III.

[189] Wenn ich sage: »Ich war fest entschlossen, sie nicht wieder zu betreten,« so mag das vermessen oder vielleicht gar lächerlich klingen; aber ich kannte mich und meinen thatkräftigen kleinen Halef, und für einen erfahrenen Prairieläufer waren diese Ihlauts doch nur minderwertige Gesellen. Unsere Pferde mußten wir auf alle Fälle wieder haben, und wenn das nicht auf andere Weise zu erreichen war, so schreckte weder Halef noch ich bei all unserer sonstigen Humanität vor dem Gedanken zurück, nötigenfalls Menschenblut fließen zu lassen.

Man hatte uns, damit wir gehen könnten, die Füße freigeben müssen; ich war also sicher, im Gebrauche meiner Glieder zu sein, sobald es mir beliebte. Da es gestern bei unserer Ankunft schon dunkel gewesen war, hatte man uns nicht genau sehen können; darum standen die Bewohner des Lagers jetzt in dichten Scharen draußen, um uns zu betrachten. Da fielen mir gleich wieder die Frauen und Mädchen auf, welche auch hier alle unverschleiert waren. Es war wirklich auffällig, daß selbst Mütter, deren erwachsene Söhne neben ihnen standen, ein so jugendfrisches Aussehen hatten, als ob sie noch ledig seien. Ich entdeckte, während wir langsam durch die gebildete Doppelreihe geführt wurden, in diesen weiblichen Gesichtern nicht den geringsten Hautfehler, obgleich ich sehr scharfe Augen habe. Freilich hatte ich meine Aufmerksamkeit nicht allein auf diesen an sich ganz interessanten Gegenstand zu richten; ein noch viel größeres Interesse mußte auf die Pferde der Ihlauts gerichtet sein, denn wir brauchten zwei, um so schnell wie möglich nach Kirmanschah zu kommen.

Wir konnten uns die Einrichtung des Lagers gar nicht günstiger wünschen, als sie war. Der Wald bildete wie bereits erwähnt, eine Bucht, welche sich von Norden nach Süden zog. Wir waren gestern von Norden gekommen. Am dortigen Ende der Bucht weideten die Pferde, natürlich ungesattelt, aber alle mit Halfterzeug. Nach dieser Richtung wurden wir geführt, und zwar bis zu einer Hütte, welche so am Waldessaume lag, daß der hintere Teil derselben sich an zwei Baumstämme lehnte, welche ungefähr vier Meter entfernt voneinander standen. Das Unterholz wurde an dieser Stelle von wilden Schneeballsträuchern gebildet.

Erwähnen muß ich, daß wir nur mit Neugierde betrachtet wurden und ich in keinem einzigen Gesichte einen Zug von Haß oder einem ähnlichen Gefühle entdeckte. Wir waren für diese Leute eben nur Lösegeldobjekte, weiter nichts.[189]

Wir blieben vor der erwähnten Hütte halten. Der Anführer ging erst allein hinein und winkte uns dann nach kurzer Zeit, nachzukommen. Ich hatte erwartet, vor eine Versammlung hervorragender Krieger, welche über uns beschlossen hatten, geführt zu werden, und mir also die Flucht viel schwieriger vorgestellt, als sie mir jetzt erschien, da ich die Nezaneh ganz allein in ihrer Hütte sitzen sah.

Diese war auch aus Holzstangen und Rasenstücken hergerichtet und besaß keine Fensteröffnungen. Sie bekam das Licht durch die vielen Lücken in den Wänden und durch eine Öffnung im Dache, welche zugleich dem Rauche als Abzug zu dienen hatte. In der einen hinteren Ecke lag der aus Steinen primitiv hergerichtete Feuerherd; in der andern sah ich das aus Laub hoch aufgerichtete Lager, welches mit Fellen bedeckt war und der Besitzerin jetzt als Divan diente; sie saß darauf. Einige mit Decken belegte Kisten bildeten das ganze Meublement. Waffen sah ich nicht, außer den unserigen, welche auf einem kleinen, neben dem Lager ausgebreiteten Teppich lagen, und zwar nicht allein, sondern in Gesellschaft aller Gegenstände, welche sich in unsern Taschen befunden hatten. Es war für mich eine wahre Wonne, das alles so hübsch beisammen zu sehen.

Wir befanden uns mit der Frau und dem Anführer allein. Er stand hinter uns, die Hand an das Messer gelegt. Sie warf einen kurzen, feindseligen Blick auf Halef, betrachtete dann mich etwas weniger gegnerisch und begann in kaltem, erklärendem Tone: »Ihr wißt wahrscheinlich schon, was sich mit Euern Pferden zugetragen hat; sie sind uns verloren gegangen, und Ihr habt sie uns also zu ersetzen. Die Dschemma31 meiner Krieger hat über alles beschlossen, und ich habe es genehmigt. Eure Waffen können wir nicht gebrauchen, denn wir haben selbst welche und wissen auch von einigen nicht, wie man sie anfassen muß. Die anderen Sachen könnten wir zwar behalten, aber sie haben jedenfalls einen größeren Wert für Euch als für uns, und so sind wir gern bereit, sie an Euch zu verkaufen. Wenn Euch gar nichts fehlt von dem, was Euch gehörte, werdet Ihr um so williger und besser zahlen; so denken wir.«

»Maschallah!« rief da der Hadschi. »Wir sollen unsere eigenen Sachen kaufen und die Pferde ersetzen, welche man uns gestohlen hat! Eine solche Verrücktheit ist – –«

»Schweig'!« unterbrach ihn die Nezaneh. »Du hast hier nichts zu sagen; ich spreche nicht mit Dir, sondern nur mit Kara Ben Nemsi Effendi!«

Und wieder zu mir gewendet, fuhr sie fort:

»Ich habe noch einmal über alles nachgedacht, was wir gestern miteinander gesprochen haben. Deine Worte haben mein Herz berührt wie ein Schlüssel, welcher die Thüre zu einer lichten, schönen Wohnung der Seligen öffnet. Ich wünsche, viele Fragen an Dich zu thun, welche Du mir beantworten wirst. Wir haben ja viel Zeit dazu; denn es wird lange dauern, bis die Boten zurückkehren, welche ich senden werde, um Euer Geld zu holen.«

Das klang so naiv, so selbstverständlich, daß ich mit lustigem Lachen fragte: »Wo sollen sie es holen?«

