? Ich habe das meinige satt bis an den Hals herauf; es schüttelt und schlingert mich hin und her, daß mir der Verstand im Kopfe wehe thut und meine zweihundertachtunddreißig Knochen alle einzeln hinunter in die Stiefeln rutschen!«

Potter lachte über dieses klägliche Lamento des wackeren Seemannes.

»Will's gern glauben, Master; Du sitzt ja auch zu Pferde, als solltest Du zu Eierkuchen verbacken werden! Die Thiere können wir allerdings nicht weiter mitnehmen; sie sind uns hinderlich. Aber ich weiß einen Ort, wo wir sie verstecken können, ohne daß eine Indsmen sie zu finden vermag. Kommt, Mesch'schurs!«

Er wandte sich seitwärts in den Wald. Nach vieler Mühe, welche ihnen das Durchdringen des dichten Unterholzes bereitete, gelangten sie auf eine kleine, freie und tief versteckte Blöße, auf welcher sie die Pferde anhobbelten (die Vorderfüße fesseln). Dann kehrten sie zu der Stelle zurück, wo sie die Spur verlassen hatten.

Sie folgten derselben weiter, und zwar mit außerordentlicher Vorsicht und Behutsamkeit, das Bowiemesser gelockert und die Büchse im Anschlage zum Schusse bereit. Da plötzlich hielt Potter still und lauschte.

»Horcht, Ihr Männer! Klang das nicht wie das Schnauben einen Pferdes?«

Auch die Anderen hielten die leisen Schritte an und horchten in die tiefe Stille des Urwaldes hinein. Ein leises Wiehern erklang von der Seite her.

»Entweder haben sie sich dort gelagert, oder die Thiere zurückgelassen, um schneller vorwärts zu kommen. Das verteufelte Viehzeug wird uns wittern und verrathen. Wir müssen ihnen den Wind abgewinnen!«

Er legte sich zur Erde und bewegte sich kriechend in einem weiten Bogen. Die Anderen folgten seinem Beispiel. Nach einiger Zeit gab er ihnen ein Zeichen, alles Geräusch zu vermeiden und deutete zwischen die Büsche hindurch nach einem freien Platze, der vor ihnen lag. Dort weideten gegen dreißig Pferde, bewacht von zwei Indianern.

»Seht Ihr die rothen Hallunken, Mesch'schurs? Ich hätte große Lust, ihnen mein Messer fühlen zu lassen und die Pferde in alle Winde zu jagen, hihihihi. Aber es geht nicht. Wir dürfen uns nicht verrathen; denn sie sind zu Fuße weiter, um die Verfolgten zu überfallen. Vorwärts; wir müssen so bald als möglich an sie kommen, aber nicht auf der Führte, sondern von der Seite!«

Der kleine Mann wandt sich mit der Geschicklichkeit und Geräuschlosigkeit einer Schlange durch das Dickicht. Der Weg war ein furchtbar beschwerlicher. Stunden vergingen; der Abend begann unter den hochgewölbten Baumkronen[594] eher zu dunkeln; als draußen in der offenen Prärie, und es wurde immer schwerer, die eingeschlagene Richtung einzuhalten. Da hob Potter den Kopf und sog mit weitgeöffneten Nüstern die Luft ein.

»Das riecht nach Brand und Rauch. Sie haben Lager gemacht. Vorwärts, aber leise, leise, denn wir sind jetzt ganz nahe bei ihnen!«

Das Unterholz war jetzt gewichen, und die gigantischen Stämme ragten frei, wie die Säulen eines gewaltigen, grünbedachten Tempel zu der dichten Kronendecke empor. Die vier Männer krochen von einem Baum zum andern auf dem Bauche und suchten dann stets hinter den dicken Baumstämmen so lange Deckung, bis sie sich überzeugt hatten, daß man sie nicht bemerkt habe und ihre nächste Umgebung noch frei von Gefahren sei.

