3.

[49] Hillmann hatte seinen Gefangenen in das städtische Polizeiverließ gebracht. Er freute sich königlich über den Streich, den das Schicksal seinem Spezialfeinde gespielt hatte, und beschloß, diese Freude durch den Genuß eines »Bittern« zu erhöhen.

»Auf so einen Schreck kann man schon Einen trinken; da wäre es ja riesendumm, wenn Einem die paar Dreier dauerten. Na, wird das morgen ein Gaudium werden und ein Aufsehen, wenn ich den verlaufenen Wummershausener Nachtwächter mit Horn und Spieß durch die Stadt aufs Rathhaus führe. Heut erfährt kein Mensch ein Wort; denn das Vergnügen will ich mir doch nicht etwa verderben!«

Er trat in die nächste Wirthschaft und spülte seine »Bittern« gleich am Schenktische hinunter; aber, wie es so herzugehen pflegt, wer dem Teufel einen Finger bietet, giebt ihm bald auch noch die ganze Hand – er fand einige Bekannte, trank von ihnen, bezahlte auch noch »Einige,« und als er endlich wieder auf die Straße trat, war aus den vorgesetzten wenigen Minuten fast eine ganze Stunde geworden und er hatte ein Gefühl, als beständen seine langen Beine aus Watte, sein Leib aus einem Luftballon, sein Kopf aber aus einem Zentnergewichte, und die beiden Arme vigilirten in der Luft herum wie die Vorderpfoten einer Katze, welche mit der Nase in eine Schnupfdose gerathen ist.

»Heiliger Knieriem, ist das ein Wetter! Der Schnee fällt so dicke, daß er Einen von einer Seite auf die andere schiebt. Ich möcht nur wissen, wem die Beine da unten eigentlich sind, über die ich immer hinwegstolpere. – 'Hat Eins – nein, wart' 'mal, na weiter ists noch nicht – 'hat Eins geschlagen! Lobt den Herrn!«[49]

Er versuchte, mit der Schnarre einen Wirbel zu schlagen, aber – rrrrrr, flog sie ihm aus der Hand und über die Gasse hinüber. Ganz erstaunt blieb er stehen und sah sich um.

»Wer ist denn der Kerl, der mir die Schnarre aus der Hand schlägt, he? Will Er mir sie wohl gleich wiederholen!« Als keine Antwort erfolgte, schritt er selbst nach der Stelle, wo er sie vermuthete, bückte sich nieder und – stand im nächsten Augenblick mit allen Vieren im Schnee. Er gab sich alle Mühe, die Balance zu behalten; vollends nieder wollte er nicht, in die Höhe konnte er nicht, weil ihm der Kopf zu schwer wurde, und so stand er bewegungslos wie ein Turnerbock auf der Erde, bis er endlich doch das Gleichgewicht verlor und sich kräftig auf die Seite legte. Glücklicher Weise kam er dabei mit der Hand auf die verlorne Schnarre zu liegen.

»Ja, wenn Keiner 'was findet, ich darf nur zugreifen – gleich hab ichs. Geschick, das ist die Hauptsache! Wenn ich nur wieder in die Höhe wär, da mag dann meinetwegen schnarren, wer will, ich laß sie mir nicht wieder aus der Hand schlagen!«

Nach langer Anstrengung gelang es ihm, sich aufzurichten, und nun gings im Zickzack wieder die Gasse entlang. Nach einiger Zeit blieb er stehen.

»Gott sei Dank, da ist der ›blaue Stern,‹ und da steht auch der Omnibus. Jetzt muß ich eine Viertelstunde ausruhen, hahahaha, grad so, wie's der Bachmann gemacht hat, der dumme Kerl. Fährt der Mensch von Wummershausen nach Ammerstadt und fängt hier an zu duten! Daß muß er doch merken, wenns fortgeht!«

Er öffnete die Thür und guckte in das Innere des Wagens.

