I.

[171] Es war in Bagdad. Ich saß mit meinem kleinen, wackern Hadschi Halef Omar, dem Scheik der Haddedihn-Araber, den jeder meiner Leser kennt, im Kaffeehause. Draußen gingen die Verkäufer vorüber und riefen ihre verschiedenen Waren aus. Einer von ihnen kam herein; er hatte einen Kasten voll kleiner Thonbüchsen umhängen. An der Thür stehen bleibend, hielt er eine dieser Ilab in die Höhe und rief:

»Ja Letafet, ja Dschamahl, ja Abäd es Sa'ad – oh Anmut, oh Schönheit, oh Unendlichkeit des Glückes! Die Jugend kommt wieder! Bestreiche die Stirn und die Wangen, so fliehen sie alle, alle, alle, und keine bleibt zurück, keine, keine, keine!«

Er bot jedenfalls irgend ein Schönheitsmittel feil, und da ich auf solche Dinge nichts gebe, konnte der Mann mir sehr gleichgültig sein. Ich sah aber, daß sich diese Gleichgültigkeit nicht auch auf die andern Besucher des Kaffeehauses erstreckte; viele von ihnen kauften und steckten die Büchsen ein, um sie für ihr »Harem« mitzunehmen. Der Händler schien, wie ich bemerkte, nicht nur ein bekannter, sondern ein gesuchter Mann zu sein. Auch Halef schenkte ihm zu meiner Verwunderung eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit, welche unbedingt einen bestimmten Grund haben mußte. Als der Tutschar1 auch ihm ein Büchschen anbot, fragte er ihn in hörbar gespanntem Tone:

»Willst Du nur vielleicht sagen, von wem Du dieses Mittel der Schönheit beziehst?«

»Warum sollte ich das nicht wollen?« antwortete der Gefragte. »Ich bin ja stolz darauf, der Einzige zu sein, der es von der berühmten Verfertigerin zum Verkaufe bekommt. Ich darf sie jährlich nur zweimal besuchen; da warten schon alle Harimat2 auf mich, und so kommt es, daß meine Marham ed Dschamahl3 sehr schnell alle wird.«

»Du sagtest vorhin, daß keine zurückbleibe, keine, keine. Was meintest Du da?«

»Die Falten, Runzeln und alle Entstellungen und Unschönheiten des Angesichtes. Ich sage Dir: Wenn Du den[171] Stamm besuchst, welchem die Verfertigerin dieser Salbe angehört, so findest Du nur Frauen und Mädchen, auf deren Wangen der Schnee des Gebirges und der liebliche Glanz der Morgenröte wohnt. Dieses wunderbare Mittel ist ein Geheimnis, welches sie durch ihre Urgroßmutter von ihrer Ur-Urgroßmutter geerbt hat; diese hatte wieder eine Urahne, deren Ur-Urahne, eine sehr fromme Frau, es vom Erzengel Dschebraïl4 bekam, der es ihr als Belohnung für ihre Tugenden direkt aus dem siebenten Himmel des Paradieses brachte, wo es bereitet wird, um den seligen Geistern ewige Jugend zu verleihen.«

»Nun sag' endlich, wie heißt die Frau?«

»Ihren eigentlichen Namen kenne ich nicht; sie wird nicht anders als ›Umm ed Dschamahl‹5 genannt.«

»Wo wohnt sie?«

»Sie ist bald da und bald dort; denn es gibt tausende von Harimat, welche sie besuchen muß. Sie ist eine Bachtijarin von der Unterabteilung Idiz, welche sich meist im Norden von Kirmanschah aufhält, aber oft auch weiterzieht.«

»Wenn Du die Frau suchst, wie erfährst Du da, in welcher Gegend sich ihr Tir6 befindet?«

»Ich gehe zu Mirza Taras in Kirmanschah, welcher Attar7 ist und die Salbe auch verkauft. Der weiß stets ganz genau, wo die Umm ed Dschamahl sich befindet. Wieviel Büchsen willst Du haben, eine, zwei oder drei?«

»Wieviel kostet eine?«

»Einen Rijal medschidi.«8

»So kaufe ich keine.«

»Warum?«

»Du bist mir zu teuer.«

Da wich der Händler einige Schritte zurück und fuhr ihn zornig an:

