III.

[293] Der Rentier August Hildebrandt kommt mit seinen Katzen wohlbehalten zu Hause an. Er hat für den Transport derselben von dem Haltepunkte bis nach Wiesenburg einen zweiten Fuhrmann genommen, der ihm die Körbe in den Flur setzt und sich dann mit seiner Bezahlung entfernt.

Christian ist noch immer nicht da, doch findet Hildebrandt Alles scheinbar unberührt. Nur als er die Hunde aus ihrem Gewahrsam befreien will, sind sie verschwunden. Die Thür ist verschlossen gewesen; sie müssen also durch das Fenster, welches er der nöthigen Luft wegen offen gelassen hat, gesprungen sein. Jedenfalls haben sie seine Spur verfolgt und werden morgen zurückkommen. Ueberhaupt würde ihm ihre Abwesenheit sonst viel mehr Sorge bereitet haben als heut, wo er sich körperlich und geistig angegriffen fühlt. Er öffnet die Körbe, um den Katzen ihre Freiheit zurückzugeben, versorgt die hungrigen Thiere mit Nahrung und legt sich dann zur Ruhe, die ihm aber noch lange versagt bleibt, denn die Ereignisse des vergangenen Tages ziehen in bald freundlichen, bald drohenden Gestaltungen an ihm vorüber und scheuchen den Schlaf von seinen Augen.

Als er erwacht ist es bereits Mittag. Er erhebt sich und betritt das Wohnzimmer. Die Abwesenheit des Dieners gebietet ihm, die diesem obgelegenen Verrichtungen nun selbst zu übernehmen.[293]

»So ists mit fremden Leuten,« seufzte er. »Sie haben kein tieferes Interesse an dem Wohle der Herrschaft und handeln nur nach ihrem eigenen Vortheil. Wäre ich damals nicht so streng gewesen, so hätte eine Versöhnung ganz sicher stattgefunden, sie hätte sich nicht zu Tode gehärmt und ich könnte mich einer behaglichen Häuslichkeit erfreuen. Der Mensch ist das obstinateste Geschöpf, welches ich kenne!«

Die Katzen streichen durch das Haus; sie finden die Herrin nicht und kommen mit leisen Klagelauten zu ihm.

»Ihr werdet sie nie wiedersehen, ihr armen Thiere, und sie mit der Zeit vergessen; ich aber werde immer an sie denken müssen unter Vorwürfen und Klagen gegen mich selbst.«

Er sorgt für sie und sich und öffnet dann den Schrank. Kaum hat er das erste Fach herausgezogen, so fährt er entsetzt zurück.

»Leer! Himmel, ich bin bestohlen!«

Er sucht weiter und findet, daß ihm während seiner Abwesenheit sein ganzes Vermögen geraubt worden ist.

»Alles fort, Alles! So viele Hunde im Hause und dennoch bestohlen und beraubt. Ich muß sofort An zeige machen! Aber wenn mir diese fortgelaufenen Kreaturen wiederkommen, so nehme ich sie nach der Reihe her und schlage sie todt, einen nach dem andern. Christian hatte Recht; ich wollte, er hätte sie alle erschossen, erstochen, vergiftet und ersäuft. Hätte ich die Katzen noch nicht, so schaffte ich mir welche an, sie hätten den Spitzbuben die Augen ausgekratzt!«

Er läuft in höchster Wuth im Zimmer auf und ab; da klingelt es, und als er öffnet, bringt ihm der Postbote einen Brief. Verwundert, daß er den Einsiedler einmal zu sehen bekommt, benutzt er diese Gelegenheit, seine Neugierde zu befriedigen.

»Was ist denn gestern hier im Hause los gewesen? Es ist doch in der Dämmerung ein Frauenzimmer mit Ihren Hunden nach der Station gegangen und mit ihnen in der Wiesenthaler Richtung fortgefahren!«

»Ein Frauenzimmer? Mit meinen Hunden? Nach Wiesenthal? Hatte sie ein Paket, eine Tasche, einen Handkoffer oder etwas Aehnliches bei sich?«

»Jedenfalls. Ich habe sie zwar nicht selber gesehen, aber da – – –«

August Hildebrandt klappt ihm die Thür vor der Nase zu und eilt in das Zimmer zurück, um sich schleunigst umzukleiden.