»Nein, da gehe ich nicht rein, da ist mirs zu luftig. Im Rauchcoupee ists kleiner und also auch wärmer! Bin nur froh, daß ich heut den Spieß nicht mit habe; den brächte ich gar nicht hinein.«

Mit vieler Mühe führte er seinen Vorsatz aus, setzte sich nieder und schlief ein. – – –

Während dessen stak Bachmann zwischen seinen vier nackten Wänden und ärgerte sich ganz ingrimmig über die Thorheit, durch die er sich in solche Verlegenheit gebracht hatte. Mit den lebhaftesten Farben malte er sich die Schande aus, welche er zu erwarten hatte, und als er nun gar an die Schadenfreude dachte, welche Hillmann an den Tag legen würde, sprang er von der harten Pritsche auf, stürmte in dem engen Raume hin und her und rüttelte endlich mit aller Gewalt an der Thür, welche ihm den Weg zur Freiheit verschloß – – einen Laut der Freude stieß er aus, denn sie hatte nachgegeben.

Das Holz, durch welches die eisernen Haspen in der Wand festgehalten wurden, war von der hier herrschenden Feuchtigkeit angegriffen worden und verfault. Ein kräftiges Andrücken mit der Schulter – ein lautes Krachen, Rasseln und Klirren, und die alte Thüre lehnte sich an die gegenüberliegende Wand des engen Ganges.

Niemand konnte das Geräusch gehört haben, denn das altersgraue und baufällige Gebäude wurde, gebaut wie ein Schuppen, jetzt nur noch zur Aufbewahrung der Jahrmarktsbuden benutzt und hatte außerdem nichts als die Zelle aufzuweisen, welche als Interimsaufenthalt für ungefährliche Inculpaten gebraucht wurde.

Nicht weit vom Eingange lehnte sein Spieß, und da hing auch sein Horn an einer der Budenlatten, das wußte er. Nachdem er trotz der Dunkelheit beide gefunden, suchte er nach einem Ausgange. Das Thor war verschlossen, aber in der Vorderwand befanden sich einige Laden, die jedenfalls von innen zu öffnen waren. Er machte den Versuch – es gelang, und trotz seiner Korpulenz befand er sich nach wenigen Augenblicken im Freien.

»Tausendsapperlot,« athmete er erleichtert auf, »einmal eingesponnen und nicht wieder! Warte nur, Hillmann, Dir will ichs gedenken! Aber wie komme ich nach Wummershausen? Laufen kann ich doch in dem Wetter unmöglich, und hierbleiben? – nein das geht nicht, Halt, der Omnibus geht ja jetzt bald wieder fort. Mit dem fahre ich – aber blind – wenn mich Niemand sieht, so ist die ganze Geschichte nicht wahr gewesen!«

Vorsichtig durcheilte er die Stadt und trat dann am Ende derselben hinter eine Scheune, um den Wagen zu erwarten. – –

Fritz, der Kutscher, hatte sich im »blauen Stern« jetzt ausgewärmt und brachte nun die Pferde wieder aus dem Stalle. Der Hausknecht war ihm beim Anspannen behülflich.

»Bist nicht zu beneiden!« meinte dieser. »Im Sommer mags gehen, aber im Winter ists unnöthig, dieses Nachtfahren.«

»Alberne Erfindung, so ein Omnibus,« antwortete der Angeredete mit den bei ihm gewöhnlichen Worten; »muß ich da nach Wummershausen fahren, obgleich kein Mensch drin in der Bude sitzt!«

Das Gefährt setzte sich in Bewegung, ohne daß der Kutscher den festschlafenden Passagier bemerkte, welchen nur das Vorderfenster von ihm trennte. Auch davon sah er nichts, daß später eine dicke Gestalt hinten aufstieg und hinauf auf das Verdeck kletterte.

»Tausendsapperlot, das ist eigentlich kein Vergnügen, heut da oben zu hocken; aber ich muß vorsichtig sein; 's ist von wegen der Ehre, und bei der ›Ente‹ steigen vielleicht noch Spätlinge ein. Am Besten ists, ich lege mich dann längelang auf das Dach; denn daherauf gukt gewiß Niemand!«

Er hatte nicht falsch vermuthet. Als der Wagen bei der »Ente« hielt, kamen zwei junge Leute, ein Bursche und ein Mädchen heraus und stiegen ein.