»Wo Du willst; denn nur Du kannst wissen, woher Du es bekommen wirst. Besäßen wir Eure Pferde noch, so würden wir weniger von Euch fordern. Ich will Dir sagen, daß der Gebieter von Kirmanschah ein Feind unseres Stammes ist, weil er mich haßt. Sein Harem hat mich einst schwer beleidigt und bekommt daher den ›Weg zur Schönheit‹ nicht mehr von mir. Er hat mir aus diesem Grunde Rache geschworen und meinen Sohn Kelat und meinen Enkel Scherga weggefangen und unter die Soldaten gesteckt. Beide sind freie Ihlauts und haben sich geweigert, die Sklavendienste zu thun, zu denen man sie verurteilt hat. Dieser Widerstand hat seinen Grimm erregt. Er ließ durch Zeugen, die er ja bekommen kann, sobald er will, beweisen, daß sie Babis sind und ihm nach dem Leben trachten. Er ist nach Teheran gereist, um dort das Fest Nu Rose32 zu begehen, und sie sind ihm nachtransportiert worden, weil dieses Fest durch das Schauspiel ihrer Hinrichtung verherrlicht werden soll. Das hat mir der Anführer der Truppen gesagt, welcher auf sei nen Befehl heute zu uns kam, um uns die besten Pferde wegzunehmen. Meine Kinder sind verloren, und ich kann sie[190] nicht retten. Ihr Tod wird ein schrecklicher sein; denn die Babis pflegt man auf die Weise zu töten, daß man ihnen Löcher in den Leib schneidet, in welche brennende Lichter gesteckt werden. Oh Emir, wüßtest Du, was eine Mutter dabei fühlt!«

Sie vergrub das Gesicht in beide Hände und weinte, weinte laut und bitterlich. Dann ließ sie die Hände plötzlich wieder sinken, warf mir einen halb irren Blick durch Thränen zu und fragte in rauhem Tone:

»Was sagst Du als Christ dazu? Ist Euer Gott auch so grausam wie der Gott, den der Islam lehrt?«

»Es gibt nur einen Gott, den Gott der ewigen Liebe und Barmherzigkeit; der Islam aber kennt diese Liebe nicht; ihn klage an, nicht Gott!« antwortete ich.

»Aber Gott gibt es doch zu, daß meine Söhne unschuldig hingemartert werden! Ist das Liebe und Barmherzigkeit von ihm? Ist das Gerechtigkeit?«

»Hadere nicht mit dem Allmächtigen und Allweisen! Er weiß, weshalb er Dir diese Last zu tragen gibt, und wenn es sein Ratschluß will und Du ihn darum bittest, so werden Deine Kinder gerettet werden.«

»Bitten soll ich? Beten?«

»Ja, beten! Auf den Stufen des Gebetes steige himmelan, so kommt Dir Gott auf den Stufen der Erhörung entgegen. Bete also, bete! Schilt nicht auf seine Ungerechtigkeit, solange Du selbst ungerecht gegen andere Menschen bist!«

»Ungerecht? Gegen wen? Ich weiß nichts davon!«

»Nicht? Wirklich nicht? Bist Du es nicht gegen uns? Was haben wir Dir gethan, daß wir hier als Gefangene vor Dir stehen? Womit haben wir das verdient? Handelst Du etwa gerecht an uns?«

Da ging ein eigentümliches Leuchten über ihr Gesicht. Sie stand auf, that einige Schritte auf mich zu und sagte, indem sie mir mit Spannung ins Gesicht sah:

»Jetzt sollst Du Dich als Christ zeigen und Deinen Glauben verteidigen. Sag' also: Warum gibt es Dein Gott der Liebe zu, daß wir diese Ungerechtigkeit gegen Euch begehen?«

»Vielleicht um Deinetwillen. Du sollst ihn durch uns kennen lernen und dann an ihn glauben. Wenn er will und ich ihn darum bitte, so sind wir frei, sobald es uns gefällt!«

»Das glaubst Du wirklich, bist davon überzeugt?«

»Ja, vollständig überzeugt!«

»So beweise es, daß Ihr frei seid, sobald es Euch gefällt! Gib mir diesen Beweis, oh gib mir ihn, damit ich dann an Deinen Gott der Liebe, der Erbarmung glauben kann! Wenn er Dich aus unseren Händen befreit, so kann er auch meine Söhne erretten!«

»Wirst Du das dann glauben?« – »Ja.«

»Und zu ihm beten?« – »Ja.«

»So bitte ich Dich um ein Versprechen!«

»Laß es mich hören!«

»Versprich mir, daß Du, wenn wir gegen Euern Willen aus unserer Gefangenschaft befreit worden sind, aus vollem Herzen um die Errettung Deiner Kinder beten wirst!«

»Ich verspreche es.«

»Du wirst Dein Wort halten?«

»Wie einen Eid! Aber ich brauche es nicht zu halten; denn kein Gott kann Euch erretten, wenn Ihr Euch weigert, uns das Lösegeld zu zahlen!«

»Denke jetzt, was Du willst; aber ich halte Dich beim Wort! Du sollst sofort erfahren, wie Allah Dich zum Beten zwingen wird!«

Ich zog die Hand aus der Schlinge, drehte mich zu dem Anführer um, welcher noch immer hinter uns stand und versetzte ihm einen Fausthieb gegen die Schläfe, daß er zu Boden stürzte und dort besinnungslos liegen blieb. Im nächsten Augenblicke hatte die Frau meine Hände um den Hals, daß sie nicht rufen konnte. Weiter brauchte ich mich nicht an ihr zu vergreifen, denn sie schloß die Augen und sank ohnmächtig an mir nieder; das Unerwartete meiner That hatte sie über ihre Kraft erschreckt. Ein Griff brachte mich in den Besitz meines auf dem Teppich liegenden Messers, mit welchem ich die Fessel des Hadschi durchschnitt. Hierauf wurde zunächst der Anführer schnell gebunden und ihm ein Knebel zwischen die Zähne geschoben. Eigentlich hätten wir das nun auch mit der Nezaneh thun sollen, aber es widerstrebte mir doch, sie in dieser Weise zu behandeln; fort kamen wir doch, auch[191] wenn sie schnell erwachte. Wir nahmen also so rasch wie möglich alles zu uns, was uns gehörte, stießen mit den Gewehrkolben eine Öffnung durch die Hinterwand der Hütte und krochen vorsichtig hinaus, um vor allen Dingen zu erfahren, wie es auf der vorderen Seite stand. Die Zuschauer hatten sich von dort verzogen; es standen nur noch einige da, welche aber nicht nach unserer Richtung blickten. Wir legten uns also nieder und krochen zwischen den Schneeballsträuchern in den Wald hinein, bis wir von der Hütte aus nicht mehr gesehen werden konnten.