So gelangten sie an den Rand eines Gutter, wie der Hinterwälder die rißartigen Vertiefungen nennt, welche, lang, schmal und tief geschnitten, sich oft im dichtesten Urwalde zeigen. Potter schob vorsichtig den Kopf vor und blickte hinab. Grad unter ihnen, in einer Tiefe von ungefähr vierzig Fuß, brannte ein Feuer, um welches wohl um die dreißig rothe und weiße Männer saßen, während seitwärts von ihnen und von ihren scharfen Blicken bewacht, drei Gestalten lagen, die an Händen und Füßen gebunden waren.

»At length, da haben wir sie!« meinte der kleine Trapper. »Und sie ahnen nicht, daß sie von oben so prächtig beguckt werden, hihihihi! Aber wer sind denn die drei Leute dort? Schiebt Euch ein wenig weiter vorwärts, Mesch'schurs, bis dort zu den Farrenkrautbüscheln; da können wir die Gesichter sehen!«

Ein dichtes Farrengesträuch trat bis an den Rand des Gutter heran und gestattete ihnen, sich so vollständig zu verbergen, daß sie unmöglich gesehen werden konnten.

»Zounds,« flüsterte Potter, als er jetzt den Blick wieder hinabwarf, »es ist der Colonel mit Pitt Holbers und Dik Hammerdull, die sie überfallen und gefangen genommen haben!«

»Der Colonel?« frug der Steuermann, indem er den Kopf zwischen die breiten Blätter hindurchsteckte; heavens – vraiment – wahrhaftig! Soll ich hinunterspringen und ihn mit meinen beiden Fäusten aus der Patsche herausfischen, Bill?«

»Warte noch ein Wenig, Alter; wollen erst sehen, was da eigentlich vorgehen soll! Siehst Du nicht, daß die Schufte sich nur so eng zusammengethan haben, um über das Schicksal der Gefangenen zu berathen? Dort der schwarzbärtige Jäger führt den Vorsitz; die Ogellallah leiden das; ihr Häuptling Riccarroh muß also dort an der Bahn mit gefallen sein. Schaut, jetzt sind sie fertig, und ihr Anführer erhebt sich!«

Es war so, wie er sagte. Einer von den weißen Jägern, der allem Anscheine nach den Anführer machte, war aufgestanden und zu den Gefangenen getreten. Er löste die Fesseln, welche ihre Füße umschlungen hielten und gab ihnen einen Wink, sich zu erheben.

»Steht auf, und vernehmt, was über Euch beschlossen ist!«

Die drei Männer folgten dieser Aufforderung.

»Ihr seid Sam Fire-gun, der Anführer der Jäger, die hier im Walde ihr Hide-spot haben?«

Der Angeredete nickte zustimmend.

»Ihr habt Riccarroh, den Häuptling dieser braven red-men erschlagen?«

Ein gleiches Nicken war die Antwort.

»Man sagt, daß Ihr viel Gold von den Bergen herab in Euer Versteck geschafft habt. Ist das wahr?«

»Sehr viel!«

»Und daß Ihr mehrere Tausend Biberfelle in Euren Caches liegen habt?«

»Well, Master, Ihr seid gut unterrichtet.«

»So hört, was ich Euch zu sagen habe: Diese rothen Männer verlangen Euren Tod. Ich habe ihnen denselben zwar zugestanden, aber sie verstehen unsre Sprache nicht, und ich will Euch daher einen Vorschlag machen.«

»Redet!«

»Ihr führt uns in Euern Hide-spot, gebt uns das Gold und die Häute und seid dann frei!«