»Richtig ists die Minna mit dem Eduard! Die haben sich wie gewöhnlich wieder so viel zu sagen gehabt, daß sie sitzen geblieben sind. Wahrhaftig, er steigt auch mit ein. Der muß doch dem Mädel ganz außerordentlich gut sein, daß er so viel riskirt. Denn ein Donnerwetter wird es setzen, wenn er morgen früh nicht zu Hause ist. Und dann läuft er bei diesem Schnee zwei Stunden weit bis Ammerstadt – brrrrr! Na – bin auch 'mal so verrückt gewesen. Der Junge ist gut; ich hätte gar nichts gegen ihn, wenn nur der Alte herumzukriegen wäre!«

So monologisirte Bachmann oben auf dem Verdecke, während die beiden Liebenden unten im lauschigen Innern einander beim Kopfe hatten und gar nicht wußten, wo die Zeit hingegangen war, als der Wagen plötzlich hielt.

»Brrr!« commandirte Fritz. »Das wäre für heut überstanden; der Teufel hole die alte Bude!«

Er spannte die Pferde ab, führte sie in den Stall und ließ den Wagen stehen.

Minna und Eduard waren sofort ausgestiegen, Bachmann mußte aber oben liegen bleiben, bis Alles zur Ruhe war. Als Fritz das Thor geschlossen hatte, erhob er sich leise, nahm Horn und Spieß zur Hand und schickte sich an, herabzuklettern. Da ließ ihn ein Geräusch im Innern des Wagens innehalten.

»U – ah! U – ah!« ertönte ein lautes und anhaltendes Gähnen. »Potz Knieriem, wo stecke ich denn da? Na, hier Wand, da Wand, dort Wand und drüben auch Wand – und da unten meine Schnarre. Ich glaube gar, ich bin in den Omnibus hereingeduselt grad so wie der Bachmann, der Esel!«

Bachmann horchte hoch auf. Das war ja sein guter Freund Hillmann, daran war gar kein Zweifel.

»Tausendsapperlot! wie kommt denn Der in den Omnibus? Da muß ich horchen!«

Leise kroch er nach dem vordern Theile des Verdeckes, wo er jedes Wort des schlaftrunkenen Nachtwächters vernehmen konnte.

»U – ah! Lange kann ich nicht hinne gesteckt haben, denn ich bin nur eben erst herein; da wird es wohl derweile Zwei geschlagen haben. Muß nur nachher gleich 'mal zum Bachmann sehen, damit er mir nicht etwa Dummheiten macht; die alte Thüre ist ganz flügellahm, und das Schloß ist auch vom Roste ganz durchlöchert. Na, freu Dich, Vierzehnter, wenn Dich morgen früh der Dreizehnte durch die Gassen führt. Und ins Blatt kommen muß der Spaß, gedruckt werden muß er, das thue ich gar nicht anders, und wenn ichs selbst bezahlen sollte!«

Jetzt machte der Sprecher Anstalt den Wagen zu verlassen.

»Heiliger Knieriem, thut mir das Kreuz weh von dem Sitzen da drin! Der alte Pfefferkasten ist so niedrig, daß ich den[50] Kopf habe zwischen die Beine stecken müssen. Mir liegts so schwer in den Knochen, als hätte ich stundenlang dringesteckt!«

Jetzt endlich stand er auf der Erde und machte den Versuch, sich umzuschauen.

»So einen Schnee hats doch mein Lebtage noch nicht gegeben! Ich kanns dem Bachmann gar nicht übel nehmen, daß er Ammerstadt für Wummershausen angesehen hat. Freilich, mir hätte das allerdings nicht passiren können, dazu haben die Hillmanns viel zu helle Köpfe, und wir Nationalliberalen, bei uns bleibt Ammerstadt Ammerstadt und Wummershausen Wummershausen.«

Dabei machte er eine energische Schwenkung und wadete die Straße hinab. An der nächsten Ecke blieb er stehen und drehte seine Schnarre:

»Zwei geschlagen! Lobt Gott den Herrn!«

Er arbeitete sich weiter durch den Schnee, die ganze Gasse hinauf, und bog dann links ab.

»So, das ist die Wiesengasse, und da wohnt der Bäcker Meinhold, den soll ich halb Drei wecken.«

Er zählte die Hausthüren ab, nannte bei jeder den Namen des Besitzers und pochte endlich laut und vernehmlich an eine derselben. Dann schnarrte er, daß es weithin schallte und rief:

»Zwei geschlagen – heda, Meinhold – lobt Gott den Herrn – ich bins, mach daß du aus den Federn kommst!«

»Was ist denn das hier für ein Mordspektakel am frühen Morgen!« ertönte eine zornige Stimme.

»Wer schreit denn da vorn so wie ein Nußknacker, he? Packt Euch ruhig nach Hause, oder ich will Euch heimleuchten!«

»Heimleuchten? Wer denn? Glaubt Er denn, daß sich jeder dumme Teufel bei uns hier herstellen, den Nachtwächter spielen und ehrbare Leute aus dem Schlafe wecken darf?«

»Heiliger Knieriem, hat der Kerl ein Lästermaul! Na warte, ich werde Ihm Mores lehren!«

»Mores lehren? Mir? Wer ist Er denn eigentlich?« Damit kam der Sprecher näher und blickte Hillmann ins Gesicht. Dieser that mit ihm dasselbe und packte ihn dann sofort beim Kragen.

»Halt, das ist ja der Bachmann, wie Er sich vorhin nannte! Kerl, da ist er wohl gar aus dem Gefängniß gebrochen? Na, da hat er sich eine schöne Suppe eingebrockt, und es ist nur gut, daß ich Ihn wiederhabe. Allons, jetzt werd ich ihn ins Rathhaus führen; da giebts keine lockern Thüren!«

»Suppe eingebrockt? – wiederhabe? – ausgebrochen? – Ich verstehe Ihn doch gar nicht. Wer ist Er denn eigentlich, he?«

»Wer ich bin? Na, so 'ne schauderhafte Frechheit! Habe den Kerl vor einer Stunde erst eingewickelt, und jetzt fragt er mich, wer ich bin!«

»Frechheit? Tausendsapperlot, das hat mir noch Niemand gesagt! Kerl, ich arretire ihn. Komme Er mit!«

»Was? Er mich arretiren? Er ist wohl nun ganz und gar übergeschnappt? Marsch!«

»Höre Er, was – –«

»Marsch, sage ich!«

»Was ich Ihm rathen – –«

»Marsch, oder soll ich etwa Gewalt brauchen?«

»Nun gut, ich balge mich nicht mit Ihm herum, aber merke Er sich nur, daß Er sich an mir vergriffen hat und nicht mit mir gegangen ist. Ich bin der Nachtwächter Bachmann, und Er hat mir Gehorsam zu leisten, wenn ich Ihn mitnehmen will.«

»Heiliger Knieriem, marsch, sage ich, oder ich prügle Ihn mit Seinem eignen Spieße aufs Rathhaus!«

»Gut, ich gehe mit, Er mag verantworten, was Er thut!«

»Darüber braucht Er sich gar keine Sorge zu machen!« tröstete er und wandte sich noch einmal zurück: »Meinhold, hasts gehört? Ich kann mich nicht bis zum Charfreitag herstellen!«

So schritten die Beiden also ihres Weges fürbaß. An einer der nächsten Straßen blieb Hillmann stehen, schnarrte und rief sein:

»Zwei geschlagen – lobt Gott den Herrn!«

Da öffnete sich eine der Thüren, und ein Mann trat hervor.

»Bachmann, was fällt Dir denn ein? 'S wird gleich Sechs schlagen! Hast wohl jetzt auch 'ne Schnarre, wie der in Ammerstadt?«

Es war ein Fleischer, der trotz des schlechten Wetters mit seinem Hunde aufs Land gehen wollte. Er blieb stehen und wunderte sich, daß er keine Antwort bekam und die beiden Männer vielmehr ruhig weiter gingen.

»Daraus werde klug, wers begreifen kann! Eine Schnarre, und jetzt erst um Zwei!«

Kopfschüttelnd ging er fort.

Die Worte des Mannes aber hatten Hillmann doch etwas stutzig gemacht; er ging jetzt nicht mehr auf der Mitte der Gasse, sondern hielt sich an den Häusern hin und betrachtete dieselben so genau wie möglich. Er wurde immer mehr irre an sich, und da – da schlug es Sechs, und was für eine Sechs!

»Heiliger Knieriem, hat das einen Ton! Aber was ist denn das da auf einmal für eine Glocke? – doch nicht etwa die Ammerstädter!«

»Habs Ihm ja gesagt, daß er in Wummershausen ist!«

»In Wummershausen? Er will mich wohl dumm machen, he?«

»Fällt mir gar nicht ein. Das ist er ja schon mehr als genug! Da bleibe Er 'mal stehen und sehe Er sich diesen Wassertrog an! Kennt er den? Oder hat Er vielleicht in Ammerstadt auch so einen?«

»Den kenne ich; das ist ja der alte Bottich, in dem die Schweden 'mal den Kaplan ersäuft haben! Heiliger Knieriem, wie komme ich denn eigentlich nach Wummershausen?«

»Das wird Er am Besten wissen!«

»Freilich, nun kann ich mirs denken. Aber Er, wie kommt denn Er hierher?«

»Ich? Na, bei Euch rappelts wirklich ganz gewaltig. Ich wohne ja hier!«

»Aber Er war ja vorhin in Ammerstadt, und ich habe Ihn arretirt!«

»Arretirt? Mich? Da ist Er wohl betrunken gewesen und hat solch dummes Zeug geträumt!«

»Nicht? Nun hört mir aber Alles auf, ja, gradezu Alles. Das geht mir im Kopfe herum wie eine Häckselmaschine!«

»Da weiß man doch nun wenigstens, was er im Kopfe hat. Aber jetzt mache Er mir keine Sperenzien mehr, und komme Er mit! Er verschlimmert sich nur seine Lage.«

Das war dem auf seine gute Amtsführung so stolzen Hillmann zu viel. Er knickte zusammen und legte sich aufs Bitten. Bachmann schritt lange neben ihm her, ohne eine Antwort zu geben. Endlich aber blieb er vor einem Hause stehen, zog einen Schlüssel hervor und öffnete die Thür.

»Da kommt herein! Ich wohne hier, und wir wollen die Sache besprechen!« Unter der Stubenthür blieb er überrascht stehen: Am Tische saßen seine Frau, Minna und Eduard beim Kaffee. Die Erstere sprang sofort empor und kam auf ihn zugeeilt.

»Aber sag mir doch um aller Welt willen, Mann, wo steckst Du denn? Nach Vier sollst Du kommen, und jetzt ist es fast um Sieben!«

»Amtsgeschäfte, Amtsgeschäfte, Mutter; konnte beim besten Willen nicht eher!«

Auch Hillmann blieb an der Thür stehen und betrachtete mit weit aufgerissenem Munde und zornblitzenden Augen die Anwesenden. Er schien erst gar nicht glauben zu wollen, was er sah, dann aber trat er mit raschen Schritten zum Tische und rief:

»Kerl, was machst denn Du in Wummershausen – und hier in dieser Stube?«

Eduard war so erschrocken, daß er nicht augenblicklich zu antworten vermochte. Aber das war auch gar nicht nothwendig, denn Bachmann nahm für ihn das Wort:

»Hört 'mal, Vater Hillmann, setzt Euch nieder und laßt ein verständiges Wort mit Euch reden!«

»Ach was da – ich mag Euer verständiges Zeug ja gar nicht hören! Der Junge gehört nicht hierher, und aus der Geschichte wird nichts, ein für Allemal!«

»Ein für Allemal? Bedenkt wohl, was Ihr sagt!«

»Ein für Allemal!« klang die bestimmte Antwort.[51]

»Gut! Dann nehmt Eure Mütze wieder und kommt mit.«

Er griff nach dem Spieße und schritt dem Ausgange zu. Hillmann blickte ihn verlegen an.

»Aber, Bachmann, ich denke, wir wollen die Sache besprechen, wie Ihr vorhin sagtet!«

»Ganz richtig; aber da Ihr ›mein verständiges Zeug gar nicht hören wollt,‹ so sehe ich nicht ein, weshalb ich Euch nicht in Arrest bringen soll. Vorwärts marsch!«

»Arrest! Was ist denn los?« riefen die Andern erschrocken.

»Das ist unsre Sache,« antwortete Bachmann, »und geht Euch Nichts an. Ich sage aber so viel: wenn er in fünf Minuten nicht seine Einwilligung gegeben hat, daß aus Eduard und Minna ein Paar wird, so stecke ich ihn ohne Gnade und Barmherzigkeit ins Loch!«

Mit dem Spieße drohend, schritt er in energischer Haltung in der Stube auf und ab und declamirte – natürlich nun mit anderer Anwendung – das Selbstgespräch, welches Hillmann vorhin im Omnibus gehalten hatte:

»Na, freue Dich, Dreizehnter, wenn Dich nachher der Vierzehnte durch die Gassen führt. Und ins Blatt kommen muß der Spaß, gedruckt werden muß er, das thue ich gar nicht anders, und wenn ichs selbst bezahlen sollte!«

Jetzt wurde es dem guten Hillmann doch etwas schwühl unter dem Kamisol. Er sah, daß jetzt Ernst gemacht wurde und er nun wirklich Gefahr lief, ganz schrecklich blamirt zu werden. Das Wort wollte nicht heraus; es würgte und würgte, brannte ihn auf der Zunge, aber endlich kams doch:

»Heiliger Knieriem, ist das eine Noth. So habe ich mein Lebtage nicht in der Tinte gesteckt; aber wenns denn nun sein muß, so mögen sie sich einander in drei Teuf–na, in Gottes Namen heirathen. Aber das bitte ich mir aus: Von der Omnibusgeschichte darf kein Mensch 'was hören!«

»Einverstanden!« rief Bachmann und hielt ihm die Hand hin. »Topp, schlag ein, Bruderherz. Du sollst sehen, daß ich das Maul halten kann – natürlich nur so lange, als ich mit Dir zufrieden bin. Schreib Dir das hinter die Ohren!« –

Das war nun eine Freude und Herrlichkeit in dem kleinen Hause, als wäre das große Loos zur Feueresse hereingefallen, und als dann später die beiden Ammerstädter aufbrachen, um mit dem Tages-Omnibus heimzukehren, meinte Hillmann, seinem Collegen die Hand schüttelnd:

»Du, die Bachmänner sind doch brave Kerls gewesen; das hab ich heut an Dir gesehen!«

»Na, an den Hillmännern hat man auch seine Freude haben können. Schade nur, daß sie sich gar nicht haben verstehen wollen!«

»Laß das gut sein! Von heut an wirds ja anders und besser!«

Als sie an den »schwarzen Bären« kamen, stieg Fritz eben auf den Bock seiner »albernen Erfindung« und Eduard öffnete das Rauchcoupee, um dort Platz zu nehmen.

»Halt!« wehrte ihm da der Vater ab. »Da hinein setze ich mich nicht. Da muß man ja den Kopf zwischen die Beine stecken, in dem alten Pfefferkasten und kann nachher vor Kreuzschmerzen nicht laufen!«

»Ist Dirs denn schon einmal so ergangen?«

»Nein, das nicht – bin seit Menschengedenken noch nie in so einem Dinge gefahren, aber – vorstellen, recht lebhaft vorstellen kann ich mirs! –«[52]

Quelle:
Die beiden Nachtwächter. Original-Humoreske von Karl May. In: Neuer deutscher Reichsbote. 1878. S. [45–52]. – Stolpen (1877), S. 49-53.
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