Nun befanden wir uns zunächst in Sicherheit und konnten daran gehen, uns beritten zu machen. Wir gingen parallel dem Waldesrande, glücklicherweise ohne jemandem zu begegnen, weiter, bis wir das nördliche Ende des Lagers erreichten und die Pferde vor uns sahen. Da wir beide Kenner waren, bedurfte es nur kurzer Zeit, um zu sehen, wo die beiden besten standen. Kein Mensch befand sich in der Nähe; es war wirklich ganz so, als ob jemand die Flucht für uns vorbereitet und sorgfältig jedes Hindernis vorher entfernt habe. Wir sprangen hin, stiegen auf und ritten davon, ohne uns umzusehen, zunächst nach Norden, um die Verfolger irre zu machen.

Wir hatten uns noch gar nicht weit entfernt, als uns ein junger Ihlaut entgegengeritten kam. Er hielt sein Pferd an und starrte uns im höchsten Grade verwundert entgegen; ich parierte auch das meinige und gebot ihm in befehlendem Tone: »Wenn Du jetzt in das Lager kommst, begibst Du Dich sofort zur Nezaneh und sagst ihr noch einen Abschiedsgruß von uns. Ich lasse sie an den Gott der Liebe erinnern, zu dem sie innig beten soll; dann wird ihr Wunsch gewiß Erhörung finden. Sage ihr das, und nun reite weiter und beeile Dich!«

Er war so verblüfft, daß er augenblicklich gehorchte, ohne ein Wort zu sagen. Wir galoppierten noch eine Strecke in der bisherigen Richtung fort und bogen dann, als wir festen Boden fanden, welcher keine Spur aufnahm, nach rechts hinüber, wo ein nicht sehr steiler, mit Bäumen besetzter Bergeshang zur Höhe führte. Als wir ihn erreicht hatten, befanden wir uns in vollständiger Sicherheit, weil uns die Bäume die gewünschte Deckung gaben. Bis jetzt hatten wir kein Wort miteinander gesprochen; nun aber, da wir der Steigung wegen die Pferde langsamer gehen lassen mußten, ließ Halef ein munteres Lachen erklingen und sagte:

»Das war ein lustiger Streich, Sihdi! Wir sind frei und haben alles, alles wieder! Deine Faust hat immer noch dieselbe kräftige Sprache wie vor Jahren. Was wird die Umm ed Dschamahl für Augen machen, wenn sie erwacht, und auch der Kerl, den Du niedergeschmettert hast! Wie ihm der Kopf brummen wird! Fast möchte ich zurückkehren, um ihm zu sagen, daß er sich ihn von ihr mit der berühmten ›Salbe der Schönheit‹ einreiben lassen möge! Aber wie kommen wir zu unseren Pferden? Wie erreichen wir Kirmanschah? Wir sind noch nie hier gewesen und kennen keinen Weg dorthin!«

»Darüber brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Man braucht, um sich in einer Gegend zurecht zu finden, sie nicht vorher gesehen zu haben. Du weißt, daß ich einen Ortssinn besitze, der sich nur selten irrt, und hier gibt es glücklicherweise keine Urwälder, in denen man die Richtung verfehlt, weil man vor lauter Bäumen weder den Himmel noch etwas anderes sehen kann. Wenn mich nicht alles täuscht, so kommen wir hier hinauf nach einer Hochebene, jenseits welcher es wieder hinab nach einem Nebenflüßchen des Kara-su geht; dann müssen wir quer über eine Hügelkette, hinter der wir auf dieses Wasser selbst kommen. Ihm brauchen wir nur zu folgen, weil Kirmanschah an seinen Ufern liegt.«

»Wann werden wir diese Stadt erreichen?«

»Nicht eher als morgen früh. Wir müssen im Freien Lager machen.«

»Das ist mir gleichgültig, wenn wir nur etwas finden, was wir essen können. Ich habe viel Hunger und noch mehr Durst.«

Der letztere wurde bald gestillt, weil es hier überall fließendes Wasser gab, und später glückte es uns, eine wilde Ziege zu erlegen, von deren Fleisch wir eine ganze Woche hätten leben können. Auch erwies sich meine Vorhersagung in betreff des einzuschlagenden Weges als richtig. Wir erreichten den Kara-su und machten, als es zu dunkeln begann, in seiner Nähe Halt und zündeten ein Feuer an, über welchem die besten Stücke der Ziege gebraten wurden.[192]

Es versteht sich ganz von selbst, daß unsere Pferde das Hauptthema unseres Gespräches bildeten. Halef war besorgter um sie als ich; es gelang mir aber, ihn leidlich zu beruhigen. Dann kam er auf meine letzte Rede mit der Nezaneh.

»Sihdi, Deine Worte sind mir unbegreiflich gewesen,« sagte er. »Es klang geradeso, als wüßtest Du, daß ihr Sohn und ihr Enkel gewiß errettet werden; woher aber könntest Du das wissen?«

»Ich wußte und weiß auch jetzt gar nichts, doch bin ich zuweilen ein ganz eigentümlicher Mensch, lieber Halef. Es ist, als ob mir Worte, die ich eigentlich gar nicht sagen will, in den Mund gelegt würden, als ob ein zweites Wesen in mir wohne, welches zukünftige Dinge voraussieht und mich anleitet, mich danach zu verhalten. Ich habe nicht den geringsten Anhaltspunkt dazu; aber wenn ich jetzt sagen sollte, ob die Kinder der Nezaneh gerettet oder hingerichtet werden, so würde ich nicht nur sagen, sondern sogar behaupten, daß sie frei sein werden, und zwar sehr bald.«

»Du bist ein Liebling Allahs. Vielleicht hat er Dir einen guten Dschimi el Himajet33 zugesellt, der Dir das alles sagt und Deine Worte und Deine Thaten lenkt. Ich wollte, ich hätte auch einen oder zwei!«

»Dieser Dein Wunsch ist bereits erfüllt; denn jeder gute Mensch, der sich nicht mit Gewalt von Gott entfernen will, steht in der Hand des Herrn der Heerscharen, der seine Boten sendet, ihre Flügel über ihn auszubreiten. Laß uns zu ihm beten, ehe wir schlafen gehen.«

»Wachen wir abwechselnd?«

»Nein. Ich fühle über mir den Schutz des Himmels. Das ist auch so ein unerklärbares Sehen, Hören und Wissen des Herzens, welches vielleicht noch untrüglicher ist als das Sehen und Hören mit den Sinnen des Körpers. Gute Nacht, lieber Halef!«

»Gute Nacht, mein lieber Sihdi! Weißt Du, Du hast Zeiten, wo jedes Wort von Dir eine Predigt ist. Wenn doch alle Menschen Deinen festen, unerschütterlichen Glauben hätten, dann wären sie auch so glücklich wie ich durch ihn geworden bin!«

Wir schliefen ein und schliefen trotz der nächtlichen Kälte fest und ungestört, bis uns der Morgen weckte. Dann aßen wir wieder und ritten hierauf den Fluß hinab nach Kirmanschah, welches wir nach wenig über einer Stunde auf seinen Hügeln vor uns liegen sahen. Diese Stadt ist eine höchst interessante; ich enthalte mich hier trotzdem aller topographischen Bemerkungen, weil ich sie gelegentlich eines anderen Besuches ausführlicher beschreibe, als es hier möglich ist.34

Es sah nicht bloß im Innern der Stadt, sondern schon vor ihren Mauern, wo Militär exerzierte, sehr kriegerisch aus. Wir erfuhren auch bald die Veranlassung: Der Schah war wieder einmal auf den Gedanken gekommen, von dem Sultan Bagdad zurückzuverlangen, und unterstützte diese aussichtslose Forderung durch militärische Vorbereitungen, welche freilich das Schicksal hatten, eben nur Vorbereitungen zu bleiben. Ich erkundigte mich bei einem Wekilbaschi,35 wer augenblicklich der Nasir-i-Schähr36 sei; er nannte mir einen Särtix,37 eine hohe Charge, die aber nicht viel zu bedeuten hat, und erbot sich, mich für ein Backschisch zu ihm zu führen und auch anzumelden. Da lernte ich gleich einmal persisch-militärische Zustände kennen; hoffentlich sind sie jetzt besser.

Ich zahlte das Trinkgeld voraus. Der Wekilbaschi ging voran, und wir folgten ihm zu Pferde. Erst jetzt dachte Halef an die Schwierigkeiten, welche wir zu überwinden haben würden, um unsere Pferde zu bekommen. Als er eine darauf bezügliche Bemerkung machte, beruhigte ich, ihn:

»Habe keine Angst, Halef! Ich trage in meiner Tasche einen Firman des Schah-in-Schah, welcher in eigener Gegenwart des Herrschers untersiegelt worden ist. Dagegen kann kein Särtix aufkommen.«[193]

»Woher hast Du diesen Firman? Kennt Dich der Schah?«

»Nein, und ich kenne ihn auch nicht; wir stehen uns also in dieser Beziehung vollständig gleich. Du hast doch meine türkischen Legitimationen gesehen; bessere, als ich hatte und noch habe, gibt es nicht, und doch war ich dem Sultan unbekannt. Aber ich habe einen sehr guten und sehr einflußreichen Freund in Stambul; das ist Mustapha Moharram Agha, der Kapudschi38 der hohen Pforte; der hat mir die Papiere besorgt; kein Fürst kann wirkungsvollere bekommen. Solche einflußreiche Personen gibt es auch anderswo; man muß die Schliche nur kennen. Persische Firmans sind nicht nur in Persien zu bekommen.«

Wir wurden nach der Mitte der Stadt in den von Muhammed Ali Mirza erbauten Pah-i Takht39 geführt und warteten da in einem Hofe auf den Feldwebel, der uns anmeldete. Er kehrte sehr bald zurück und brachte uns nach dem Innern, wo er uns vor einem Vorhange bedeutete, einzutreten.


3

Der Raum, der uns nun aufnahm, war kostbar ausgestattet gewesen, hatte jetzt aber ein sehr abgewohntes Aussehen. Auf einem niederen Divan saß rauchend ein Offizier höheren Alters, in dessen Zügen ich vergeblich nach den Spuren geistiger Thätigkeit suchte. Unsere Namen waren ihm genannt worden; er schnauzte uns hochmütig wegen der ihm bereiteten Belästigung an und fragte dann, was wir eigentlich von ihm wollten. Da zog ich meinen Firman aus der Tasche und legte ihn auf den vor ihm stehenden, höchstens drei Fuß hohen Tisch, auf welchem sich Schreibutensilien befanden. Er griff mißmutig danach, faltete ihn aus einander und – – – sprang schnell auf, legte die Legitimation ehrfurchtsvoll auf die Stirn, verbeugte sich dreimal fast bis auf die Erde und sagte: »Allah segne den mächtigsten der Beherrscher mit hunderttausend Gaben; er vernichte alle seine Feinde und erhöhe alle, die in seinem mächtigen Schutze stehen! Ich bin zu Ihren Diensten, meine Freunde!«[194]

Diese Wirkung hatte das von dem Muhrdar40 in Gegenwart des Schahs eigenhändig aufgedruckte Siegel hervorgebracht. Ich antwortete in möglichst selbstbewußtem Tone:

»Es ist eine kleine Bitte, um deren Erfüllung ich ersuchen muß. Wir waren gestern Gäste der Idiz von dem Tir der Bachtijaren. Während unserer Abwesenheit kam ein Dästä-i Sävaräh von hier mit seinen Reitern und nahm ihnen zwei und zwanzig Pferde, unter denen auch die unserigen waren. Es sollte mir leid thun, wenn ich bei meiner Ankunft dem hohen Jähan pänah41 sagen müßte, daß ich sie nicht sofort wieder bekommen habe!«

Das war mehr als unverfroren, das war vielleicht schon frech; aber die beabsichtigte Wirkung trat augenblicklich ein: Der Särtix verbeugte sich wieder so tief, wenn auch nur einmal, und teilte mir mit, daß die Pferde, darunter zwei Rapphengste, für Hamadan bestimmt und vor kaum einer Viertelstunde gelegentlich eines Gefangenentransportes dorthin abgegangen seien; unter den Gefangenen befänden sich zufälligerweise zwei Idiz, Vater und Sohn, die in Teheran als verruchte Babis hingerichtet werden sollten. Wenn ich mich beeile, könne ich den Transport binnen einer Stunde einholen und mir die Pferde zurückgeben lassen; er werde mir den dazu nötigen Befehl sofort ausfertigen.

Ich ging natürlich darauf ein. Während er schrieb, kam mir ein Gedanke, ein so ungewöhnlicher oder vielmehr unsinniger Gedanke, daß ich entschlossen war, ihn gerade wegen dieser Unsinnigkeit auszuführen. Der Särtix war kein Pfiffikus, und ich hatte ihm durch Grobheit imponiert, Grund genug für mich zu der Annahme, daß er in die Falle gehen werde. Ich war nämlich überzeugt, daß die beiden Idiz, von denen er sprach, der Sohn und der Enkel der Nezaneh seien.

Als er den Befehl geschrieben und untersiegelt hatte, las ich ihn durch; er war meinen Wünschen entsprechend; dennoch machte ich ein unbefriedigtes Gesicht und sagte:

»Und Kelat und Scherga? Hoffentlich steckt man sie nicht unter die Soldaten; ich brauche sie!«

»Kelat und Scherga?« fragte er. »Wer ist das? Hasreddihn42 haben diese Namen vorhin nicht mitgenannt.«

»Nicht? Hätte ich so leise gesprochen? Ich meine die Idiz, welche bei den Pferden sind. Ich kann auf meine Diener nicht verzichten!«

»Kheilih khub – sehr wohl! Sollte man auch diese mitgenommen haben? Ich konnte mich nicht darum bekümmern und habe das alles durch Untergebene thun lassen müssen. Wie könnte dem wohl zur Zufriedenheit abgeholfen werden?«

»Durch einige Worte nur. Hier steht der Befehl, die beiden Pferde an uns auszuliefern; es genügt vollständig, hinzuzusetzen: ›und die beiden Idiz Kelat und Scherga.‹«

»Jäm' baschäd – seien Sie unbesorgt; es wird augenblicklich und genau so geschehen!«

Er schrieb die Zeile nicht dazu, sondern einen neuen Befehl, was mir noch lieber war, da der Zusatz leicht Bedenken erregen konnte, und gab ihn mir. Dann legte er den Firman wieder an die Stirn, verbeugte sich dreimal, segnete den Schah, mich und Halef, gab mir das Dokument, bat mich, beim Qiblä-i 'Aläm43 seiner in Güte zu gedenken, und begleitete uns unter wiederholten Bücklingen bis an den Ausgang des Zimmers. Im Hofe stand der Feldwebel noch. Ich gab ihm vor Freude, so leicht aus der Löwenhöhle entkommen zu sein, noch ein zweites Backschisch; dann machten wir, daß wir Kirmanschah und seine Luftziegelmauer, die es umgibt, schnell hinter uns bekamen. Als wir hinaus und über die hochgewölbte Pflastersteinbrücke hinüber waren, holte Halef tief Atem und rief aus: »Sihdi, was hast Du gewagt! Du weißt, ich fürchte mich nie; aber als Du die beiden Idiz verlangtest, da wurde mir himmelangst!«

»Mir war es selbst auch nicht viel wohler wie Dir; aber das Siegel des Schah-in-Schah blendete den Särtix. Man sollte nicht glauben, daß ein solcher Leichtsinn möglich sei; aber was man von einem persischen Offizier zu halten hat, kannst Du daraus ersehen, daß es hier im Lande zwei Militärschulen gibt, von denen die eine die abgehenden Schüler gleich zu Majors oder Obersten macht, während die andere der Armee noch nicht einen einigen Offizier geliefert hat. Wer reich[195] ist und Geld zahlen kann, avanciert so hoch, wie die Summe reicht, die er dafür gibt, er mag so dumm sein, wie es ihm beliebt!«

»So war dieser Särtix wohl auch so ein Reicher, dem es beliebte, ganz und gar dumm zu sein?«

»Es scheint so. Jetzt aber müssen wir uns sputen, Halef. Wir haben das Spiel noch nicht gewonnen. Es kommt darauf an, was für ein Mann der Offizier ist, welcher den Transport kommandiert.«

»Hoffentlich ein sehr reicher! Aber Sihdi, wenn er sich etwa weigert, die Pferde oder die Idiz auszuliefern, so helfen wir mit den Waffen nach. Nicht?«

»Ja. Was wir angefangen haben, führen wir auf alle Fälle durch. Komm'!«

Wir jagten, Bisitun zu, auf der weiten Ebene hin, an deren nordwestlichem Ende Kirmanschah liegt; der tiefe Staub des Weges flog in Wolken hinter uns auf. Süßholz und Kameldorn rahmte ihn ein. Links lag die Kette des Tak-i Bostan, rechts drüben eine Art von Dorf, an welchem wir vorüberflogen. Nach vielleicht drei Viertelstunden sahen wir eine Linie von Reitern, ledigen Pferden und Fußgängern vor uns, jedenfalls der Trupp, den wir einholen wollten. Wir erreichten ihn, sausten an ihm vorüber und hielten dann an, mitten im Wege Posto fassend.

Ein Naïb44 ritt voran, schön sauber gekleidet und mit allen möglichen Waffen theatralisch behangen, höchstens achtzehn Jahre alt. Er war der Kommandant! Jedenfalls eines reichen Vaters Goldsöhnchen.

»Halt!« rief ich ihn an, als er vorüber wollte.

Wir, die wir nicht so schön aussahen wie er und nicht einmal Sättel hatten, schienen gar keinen Eindruck auf ihn zu machen; denn er schnauzte uns mit einer noch halb kindlichen Stimme, die zwischen dem hohen Sopran und dem zweiten Baß bald hinauf- und bald hinunterhüpfte, grimmig an: »Macht Euch auf die Seite! Ich bin Offizier des von Allah eingesetzten und erleuchteten Sillullah!«45

Da zog ich den Firman aus der Tasche und entfaltete ihn dem herrlichen Recken vor das Näschen. Als er das große Siegel mit den zwei bekannten Versen sah, wäre er vor ehrfurchtsvollem Schreck beinahe vom Pferde gefallen; doch wußte er genau, was er zu thun hatte. Er nahm den Firman auch an die Stirn, verneigte sich dreimal bis auf den Kopf seines Pferdes und erkundigte sich sodann nach meinen Befehlen, wobei er mich Ämir46 und Hazret vala47 nannte. Ich nahm ihm den Firman wieder aus der Hand, steckte ihn ein und gab ihm den Befehl des Särtix. Ohne abzuwarten, was er dazu sagen werde, wendete ich mich an die Kolonne und fragte mit lauter Stimme, wer Kelat und Scherga, die beiden Idiz seien. Die zwei Personen, welche hierauf antworteten, waren schwer gefesselt; ich ritt hin und befreite sie von den Eisenstangen, an welche ihre Hände mit Riemen festgebunden waren; sie ritten nicht, sondern hatten laufen müssen.

Inzwischen war Halef von mir gewichen; er saß schon auf seinem Rappen, und nun schwang ich mich auch auf den meinigen; sie waren geführt worden, weil sie niemanden im Sattel gelitten hatten. Beide schnaubten und wieherten vor Freude, uns wiederzusehen. Den beiden Idiz gebot ich, die Pferde zu besteigen, die bis jetzt von uns geritten worden waren.

Das alles hatte sich in der Zeit von kaum zwei Minuten abgespielt. Jetzt kam der Lieutenant zu mir her und erkundigte sich, ob noch weitere Befehle in meinem Belieben seien. Da stach mich der Hafer! Wir hatten mehr erreicht, als uns noch vor kaum zwei Stunden als möglich erschienen war, und nun wurde ich gar nach ferneren Wünschen gefragt! Ich zählte über achtzig Pferde mit zwölf Begleitsoldaten. Waren die zwanzig Pferde der Idiz dabei, so konnte ich sie mir ja wünschen; der Jüngling in Waffen hatte nichts dagegen. Ich erkundigte mich bei Kelat und Scherga und erfuhr, daß die Pferde da seien; sie waren am Zeichen der Idiz kenntlich. Sie wurden aus der Kolonne genommen und dann zu Paaren zusammengekoppelt. Hierauf war ich mit dem Lieutenant fertig. Ich reichte ihm herablassend meine Hand, belobte seinen Eifer um das Wohl des persischen Staatswesens und brachte ihm dann in freundlicher Weise die Überzeugung bei, daß ihm im muhammedanischen Buche des Lebens[196] der gute Rat gegeben sei, nun seines Weges wieder fürbaß zu ziehen. Er nahm sich und seinen Transport eng zusammen, widmete mir noch einige Verbeugungen und ritt dann seinem ferneren Kismet getrost entgegen. Wir aber schlugen, da wir uns in Kirmanschah nicht wieder sehen lassen wollten, uns bei der nächstpassenden Örtlichkeit seitwärts in die Berge.

Ich nahm an, daß die zwanzig Pferde uns in dem schwer passierbaren Gebirge sehr in Anspruch neh men würden, überzeugte mich aber bald vom Gegenteile. Diese Tiere waren gelehrig, folgsam und an solche Wege gewöhnt. Natürlich aber kamen wir nicht so rasch vorwärts wie Halef und ich auf dem Ritte nach Kirmanschah. Um das Lager der Idiz zu erreichen, brauchten wir noch drei Stunden, als es Abend wurde; wir mußten die Überraschung also auf morgen vormittag verschieben.

Kelat und Scherga hatten selbstverständlich alles erfahren. Ich brauchte da kein Wort zu sprechen; mein kleiner, redseliger Halef sorgte schon dafür, daß ihnen nichts verborgen blieb. Sie waren beim heutigen Aufbruche überzeugt gewesen, dem gewissen, qualvollen Tode entgegengeführt zu werden, und wenn sie nach ihrer schweigsamen Weise auch nicht viele Worte machten, so sagte uns doch jeder Blick von ihnen, wie groß und wie aufrichtig die Dankbarkeit war, die sie für uns im Herzen trugen. Wir konnten sicher sein, durch sie die Freundschaft des ganzen Stammes zu erwerben.

Am andern Morgen regnete es; das war mir wegen der Art und Weise, wie ich unsere Rückkehr gestalten wollte, gar nicht unlieb. Der Regen hielt die Ihlauts in ihren Hütten und Zelten zurück und erleichterte uns die unbemerkte Annäherung an das Lager. Am Rande der Hochebene, wo der Berghang sich hinuntersenkte, mußten die beiden Idiz mit den Pferden halten bleiben, um erst eine Stunde später nachzukommen. Wir stiegen unter Bäumen die Lehne hinab, eilten so rasch wie möglich über das Thal hinüber in den Wald und wendeten uns in seinem Schutze nach Süden. Halef freute sich wie ein Kind auf die Überraschung; der liebe Kerl war schon längst nicht mehr zornig auf die Nezaneh. Als wir das Lager von hinten erreichten, schlichen wir uns der Hütte gegenüber, welche der Umm ed Dschamahl gehörte. Das von uns in die Hinterwand gestoßene Loch war repariert.


3

Es gab einiges Leben im Lager, aber nicht da, wo wir uns befanden. Wir huschten unter den Bäumen hervor und um die vordere Ecke bis an die Thüre, welche nicht fest zu war. Durch die so entstandene Lücke lugend, konnten wir das Innere überblicken. Die Nezaneh war[197] allein, sie kniete mit gefalteten Händen und emporgerichtetem Gesicht an ihrem Lager; ihre Lippen bewegten sich. Ich schob die Thüre auf und trat ein; der Hadschi folgte mir. Sie hörte das Geräusch, blickte zur Seite, sah uns und fuhr mit einem Schrei in die Höhe.

»Du betest?« fragte ich; »zu meinem Gotte der Liebe oder zu Eurem Allah, der nur den Moslem duldet?«

»Zu Deinem Gotte,« antwortete sie, noch immer bewegungslos vor Staunen.

»So hast Du Wort gehalten; ich danke Dir! Glaubst Du, daß er Dein Gebet erhören wird?«

»Ich habe es geglaubt, weil er Euch aus unserer Hand befreite; so konnte er auch meine Söhne retten. Aber Ihr kommt ja wieder! Warum?«

»Wir wollten Dir nur beweisen, daß die Hilfe oft dann am nächsten ist, wenn man sie nicht mehr erwartet. Wir haben uns entfernt, nicht um zu fliehen, sondern um des Lösegeldes willen, welches Ihr verlangt.«

»Ich – – ich – – – ich begreife Dich nicht!« stotterte sie; dann aber eilte sie an uns vorüber zur Thüre, trat hinaus und ließ einen schrillen Schrei erschallen, welcher das ganze Lager in Alarm brachte. Die Ihlauts kamen herbei; sie sammelten sich, alt und jung, groß und klein, vor der Hütte an und hörten mit Erstaunen, daß wir freiwillig zurückgekommen seien. Einige durften herein, unter ihnen der Anführer, den ich niedergeschlagen hatte. Kaum sah er mich, so sprang er auf mich los, um mich zu packen. Ich nahm ihn bei den Armen fest und sagte:

»Streng' Dich nicht an! Wir thun freiwillig, was Du erzwingen willst. Hier legen wir unsere Sachen wieder her, wo wir sie weggenommen haben. Bindet uns; wir wollen wieder Eure Gefangenen sein, bis das Lösegeld gekommen ist!«

Ich breitete den alten Teppich aus, auf welchen wir die Gewehre und alles andere legten; dann wurden wir gefesselt. Das geschah in einer Weise, als ob die Idiz nicht wüßten, ob sie wachten oder träumten. So etwas war ihnen nicht nur noch niemals vorgekommen, sondern sie hätten es, wenn es ihnen erzählt worden wäre, für eine Lüge, für unmöglich gehalten. Großen, wenn auch heimlichen Spaß machte mir dabei das Gesicht meines Halef. Wie gern wäre er herausgeplatzt, wenn er sich nicht vor meiner Mißbilligung gefürchtet hätte! Er sah aus, als ob er explodieren wolle! Die Nezaneh hatte sich auf ihr Lager gesetzt. Da saß sie nun mit ineinander verschlungenen Händen und sah zu, was[198] vor ihren Augen geschah und doch kaum glaublich war. Als wir wieder gebunden worden waren, fragte sie mich, ihren Augen noch nicht recht trauend:

»Effendi, würde jeder Christ sich so verhalten wie Du?«

»Nein, nicht jeder,« antwortete ich; »denn es hat nicht jeder das Glück, der Lehrer einer solchen Schülerin zu sein, wie Du bist.«

»Wie meinst Du das?«

»Das wirst Du erfahren, wenn meine und auch Deine Zeit gekommen ist. Doch, wir können nicht hier bei Dir bleiben; schafft uns also wieder dorthin, wo wir bewacht worden sind!«

Man erfüllte diesen Wunsch sofort. Draußen standen trotz des Regens die Menschen dicht gedrängt. Unser Weg nach der bekannten Hütte war als eine Art von Triumphzug zu betrachten. Am Ziele angekommen, wurden wir genau wieder so angebunden, wie es am ersten Abend geschehen war; auch ein Wächter setzte sich zu uns. Nun lagen wir lauschend still, bis sich einige laute Rufe hören ließen, denen andere und wieder andere folgten, die sich schließlich in ein allgemeines Frohlocken verwandelten. Dann war es wieder still, worauf wir Schritte hörten, die sich eilig näherten. Die Thüre wurde aufgerissen, und die Nezaneh trat ein, gefolgt von ihren Söhnen, welche uns augenblicklich die Fesseln abnahmen. Die Frau stand, vor freudiger Aufregung rot im Gesicht, schnell atmend und mit leuchtenden Augen vor uns und rief: »Effendi, jetzt hast Du bewiesen, daß Du ein Christ bist, ein wahrer, ein echter Christ! Ich glaube an Dich; ich glaube nun auch an Euern Gott der Liebe und der Barmherzigkeit, der meine Kinder durch Dich vom Tode errettet hat! Wir waren Eure Feinde, und doch hast Du sie befreit und mir zurückgebracht. Ja, es ist wahr, was ich Dir nicht glauben wollte und nicht glauben konnte: Du liebst Deine Feinde ebenso wie Deine Freunde. Das ist eine größere, eine heiligere Liebe als jede andere Liebe; die kommt nicht aus der Menschenbrust, sondern direkt von Gott herab; sie ist keine irdische, sondern eine himmlische Liebe; und nun kenne ich den Weg, der zum ewigen Leben führt: Liebet Gott; liebet alle Menschen, ja, liebet sogar Eure Feinde! Ich werde ihn von jetzt an wandeln und nie wieder von ihm weichen! Du warst mein Lehrer im Gebet; Du bist mein Lehrer auch in der Liebe. Sei der Gast Deiner Schülerin, solange es Dir gefällt; denn Dir gehört alles, alles, was ich habe!«

»So bist Du also zufrieden mit dem Lösegelde, welches ich Dir aus Kirmanschah geholt habe?« fragte ich lächelnd.

»Sprich nicht so, Effendi; sprich nicht so! Du hast uns nicht Gold und Silber gebracht, sondern mehr, viel mehr: das Leben meiner Kinder, den Glauben und die Liebe; Du hast mir Gott gegeben und mich ihm! Und solche Männer schleppten wir in die Gefangenschaft und forderten Geld für ihre Freiheit! Ich werde mich dafür anklagen und verurteilen, solange ein Leben in mir ist! Komm', gib mir Deine Hand! Sie ist die liebste, die ich je mit der meinigen berührte. Laß Dich in meine Hütte führen, wo Du wohnst, bis wir Dir eine würdigere errichtet haben!«

»Thut das nicht! Ihr müßt fort von hier! Ihr dürft nicht eher wieder die Nähe von Kirmanschah aufsuchen, als bis der Sand der Zeit die Spuren des gestrigen und heutigen Tages verweht hat.«

»Du hast Recht. Wir brechen morgen früh das Lager ab und ziehen nach Norden bis in die Gegend des Demirludagh, wo uns kein Spruch aus Kirmanschah erreichen kann; aber Ihr zieht mit, als Gäste unseres Stammes, sonst bleiben wir lieber hier und trotzen der Gefahr!«

»Zwei Wochen wollen wir Euch schenken; mehr haben wir nicht übrig; aber am Ende unserer Reise kehren wir vielleicht für längere Zeit zu Euch zurück.«

Das wurde angenommen. Unser Weg zur Hütte der Nezaneh war räumlich ein sehr kurzer; aber es dauerte lange, ehe wir dort ankamen. Die Ihlauts standen trotz des Regens alle im Freien, um uns die Hände zu drücken und irgend ein Freundschaftswort zu sagen. Wir wurden von einer Gruppe der andern zugeschoben; denn diese braven Menschen, welche der Buchgeograph als Halbwilde bezeichnet, besaßen das, was man beim gebildeten Abendländer so oft vergeblich sucht, ein Herz voll echter Dankbarkeit und wahrer, überquellender Liebe.[199]

Als später der Regen aufhörte und die Sonne ihre warmen Strahlen zu unserer Feier spendete, blieb kein Mensch mehr unter seinem Zelt- oder Hüttendache. Das war ein Gaudium für meinen Hadschi! Er schien allgegenwärtig geworden zu sein, denn er war überall zu sehen und zu hören. Er mußte doch meinen – – als Folie zu seinem – Ruhm nach allen Richtungen hin verkünden und aus der Posaune seines beredten Mundes schmettern! Als es Abend geworden war, kannten die Idiz alle Heldenthaten, die wir verrichtet hatten, und noch viele mehr, die ganz nach Bedürfnis in seinem Kopfe entstanden. Da gab es kein Aufhalten, kein Verhindern; ich mußte ihn ungestört reden lassen, denn ich kannte ihn. Er war von fast beispielloser, überfließender Laune. Daß Hanneh, »die herrlichste Blume unter allen duftenden Blüten des Orients«, in den meisten seiner Erzählungen eine hervorragende Rolle spielte, versteht sich ganz von selbst. Als er eben wieder einmal die Unvergleichlichkeit ihrer Vorzüge mit glühender Begeisterung pries, fiel sein Auge auf die eben herbeitretende Nezaneh; das gab seinen Gedanken eine andere, mehr praktische Wendung; er unterbrach sich selbst und warf ihr die plötzliche und ganz unvorbereitete Frage zu: »Also wieviel kostet die Büchse von Deiner Salbe der Verschönerung?«

»Für Dich kostet sie nichts,« antwortete sie.

»Und zwei Büchsen?« – »Nichts.«

»Und zehn Büchsen?« – »Auch nichts.«

»Aber fünfzig Büchsen?«

»Willst Du denn alle Harimat der Haddedihn verschönern?«

»Nur das meinige; aber es kommt doch wohl darauf an, wie sehr schön man es haben will: je schöner, um so mehr Salbe! Würdest Du mir, oh Umm ed Dschamahl, wohl sagen, welcher Offenbarung Du die Zubereitung dieses Segens zu verdanken hast?«

»Ich weiß es nicht anders, als daß ein berühmter Hekim,48 der ein Vorfahre von mir war, Scheheresade, den Liebling Harun al Raschids, einst von einer tödlichen Krankheit rettete, wofür sie ihm aus Dankbarkeit das Geheimnis ihrer immerwährenden Jugend und Schönheit mitteilte. Er hat es auf seine Nachkommen vererbt, welche alle sehr alt geworden und doch bis in ihre letzten Tage jung geblieben sind. Ich bin alt und dennoch jung; meine Mutter war noch älter, und deren Mutter zählte der Jahre über hundert.«

»Habt Ihr das Geheimnis stets bewahrt?«

»Stets! Es wurde immer kurz vor dem Tode nur der Tochter überliefert. Ich bin die letzte; selbst hier im Stamme ist es außer mir keiner Seele bekannt. Aber Dir, Effendi, würde ich es gern mitteilen, wenn Du es wissen möchtest.«

Sie richtete diese Worte an mich und fuhr in ihrem Eifer fort: »Was ich von Dir empfangen habe, wiegt mehr, viel mehr, als ich Dir bieten kann; also höre! Nimm zwei Teile Ajesva zu fünf Teilen Setaratsch und Dekka; lege es in einen – – –«

»Halt!« unterbrach ich sie lachend. »Willst Du es nur mir mitteilen oder allen, die sich hier befinden?«

»Dir allein!«

»Wenn Du es in ihrer Gegenwart sagst, erfahren sie es ja auch!«

»Nein. Ich habe nur diese drei Namen genannt, die sie kennen, weil sie diese Pflanzen zuweilen für mich sammeln; das übrige hätte ich Dir dann heimlich gesagt. Soll ich?«

»Der Mensch soll alles lernen, was er lernen kann; ja, ich bitte Dich, es mir mitzuteilen!«

Das war ein sehr unvorsichtiges Wort von mir; denn von diesem Tage an bestürmte mich Halef ohne Ermüden mit der Bitte, ihm nun meinerseits das Geheimnis zu verraten, weil er beabsichtige, es seiner Hanneh zu lehren, damit sie für die Haddedihn und den ganzen Stamm der Schammar die »Salbe der Schönheit« kochen könne.

Der nächste Morgen versprach einen schönen Tag und hielt sein Versprechen. Die Zelte wurden abgebrochen, und dann begann die Wanderung, von der ich einstweilen sagen darf: sie nahm einen so außerordentlichen, unvorhergesehenen Verlauf, daß ich ihn meinen lieben Lesern nicht vorenthalten kann und das nächste Mal von ihm erzählen werde. – –[200]

[Fußnoten]

1 Handelsmann.

2 Plural von Harem und Frau.

3 Salbe der Schönheit.

4 Gabriel.

5 »Mutter der Schönheit«.

6 Stammesabteilung bei den Bachtijaren.

7 Apotheker.

8 Fast vier Mark.

9 Emma.

10 Major.

11 Siehe »Im Reiche des silbernen Löwen«. Deutscher Hausschatz, Jahrgang 24.

12 Rihs Sohn.

13 Blitz.

14 Das Thor.

15 Persisch: Moschusweide.

16 Nomadenstamm.

17 »Herunter!«

18 Mitesser, »Wurm der Haut«.

19 Didahn = Plural von Dud.

20 »Würmer des Gesichtes«.

21 Lager.

22 Kurdisch: Häuptlingin.

23 Perser.

24 40000 Mark.

25 Deutschland.

26 Napoleon den Dritten.

27 Muhammedanerin.

28 Feldmarschalls.

29 Schwadron Kavallerie.

30 Oberlieutenant.

31 Versammlung.

32 Frühlingssonnenwende.

33 Geist des Schutzes.

34 Siehe Deutscher Hausschatz: »Im Reiche des silbernen Löwen«, v. Karl May.

35 Feldwebel.

36 »Verteidiger der Stadt«.

37 Divisionsoberst.

38 Thürhüter, Portier.

39 Residenz.

40 Großsiegelbewahrer.

41 »Zufluchtsort der Welt« = der Schah.

42 Hoheit.

43 »Mittelpunkt der Welt« = der Schah.

44 Lieutenant.

45 »Schatten Gottes« = der Schah.

46 Fürst.

47 Königliche Hoheit.

48 Arzt.

Quelle:
Die »Umm ed Dschamahl«. Reiseerzählung von Dr. Karl May. In: Regensburger Marien-Kalender für das Jahr des Heiles 1899. 34. Jg. Sp. 171–200. Regensburg, New York, Cincinnati (1898) (Ohne Paginierung).
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