»Ein Frauenzimmer? Das ist keine Andere als das Dienstmädchen der Verstorbenen! Sie hat gewußt, daß ich nach Wiesenberg gehe, und die Gelegenheit benutzt, mich auszuplündern. Die Hunde hat sie geködert – na, wart, ihr Bestien, das soll euch gut bekommen! Welch ein Glück, daß ich weiß, wohin sie ist! Darum also hat sie sich nicht nach Wiesenberg zurückgetraut! Die Anzeige hier im Orte hilft mir Nichts; ich muß die Verbrecherin verfolgen und mich in Wiesenthal an einen tüchtigen Kriminalisten wenden! Sapperlot, ich habe dort ja den Paul, der wird sie erwischen, ertappen, verurtheilen, aufhängen – – der Brief ist von ihm. Was schreibt er denn?«

Er öffnet das Couvert und liest:


»Bester Papa!


Du hast bei der Adoption mir zwar die Bedingung gestellt, auf allen persönlichen Verkehr mit Dir ein für allemal zu verzichten, aber es ist gegenwärtig ein für mich höchst wichtiger Umstand eingetreten, welcher mich zu der wirklich dringlichen Bitte veranlaßt, Dich einmal besuchen zu dürfen.

Ich habe nämlich hier ein Mädchen kennen gelernt, welches sich meine vollste Achtung und Liebe erworben hat; sie erwidert Beides, und ich bin sicher, mit ihr recht glücklich zu werden. Sie ist Lehrerin und – wie ich Dir gleich heut offen sage, die Adoptivtochter von Fräulein Hildebrandt in Wiesenberg. Die Differenzen, welche dieser letztere Umstand herbeiführen dürfte, bewegen mich zu der oben ausgesprochenen Bitte.

Ist Christian wieder einmal echappirt? Er war nicht, wie gewöhnlich, bei mir, sondern ich sah ihn heut Abend zu meiner Verwunderung mit dem Dienstmädchen von Fräulein Hildebrandt hier Arm in Arm spazieren gehen.

Eine möglichst umgehende Gewährung meiner Bitte erflehend, grüße ich mit gewohnter Dankbarkeit

Dein gehorsamer

Paul.«


Der Brief hat einen außerordentlich aufregenden Inhalt, und Hildebrandt steigt in dem Zimmer auf und ab wie Einer, der losschießen will und dennoch zaudert.

»Verliebt ist er? Ich werde ihm den Kopf waschen, dem unvorsichtigen Menschen! – – – Aber, hm – – ich bins ja auch gewesen, hm – – – und in die Pauline ist er vernarrt! Warum gerade in die, hm? Sie ist die Tochter dieser, dieser – dieser – – hm, Hildebrandt, hast Du den gestrigen Tag vergessen? – Und den Christian hat er gesehen – mit der Christine? Sie sind im Komplott; sie haben den Diebstahl verabredet; ich lasse sie Beide arretiren! Paul braucht gar nicht zu kommen, ich fahre selbst zu ihm!«

Er schließt die Katzen ein und verläßt das Haus. Auf der Straße kommt ihm ein neuer Gedanke.

»Gestern Abend sind sie in Wiesenthal gewesen? Wie nun, wenn sie nicht mehr dort, sondern nach Wiesenberg gefahren sind! Sie wissen, daß ich zurück muß und das Haus also leer steht. Ja, ich verspüre in mir Anlagen zum Kriminalisten, sie sind ganz sicher hin, um das Haus auszuräumen. Und wenn dies auch nicht der Fall sein sollte, ich muß dennoch hin, um einen Mann anzustellen, der es während meiner Abwesenheit bewacht. Ich hätte gestern daran denken sollen!«

Er löst das Billet nicht bis Wiesenthal, sondern bis Wiesenberg und nimmt, um schneller vorwärts zu kommen, an der letzten Station einen Wagen. Bei dem Häuschen, welches er geerbt hat, angekommen, steigt er aus und öffnet. Alles ist so, wie er es gestern verlassen hat. Das beruhigt ihn. Er schließt auch den Sekretär auf und – stößt einen Ruf der Ueberraschung aus, das ganze ihm geraubte Gut liegt hier, Alles, Alles, bis auf den Pfennig. Ohne sich zu fragen, wie es hierher gekommen ist, eilt er zum Fuhrmann hinaus und gebietet ihm, in die Stadt zu gehen und einen Hüter für das Haus zu besorgen.

Da erschallt auf einmal ein vielstimmiges Gebell von oben herab. Er steigt empor und öffnet die Thür, hinter welcher er gestern die Katzen gefunden hat; seine Hunde stürzen ihm entgegen, jauchzend, heulend, kläffend, je nach der Größe ihres Stimmorganes und des Entzückens, in welches sie durch die Gegenwart ihres rechtmäßigen Herrn versetzt worden.

»Meine Hunde!« ruft er. »Wie sind sie nach Wiesenberg gekommen?«

Er gönnt sich aber nicht Zeit, diese Frage eines Näheren zu erörtern, sondern sorgt für die schadensichere Verpackung des so unverhofft wiedergefundenen Vermögens und setzt sich dann, nachdem der Fuhrmann seinen Auftrag ausgeführt hat und ein Aufseher angestellt ist, in den Wagen, um zur Station zu fahren. Denn nach Wiesenthal muß er, das steht fest.

Die Hunde folgen dem Fuhrwerke wie die wilde Jagd dem Geisterhirsche. Zwar müssen sie sich an der Bahn noch einmal zur Gefangenschaft bequemen, aber diese dauert nur bis zur Ankunft in Wiesenthal; dort umspringen sie ihren Herrn von Neuem.

Dieser lächelt still in sich hinein, daß er aus einem Einsiedler auf einmal ein förmlicher Bahnlagerer geworden ist und schreitet der ihm der Nummer nach bekannten Wohnung seines Adoptivsohnes zu. Dieser ist nicht zu Hause; die Wirthin sagt, er sei zu Fräulein Pauline Hildebrandt gegangen.

»Das trifft sich gut,« denkt der Rentier; »ich gehe hin und werde sie Beide überraschen!«

Er erkundigt sich nach der Wohnung der jungen Dame, nach der er sich sofort begiebt.

»Ich bin nur begierig, sie kennen zu lernen! Es ist eigentlich außerordentlich, einen Sohn zu haben, den man noch nie gesehen hat. Ja, die Einsamkeit stimmt das Herz feindlich und verdüstert die ganze Seele, so daß die Augen wie durch schwarze Gläser blicken!« – –

Auch die Rentière Fräulein Auguste Hildebrandt kommt mit den ererbten Hunden wohlbehalten zu Hause an.

Christine ist nicht zurückgekehrt, und sie findet scheinbar Alles so, wie sie es verlassen hat. Nur als sie nach ihren Katzen sehen will, sind diese verschwunden. Sie kann sich nicht erklären, auf welche Weise die Thiere aus dem Raume gekommen sind, als sie aber ein Fenster offen sieht, muß sie annehmen, daß sie durch dasselbe geklettert sind. Noch gestern würde ihr die Abwesenheit der Lieblinge große Sorge bereitet haben, heut aber nach den Erlebnissen dieses inhaltsschweren Tages fühlt sie sich so abgespannt, daß es ihr gerathen scheint, so bald wie möglich die Ruhe zu suchen. Sie füttert die Hunde, weist ihnen einen Platz für die Nacht an und geht dann schlafen. Aber noch stundenlang klingen die heutigen Stimmen in ihr wieder, bald anklagend, bald versöhnlich; der Schlaf flieht ihre Lider, wie die Seelenruhe bisher ihr Herz geflohen hat, und als sie endlich entschlummert, ist Mitternacht längst vorüber.[294]

Sie erwacht ungewöhnlich spät und erhebt sich, um das Frühstück zu bereiten. Sie ist dabei die Handreichungen Christinens gewohnt und seufzt:

»Es ist wirklich schrecklich, sich so ganz allein zu wissen; auf fremde Leute ist kein Verlaß, und die Einem nahe stehen sollten, sind entweder todt oder unfähig zu einem befriedigenden Zusammenleben. Wie hab' ich mir mein Loos einst doch so ganz anders ausgemalt! Aber ich bin selbst Schuld, daß es so gekommen ist. Das Weib hat die Aufgabe, sich zu fügen; ich erkannte dies nicht und muß nun die schweren Folgen meines Starrsinnes tragen.«

Die Hunde sind unruhig geworden. Sie öffnet ihnen das Verließ und bemerkt, daß sie in allen Winkeln nach ihrem Herrn suchen.

»Ihr werdet ihn nie mehr finden,« meint sie, als könne sie von ihnen verstanden werden, »aber ich werde seine Stelle ersetzen, so gut es mir möglich ist!«

Nach dem Morgenbrode öffnet sie den Sekretär. Ein Schrei des Entsetzens entfährt ihren Lippen und schreckensbleich starrt sie auf die leeren Fächer.

»Fort, Alles fort! Man hat mich beraubt!«

Mit zitternden Händen wühlt sie in dem zurückgebliebenen Inhalte, sinnt und vergleicht und findet, daß ihr sämmtliches Vermögen verschwunden ist.

»Nichts, nichts mehr da, nicht ein Groschen, nicht ein Pfennig mehr! O, diese Katzen, wie habe ich sie nur mit solcher Aufopferung hegen und pflegen können! Sie sind fort. Hätte ich nur einen einzigen, nur den kleinsten Hund im Hause gehabt, als die Diebe kamen, so wäre mir Alles erhalten geblieben! Christine hatte Recht, ich hätte die nutzlosen Thiere schon längst fortjagen sollen! Was ist zu thun? Ich muß sofort in die Stadt, um Anzeige zu machen!«

Noch ist sie mit ihrer Toilette beschäftigt, so klingelt es und der Briefträger überreicht ihr einen Brief.

»Sind Sie hier bekannt?«

»Ein Postbote und nicht bekannt!« lacht er selbstbewußt.

»Wissen Sie nicht, ob gestern Jemand bei meinem Hause gesehen worden ist?«

»Ich selbst habe Niemand gesehen, da ich nur Mittags nach dieser Richtung komme, aber heut Morgen erfuhr ich in der Stadt, daß gestern Nachmittag ein fremder Mann bei Ihnen gewesen ist und Ihre Katzen nach der Station schaffen ließ. Er hat eine sehr schwere Reisetasche getragen und ist in der Richtung nach Wiesenthal abgefahren.«

Er geht; sie aber bleibt in höchster Aufregung zurück.

»Ein fremder Mann! Das ist der Diener meines seligen August gewesen! Er hat gewußt, daß ich abwesend sein werde und dies benutzt, sich in den Besitz meines Eigenthumes zu setzen. Aber warum hat er auch die Katzen mitgenommen? Es sind seltene Exemplare, deren Felle gut bezahlt werden. Er will sie schlachten und hat hier keine Zeit dazu gehabt. – Nach Wiesenthal ist er? Da ist mir die Anzeige hier im Orte zu umständlich, zumal wir eine schlafsüchtige Polizei haben. Ich werde ihm schleunigst folgen und mich dort an einen tüchtigen Beamten wenden!«

Sie öffnet jetzt den Brief. Er lautet:


»Liebste Mama!


Obgleich Du mir ausdrücklich befohlen hast, die Hoffnung auf einen persönlichen Verkehr zwischen uns ein für allemal aufzugeben, sehe ich mich heut in der Lage, mir die freundliche Erlaubniß zu einem Besuche bei Dir zu erbitten. Du darfst versichert sein, daß ich diesen Wunsch nicht aussprechen würde, wenn ich mich nicht durch eine mir höchst wichtige Angelegenheit dazu veranlaßt sähe.

Zu Deiner Vorbereitung gestehe ich, daß ich mich der Liebe eines jungen Mannes erfreue, der eine sehr achtbare Stellung einnimmt und mir außer seiner aufrichtigen Zuneigung alle Garantien einer glücklichen und sorgenfreien Zukunft bietet. Er ist Referendar und der Adoptivsohn des Rentier August Hildebrandt in Wiesenburg. Dieser letztere Umstand macht mich für Deine Zustimmung bange und darum halte ich eine persönliche Rücksprache für dringend nothwendig. Kannst Du sie mir verweigern, Mama?

Christine ist wohl wieder einmal wanderlustig geworden? Ich bin ihr begegnet, obgleich sie mich dieses Mal nicht aufgesucht hat. Sie ging nämlich heut Abend mit Christian, dem Diener des Herrn Hildebrandt, Arm in Arm auf unserer Promenade spazieren. Hast Du schon ein anderes Mädchen engagirt oder kann ich Dir mit einer Empfehlung dienen?

Indem ich Dich von ganzem Herzen ersuche, meine Bitte einer möglichst gerechten Erwägung zu unterziehen, erwartet eine baldige Zuschrift


Deine gehorsame

Pauline.«


Das Schreiben macht einen gewaltigen Eindruck auf die Leserin, welche es zwischen ihre gefalteten Hände nimmt und lächelnd vor sich niederblickt.

»Sie liebt – sie liebt seinen Sohn, den er um meinetwillen im Erbe übergangen hat! Sie soll nicht so unglücklich sein wie ich, wenn dieser Paul – – Wie? Referendar ist er? Wie sich das schickt! Pauline soll nicht kommen, ich selbst suche sie auf und werde mich wegen des Einbruches an ihn wenden. Er muß den Thäter persönlich kennen und wird ihn desto leichter entdecken. Fort also, nach Wies – – –. Aber wie, wenn der Mensch seit gestern Wiesenthal verlassen hat? Er muß ja wissen, daß in Wiesenburg das Haus des Verstorbenen unbewacht ist! Und dazu ist die Christine mit ihm verbunden! Gewiß haben sie schon längst im geheimen Einvernehmen gestanden und werden nun diese Nacht nach Wiesenburg gegangen sein, um ihr Verbrechen fortzusetzen. Ich muß schleunigst hin, um Weiteres zu verhüten und für alle Fälle einen Wächter anzustellen. Nach Wiesenthal komme ich dann auch noch zurecht!«

Sie schließt die Hunde ein und verläßt dann das Haus. Die Erregung läßt ihr den Weg doppelt lang erscheinen, und im Coupé werden ihr die Viertelstunden zu Ewigkeiten. Als sie endlich aussteigt, nimmt sie einen Wagen, dessen schnelles Gespann sie dann zum Ziele bringt.

Kaum kann sie erwarten, das Haus zu betreten, in welchem sie gegen alles Vermuthen Alles in Ordnung findet. Die Schlüssel liegen auf dem Schranke; sie öffnet ihn und stößt einen gleichen Schrei aus wie daheim, aber nicht vor Schreck, sondern vor Freude.

»Mein Geld, meine Pretiosen, meine Rollen! Wahrhaftig, Alles, Alles ist hier! Die Diebe haben nicht geglaubt, daß ich heut wiederkomme, und mein Eigenthum bis zu ihrer Rückkehr hier verborgen. Ich werde im Augenblicke nach der nöthigen Bewachung schicken!«

Der Fuhrmann muß die Pferde aussträngen und in die Stadt gehen. Währenddessen packt sie den wiedergefundenen Raub ein und ist noch damit beschäftigt, als über ihrem Haupte sich ein lautes Katzengeschrei erhebt. Sie horcht auf.

»Katzen hier? Sollten sich welche vom Felde herein verlaufen haben? Aber nein, das ist ja die tiefe Baßstimme meines Schnurr, die man gar nicht verkennen kann!«

Sie eilt hinauf und öffnet.

»Wahrhaftig, mein, alle mein! Man hat sie noch nicht geschlachtet, sondern bis vielleicht heut Nacht hier versteckt. Ich nehme sie wieder mit!«

Der Bote kommt zurück und bringt zwei Männer mit, welche bereit sind, das Haus bis auf Weiteres zu bewachen. Es wird wieder angesträngt; sie steigt mit dem Gepäck ein, die Katzen nehmen Platz auf den Sitzen und in ihrem Schooße und so geht es wieder der Haltestelle zu, um den Referendar zur Festnehmung der Verbrecher zu requiriren.

Zwar bemerkt sie recht gut, daß die Blicke der Begegnenden verwundert oder belustigt auf ihren sonderbaren Fahrgenossinnen ruhen, doch nimmt sie das mit stillem Lächeln hin. Wer ein ganzes Vermögen glücklich wiedergefunden hat, läßt sich durch einen Blick nicht aus der Fassung bringen.

Ganz in der gleichen Weise und mit derselben Gesellschaft besteigt sie dann in Wiesenthal eine Droschke, um sich zu Pauline fahren zu lassen, deren Wohnung sie natürlich kennt.

Das Mädchen sitzt am Tische bei der Lampe und schreibt; da klopft es an, die Thür geht auf und – mit einem Laute des Erschreckens fährt sie empor, ein ganzes Detachement Katzen kommt hereingefahren und hat sich im Augenblicke auf Stühle, Kommode, Sopha, Schrank und Tisch plazirt. Am Eingange aber steht eine hohe, stolze, bleichschöne Frauengestalt, deren dunkle Augen forschend auf der Erschrockenen ruhen. Diese kennt die Katzenliebe ihrer Adoptivmutter, erinnert sich des gestrigen Briefes und ruft, vor Freude erröthend:

»Mama!«

»Ja, ich bins, wenn Du Pauline bist!«

Sie liegen einander in den Armen, denn Beiden ist es gleich im ersten Augenblicke klar geworden, daß sie einander herzlich lieb gewinnen werden.

»Laß eilig den Referendar rufen!«

Pauline erglüht, da sie den Grund einer solchen Hast noch nicht kennt; als ihr aber die Mutter in kurzen Worten mitgetheilt[295] hat, was geschehen ist, verläßt sie das Zimmer, um einen Boten zu suchen. Die Rentière wirft einen forschenden Blick durch den Raum, und ihr weiblicher Scharfsinn sagt ihr, daß ihre Wohlthat einen würdigen Gegenstand gefunden habe. Mit gewinnender Freundlichkeit zieht sie darum die Rückkehrende neben sich auf das Sopha, wo sie durch den Referendar in der mittheilsamsten Unterhaltung unterbrochen werden.

Dieser hat sich höchlichst gewundert, daß er so unerwartet zu der Geliebten gerufen wird, die ihm die Erlaubniß, bei ihr Zutritt nehmen zu dürfen, bisher so streng verweigert hat, und ist dem Wunsche ohne Verweilen nachgekommen. Er weiß, daß Pauline gestern schreiben wollte, er sieht die Katzen und die fremde Dame neben dem Mädchen und weiß sofort, wen er vor sich hat.

Der Blick der Reintière ruht mit Wohlgefallen auf den offenen, geistreichen Zügen des Eingetretenen, und sie reicht, sich erhebend, ihm ihre Hand entgegen.

»Sie sind der Herr Referendar Paul Hildebrandt?«

»Das ist mein Stand und Name, gnädiges Fräulein!«

»Wie, Sie kennen mich?«

»Ich vermuthe nur, wer mir die Hand reicht, die ich mit Ehrerbietung in der meinen halte.«

»Sie vermuthen richtig. Bitte, nehmen Sie Platz und gestatten Sie mir, mich zunächst an den Referendar zu wenden, ehe ich Sie ersuche, Herrn Paul Hildebrandt kennen lernen zu dürfen!«

Er läßt sich auf den angebotenen Sessel nieder und hört mit steigender Aufmerksamkeit den Bericht, den sie ihm von den Ereignissen der letzten beiden Tage erstattet. Noch hat sie nicht ganz geendet, so erhebt sich draußen auf der Treppe und Vorsaal ein Spektakel, der gar nicht größer und verworrener gedacht werden kann. Befehlende, bittende und kreischende Menschenstimmen bilden mit einem vielstimmigen Gebell und Geheul von Hunden ein Chaos, aus dem man endlich die rufenden Worte vernimmt:

»Auf mit der Thür, es kommt Besuch!«

Der Referendar erhebt sich und öffnet, wird aber beinahe zu Boden gerissen, denn eine ganze Anzahl scharfer Hundeaugen haben die Katzen erblickt, und was nun folgt, ist mit der Feder nicht zu beschreiben. Die Hunde drängen sich im Nu in die Stube, und es beginnt ein Kampf, der seinesgleichen sucht. Die beiden Damen sind auf das Sopha gesunken und suchen sich so viel wie möglich der über sie hinstürmenden Thiere zu erwehren; Paul hat die Geistesgegenwart, die Lampe zu vertheidigen, während alle andern nicht niet- und nagelfesten Gegenstände zu Boden gerissen und unter einander geworfen werden; vor der Thür erheben sich drei zeternde Stimmen, welche den Wirrwarr nur vermehren, und es tritt nicht eher eine Sicherheit der Person ein, als bis sämmtliche Katzen sich auf die hohen Möbels retirirt haben, wo sie von den Zähnen ihrer Feinde nicht erreicht werden können, und sämtliche Hunde mit emporgesträubten Haaren und gefletschten Zähnen am Boden sitzen, wie lebendige Belagerungsgeschütze, die jeden Augenblick Tod und Verderben sprühen können.

Die eine der drei Personen vor der Thür ist August Hildebrandt; die andern sind seine Gefangenen. Er muß sie festhalten, damit sie ihm nicht entwischen können, und darum war es ihm vollständig unmöglich, sich mit vermittelnder Strenge in den Kampf zu mischen. Jetzt aber schiebt er die Beiden in das Zimmer, verschließt die Thür von innen und zieht den Schlüssel ab.

»So, jetzt seid Ihr mir sicher!«

Dann schreitet er zur Thür der Nebenstube, öffnet dieselbe, und auf seinen befehlenden Zuruf geben die Hunde die Belagerung auf und ziehen sich vom Schlachtfelde zurück.

»August!« ruft es da vom Sopha her. Es ist die Rentière, welche leichenblaß und zitternd dasteht, die Arme halb verlangend, halb abwehrend gegen ihn ausgestreckt.

»Auguste!« antwortet er, fast ebenso erstarrt wie sie. Er hat sie erst jetzt bemerkt und glaubt eine Erscheinung vor sich zu haben.

Sie nähern und sie weichen sich wieder aus; unendliche Furcht, unendliche Hoffnung blickt und strahlt aus ihren Mienen, bis sie endlich das Vertrauen fassen und sich einander in den Armen liegen.

»Du lebst! Ist es auch wahr?«

»Du bist nicht gestorben? Man hat mich belogen!«

»Belogen? Ja, ganz fürchterlich belogen, um mich zu berauben!«

»Und mich zu bestehlen. Aber ich habe Alles wieder!«

»Ich auch. Ich fand es in Deinem Sekretär.«

»In mei – – – Meinst Du Deine Banknoten?«

»Ja.«

»Die habe ich in Wiesenburg geholt, weil ich mich für Deine Universalerbin hielt.«

»Und ich Deine Rollen und Pretiosen aus demselben Grunde in Wiesenberg.«

Der Referendar hat die Lampe auf den Tisch gesetzt und verwendet kein Auge von der Scene.

»Vater!«

»Bist Du es, Paul?«

»Ja. Darf ich Dich begrüßen?«

»Komm her!«

Es erfolgt eine herzliche Umarmung zwischen den Beiden, die Vater und Sohn sind und sich doch nie gesehen haben. Dann fragt Paul, der vermöge seines im Amte geübten Scharfblickes die ganze Situation erfaßt hat:

»Wie bist Du zu den Thätern gekommen?«

Er zeigt auf Christian und Christine, denn diese sind es. Sie sind mit Pack und Tasche ausgerüstet, als ob sie sich zur Reise begeben wollten.

»Ich sah sie vor mir hergehen und erkannte sie auf der Stelle. Unten am Hause holte ich sie ein. Sie wollten fliehen, aber mit Hülfe der Hunde zwang ich sie, mitzugehen.«

»So laß uns einmal Klarheit bekommen, Vater!«

Er beginnt das Verhör. Nicht um sich zu bereichern, sondern aus Absicht der Rache haben sie sich verabredet, ihre Herrschaft für todt auszugeben und auf diese Weise eine Verwirrung anzurichten, welche nach allem Vermuthen die Feindschaft der Hildebrandts bis auf das Höchste steigern mußte. Die beiden Belogenen erzählen ihre Erlebnisse, und als nun Alles aufgeklärt ist, fragt Paul das entlarvte Paar:

»Wo wolltet Ihr jetzt hin?«

»Nach dem Bahnhofe. Wir wollen nach Amerika.«

»Später vielleicht, jetzt aber noch nicht. Ich werde Euch der Polizei übergeben!«

»Halt, Paul,« meint da der Rentier, »das gebe ich nicht zu! Christian hat mir fünfzehn Jahre lang treu gedient; ich will ihn nicht unglücklich machen, da sein Schwank mir keinen Schaden verursacht hat, sondern mir zum Heil gewesen ist.« Er öffnet die Tasche, welche seine Banknoten enthält und winkt den Diener herbei. »Hier, Christian, nimm, damit Du wirklich hinüber kannst. Aber laß Dich nicht wieder hier erblicken, sonst macht der Referendar Ernst!«

Während dieser Ermahnung hat auch die Rentière eine Rolle hervorgezogen.

»Da, Christine; Du sollst nicht schlimmer wegkommen als Dein Mitverschworener!«

Die so ganz wider alle Erwartung für ihre That Belohnten sind unendlich beschämt und vermögen kaum, ihren Dank zu stammeln. Schon hat Christian die wieder geöffnete Thür in der Hand, da ruft der Rentier:

»Warte noch. Es kommt mir ein Gedanke! Ich mag die Hunde nicht mehr haben; ich schenke sie Dir. Nimm sie mit und verauktionire sie; das wird Dein Reisegeld vermehren!«

»Und ich mag von den Katzen Nichts mehr wissen,« schließt sich ihm die Rentière an. »Nimm sie mit, Christine; Du wirst sofort Käufer für sie finden!«

Die zwei Dienstboten sind über dieses neue Geschenk noch mehr erstaunt als über das erste, doch hüten sie sich wohl, dasselbe abzulehnen; sie wissen, daß der Erlös für die ausgezeichneten Thiere kein zu verachtender sein werde und sorgen dafür, daß nach Verlauf von kaum einer Viertelstunde keines von ihnen mehr sich in der Wohnung der Lehrerin befindet.


Einige Minuten vor Wiesenthal liegt abseits von der Straße und von Bäumen umgeben, welche von einem eisernen Stakete umschlossen sind, ein im gothischen Stile erbautes Haus, welches unlängst erst errichtet wurde und auf dessen Ziegeldache in abstechenden Farben ein »A.H. – 1878 – P.H.« eingedeckt ist. Was diese Chiffre zu bedeuten hat, wird der geneigte Leser sicher errathen. Das Parterre bewohnt der Rentier Herr August Hildebrandt mit seiner Auguste und den obern Stock der Assessor Herr Paul Hildebrandt mit seiner Pauline. Im Frühjahre ist, ungefähr wie man es in manchen Romanen findet, Doppelhochzeit gewesen. Die beiden Häuschen unweit Wiesenberg und Wiesenburg wurden verkauft mit sammt der ganzen Einrichtung, von der nur Weniges behalten wurde, nämlich der ausgestopfte Wachtelhund und die präparirte Cyper, welche nun von einer Pfeilerkonsole gar ernst herniederblicken auf die beiden glücklichen Menschen, welche sich einst so sehr zu hassen vermeinten und doch im tiefen Herzen sich ungeminderteLiebe bewahren. Ihr Haß war kein lebenslänglicher wie bei den zwei ausgestopften, deren Manen – wir wiederholen es – das Firmament gnädig sein möge. – – –[298]


Quelle:
Die Universalerben. Eine rachgierige Geschichte von Karl Hohenthal. In: All-Deutschland! 3. Jg. Stuttgart (1879). Nr. 19.
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