»Ist das Alles, was Ihr von uns wollt?«

»Alles. Entscheidet schnell!«

»Ihr scheint verteufelt wenig von Sam Fire-gun gehört zu haben, Master, daß Ihr mir einen so albernen Vorschlag machen könnt. Ihr habt Euch mit den rothen Schuften, die Ihr also an Schurkerei noch übertrefft, nur verbunden, um meines Goldes willen – ein Weißer mit Rothen gegen Weiße, verdammt soll Eure Seele sein für diese Schlechtigkeit in alle Ewigkeit! Oder haltet Ihr mich wirklich so dumm, zu glauben, daß Ihr uns frei lassen werdet, wenn Ihr habt, was Ihr begehrt?«

»Ich halte mein Wort, verbitte mir aber alle weitere Beleidigung!«

»Das macht einem Greenhorn weiß, aber nicht mir! Ihr wißt nur zu gut, daß ich meine Freiheit nur benutzen würde, um Euch vor die Büchse zu bekommen und den Raub wieder abzunehmen. Schießt uns nieder, wenn Ihr das Herz dazu habt!«

Vielleicht wußte Sam Firegun, weshalb er so muthig reden durfte. Sein Auge hatte, während er sprach, sich zum Rande der Schlucht erhoben, denselben mit einem blitzschnellen und scharfen Blicke gemustert und sich dann ebenso rasch wieder gesenkt. Ein kaum bemerkbares, befriedigtes Lächeln glitt um seine Lippen.

Dieser Blick war dem aufmerksamen Polizistenauge Treskows nicht entgangen; er sah hinüber nach der Stelle, wo das Auge des Colonels zuletzt gehangen hatte und fuhr unwillkürlich zusammen.

»Schaut da hinüber,« flüsterte er Bill Potter zu, welcher neben ihm lag; »ich sehe den Kopf eines Wilden!«

Der Angeredete folgte der Weisung.

»Good lack, das ist bei Gott Winnetou, der Apache! Dachte ich es doch, daß er mit bei dem Colonel gewesen ist![595] Er wurde nicht mit gefangen und ist ihnen gefolgt, um sie zu befreien. Ich muß ihm unser Zeichen geben!«

Er nahm ein Blatt an die Lippen und ließ das Zirpen der amerikanischen Grille vernehmen. Dieser Laut konnte den Feinden unmöglich auffallen, da diese Art von Heimchen sich nur des Nachts hören läßt. Winnetou aber warf einen erstaunten Blick herüber und war dann verschwunden. Auch die drei Jäger hatten aufgehorcht, verriethen sich aber nicht durch die geringste Bewegung ihrer Mienen.

»Schießen?« frug der Jäger, die Achsel zuckend. »Was bildet Ihr Euch ein! Ich muß Euch den Indsmen übergeben, und die werden Euch an den Marderpfahl binden. Euer Gold und die Felle bekommen wir trotzdem. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht eine Spur von Euren Leuten entdeckten. Also nehmt Verstand an, Master, und sagt Ja!«

»Fällt mir nicht ein! Ich mag Nichts, auch das Leben nicht, von einem Manne geschenkt haben, der seine Brüder hinterrücks überfällt und an die Feinde verkauft. Ihr seid ein Hallunke, Master, merkt Euch das!«

»Wahrt Eure Zunge, sonst hole ich sie mit meinem Messer heraus, noch ehe ich Euch den Rothen übergebe!«

»Beweißt, daß Ihr besser seid, als ich denke! Gebt uns die Waffen zurück und laßt uns kämpfen, Drei gegen Dreißig, wenn Ihr kein Weib sondern ein richtiger Westmann seid!«

»Ist nicht nothwendig, Master! Wir blasen Euch auch ohne Kampf die Seele aus der Haut. Und was den ›Hallunken‹ betrifft, so zupft Euch am eigenen Ohre. Oder habt Ihr nicht diese beiden Männer gefangen und gefesselt mit Euch geführt, bis wir sie befreit haben?«

Er deutete dabei auf Heinrich Sander und Peter Wolf, welche in seiner Nähe saßen.