»Zu teuer? Für wen die Schönheit seines Harems so wenig Wert besitzt, der hat selbst auch keinen Wert. Erst fragst Du mich nach allen möglichen Dingen aus, und nachdem ich Dir bereitwillig geantwortet habe, sagst Du, daß Du nichts kaufen willst und belohnst meine Güte mit dem Versuche, durch Schändung meines Preises mein Angesicht schamrot zu machen. Allah verderbe Dich! Er lasse Deinen Bart nimmer wachsen und setze Dir einen fränkischen Cylinderhut auf den Kopf!«

Dieser letztere, sehr eigenartige Wunsch ist eine große Beleidigung für jeden Muhammedaner. Halef nahm die Beschimpfung ganz gegen seinen sonstigen Schnellzorn ruhig hin und sagte, als der Mann sich entfernt hatte, zu mir:

»Selbst wenn die Salbe der Schönheit nur einen Para gekostet hätte, wäre es mir nicht eingefallen, sie von ihm zu kaufen. Hanneh, mein Weib, die unvergleichlichste unter allen Lieblichkeiten der Erde, hat es mir verboten.«

»Hanneh?« fragte ich erstaunt. »Wie konnte sie wissen, daß Du mit diesem Händler zusammentreffen würdest?«[172]

»Das hat sie freilich nicht gewußt, Sihdi; aber – – – aber – – – hm! – – – wirst Du nicht etwa falsch von ihr denken, wenn ich Dir sage, wie es sich verhält?«

»Nein.«

»So sollst Du es wissen. Du bist nicht nur mein bester Freund, sondern auch der Wohlthäter unseres Stammes; Du urteilst nicht nach Äußerlichkeiten, sondern schaust, wie Allah, das Herz der Menschen an. Aber sag' mir vorher einmal ganz aufrichtig: Hat Emmeh,9 das Weib Deiner Seele, etwa schon Falten oder gar Runzeln im Gesicht?«

Ich wußte, was er wollte; die Orientalinnen altern schnell; seine Hanneh hatte Falten; darum antwortete ich schonend:

»Sie hat noch keine, denn sie ist noch jung; aber wenn sie mich so lange glücklich gemacht hat wie Hanneh Dich, dann wird sie welche haben, und ich werde sie gerade um dieser Falten willen noch mehr lieben als vorher.«

Da fiel er schnell ein:

»Sihdi, Du bist wahrhaftig ein ebenso guter Mensch wie ich! Auch ich liebe meine Hanneh, die schönste unter allen Frauen des Erdreiches, mit doppelter Stärke, seit ihre glatten Wangen angefangen haben, sich allmählich zu zerknittern. Sie hat alles, alles gethan, was möglich war, die Falten zu entfernen, doch vergeblich. Weißt Du, die Runzeln sind das Ungeziefer der Schönheit; wenn man erst eine hat, so vermehrt sie sich ins Ungeheure. Es sollte jede Frau so klug sein, die erste gar nicht aufkommen zu lassen! Aber die Weiber besitzen, wie Du weißt, nicht diejenige Vorsichtigkeit, welche eine hervorragende Eigenschaft von uns Männern ist; Allah bewahre sie uns! Du glaubst gar nicht, wie tief die Falten des Gesichtes in das Herz des Weibes schneiden, zumal wenn keine Salbe Änderung bringt! Hanneh, die herrlichste Rose unter allen Rosenarten, teilte mir schließlich mit, daß ihr nur die berühmte Umm ed Dschamahl Hilfe bringen könne. Dieses Bachtijarenweib ist nämlich wirklich berühmt infolge ihrer Wundersalbe; aber es ist so weit von uns aus bis hinauf jenseits der persischen Grenze. Darum war die holde Gefährtin meines Lebens ganz entzückt, als sie vernahm, daß wir, nämlich Du und ich, nach Persien wollten. Sie gab mir sehr gern die Erlaubnis, Dich zu begleiten, doch unter der Bedingung, ihr so viel von der echten Salbe der Schönheit mitzubringen, wie notwendig ist, die unheilvolle Zerknitterung ihres Angesichtes wieder auszuglätten. Ich versprach es ihr von Herzen gern; denn, wie Du siehst, haben sich trotz meiner Vorsicht auch schon einige Falten über meinen Augenbrauen eingenistet, die ich sehr gern verjagen möchte. Es freut mich darum außerordentlich, von dem Händler vorhin erfahren zu haben, wo man sich nach der Umm ed Dschamahl erkundigen kann. Wir werden schleunigst hinauf nach Kirmanschah reiten.«