»Sie hatten nichts Besseres verdient; ich aber habe Euch nicht das mindeste Leid gethan!«

»Darüber wollen wir nicht streiten! Also, kurz und bündig: Nehmt Ihr meinen Vorschlag an oder nicht?«

»Nein!«

»Und Ihr andern Beide?«

»Hm,« antwortete Dik Hammerdull mit verächtlichem Blinzeln seiner kleinen Aeuglein, »ob wir ihn annehmen oder nicht, das bleibt sich gleich; für Euch kommt auf keine Weise etwas Gutes heraus, das könnt Ihr glauben! Hätte ich nur meine Hände frei und die Mary in der Faust, so sollte Euch der Teufel holen! Oder meinst Du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn Du denkst, Dik, daß er ihn holen soll,« antwortete der Lange, »so habe ich nicht das Mindeste dagegen!«

»Well done,« antwortete der Jäger mit zornigem Leuchten seiner Augen; »so mögen Euch die Rothen spießen und braten, ganz wie es Euch beliebt!«

Er ließ sich bei den Indianern nieder, um ihnen das Ergebniß der Verhandlung mitzutheilen.

Während dieser Letzteren hatte im Schutze des Farrengestrüppes ein leises aber außerordentlich bewegtes Gespräch stattgefunden.

»Also Der, welcher jetzt spricht, ist Euer Colonel?« frug Wallerstein Bill Potter.

»Ja, Sir, Euer Onkel, wenn das wahr ist, was Ihr mir erzählt habt.«

»Er ist's, Ihr könnt es glauben. Er ist dem Vater so ähnlich, daß kein Zweifel übrig bleibt. Und nun ich ihn endlich treffe, ist er verloren! Giebt es keine Hülfe, Bill?«

»Hört, Sir, wenn Ihr denkt, daß ich meinen Colonel stecken lasse, so habt Ihr Euch in mir verrechnet. Kann ich auf Euch zählen, Mesch'schurs?«

Treskow und Wallerstein nickten nur; Peter Polter aber meinte:

»Ich will hier liegen bleiben und verhungern wie ein altes Wrack, wenn ich den Kerl da unten, der mit dem Colonel spricht, nicht zwischen meine zehn Finger nehme und zu Hafergrütze quetsche. Aber nehmt doch einmal die Photographie aus Eurem Beutel, Master Lieutenant! Das Feuer brennt hell genug zu einem Blick darauf. Ich lasse mich auf der Stelle kielholen, wenn dort nicht Einer sitzt, der genau so ein Gesicht macht wie Euer Bild!«

»Ich brauche die Photographie nicht, Peter; er ist's; ich habe ihn erkannt,« antwortete Treskow. »Sehen Sie sich die Beiden einmal an, auf die soeben der Jäger zeigt, Herr Wallerstein, ob es nicht Latour und Jean Letrier sind!«

»Sie sind es! es ist kein Zweifel möglich, obgleich die ungewohnte Tracht ihnen auch ein fremdes Aussehen giebt. So nahe am Ziele, werden sie uns nun doch entgehen!«

»Das wartet ab, Sir!« antwortete Potter. »Der Colonel hat mein Zeichen gehört und weiß, daß Hülfe in der Nähe ist. Hat er nur erst die Hände frei, so sollt Ihr sehen, was die Schurken zu schmecken bekommen!«

Da raschelte es leise hinter ihnen. Die geschmeidige Gestalt des Apachen schob sich zwischen sie herbei.

»Winnetou hat vernommen die Grille und erkannt das Gesicht von Bill, dem Manne seines weißen Bruders. Er wird schleichen zum Gutter und lösen die Bande seiner Freunde. Dann mögen meine Brüder hier hinunterspringen und sich stürzen auf die Jäger und Ogellallah, um zu folgen Sam Fire-gun nach sei nem Wigwam!«

So schnell er gekommen, so behend war er auch wieder fort. Mit scharfem Auge bewachten die Männer das feindliche Lager und hielten sich zum augenblicklichen Angriffe bereit.

Jetzt erhob sich der feindliche Anführer wieder und mit ihm die sämmtlichen Jäger und Wilden. Aber ehe er noch ein Wort gesprochen hatte, schnellte sich eine dunkle Gestalt durch das ringsum wuchernde Gestrüpp und Gedorn bis zu den Gefangenen.[596]

Drei Schnitte – und ihre Hände waren von den Fesseln befreit – vier Schüsse krachten von oben herab – noch vier – Sam Fire-gun hatte keine Zeit, das Weitere zu beachten; er entriß dem ihm zunächst stehenden Indianer den Tomahawk und stürzte sich in den Schwarm der tödtlich überraschten Feinde.

»Come on, drauf, drauf,« klang seine Stimme, während Winnetou an seiner Seite unter den Ogellallah's mähte.

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst Du den Kerl dort, der meine Mary hat?« rief Dik Hammerdull triumphierend. »Komm, ich muß sie haben!«

Die beiden Unzertrennlichen drangen vor, bis der Dicke seinen geliebten Schießprügel zurückerobert hatte. Peter Polter, der Steuermann, war wie eine Lawine mitten unter die erschrockenen Gegner hineingekracht. Er wollte sein Wort halten. Mit seinen Bärenfäusten faßte er ihren Anführer bei Schenkel und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor, schmetterte ihn zur Erde, daß es dröhnte, und stieß ihm dann das Messer in die Brust.

»Bounce, abgethan! Weiter, Ihr Männer, schlagt, haut, stecht, schießt, prügelt sie, werft sie über Bord, daß sie ersaufen, quetscht sie todt, hurrah – hurrah!«

Während der wackere Seemann in dieser Weise seinem Herzen Luft machte, thaten auch Wallerstein und Treskow ihre Schuldigkeit. Es war der erste Kampf, an dem sie theilnahmen, und zwar zugleich ein furchtbarer, der ihnen das Leben im wilden Westen von der dunkelsten Seite zeigte.

Die Feinde waren an Zahl fast vierfach überlegen, aber durch die Ueberraschung zu Schaden gekommen, denn ehe sie sich auf den Widerstand besannen, lag bereits die Hälfte von ihnen am Boden. Wie in jener Nacht des Ueberfalles an der Eisenbahn wüthete der Tomahawk Sam Fire-gun's unter den Gegnern; Winnetou fand nicht weniger Opfer, und Hammerdull stand Rücken an Rücken mit Pitt Holbers im dichtesten Gewühl. Der Steuermann fuhr in der Schlucht herum wie eine losgelassene Furie; der kleine Bill Potter hatte sich am Eingange derselben zwischen die Büsche gesteckt, aus welchen er, jede Flucht zurückweisend, seine Schüsse sandte, und Treskow mit dem Goldarbeiter –?

Diese Beiden hatten gleich beim Beginn des Kampfes ihr Augenmerk auf Sander und Wolf geworfen. Treskow hatte den Reserveriemen von der Hüfte gelöst und in eine Schlinge geknüpft.

»Machen Sie es ebenso! Unsere Schüsse werden sie verblüffen. Ich nehme Latour und Sie den Diener. Ehe[609] sie an Vertheidigung denken, müssen sie die Schlinge um den Hals haben und besinnungslos am Boden liegen!«

Diese Aufforderung des Polizisten hatte sich bewährt. Nach wenigen Minuten des Kampfes waren die Angreifer Sieger. Sander und Wolf waren gefesselt; sämmtliche weiße Gegner lagen todt an der Erde, und nur einigen gewandten Indianern war es gelungen, zu entkommen.

Sam Fire-gun war nicht der Mann, lange Fragen über seine wunderbare Rettung auszusprechen, wo es jetzt galt, den Sieg zu benutzen.