»Wir? Soll das etwa heißen, Du und ich?«

»Ja, natürlich! Du wirst mich doch nicht allein fortlassen, um hier zu warten, bis ich wiederkomme!«

»Fällt mir gar nicht ein! Unser Weg geht nach Schiras, nicht nach Kirmanschah, wohin Du gar nicht zu reiten brauchst, da Du die Salbe hier bekommen kannst.«

»Hier? Das ist es ja, was Hanneh, der weibliche Inbegriff meiner irdischen Glückseligkeit, mir verboten hat! Es wäre mir kein Preis zu hoch gewesen; aber die Händler vermehren die Wundersalbe, indem sie sie verfälschen. Um recht viel Geld zu verdienen, machen sie aus einer Büchse hundert; sie rühren Dinge hinein, welche nicht nur unnütz, sondern der Schönheit sogar schädlich sind, und dann kann eine Frau, wenn sie sich damit bestreicht, das Unglück erleben, daß aus elf Falten, die sie hat, gleich zweiundzwanzig werden. Nein! Hanneh will die Salbe echt haben, direkt aus der Hand der Umm ed Dschamahl selbst, und darum müssen wir schleunigst hinauf nach Kirmanschah!«

Der gute Hadschi sagte das in einem so bestimmten, energischen Tone, als ob es sich um etwas für sein Heil Hochwichtiges handle und von mir kein Einspruch von Erfolg sein werde.

»Lieber Halef, ich hätte fast Lust, Deine Worte als Scherz zu nehmen; aber ich höre, daß Du im Ernste sprichst.[173] Weißt Du, wie weit es von Bagdad bis nach Kirmanschah ist? Es vergeht über eine Woche, ehe wir wieder nach Bagdad kommen. Sollen wir diese Zeit wegen einer Salbe opfern, die, wie ich überzeugt bin, keine Wirkung hat?«

»Sihdi, es handelt sich nicht um die Salbe, sondern um die Verjüngung und Verschönerung eines Angesichtes, welches mir das liebste auf der ganzen Erde ist. Und keine Wirkung? Oh, Sihdi, Ihr Franken seid stets bereit, alle Klugheit und Wissenschaft nur für Euch in Anspruch zu nehmen; aber Allah hat uns in seiner Güte hier Gaben verliehen, die Ihr trotz all Eurer Gelehrsamkeit nicht herzustellen vermögt. Du hast ja gehört, daß der Erzengel diese Salbe der Schönheit aus dem siebenten Himmel geholt hat, und da die Franken keinen siebenten Himmel haben, so können sie diese Salbe nicht besitzen; das ist doch klar! Und daß sie wirklich hilft, daß sie von großer, erstaunlicher Wirkung ist, das kannst Du an Millionen von Runzeln sehen, die alle durch sie verschwunden sind! Du weißt, welchen Glauben und welches Vertrauen ich jedem Deiner Worte schenke; aber diese Salbe kenne und verstehe ich besser als Du. Oder bist Du etwa bei der Ur-Urahne jener Ur-Urgroßmutter gewesen, von welcher der Händler vorhin gesprochen hat?«

»Nein!«

»Also! Erkundige Dich in den Harimat der Dschesireh und des ganzen Grenzgebietes; frage auch in Teheran, in Ispahan, in Kerind und Hamadan, so wirst Du erfahren, daß vor der Salbe der Umm ed Dschamahl jede Verunzierung des Gesichts verschwindet. Ich habe dies mehr als hundertmal gehört und bitte Dich ernstlich, mich nicht zu erzürnen!«

Er war wirklich, in Eifer geraten. Ich sah ein, daß keine Belehrung fruchten würde, und versuchte, ihn auf andere Weise von seinem Vorhaben abzubringen, indem ich sagte:

»Höchst wahrscheinlich kommen wir später auf dem Rückwege über Kirmanschah; da ist es wohl auch noch Zeit, uns nach dem Lagerplatze der Idiz zu erkundigen.«

»Nein; so lange kann ich unmöglich warten. Du hast ja gehört, daß die Falten das Ungeziefer der Schönheit sind. Soll ich diesem Ungeziefer Zeit geben, sich indessen auszubreiten, so daß wir später doppelt soviel Salbe brauchen, als jetzt nötig ist? Ich will Hanneh, die Wonne meiner Augen, unzerknittert sehen, wenn ich heimkehre; darum reite ich jetzt nach Kirmanschah und sende ihr das Mittel heim, daß sie es während meiner Abwesenheit in Anwendung bringen kann. Wenn Du mich nicht begleiten willst, so gehe ich allein; aber es würde meiner Seele bitter wehe thun, die Erfahrung machen zu müssen, daß Dir ein solcher Herzenswunsch Deines treuen Halef, der für Dich in den Tod gehen würde, gleichgültig ist!«

Er wendete sich von mir ab und schwieg. Dieser unglückselige Salbenhändler! Warum mußte er in dieses Kaffeehaus kommen und den Hadschi an die »Zerknitterung« seines Harems erinnern! Es war wirklich ein Unsinn, eines kosmetischen Mittels wegen einen solchen unnötigen Ritt zu unternehmen; aber der Orientale hat keinen Sinn für den Wert der Zeit, und so besaß auch Halef kein Verständnis für die Versäumnis, welche er von mir verlangte. Allerdings konnte auch ich von einer Versäumnis im strengen Sinne eigentlich nicht sprechen. Ich hatte diese Reise unternommen, um Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln, und da konnte ein Abstecher von einigen Tagen recht wohl unternommen werden; ja, es war gar nicht unmöglich, auf diesem Seitenwege Interessanteres als auf der Hauptroute zu finden. Sodann hatte ich mit den Eigenschaften Halefs zu rechnen. Er liebte seine Hanneh und versäumte gewiß keine Gelegenheit, ihr einen Wunsch zu erfüllen; hier handelte es sich aber um einen sehr großen Wunsch von ihr. Mochte ich von der Salbe denken, was ich wollte; aber durfte ich ihn hindern, zu thun, was ihm und ihr Freude machte? Er hatte oft sein Leben für mich gewagt und war noch jetzt zu jedem Freundesopfer für mich bereit; konnte ich ihm da nicht einige Tage schenken? Zudem fiel mir ein, daß mehrere Tirs der Bachtijaren Ali-Ilahi's sind und also zu einer Sekte gehören, die ich noch nicht kennen gelernt hatte. Vielleicht bot sich mir da oben in der Kirmanschah die Gelegenheit, diese Lücke auszufüllen. Wie ich in meinen Entschlüssen überhaupt nie[174] langsam gewesen bin, so war ich auch jetzt schon fast bereit, auf den Wunsch Halefs einzugehen, zumal es mir höchst gespaßig vorkam, einen wochenlangen und vielleicht nicht ungefährlichen Ritt zu unternehmen, um von einer alten persischen Medicasterin eine »Einreibung« zu holen; doch machte ich noch einen Versuch, den Hadschi von seinem Vorhaben abzubringen:

»Kennst Du den Tir, die Unterabteilung der Bachtijaren, zu welcher die Umm ed Dschamahl gehört Halef?«

»Nein,« antwortete er kurz.

»Du hast von dem Händler den Namen dieses Tir gehört? er lautet Idiz. Weißt Du, was das heißt?«

»Nein.«

»Es ist ein kurdisches Wort und bedeutet Spitzbube. Du willst also Spitzbuben aufsuchen!«

»Warum soll ich das nicht? Gerade weil sie Spitzbuben sind oder heißen, will ich nun erst recht zu ihnen! Vielleicht erleben wir etwas. Dazu machen wir ja die Reise! Jetzt freue ich mich doppelt auf diesen Ritt. Du wirst es später gewiß sehr bedauern, ihn nicht mitgemacht zu haben!«

»Dieser Fall tritt nicht ein; denn wenn Du bei Deinem Vorsatz bleibst, so bringe ich es natürlich nicht über das Herz, Dich allein fortzulassen.«

Da drehte er sich schnell zu mir herum und fragte strahlenden Angesichtes:

»So reitest Du mit, Sihdi?«

»Ja.«

»Hamdulillah! Ich habe gesiegt, gesiegt über Kara Ben Nemsi Effendi, den noch kein Mensch überwunden hat! Sihdi, ich danke Dir! Wir werden nicht nur die Salbe der Schönheit holen, sondern dabei Heldenthaten verrichten, die wir auf unsere Kinder, Kindeskinder und Urenkelstöchter vererben!«

»Die Salbe?«

»Schweig'! Ich meine natürlich unsere Heldenthaten! Komm, laß uns heimkehren zu unserm Bimbaschi,10 dem wir sagen müssen, daß wir morgen früh nach Kirmanschah aufbrechen werden! Er wird sich schon im voraus auf die Thaten der Tapferkeit freuen, die wir vollbringen werden, und auf die Werke der Kühnheit und des Sieges, die er nach unserer Rückkehr von uns zu hören bekommt.«

Nun war mein kleiner Halef ja wieder der Alte! Die Ruhmredigkeit gehörte zu seinem Wesen wie das Schmettern zur Trompete, doch konnte man ihm diesen Fehler wegen seiner übrigen guten Eigenschaften gern verzeihen. Was den Bimbaschi betraf, so war er der Gastfreund, bei welchem wir wohnten, und den meine lieben Leser bereits kennen gelernt haben.11 Wir bezahlten unsern Kaffee und gingen.

Der Bimbaschi wußte, daß wir flußabwärts gewollt hatten, und als er nun hörte, daß unser Ritt zunächst nach Kirmanschah gehe, erkundigte er sich nach dem Grunde. Halef teilte ihm denselben in aller Aufrichtigkeit mit, und da erfuhr ich denn zu meiner Verwunderung, daß ihm der Bimbaschi beistimmte. Auch dieser kannte den Ruf, in welchem die Umm ed Dschamahl stand, und versicherte mir, daß er vollständig begründet sei; er habe unzähligemal gehört, daß das Mittel beinahe Wunder wirke. Auf dieses Zeugnis hin fiel es mir nicht ein, meinem Zweifel auch ihm gegenüber Worte zu verleihen. –

Einige Tage später befanden wir uns schon weit hinter der berühmten Pforte des Zagrosgebirges, und zwar auf der einstigen Heerstraße, auf welcher Alexander der Große im Jahre 330 zur Verfolgung des Darius nach Ekbatana gezogen war. Jetzt hatte dieser unser Weg freilich nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem, was man sich unter einer Heerstraße zu denken pflegt.

Wir waren vortrefflich beritten; selbst der Schah in eigener Person hätte sich unserer Pferde nicht zu schämen brauchen. Man kennt meinen unvergleichlichen Araberhengst Rih, welcher mir während einer Verfolgung feindlicher Kurden unter dem Leibe erschossen wurde. Jetzt ritt ich einen gleichwertigen Nachkommen von ihm, Ben Rih12 genannt, der ein Rapphengst wie sein Vater war. Mein Halef saß auf einem vorzüglichen schwarzen Nedjedihengst, welcher Barkh13[175] hieß. Beide Pferde, ihrem Werte nach unverkäuflich, besaßen die hochfeinste arabische Erziehung und verstanden sich auf diejenigen »Geheimnisse«, ohne welche selbst das edelste Pferd nicht den vollständigen Gebrauchswert für den Dschesireh-Beduinen haben würde.

Wir waren in der letzten Nacht in Mijahni Tahk, einem kleinen Dörfchen, geblieben und dann am frühen Morgen durch eine enge Bergschlucht gekommen, welche in das ziemlich breite, sich fast bis nach Kerind hinziehende Gebirgsthal mündete. Auf den letztgenannten Ort war ich aus dem Grunde sehr gespannt, weil man ihn als den Hauptort der Ali-Ilahi's bezeichnet, welche ich gern kennen lernen wollte. Man sagt, daß sie dem Kalifen Ali göttliche Ehren erweisen und den Teufel nicht nur anbeten, sondern ihn sogar für den Schöpfer des Weltalls halten. Die Luren und Bachtijaren, zu denen sie meist gehören, sollen räuberische, gewaltthätige Menschen sein; wir waren in den letzten Tagen überall, wo wir einkehrten, vor ihnen gewarnt worden; man hatte uns überall gesagt, daß es sehr gewagt sei, zu nur zweien über die Berge zu reiten, in deren Schluchten sich rechts und links das Gesindel verberge, um jede Gelegenheit zum Raube zu benutzen; man hatte uns auch die Namen mehrerer Personen genannt, welche in letzter Zeit überfallen und ermordet worden seien; aber wir waren noch durch ganz andere Gegenden gekommen, ohne uns zu fürchten, und hatten also die Schutzbegleitung, welche uns an verschiedenen Orten angeboten worden war, zwar höflich, aber bestimmt abgelehnt. Wir wußten aus Erfahrung, daß diese Sorte von gemieteten Schirmherren ihre einzige Aufgabe darin suchen, ihre Schützlinge auszubeuten, und sich dann beim Nahen einer wirklichen Gefahr schleunigst aus dem Staube machen. So waren wir vollständig unbelästigt bis herauf in die Nähe von Kerind gekommen und hofften, mit demselben Glücke Kirmanschah, unser nächstes Ziel, zu erreichen.

Freilich war uns schon in Chanekihn und dann auch in Serpuhl erzählt worden, daß weiter im Innern des Landes vor kurzem einige Fälle von Babi-Empörung vorgekommen seien; aber wir hatten nichts Genaueres darüber erfahren können und hielten diese Warnung auch nur für einen Versuch, uns eine Sicherheitswache aufzuschwatzen. Was hatten wir, die Fremden, mit der persischen Sekte der Babi zu schaffen, deren Angehörige nicht den mindesten Grund hatten, uns als Feinde zu betrachten?

Der Stifter dieser Sekte war der Hadschi Ali Muhammed aus Schiras; er behauptete, seine Lehre sei der Eingang zur wahren Glückseligkeit und wurde darum Bab14 genannt; daher der Name Babi. Da die neue Lehre als eine Vollendung des Kuran bezeichnet wurde und »Bab« behauptete, er stehe höher als Muhammed, ging die persische Regierung auf Anstiften der islamitischen Geistlichkeit gegen die Sektierer vor, deren Hauptschar nach langem Widerstande besiegt und dann grausam hingerichtet wurde. Die von diesem Schlage nicht Getroffenen sammelten neue Anhänger und predigten Rache. Es wurde ein Attentat auf den Schah Naßr ed Din versucht, welches aber nicht gelang. Die Schuldigen erlitten unmenschliche Strafen, und jeder, der sich zum Babismus bekannt hatte, mußte entweder flüchten oder seinen Glauben abschwören. Die Regierung glaubte, der Sekte damit den Todesstoß versetzt zu haben; aber das Feuer glimmte heimlich fort. Man wußte, daß es sich in der Verborgenheit immer weiter ausdehnte und bald hier, bald da in einzelnen Funken zu Tage kam. Über ganz Persien verbreitete sich die Ansicht, daß der Schah gewiß nicht eines natürlichen Todes, sondern von der Hand eines Babi sterben werde. Einige von den erwähnten Funken waren es, von denen man uns in Chanekihn und Serpuhl erzählt hatte. Wir achteten nicht darauf; denn, wie gesagt, wir hatten mit dem Rachedurst der Babisten nichts zu thun und fürchteten sie ebensowenig, wie wir uns vor den Bachtijaren und Alli-Ilahi's ängstigten.

Wir ritten also ohne Sorge in den kühlen Märzmorgen hinein und freuten uns, die obenerwähnte, schwer gangbare Schlucht überwunden zu haben. Links von uns schienen sich hohe, nackte Felswände stundenweit hinzuziehen, während zur rechten Hand das Gebirge in sanfteren Bogenlinien abwärts[176] stieg. Leider vermißten wir den Wald, an dem Persien überhaupt nicht reich zu nennen ist. Die Sonne war nicht zu sehen, weil dichte Wolken den Himmel bedeckten. Es spritzte ein feiner Regen herab, welcher nach und nach dichter wurde und schließlich mit einem solchen Eifer niederfiel, daß Halef unwillig ausrief:

»Sihdi, das Wasser dringt mir schon bis auf die Haut; soll es mir etwa noch tiefer kommen? Da drüben steht ein altes Gemäuer. Wollen wir versuchen, dort Schutz zu finden, bis diese übervollen persischen Wolken leer geworden sind?«

Er lenkte, ohne meine Antwort abzuwarten, nach der rechten Seite hinüber, wo die Ruine eines alten Bauwerkes wahrscheinlich früherer Jahrhunderte lag. Es war von einer dichten Süßholzwildnis umgeben, durch welche ein niedergetretener Pfad in das Innere führte. Dies ließ vermuten, daß dieser schon oft als Zufluchtsstätte benutzt worden war. Wir ritten durch das Gestrüpp und kamen in ein oben offenes Mauerviereck, welches keinen Schutz vor dem Regen bot. Aber uns gegenüber führte eine Lücke weiter, durch welche wir in einen zweiten Raum gelangten, dessen Decke noch halb vorhanden war. Da konnten wir trocken sitzen, wenn wir – – die Erlaubnis dazu bekamen.


1

Es befanden sich nämlich schon zwei Personen hier, ein Mann und ein Knabe, welche, ihrer ärmlichen Kleidung nach zu schließen, Bettler waren. Dieses Handwerk schien hier ein sehr nahrhaftes zu sein; denn der Mann war von fast riesigen Körperformen, und man sah seinen starken Gliedern keine Spur von Hunger an. Der Knabe war sein verkleinertes, aber gar nicht schwaches Ebenbild. Sie zeigten, als sie uns erblickten, keine Spur von Überraschung. Der Riese stand langsam auf und neigte, ohne ein Wort zu sagen, zur Begrüßung den Kopf.

»Ässälam 'aleikum!« grüßte ich.

»Vä 'aleikum ässälam!« antwortete er.

»Bist Du der Besitzer dieses Ortes?«

»Nein. Er gehört jedermann.«

»Erlaubst Du uns, hier vor dem Regen Zuflucht zu suchen?«[177]

»Du bist der Gebieter; wir haben ausgeruht; wir gehen.«

»Bleib'! Es ist Platz für uns alle.«

Er ließ sich aber nicht halten, sondern ging; der Knabe stand nun auch auf und folgte ihm. Sie entfernten sich nicht nach der Seite, von welcher wir gekommen waren, sondern nach der entgegenliegenden, wo die Hälfte der Mauer eingestürzt war und die dadurch entstandene Lücke nicht ganz durch die davorstehenden Holunder verdeckt wurde.

Das Benehmen des Fremden war keineswegs verdachterweckend. Er, der arme Teufel, scheute sich, mit Leuten eng beisammen zu sein, die nach seiner Ansicht hoch über ihm standen. Ich stieg dennoch rasch vom Pferde, um ihm nachzublicken. Sie gingen einem naheliegenden Bidmuschk15-Dickicht entlang und lenkten dann nach unserm Weg hinüber.

Auch Halef war abgestiegen. Das Dach gab Platz für uns beide und auch für unsere Pferde. Wir machten es uns bequem. Wir lagen eng nebeneinander und plauderten. Die Gewehre steckten der Nässe wegen in ihren Futteralen. Der Regen strömte wie aus umgestürzten Gefäßen hernieder. Das durch ihn verursachte Geräusch war so stark, daß die Annäherung eines Menschen, ja eines Reiters nicht zu hören gewesen wäre. Ich sage dies zu meiner Entschuldigung, aber es ist doch eine desto schwerere Anklage; denn wenn wir uns nicht auf unsere Ohren verlassen konnten, so hätten wir mit den Augen um so aufmerksamer sein sollen.

Ich lag auf meiner rechten, Halef auf seiner linken Seite; ich kehrte den erwähnten Moschusweiden den Rücken zu, während Halef ihnen das Gesicht zuwendete. Mitten in der Unterhaltung sah ich plötzlich seinen Blick und seine Züge starr werden; es war beinahe die Starrheit des Schreckes. Ich drehte mich um, gerade zur rechten Zeit, um eine Schar wild aussehender Männer durch die Weiden brechen und auf uns zustürzen zu sehen. Ich wollte aufspringen und griff mit beiden Händen nach den Revolvern, welche ich des Regens wegen möglichst tief in den Gürtelshawl gesteckt hatte – – es war bereits zu spät. Im nächsten Augenblicke lagen alle[178] diese Menschen schwer auf uns. Ich versuchte, sie abzuwerfen, mich emporzubäumen, vergeblich! Ich bekam trotz meiner Körperkraft nicht einmal die Arme und Hände wieder frei. Es waren der Kerls zu viele. Ja, wenn ich wenigstens Zeit gehabt hätte, aufzuspringen! Durch die Mauer rückenfrei, hätte ich mich gewiß nicht niederringen lassen; da ich aber liegend überrumpelt worden war und ich nicht einmal Platz zu einem kräftigen Stoße fand, blieb mir nichts anderes übrig, als nach einem kurzen Versuche den ganz unnützen Widerstand aufzugeben. Ich wurde mit Baststricken ebenso gebunden, wie Halef, der gar keine Gegenwehr versucht hatte, sofort gefesselt worden war.

Die Menschen, mit denen wir es zu thun hatten, waren alle ohne Ausnahme sehr kräftige Gestalten; ich zählte ihrer mehr als zwanzig. Perser waren sie nicht; das sah ich ihnen gleich an. Wahrscheinlich gehörten sie einem Nomadenstamme an. Zu meinem Ärger befand sich der Bettler unter ihnen, und sein Junge stand an der Mauerecke und lachte uns in einer Weise an, welche ebenso deutlich wie Worte sagte: »Schaut her, Ihr Dummköpfe, was für ein gescheiter Kerl ich gegen Euch bin!« Übrigens hatte ich während des Überfalles und unserer vergeblichen Gegenwehr kein Wort gesagt; ich verhielt mich auch jetzt noch vollständig schweigsam; Halef aber, dem es unmöglich war, seinen Grimm zu bemeistern, schimpfte wie ein Rohrspatz. Dadurch forderte er aber den Zorn des Anführers heraus, welcher ihm unter einigen derben Fußtritten die Verwarnung erteilte:

»Schweig', Hund! Es soll Euch an Euerm Leben nichts geschehen; wenn Ihr uns aber beleidiget, schießen wir Euch nieder, Ihr unnützen Stadtkröten! Wir wollen nur Eure Pferde, Eure Waffen und ein Lösegeld, dessen Höhe wir noch bestimmen werden. Wir haben Euch in Chadschikara entdeckt und sind Euch schnell vorausgeritten, um Euch unweit von hier festzunehmen; Ihr habt es uns aber dadurch, daß Ihr hier einkehrtet, leichter gemacht. Dieser Mann und sein Knabe lagen hier, um Eure Ankunft zu beobachten; er holte uns. Jetzt reiten wir fort. Seid klug und schickt Euch in die Gefangenschaft! Ihr könnt nur durch Erhebung Euer Leben retten.«

Er hatte, als er sprach, sich eines Gemisches von Arabisch, Persisch und Kurdisch bedient, womit er meine Vermutung bestätigte, daß er mit seinen Leuten irgend einem Ihlaut16 des Grenzgebirges angehöre. Er hielt uns für Stadtleute, weil wir schwarze persische Lammfellmützen trugen, welche wir, um nicht gleich für Ausländer angesehen zu werden, in Bagdad gekauft hatten. Also, der Mann war mit seinem Knaben als Kundschafter hier versteckt gewesen! Sie hatten uns kommen sehen, und das war der Grund meiner Beobachtung, daß sie, als wir in der Ruine erschienen, keine Überraschung zeigten.

Der Regen hörte plötzlich und vollständig auf, als ob er als ein Verbündeter der Räuber nur die Aufgabe gehabt habe, uns in dieses alte Gemäuer zu treiben. In einiger Entfernung von diesem hielten die zurückgelassenen Pferde unserer neuen, liebenswürdigen Bekannten. Wir wurden hingeführt. Der Anführer bestieg meinen Ben Rih, und ein anderer schwang sich auf Halefs Hengst. Darüber ergrimmte mein kleiner Hadschi so, daß er augenblicklich das »Geheimnis« anwandte. Dieses bestand aus dem zweimaligen Aussprechen des Wortes »litaht«17 und einem Pfiff dazwischen. Sobald unsere Rappen dieses Zeichen hörten, gingen sie mit gleichen Beinen in die Luft, und die Reiter flogen herab. Die Abgeworfenen versuchten fluchend wieder aufzusteigen, was ihnen aber nicht gelang; es blieb also nichts anderes übrig, als die Hengste uns beiden zu lassen. Wir stiegen auf und wurden festgebunden. Es bedarf wohl nicht der besondern Erwähnung, daß man uns nicht nur die Waffen abgenommen, sondern auch die Taschen vollständig leer gemacht hatte. Dann ging es fort, indem wir zwischen je zwei Aufpasser genommen wurden. Ich ritt an der Spitze und Halef am Ende des Zuges; wir konnten also nicht miteinander sprechen.

Ich war überzeugt, daß die jetzigen Besitzer unserer Personen nicht auf dem gebahnten Wege bleiben würden; sie[179] wendeten sich auch sehr bald nach einer engen Seitenschlucht, welche linker Hand die hohe Felswand spaltete. Da hinein ging es, und ich fragte mich, ob wir jemals Kirmanschah erreichen und die Umm ed Dschamahl finden würden.

Quelle:
Die »Umm ed Dschamahl«. Reiseerzählung von Dr. Karl May. In: Regensburger Marien-Kalender für das Jahr des Heiles 1899. 34. Jg. Sp. 171–200. Regensburg, New York, Cincinnati (1898) (Ohne Paginierung), S. 171-180.
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