»Vorwärts, Leute, zu den Pferden,« rief er, »damit sie uns nicht verloren gehen! Und Ihr Drei Mesch'schurs,« meinte er zu Treskow, Wallerstein und dem Steuermann, »bleibt bei den Gefangenen. Werden nicht lange fort sein und uns nachher auch schon kennen lernen!«

So rasch wie möglich ging die wilde Jagd von dannen, um die zwei Indianer mit ihren Pferden noch vor den Flüchtigen zu erreichen.

Die drei Zurückgebliebenen ließen sich nieder. Ihre Lage war keineswegs eine sichere, denn die Entkommenen konnten zurückkehren und sich aus sicherer Entfernung mit Schüssen rächen. Aber es geschah nichts dem Aehnliches. Sie horchten gespannt in die Nacht hinaus; es ließ sich nichts Verdächtiges vernehmen, und das erste Geräusch, welches die nach dem Kampfe eingetretene Stille störte, war ein freundliches: Die Büsche raschelten, Aeste krachten und Zweige knickten, die Gefährten kehrten mit ihren und den erbeuteten Pferden zurück, nachdem sie die bei den Letzteren zurückgebliebene Wache überwunden hatten. Bill Potter hatte auch sein eigenes Thier und diejenigen seiner drei Gefährten nicht vergessen und sie mit herbeigebracht.

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst Du, daß ich meine Mirjam wieder habe?« frug der glückliche Hammerdull.

»Hm, wenn Du denkst, daß ich es sehe, so habe ich Nichts dagegen; aber by god, es hätte nicht viel gefehlt, so wäre es mit Dir und der Mirjam ausgewesen!«

»Ob aus oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich möchte doch nur wissen, wer die Männer sind, die mit dem kleinen Potter uns – – 'sdeath, ist das nicht der verteufelte Steuermann aus Germany da drüben, der so große Fäuste hat und so fürchterlich trinken kann?«

»Freilich bin ich's, alte Schmeertonne Du! Kennst mich also doch noch, he? Bin mit Master Treskow und Master Wallerstein wieder herübergekommen, weil – –«

»Master Wallerstein?« frug da rasch Sam Fire-gun. »Peter Polter aus Langendorf –? Wahrhaftig, Du bist's wieder! Was willst Du wieder in der Savanne, und was ist es mit Deinem Master Wallerstein?«

»Das ist dieser Sir hier, Colonel, der mit dem Herrn Polizeilieutenant von Treskow gekommen ist, um diese zwei Männer aufzusuchen!«

»Dieser Sir –?« Er trat einen Schritt zurück, warf einen langen, forschenden Blick auf den Juwelier und streckte ihm dann beide Arme entgegen.

»Das ist kein Falscher, nein; ich kenne diese Züge. Heinrich, mein Neffe, willkommen, tausendmal willkommen!«

Die beiden so nahen und einander doch so entfernt gewesenen Verwandten lagen einander lange, lange in den Armen, und die Andern standen schweigend in der Nähe, bis der Colonel, der für sich keine Furcht kannte, durch die Gegenwart des theuren Befreundeten auf die Gefahr gewiesen wurde, in der sie noch immer standen. Er ließ ihn frei und gebot:

»Hier ist nicht der Ort zu Fragen und Erklärungen. Auf, nach dem Hide-spot, der ganz in der Nähe liegt. Dort können wir das Willkommen sammt unserer Rettung feiern und die Wunden verbinden, die wir davongetragen haben!«

»Ja, auf nach dem Hide-spot,« meinte auch der Steuermann. »Ich habe da ein Wörtlein mit dem ›bösen Jean‹ zu reden von wegen der Uhr, mit der er mir davongesegelt ist!« – –

Quelle:
Auf der See gefangen. Criminalroman von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878–1879). Nr. 39, S. 609-610.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Auf der See gefangen
Auf der See gefangen
Auf der See gefangen. Gesammelte Werke Bd. 80

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon