Der Flug des Falken

[806] Seit den letzt erzählten Ereignissen waren sieben Jahre vergangen. Napoleon hatte in Italien seine Adler steigen lassen, in Aegypten seine Siege erfochten und war erster Consul geworden. Der kleine Corse regierte mit Cambacérès und Lebrun das Land, war aber in Wirklichkeit der einzige Regent Frankreich's.

Die Prophezeiung Robert Surcouf's hatte sich erfüllt. Die Nation war von innern Kämpfen zerrissen und von äußeren Kriegen geschwächt worden; zu Lande war ihr der Sieg treu geblieben, zur See aber hatte sie sich stets schwach gezeigt. Napoleon war ein großer Feldherr, aber ein schlechter Admiral; es fehlte an einem Geiste, welcher berufen gewesen wäre, ein Bonaparte zur See zu sein.

Die Marine war Frankreich's schwächste Seite, und darum war England der gefürchtetste Gegner desselben. Der eines großen Geistes würdige Plan Napoleon's, England in Egypten und Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit des Admirals Brueys gescheitert, welcher sich trotz seiner Uebermacht von Nelson bei Abukir schlagen ließ. Das stolze Albion beherrschte alle Meere; sein Krämersinn übte auf die Schifffahrt aller Nationen einen Druck, der sich kaum ertragen ließ. England schrieb Gesetze vor und änderte dieselben nach Belieben; es trachtete nach dem Monopole des Handels, nach der Beherrschung des Weltverkehres und erzwang sich auf diesem Wege des Druckes und der Pressung ungeheure Summen, mit denen es wieder im Stande war, sich die Kabinete zu erkaufen und die Regierungen also von sich abhängig zu machen.

England schien unverwundbar zu sein. Es besaß neben Nelson Hunderte von Seemännern, denen Frankreich nicht einen Einzigen entgegenstellen konnte; es lachte der Anstrengungen seiner Feinde; es erlaubte sich die brutalsten Eingriffe in das Völkerrecht; es konnte dies ungestraft thun; es konnte die aufrichtig gemeinten Friedensanerbietungen des ersten Consuls mit verächtlichem Schweigen oder mit beleidigenden Floskeln beantworten, denn der einzige Franzose, den es fürchtete, wirklich fürchtete, schwamm in einem kleinen, unansehnlichen Fahrzeuge auf fernen Meeren und hatte sich selbst aus seiner Heimat verbannt, weil er von derselben verstoßen worden war und da draußen in der Fremde Menschen gefunden hatte, die ihn liebten und verehrten, die ohne seinen Schutz nicht leben konnten und ohne seine Hülfe elend umgekommen wären. Und dieser Einzige war kein Anderer als Robert Surcouf, der kühne Sohn der Bretagne. –

Es war an einem lichten Sommertage. Die Sonne Indien's neigte sich dem Untergange entgegen, so daß die Schatten der Masten riesenhaft über die Wogen fielen. Während des Tages hatte die glühende Hitze nicht einen erfrischenden Windhauch aufkommen lassen, jetzt aber erhob sich ein leises Lüftchen, welches von Viertelstunde zu Viertelstunde immer stärker wurde und im Hafen von Pondischery die warmen Fluthen zu kräuseln begann.

Pondischery, ursprünglich eine französische Colonie, war den Franzosen im Jahre 1793 von den Briten abgenommen und dem Nabob von Karnatik übergeben worden. Man hatte die Festungswerke geschleift und auch in übriger Beziehung alle französischen Erinnerungen zu verlöschen gesucht. Grad jetzt lag der Hafen voller Schiffe; der in dieser Jahreszeit herrschende Südwestmonsum hatte sie herbeigeführt und bot ihnen treffliche Gelegenheit, ihren Weg nach Osten weiter fortzusetzen. Es waren Fahrzeuge aller Nationen vorhanden, nur kein französisches; denn den Schiffen dieser Nationalität erschwerte man durch allerlei Schikanen die Einfahrt, und ein Kriegsschiff derselben brauchte den Versuch, hier die Anker zu werfen, gar nicht zu machen.

Etwas weiter vom Lande entfernt, als die anderen Schiffe, lag eine kleine Brigg mit Schoonertakellage. Es war ein Yankee, welcher die Aufmerksamkeit der anwesenden Kapitäns nicht wenig in Anspruch nahm. Die Brigg hatte die neue amerikanische Bauart: scharfes, bis an die Gallion verlängertes Vordertheil, schmale Brust und ungewöhnlich schlanken Körper. Sie zeichnete sich jedenfalls durch ihre feinen Wasserlinien und eine Schnelligkeit aus, welche man recht gut auf sechzehn bis siebzehn Seemeilen für die Stunde annehmen konnte. Diese Brigg war gewiß ein ausgezeichneter Küstenfahrer; aber es gehörte ein kühner, trefflicher Seemann dazu, sich mit einem so leicht dem Kentern ausgesetzten Fahrzeuge über den großen Ocean zu wagen. Und dieser Seemann war noch so jung; er konnte kaum dreißig Jahre zählen. Er hatte Wein und Spirituosen geladen, welche er gegen Opium und Indigo umzutauschen beabsichtigte; er hatte aber seine Ladung noch Keinem angeboten.

Ganz in der Nähe dieser Brigg lag ein Engländer, ein großes, dreimastiges Kauffahrteischiff. Es hatte hier ausgezeichnete Geschäfte gemacht und wollte morgen den Anker lichten; für heut Abend aber gab der Kapitän seinen Handelsfreunden ein Abschiedsfest, zu welchem auch die Kapitäns der nahe liegenden Schiffe geladen waren.

Als der Abend hereingebrochen war, ließ der Engländer einige Raketen steigen, worauf die Geladenen von ihren Schiffen stießen, um bei ihm an Deck zu kommen. Auch der Amerikaner stellte sich ein. Vom Lande kamen die Gäste herbeigerudert und brachten ihre Frauen und Töchter mit. Eine Musikkapelle war schon an Bord. Nach kurzer Zeit klangen die lustigen Weisen derselben über die Wogen dahin. Das Vorderdeck war zum Tanzen[806] geräumt, und im Hintertheile stand die lange Speisetafel nebst den Buffets, an denen man sich nach Belieben erfrischen konnte.

Am muntersten ging es während der Tafel zu. Toast verdrängte Toast; die Herren waren bereits ein wenig angeheitert und ließen sich nach Seemannsart mehr gehen, als es eigentlich die Anwesenheit der Frauen gestattet hätte. Natürlich wurden allerlei merkwürdige Seegeschichten erzählt; ein Jeder hatte etwas Ungewöhnliches erlebt, und es kam manche Münchhauseniade zum Vorscheine, über welche herzlich gelacht wurde. Aber man erzählte auch Ernsthaftes, z.B. von berühmten Kaperschiffen. Bei diesem Thema schlug einer der Kapitäns mit der Faust auf den Tisch und sagte:

»Geht mir mit Euren Kapers und Privateers! Sie alle sind doch nichts gegen den ›Falken am Aequator‹. Wer unter Euch hat ihn gesehen?«

Keiner antwortete, und der Sprecher fuhr fort:

»So bin ich es allein, der ihm begegnet ist.«

»Begegnet? Wirklich?« rief es rundum. »Still! Ruhig! Erzählt, Kapitän! Wie sah er aus? Was that er? Welches Schiff hatte er?«

»Das war vor zwei Jahren, unter fünf Grad nördlicher Breite und ungefähr auf der Länge von Adaman. Wir hatten einen Sturm, wie ich ihn noch nie erlebt habe, und das will viel sagen. Der Tag war finster wie die Nacht; der Orkan schien aus allen Richtungen auf uns einzufahren; der Himmel hing bis auf die Wasser nieder, und die Wogen stiegen bis in die Wolken empor. Da plötzlich sahen wir beim Scheine der Blitze ein fremdes Fahrzeug, dessen Schnabel grad gegen unsern Bug gerichtet war. Seine Segel glänzten weiß wie das Federfell eines Schwanes, und – glaubt's oder glaubt's nicht – der Halunke hatte kein einziges Reff gelegt; er fuhr mit voller Leinwand auf uns ein. Es war ein zweimastiges Fahrzeug, ungefähr so was man eine Brigantine nennt. Natürlich hatte ich Angst vor dem Zusammenprall und befahl dem Manne am Steuer, einen Strich abzufallen. Da schoß der Fremde an uns vorüber, so nahe, daß ich ihn mit der Hand greifen konnte. Ich nahm das Sprachrohr an den Mund und rief ihn an: ›Schiff ahoi! Welches Fahrzeug?‹ Ich sah keine Menschenseele auf dem Deck; ein einziger Mann hing in den Backbordwanten. Dieser brauchte kein Rohr; er legte die eine Hand an den Mund und rief herüber, als ob das Brüllen des Sturmes nur ein leises Säuseln sei: ›Der Falke des Aequators, Kapitän Surcouf. Gebt ihm Eins! Feuer!‹ – Da erst sehe ich drüben die französische Flagge und unter ihr die blutrothe wehen; es thun sich sechs Geschützpforten auf, und wir bekommen die Kugeln in den Rumpf, während der Franzose im Dunkel des Wetters verschwindet. Na, wir haben die Löcher verstopft und weiter keinen großen Schaden gehabt; aber wenn der Kerl bei solchem Sturme den Spaß nicht lassen kann, wie mag es dann erst gehen, wenn er bei sicherer See einmal Ernst macht!«

»Ja,« meinte einer der Zuhörer, »er soll ein entsetzlicher Kerl sein. Admiral Seymur sagte von ihm: ›Er hat eine jährliche Rente von 365 gekaperten Schiffen,‹ und das ist genug gesagt. Er segelt mit seinem Zweimaster die größten Schiffe an und soll selbst ein Orlogschiff ersten Ranges nicht fürchten.«

»Oho!« rief der Kapitän, welcher den Wirth machte. »Mir sollte er nicht kommen; ich würde ihn schlimm heimschicken, so wahr ich James Sarald heiße!«

»Sprecht nicht zu viel, Kapitän!« warnte Einer. »Kennt Ihr die Angriffsweise dieses Robert Surcouf?«

»Nun?«

»Er ist kein Seeräuber; er zeigt Euch ganz ehrlich seine Flagge und kommt an Euch heran, ohne einen Schuß zu thun. Bord an Bord aber, springt er mit zwanzig Mann zu Euch an Deck. Wehrt Ihr Euch, so braucht er seine Waffen; ergebt Ihr Euch aber, so geschieht Euch kein Leid. Er führt Euer Schiff nach dem Hafen der nächsten französischen Colonie, wo es im Namen Frankreich's mit Beschlag belegt wird. Ihr erhaltet richtige Bescheinigung und Reisegeld, um nach Hause zu kommen.«

»Weiter nichts? Mit zwanzig Mann? Pah!«

»Lacht ja nicht, Kapitän Sarald!« rief ein Anderer. »In der Nähe des Ambra-Vorgebirges hat er mit zwanzig Mann den ›Bananian‹ geentert, ein Schiff der ostindischen Compagnie mit 26 Kanonen schwersten Kalibers und über 200 Mann Besatzung, alle gut bewaffnet.3 Ich mag ihm nicht begegnen!«

»Und ich wünsche nun grad, ihm zu begegnen!« behauptete Sarald.

»Sprecht diesen Wunsch nicht aus, denn er könnte in Erfüllung gehen!« meinte sehr ernst der Amerikaner, welcher bisher schweigend zugehört hatte. »Es soll mit Surcouf nicht zu scherzen sein.«

»Oh, Ihr mögt Euch vor ihm fürchten, Ihr mit Eurer Nußschale,« antwortete Sarald; »ich aber würde ihm nur mit der neunschwänzigen Katze antworten.«

Der Yankee lächelte, indem er kopfschüttelnd bemerkte:

»Darauf könnte sehr leicht eine Gegenantwort erfolgen, die noch schlimmer als die Katze wirkt. Was aber meine ›Nußschale‹ betrifft, so dürfte sich dieselbe mehr Respekt erwerben, als Euer Dreimaster.«

»Oho! Soll das eine Beleidigung sein?«

»Ich bin Euer Gast und pflege einen Gastfreund zu ehren, aber nicht zu beleidigen. Um Euch jedoch zu beweisen, daß ich auf meine Nußschale stolz sein kann, will ich Euch einmal ein Maneuvre von ihr zeigen, welches mir nicht leicht Einer nachmachen soll.«

»Was wäre das?«

»Paßt auf!«

Er trat an die Regeling, legte die Hand an den Mund und rief nach Lee hinüber, wo in einer Entfernung von vielleicht fünfhundert Faden seine Brigg lag:

»Ahoi, Ervillard!«

»Ahoi!« antwortete es durch ein Sprachrohr von drüben herüber.

»Anker auf!«

»Aye, Sir!«

»Bei allen Stürmen,« meinte der, welcher vorhin die Begegnung mit dem »Falken« erzählt hatte, »Kapitän, Ihr habt ja eine wahre Posaunenstimme, fast wie damals Surcouf, als er mir die sechs Kugeln gab!«

Die Versammlung war im höchsten Grade begierig, was geschehen werde. Man erhob sich und drängte nach der Leeseite, um die Brigg zu beobachten. Man sah, daß sie den Anker hob und ihre Leinwand entfaltete; dann rief der Yankee:

»Mylords und Myladies, darf ich bitten, mir einmal nach dem Achterbord zu folgen? Ich kann dort am besten mein Maneuvre erklären.«

Sie folgten ihm ohne Ausnahme nach dem hochgebauten Hintertheile des Schiffes, so daß sich vom Spriet bis an den Besaan nur die Musikanten befanden, einige Matrosen ausgenommen, welche die Gäste zu bedienen hatten; die anderen Deckhände befanden sich im Unterraume, wo sie sich heut beim Grog gütlich thun durften.

»Seht,« meinte der Yankee, »wie meine Brigg dem einen Segel gehorcht. Ein unvergleichliches Fahrzeug! Ein solcher Segler würde für Surcouf passen. Aber à propos, es wurde vorhin nicht geglaubt, daß er mit zwanzig Burschen ein Schiff mit zweihundert Mann und sechsundzwanzig Kanonen weggenommen hat. Was ist wohl schwieriger, Mylords, ein solches Schiff zu nehmen oder mitten in einem besuchten Hafen mit zwanzig Mann einen gut bewehrten Dreimaster zu entern?«

»Das Letztere ist geradezu unmöglich!« antwortete ein alter Seemann, der wohl bereits über fünfzig Jahre lang die See gepflügt hatte.

»Wirklich, Kapitän? Es soll Leute geben, die auch dieses Stück dem Surcouf zutrauen.«

»Mit zwanzig Mann?«

»Ja. Wir haben ja gehört, daß er die Gewohnheit hat, nur mit zwanzig Mannen anzugreifen. Aber das sollen auch Bursche sein, die sich nicht fürchten, die Großmutter des Teufels aus der Hölle zu holen. Seht, da kommt die Brigg! Wie malitiös sie herantänzelt, grad als ob sie sich über den mächtigen Dreimaster lustig machen wollte, der kleine David über den Goliath!«

»Aber was soll das?« frug Kapitän Sarald. »Was soll die Brigg so nahe bei mir?«[807]

»Es ist das Maneuvre, zu welchem ich Euch hier auf dem Achterdeck versammelt habe. Seht, jetzt ist sie da; sie läßt das Segel fallen, und nun springen meine Jungens an Deck.«

»Aber ich frage noch einmal, wozu dieses Maneuvre? Was sollen Eure Jungens an meinem Bord?«

»Zählt sie einmal! Es werden genau Zwanzig sein. Meine Herren und Damen, ich gebe mir die Ehre, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin kein Amerikaner, der Weine und Spiritus geladen hat. Ich habe geladen einige hundert Enterbeile, verschiedene Zentner Pulver, ein ganzes Arsenal vortrefflicher Waffen und zwanzig Kanonen, bei denen genug Leute stehen, um diesen guten Dreimaster in den Grund zu bohren. Mein Name ist Robert Surcouf!«

Es läßt sich nicht beschreiben, welche Wirkung diese Worte auf die Versammlung hervorbrachten. Die harten, unerschrockenen Männer, die so manchen Gefahren furchtlos in das Auge geschaut hatten, verstummten vor dem Namen, den sie soeben gehört hatten. Sie blieben sogar unbeweglich, als einige der Leute Surcouf's auf's Schleunigste die Luken besetzten, damit die Matrosen des Kauffahrers nicht an Deck kommen könnten. Kapitän Sarald faßte sich zuerst.

»Robert Surcouf?« fragte er. »Seid Ihr wirklich Surcouf?«

»Ich bin es. Und diese Brigg ist der ›Falke des Aequators.‹ Sehen Sie meine Leute an, Messieurs! Dieselben werden sehr höflich mit Ihnen sein, so lange Sie es verdienen; an demjenigen aber, welcher zu widerstreben wagt, werden sie die Schärfe ihrer Waffen erproben. Bedenken Sie, daß Sie es mit zwanzig Burschen zu thun haben, welche nicht gewöhnt sind, ihre Feinde zu zählen, und bedenken Sie, daß hier an der Seite dieses Schiffes zwanzig Kanonen auf mein Kommando warten, dieses Schiff in den Grund zu schießen. Sie haben von Surcouf gehört, aber Sie haben ihn noch nicht gesehen; heut soll Ihnen die Ehre zu Theil werden, ihn kennen zu lernen. Es sind Frauen an Bord, und Robert Surcouf ist ein Franzose. Ein Franzose wird nie die Achtung und Ehrerbietung verletzen, welche er Frauen schuldig ist. Darum will ich heut einmal nicht daran denken, daß Sie die Feinde meines Volkes sind, und daß mein Schiff ein Kaper ist, dem Sie verfallen sind. Was ich verlange, können Sie leicht gewähren. Ich wünsche, daß meine braven Jungens an dem Feste Theil nehmen dürfen, welches Sie geben; ich wünsche ferner, daß ihnen ein Tänzchen erlaubt sei mit den Frauen, welche dieses Fest verschönern. Wenn Sie mir dies gewähren, so verspreche ich Ihnen, daß Ihnen kein Haar auf Ihrem Haupte gekrümmt wird, daß Sie nicht den mindesten Verlust zu erleiden haben, und daß unser geselliges Beisammensein so fröhlich enden wird, wie es begonnen hat. Surcouf hat lauter anständige Männer an Bord; der Letzte seiner Leute ist ein Cavalier. Jetzt haben Sie zu entscheiden. Thun Sie es schnell!«

Er verbeugte sich und trat einige Schritte zurück, um mit den beiden Pistolen zu spielen, welche er aus der Tasche zog. Die Männer, welche ohne Ausnahme waffenlos waren, steckten verlegen und flüsternd die Köpfe zusammen; die Weiblichkeiten aber betrachteten mit furchtsamer Neugierde den berühmten Privateer und seine Untergebenen, welche, bis an die Zähne bewaffnet, das Achterdeck von dem übrigen Raume abgesperrt hielten.

Die Berathung der Männer war bald zu Ende, und der Aelteste von ihnen nahm das Wort:

»Kapitän Surcouf, wir gestehen Ihnen, daß Sie uns in eine zweifelhafte Lage gebracht haben. Unsere Pflicht wäre es, mit Ihnen zu kämpfen; halt!« – unterbrach er sich, als er sah, daß Surcouf bei dem letzten Worte die Hähne seiner Pistolen aufzog – »lassen Sie mich ausreden! Wir sollten eigentlich mit Ihnen kämpfen; aber Sie selbst sagen mit Recht, daß die Gegenwart unserer Frauen und Töchter einige Rücksicht erfordert. Es soll daher zwischen uns ein Waffenstillstand geschlossen werden, welcher bis zum Anbruch des Morgens dauert; dagegen verlangen wir jedoch, daß das uns von Ihnen gegebene Versprechen buchstäblich erfüllt werde!«

»Es wird erfüllt; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,« antwortete Surcouf. »Doch werden Sie mir eine nothwendige Bedingung gestatten. So lange ich mich bei Ihnen befinde, darf kein Mensch ohne meine ausdrückliche Erlaubniß an Bord kommen, noch von Bord gehen oder sonst etwas unternehmen, was meine Sicherheit gefährdet und Sie dadurch in Gefahr bringen würde. Mein Schiff bleibt längsseite bei dem Ihrigen liegen, um die Erfüllung meiner Bedingungen zu überwachen, und sobald die Sonne am Horizont steht, ist der Waffenstillstand abgelaufen. Reichen wir uns als Ehrenmänner zum Zeichen des Einverständnisses die Hände!«

Diese Bedingungen wurden angenommen, und ein Jeder bekräftigte durch Handschlag, sie zu halten. Nun gab Kapitän Sarald ein Zeichen, und die Musik begann auf's Neue. Männer und Weiber durften das Vorderdeck wieder betreten; Freund und Feind mischte sich unter einander. Die Leute des »Falken« zeigten sich gegen die Frauen so zart und anständig, daß das Vergnügen nicht durch den geringsten Hauch getrübt wurde.

Endlich, lange nach Mitternacht, gab Surcouf während einer Pause das Zeichen, daß er sprechen wolle. Man bildete einen Kreis um ihn.

»Messieurs und Mesdames,« sagte er, »ich stehe im Begriffe, mich von Ihnen zu verabschieden. Ich danke Ihnen für die Ehre, welche Sie mir durch die Erlaubniß, an Ihrem Vergnügen Theil zu nehmen, erwiesen haben; noch mehr aber danke ich Ihnen dafür, daß ich nicht gezwungen worden bin, von meinen Waffen Gebrauch zu machen. Ich liebe den Frieden, doch ich fürchte den Kampf nicht. Hätten Sie meine Vorschläge abgewiesen, so lebten Viele von Ihnen nicht mehr, und dieses Schiff befände sich jetzt als meine Prise auf dem Wege nach einem französischen Hafen. Suchen Sie unter Ihren Bekannten meine Bitte zu verbreiten, mir nicht unvorsichtig zu widerstreben, wenn ich meine Flagge zeige. Das Schiff, welches ich einmal als Feind betrete, verlasse ich entweder als Sieger, oder es fliegt mit mir und seiner Bemannung in die Luft; dies ist das Geheimniß meiner Unüberwindlichkeit. England bereitet meinem Vaterlande einen fortdauernden, unersetzlichen Schaden; zürnen Sie also nicht mir, wenn man Repressalien gebraucht. England hat uns die besten Schiffe unserer Marine genommen oder zerstört; verdenken Sie es nicht mir, wenn nun auch ich ein jedes britische Fahrzeug nehme, welchem ich begegne. Wir scheiden jetzt in Frieden; wünschen wir um Ihretwillen nicht, daß wir uns auf offener See wiedersehen, denn dann würde ich es sein, welcher aufspielen läßt, aber zu einem weniger friedlichen Tanze. Kapitän Sarald mag jedoch überzeugt sein, daß sein Schiff der einzige Engländer ist, den Robert Surcouf betreten hat, ohne ihn in's Schlepptau zu nehmen. Er hat dies den Frauen zu verdanken. Leben Sie wohl!«

Fünf Minuten später flog der »Falke« mit vollen Segeln hinaus in die offene See; die Kapitäns kehrten auf ihre Fahrzeuge zurück, um die Erfahrung reicher, daß Frankreich einen Seemann besitze, der für einen höheren Wirkungskreis geboren sei.4 Er hatte in ihnen neue und eifrige Verbreiter seines Ruhmes gefunden.

Wenig über eine Woche später ging in Pondischery die Nachricht ein, daß Robert Surcouf auf der Höhe von Colombo ein englisches Handelsvollschiff weggenommen habe. Darauf sei er einer Corvette mit fünfundzwanzig Kanonen begegnet, die ihm die Prise wieder abnehmen wollte; aber er habe auch diese Corvette geentert und dann beide Schiffe nach Isle de France gebracht. Diese vollständig verbürgte Nachricht trug nicht dazu bei, die Furcht vor dem kühnen Kaper zu vermindern. Das indische Gouvernement traf Maßregeln über Maßregeln; es sandte Kriegsschiffe aus, Surcouf zu fangen oder zu tödten; es setzte sogar einen hohen Preis auf seinen Kopf, aber diese Bemühungen blieben ohne allen Erfolg.

Napoleon's Plan, England in Indien anzugreifen, war an der Unfähigkeit seines Admirales gescheitert. Und hier brachte ein einzelner Mann, der nur ein kleines Fahrzeug befehligte, einen Schrecken über alle indischen Besitzungen des stolzen Albion, einen Schrecken, welcher den Handel England's ungemein schädigte, da man sich mit reicher Fracht kaum mehr in jene Breiten getraute und die Versicherungsbanken ganz bedeutende Prämien forderten, ehe sie die Garantie einer Ladung übernahmen, welche nach dem Jagdgebiete Surcouf's bestimmt war.[810]

Natürlich war der Ruf seiner Thaten längst nach Frankreich gedrungen, besonders durch den Gouverneur von Mauritius, bei welchem er seine Prisen zu deponiren pflegte, und von welchem auch die daraus gelösten Summen nach Paris übermittelt wurden. Man ward auf ihn aufmerksam; die Marinebehörde trat unter der Hand mit ihm in Unterhandlung; sie ließ ihm durch dritte und vierte Stelle immer höher steigende Anerbietungen machen; er aber that, als ob er diese Offerten nicht verstehe oder nur für eine leere Phrase halte.

Da plötzlich tauchte das Gerücht auf, daß ein berühmter englischer Parteigänger mit Kaperbriefen nach Indien gekommen sei, um sich den auf Surcouf gesetzten Preis zu verdienen. Er hatte sein Schiff »Eagle« (Adler) genannt, um anzudeuten, wie sehr er dem »Falken« überlegen sein werde. Dieser Kapitän hieß Schooter, hatte eine sehr bewegte Vergangenheit hinter sich und war besonders berüchtigt durch die Härte, mit welcher er die Disciplin seines Schiffes handhabte.

Die Wahrheit dieses Gerüchtes bewährte sich, denn man hörte sehr bald, daß Schooter einige kleine französische Kauffahrer weggenommen hatte. Die Mannschaft derselben hatte er über die Klinge springen lassen, trotzdem sie völlig unbewaffnet in seine Hände gefallen war. Diese Grausamkeit verstieß gegen alles völkerrechtliche Uebereinkommen und rief die Mißbilligung aller menschlich Denkenden hervor; noch entrüsteter aber wurde man über ihn, als man erfuhr, daß er einen förmlichen und zwar mitleidslosen Krieg mit allen Menschen führe, die Franzosen waren. Er suchte die Inseln und Küsten des indischen Meeres förmlich ab, und fand er in irgend einer Niederlassung einen Ansiedler französischer Nationalität, so war es um diesen und sein Eigenthum geschehen. Ganz besonders hatte er es auf die Missionäre katholischen Bekenntnisses abgesehen. Fiel ein solcher Glaubensbote in seine Hände, so war derselbe unbedingt verloren; man erzählte sich sogar, daß er solche Gefangene gewöhnlich den wilden Inselbewohnern ausgeliefert habe, wo sie vor dem Tode die raffinirtesten Leiden zu erdulden gehabt hätten. Auf diese Weise verschwand damals mancher Priester der Mission, welcher sich vereinzelt in jene Breiten gewagt hatte, und während er auf Borneo, Celebes oder Timor einem fürchterlichen Schicksale erlag, glaubten die Seinen ihn so lange auf einer jener Inseln in voller, christlicher Thätigkeit, bis sie nach Jahren ihn endlich für verschwunden erklären mußten.

Die letzte dieser Thaten hatte Schooter an demjenigen Theile der Küste von Java verrichtet, welcher der Insel Bali gegenüber liegt. Um diese Zeit lag in dem kleinen javanischen Hafen Kalima ein kleiner Klipper vor Anker, an dessen Brust man den Namen »Jeffrouw Hannje« lesen konnte. Nach diesem Namen zu urtheilen, schien er niederländischer Nationalität zu sein, trotzdem sein Bau sehr von dem in Holland gebräuchlichen abwich. Es bekümmerte sich übrigens kein Mensch um ihn, denn Kalima war damals erst im Entstehen begriffen, und man hatte mehr zu thun, als sich um die Schiffspapiere eines friedlichen, kleinen Seefahrers zu bekümmern.

Der bedeutendste Ansiedler Kalima's war ein gewisser Davidson, welcher mit dem Kapitän der »Jeffrouw Hannje« Geschäfte haben mußte, denn dieser hatte sich bei ihm einlogirt, während seine Leute ohne Ausnahme an Deck hatten bleiben müssen. Die beiden Männer saßen in einer offenen Verandah, deren Blätterdach genügenden Schutz vor den Sonnenstrahlen bot, rauchten feine Sumatra und lasen in den neuesten Zeitungen, deren Datum aber trotzdem mehrere Monate älter war. Damals bedurfte es fast eines Vierteljahres, um eine europäische Zeitung nach Java zu expediren.

»Also hört, Kapitän, der Napoleon ist zum lebenslänglichen Consul ernannt worden,« bemerkte der Ansiedler.

»Ich las es bereits vorhin,« nickte der Angeredete, welcher kein Anderer als Surcouf war. »Man wird nächstens die Nachricht erhalten, daß er König oder Kaiser geworden ist.«

»Sprechen Sie im Ernste?«

»Vollständig! Dieser Consul Bonaparte ist ein Mann, der nicht auf halbem Wege stehen bleibt.«

»Ah, Sie sind ein Bewunderer von ihm?«

»Nein, obgleich ich anerkenne, daß er ein Genie ist. Ich diene meinem Vaterlande und achte einen Jeden, welcher sich bemüht, dasselbe von dem Drucke England's zu befreien. In diesem Punkte besitzt der Consul meine vollste Sympathie. Nur weiß ich nicht, ob er den allein richtigen Weg zum Ziele einschlagen wird. Die Macht England's wurzelt in seinen Colonien und in dem Vorrang, welchen es sich in Angelegenheiten des Welthandels angemaßt hat. Man nehme ihm diese Colonien; man führe seinen merkantilischen Einfluß auf das richtige Maß zurück; man schwäche seine Verbündeten und stärke seine Gegner; was weiß ich noch! Ich bin nicht Consul, und es genügt ja, wenn nur er das Richtige trifft. Die Hauptsache aber ist die Schaffung einer Flotte, welche Achtung zu gebieten vermag. Der Consul ist seinem Lande und seinem Volke die Politik des Friedens schuldig. Und wenn er dies beherzigt, so kennt er nur einen einzigen wirklichen Feind, und dieser heißt England. Dieser Gegner aber ist erfolgreich nur zur See zu bekämpfen.«

»Wie Sie es im Kleinen thun, Kapitän. Uebrigens muß es für einen Mann von Ihren Fähigkeiten mit einer gewissen Ueberwindung verbunden sein, friedliche Kauffahrer wegzunehmen.«

»Warum? Meinen Sie vielleicht, weil dieses Verfahren der Piraterie ähnlich sieht? Kennen Sie einen größeren Piraten als England? Es untersucht und confiscirt nach Belieben die Handelsschiffe friedlicher Mächte; es schließt die Häfen der Nationen nach Gutdünken; es tödtet den Handel und dadurch das Gewerbe der Völker; es macht auf diese Weise Millionen fleißiger Arbeiter brodlos, nur um Alles an sich selbst zu reißen. Was es im Großen thut, thue ich im Kleinen; während es gegen Nationen sündigt, welche kein Verschulden trifft, operire ich ehrlich und offen gegen einen Feind, der sich ebenso rücksichtslos wie unversöhnlich zeigt. Verurtheilen Sie mich, wenn Sie es können! Hat England nicht Hunderte von Kapern unter Segel? Und was für Männer sind dies? Denken Sie nur an den nichtswürdigen Schooter, welcher kein Mensch, sondern ein Teufel ist! Sollen wir die Waffen senken, um uns feig und wehrlos ersticken zu lassen? Und wenn ich dies thun wollte, so dürfte ich es nicht, denn ich habe heilige Verpflichtungen zu erfüllen. Auf meinem Schiffe befinden sich vierzig wackere Männer, welche ich zu ernähren habe, und glauben Sie ja nicht, daß dies meine ganze Familie ist! In Bengalen habe ich Greise, welche in den französischen Colonien dienten und nun von den Engländern nichts empfangen; ich habe zahlreiche Ansiedlersfamilien, welche durch die englischen Coloniekriege zu Grunde gerichtet wurden; ich habe arme Franzosen, welche mittellos in die Fremde gingen, weil sie durch die Revolution vertrieben wurden und die nun etwas Geld brauchen, um ein wenig Land urbar zu machen; ich habe fromme Männer, welche unter die Heiden gingen, um das Wort Gottes zu predigen, durch die Kälte und den Unglauben der gegenwärtigen Richtung aber ihre Subsistenz bedroht sehen. Nun wohl, ich bin ihrer Aller Versorger. Ich gebe den Invaliden Pensionen, den zu Grunde Gerichteten Entschädigungen, den Ansiedlern Unterstützungen, den Missionären Schutz und Lebensunterhalt. Frankreich thut es nicht, wenn ich es nicht thue; in Paris wird keiner der Briefe geöffnet, in welchen die in der Ferne befindlichen Kinder des Landes vergeblich um Hülfe flehen. Was soll aus ihnen werden, wenn Robert Surcouf die Waffe niederlegt und dann gezwungen ist, seine Hand von ihnen zu ziehen!«

Davidson sprang auf, um dem braven Seemann seine Hand zu reichen. »Kapitän, ich weiß das Alles,« rief er, »denn ich selbst bin es ja, durch dessen Hand so viele Ihrer Gaben fließen. Frankreich hat keine Ahnung, welchen Mann es hier in diesem Winkel der Erde besitzt, und – – –«

Er wurde unterbrochen; es trat ein Matrose Surcouf's herein und meldete seinem Herrn, daß der »Eagle« am Ostende der Insel vorgestern eine Pflanzung überfallen und einen Priester mit sich genommen habe.

»Wer sagte es?« frug der Kapitän.

»Soeben hat ein holländischer Sluger5 Anker geworfen, von dem erfuhren wir es.«

»So ist es keine Erfindung. Sehen Sie, Davidson, daß ich nicht ruhen darf! Dieser Mensch will sich den Preis verdienen, den die Herren Engländer auf meinen Kopf gesetzt haben;[811] ich aber habe seine Spur bis heut vergeblich gesucht. Jetzt finde ich sie, und nun will ich ihm meinen Kopf zeigen. Adieu, Davidson. Ich lasse Alles im Stich, denn ich weiß, daß wir uns baldigst wiedersehen.«

Der seltene Mann eilte in einer Stimmung, welche man fast Begeisterung nennen mochte, nach dem Hafen und auf sein Schiff. In weniger als einer Viertelstunde segelte er bereits zu dem kleinen Hafen hinaus, und kaum hatte er Kalima hinter sich, so ließ er zwei Männer am Bug herab, welche den Namen »Jeffrouw Hannje« überstreichen mußten. Dies war in kurzer Zeit geschehen, und dann wurde der eigentliche Name des Fahrzeuges, »le faucon«,6 wieder angebracht.

Der Wind wehte günstig, und so erreichte der »Falke« bereits nach drei Stunden die Ostspitze Java's, wo die betreffende Niederlassung zu suchen war. Zwischen hier und der Insel Bali hindurch auf Kap Butur zuhaltend, gewahrten sie am Ausflusse eines Baches die Trümmer mehrerer verbrannter Hütten liegen, neben welchen einige Leute bereits beschäftigt waren, neue zu errichten. Surcouf ließ die Segel fallen, fuhr möglichst nahe an das Land und bestieg sodann ein Boot, um sich zur Küste rudern zu lassen.

Die Leute waren aufmerksam auf das Schiff und das nahende Boot geworden und hatten sich schleunigst in den Schutz eines nahen Eisenbaumwaldes zurückgezogen. Als der Kapitän landete, sah er wohl verbrannte Hütten, verwüstete Gärten, zerstörte Felder, aber keinen Menschen, welcher ihm Auskunft zu geben vermochte. Erst nach langem Rufen vernahm er aus der Ferne einen menschlichen Ton als Antwort und dann hörte er die Frage:

»Was ist das für ein Schiff?«

»Ein Franzose,« antwortete er.

Er hatte aus Vorsicht unterlassen, die Flagge aufzuziehen. Auf seine Antwort jedoch rauschte es bald in den Büschen, und er sah einen Mann hervortreten, welcher einen kräftigen Knüttel in der Rechten hielt.

»Kommen Sie näher und fürchten Sie sich nicht,« sagte der Kapitän. »Ich bin ein Freund aller friedfertigen Leute und werde Ihnen nichts Schlimmes, sondern nur Gutes erweisen. Uebrigens sehen Sie ja, daß ich allein bin. Meine beiden Ruderer sind im Boote zurückgeblieben.«

Da kam der Fremde näher. Er war eine hohe, breite, muskulöse Gestalt mit einem intelligenten Gesichte, in welchem jedoch ein Zug tiefer Schwermuth vorherrschend zu sein schien. Bekleidet war er nur mit dünnen, weißen Hosen und mit einer weißen Blouse.

»Ihr Fahrzeug kam uns verdächtig vor,« entschuldigte er sich; »darum zogen wir uns zurück.«

»Was an meinem Schiffe hat Ihren Verdacht erregt?« frug Surcouf.

»Hm, eben nichts Bestimmtes. In diesen Breiten sind vier Schiffe unter zehn ganz sicher Seeräuber, und nach den Erfahrungen, welche wir gemacht haben, ist es eine Kunst, Vertrauen zu besitzen.«

»Ich habe gehört, daß der ›Eagle‹ hier gewesen ist. Sie gehören natürlich zur hiesigen Ansiedelung?«

»Erst seit vorgestern. Ich gehörte zur Bemannung des ›Eagle‹ und habe die Gelegenheit benutzt, am Lande zurückzubleiben.«

»Ah!« machte Surcouf erstaunt. »Sie sind mit Schooter gefahren?«

»Leider! Er hat mich gepreßt, und es ist mir schlecht genug ergangen, ehe es mir gelang, mich zu salviren.«

»Wenn das so ist, so sehen Sie sich einmal mein Schiff an. Hier haben Sie mein Rohr dazu.«

Der Mann nahm das Fernrohr; kaum aber hatte er dasselbe auf die Brigg gerichtet, so nahm er es mit einem lauten Ausrufe des Erstaunens wieder vom Auge:

»Le faucon! Ist es möglich! Le faucon, Kapitän Robert Surcouf?«

»Allerdings. Surcouf bin ich selbst.«

»Sie, Sie sind es! O Herr, dann segne ich die Stunde, in welcher ich vom ›Adler‹ entflohen bin, denn nun weiß ich, daß dieser fürchterliche Schooter seinen Lohn empfangen wird!«

»So weit es in meiner Macht liegt, soll er ihn erhalten. Erzählen Sie!«

»Erlauben Sie mir vorher, die Andern zu benachrichtigen, damit sie nicht länger in Sorge sind.«

Er entfernte sich und kehrte bald mit zwölf Personen, acht Erwachsenen und vier Kindern zurück, welche Surcouf mit Jubel willkommen hießen.

Die kleine Colonie hatte aus zwei verheiratheten Holländern, drei Franzosen, einem Belgier und einem Schweden bestanden. Bei dem Ueberfall war der Letztere, welcher sich zur Wehr gesetzt hatte, getödtet worden.

»Ich denke, es ist auch ein Priester bei Euch gewesen?« frug Surcouf.

»Allerdings,« lautete die Antwort. »Er kam von Djokjokarta, um sich mit den Javanesen zu beschäftigen, welche hier in der Nähe in den Wäldern wohnen.«

»So war er ein Missionär?«

»Ja; er war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes. Wir mußten ihn Vater Martin nennen.«

»Ah!« rief Surcouf, indem er von dem Steine emporfuhr, auf welchen er sich niedergelassen hatte; »Vater Martin vom Orden des heiligen Geistes? Das ist wunderbar! Den kenne ich; der darf unmöglich in den Händen dieses Menschen bleiben! Erzählt!«

Der entflohene Seemann übernahm es, den Bericht zu liefern.

»Wir lagen vor Palembong,« sagte er, »als wir hörten, daß der ›Falke‹ jedenfalls an der Nordküste von Java kreuze. Kapitän Schooter hatte geschworen, den ›Falken‹ zu bekommen, und lichtete sofort die Anker. Wir segelten der Küste entlang, ohne Ihr Schiff zu entdecken, Kapitän, sichteten aber dafür diese kleine Niederlassung. Schooter recognoscirte sie durch das Rohr und gewahrte einen Priester. Dies war für ihn sofort der Grund, die Ansiedelung zu überfallen.«

»Wie kann die Anwesenheit eines Priesters die alleinige und genügende Ursache einer so traurigen That sein?« rief Surcouf.

»Ich weiß es nicht; aber Thatsache ist es, daß Schooter beim Anblick eines Priesters in Wuth geräth. Man erzählt sich, daß er selbst früher Mitglied eines Ordens gewesen sei. Er ist ein Irländer und soll aus einem schlimmen Grunde Protestant geworden sein. Damit hängt sein Priesterhaß zusammen, der bei ihm zur wirklichen Manie geworden ist. Er ist der gottloseste Mensch, den ich gesehen habe, ein unmäßiger Trinker, ein lästerlicher Flucher, ein Barbar gegen seine Untergebenen. Ich bin ein Deutscher und gehörte zu einem jener unglücklichen Regimenter, welche von ihren Fürsten an die Engländer verkauft wurden, um in Amerika die Ideen der Freiheit und Gerechtigkeit ausrotten zu helfen. Ich mußte meine Braut und meine Eltern im Stiche lassen und desertirte, wie so Viele, die nicht für eine Nation kämpfen wollten, welche nur die eine Politik verfolgt, sich wie ein Blutegel an dem Wohlstande anderer Völker vollzusaugen. Das war mein Unglück. Ich konnte nicht in das Vaterland zurück; die Braut heirathete einen Andern; die Eltern starben, und mein Erbtheil wurde confiscirt. Ich ging zur See. Seit dieser Zeit habe ich alle Meere befahren, bis ich mich am Kap niederließ. Da kamen vor fünf Jahren die Engländer und nahmen es in Besitz. Ich zog mit Anderen weiter an der Küste hinauf, wo wir uns niederließen. Vor zwei Monaten ankerte Kapitän Schooter bei uns. Wir hielten ihn für einen Kauffahrer, und ich ging an Bord, um mit ihm über die Preise des Schlachtviehes, welches er von uns kaufen wollte, zu verhandeln. Wir wurden nicht einig, und zur Strafe dafür, daß ich ihm nicht zu Willen sein konnte, behielt er mich als Matrose an Bord. Ich habe die schlimmste Zeit meines Lebens bei ihm zugebracht und nach jeder Gelegenheit zur Flucht gesucht; erst vorgestern ist sie mir gelungen. Er beorderte dreißig Mann an das Land, um diese Ansiedelung zu überfallen, den Priester gefangen zu nehmen und die Wohnungen nach ihrer Beraubung niederzubrennen. Diese braven Leute flohen. Ein Einziger hielt nebst dem Priester Stand. Der Erstere wurde niedergeschossen, und der Letztere, welcher hatte vermitteln wollen, wurde gebunden auf das Schiff geschleppt. Es gelang mir, nach dem Eisenbaumwalde zu entkommen,[812] und diese Leute haben mich bereitwillig bei sich aufgenommen, trotzdem ich vom Schiffe der Piraten zu ihnen kam.«

»Welchen Plan verfolgen Sie nun in Beziehung auf Ihre weitere Zukunft?«

»Ich werde suchen, nach meiner kleinen Besitzung am Kap zurückzukommen. Vorher aber bitte ich Sie, mich mit an Bord zu nehmen. Ich wünsche dabei zu sein, wenn Sie mit Schooter Abrechnung halten.«

»Diesen Wunsch erfülle ich Ihnen gern. Was für ein Schiff ist der ›Adler‹?«

»Ein Orlog-Kutter von dreißig Kanonen; doch macht er nur dreizehn Meilen in der Stunde. Wenn Sie keine Zeit versäumen, Kapitän, so werden Sie ihn in der Mangkassarstraße finden. Er pflegt seine Gefangenen den wilden Dayaks, welche die Sakuruberge auf Borneo bewohnen, zu übergeben und dafür Goldsand einzutauschen. Bei diesen Gelegenheiten landet er auf einer Insel der Sakurubai. Die Dayaks bezahlen weiße Gefangene sehr theuer, um sie mit vornehmen Todten lebendig zu begraben oder ihren Götzen als Opfer darzubringen.«

Diese Mittheilung trieb Surcouf zur höchsten Eile an. Zwar landete er vorher noch verschiedene Sämereien, Werkzeuge und andere Gegenstände, welche er den Ansiedlern schenkte, um ihrer zerstörten Niederlassung wieder aufzuhelfen; dann aber ging er sofort in See, um noch vor Nacht den nördlichen Theil des Sundameeres zu gewinnen und, dort kreuzend, dem »Eagle« den südlichen Ausgang aus der Mangkassarstraße zu verlegen. Dies gelang ihm vollständig, und da er während der Nacht kein Schiff in Sicht bekam, so ging er am Morgen zwischen Borneo und den Balabalagan-Inseln nach Norden.

Er wußte, daß er einem Feinde entgegenging, so gefährlich, wie er noch keinen getroffen hatte, und daß ihm ein Kampf bevorstand, der voraussichtlich in einem wilden Zerfleischen bestehen werde. Dennoch war er guten Muthes; er wußte, daß sein Schiff dem »Eagle« an Manövrirfähigkeit überlegen sei; er sah, daß seine Leute sich in der besten Stimmung befanden, und er glaubte an die Möglichkeit, daß irgend ein Umstand eintreten könne, der einen blutigen Kampf vermeiden lasse.

So kam er am Mittag an Koti Lama vorüber und kreuzte mit günstigem Winde immer weiter nach Norden – links lag Borneo und rechts Celebes – ohne daß ihm ein Schiff begegnet wäre. So war er sicher, den »Adler« noch vor sich zu haben, da Schooter den »Falken« an der Küste von Java suchen und also durch die Mangkassarstraße nicht hinauf in das Sulu-Meer, sondern wieder zurück nach der Sunda-See gehen würde.

Die Sonne stand bereits am Horizont, als der »Falke« die südliche Spitze der Sakurubai erreichte. Jetzt galt es, vorsichtig zu sein. Surcouf stieg zum Masthaupte empor, um die Bai mit seinem guten Fernrohre abzusuchen. Da sah er im Norden eine Insel vor sich liegen, und in einem kleinen Busen am Westufer derselben ragten die Masten eines Schiffes empor, dessen Segel beschlagen waren, ein Zeichen, daß es während der Nacht diese Stelle nicht verlassen würde. Um nicht gesehen zu werden, ließ er augenblicklich wenden und hinter der ihn verbergenden Landspitze Anker werfen.

Dort blieb er, bis es dunkel geworden war. Dann wurde der Anker wieder gelichtet, und der »Falke« steuerte nach Nord bei Ost, um an der unbewachten Seite an die Insel zu kommen. Die Nacht war finster, so finster, daß man kaum eine Schiffslänge weit zu sehen vermochte. An Deck brannte kein einziges Licht. Es war die größte Vorsicht geboten, und als Surcouf glaubte, auf gleicher Höhe mit der Insel angekommen zu sein, ließ er grad auf West wenden. Er folgte dieser Richtung, indem er nur so viel Segelwerk beibehielt, als nothwendig war, um das Fahrzeug langsam fortzubewegen. Als er die richtige Zeit gekommen glaubte, setzte er die Barkasse aus, welche mit umwickelten Rudern vor dem »Falken« her die Bahn zu sondiren hatte.

So erreichte man die Ostseite der Insel, wo die Barkasse eine kleine Einbuchtung entdeckte, in welcher der Schooner vor Anker gehen konnte. Dies war kaum geschehen, so bestieg Surcouf mit zwanzig Mann die Boote, um die Südseite der Insel zu umfahren, und ließ die Uebrigen zur Bewachung des Schiffes zurück. Da sämmtliche Ruder genügend umwickelt waren, so verursachten sie kein Geräusch, und auch unter den Männern selbst herrschte die tiefste Stille.

Der Kapitän fuhr in der Schaluppe den Andern voran. Alle waren nur mit Messer und Enterbeil bewaffnet, weil Surcouf die Absicht hegte, die Boote in gehöriger Entfernung zurückzulassen und dann den »Adler« anzuschwimmen; doch ist das Enterbeil die gefährlichste Waffe in der Hand eines kräftigen Seemannes. Sie waren noch nicht zehn Minuten lang gefahren, so sahen sie die Schiffslaterne des gesuchten Fahrzeuges leuchten. Surcouf gab ein Zeichen, zu halten, und glitt leise aus der Schaluppe in das Wasser.

Es war nothwendig, zu recognosciren, denn noch wußte man nicht, ob es auch wirklich der »Eagle« sei, und wenn er es war, so galt es, zu erfahren, ob sich alle Mannen an Bord befanden und in welcher Weise die Wache gehandhabt wurde. Surcouf war ein ausgezeichneter Schwimmer; er zertheilte die Fluth, ohne dieselbe mehr als ein Fisch zu bewegen. In der Nähe des Schiffes tauchte er und kam erst hart an der Wand desselben wieder empor. Er umschwamm es langsam und vorsichtig und überzeugte sich, daß es der »Adler« sei. Das Schiff stand nur an einem Anker, und zwar an dem am Krahnbalken befindlichen Nachtanker, und neben dem Tau hing die Ankertalje bis in das Wasser nieder.

Surcouf zog an der Talje und bemerkte, daß sie oben angefixt sei und ihn also tragen werde. Er griff sich empor und hütete sich dabei sehr, durch ein Anstreifen an der Bugwand das kleinste Geräusch zu verursachen. Als sein Auge in Bordhöhe gelangte, bemerkte er, daß sich nur zwei Männer an Deck befanden, nämlich die Vorder- und die Hinterdeckwache. Er hatte genug gesehen, glitt wieder hinab und kehrte zu seinen Booten zurück. Er schwamm zunächst nicht zu seiner Schaluppe, sondern zur Barkasse, welche Lieutenant Ervillard befehligte und zu deren Bemannung auch der Deutsche gehörte, welcher sich vorher auf dem »Eagle« befunden hatte. Als dieser hörte, unter welcher Bewachung der Kapitän den Piraten gefunden hatte, bat er, der Erste an Deck sein zu dürfen, was ihm auch sofort gewährt wurde.

Nun ward eine kurze Berathung gehalten, deren Ergebniß darin bestand, daß Surcouf mit dem Deutschen und dem Lieutenant zunächst allein an Bord klettern wollte, um die beiden Wachen zu beschleichen und sie unschädlich zu machen; dies sollte durch einfache Knebelung und nur im äußersten Falle durch Tödtung geschehen; dann erst sollten die Anderen nachfolgen, indem sie, an der Ankertalje kletternd oder am Ankertaue reitend, emporkämen. Sodann hatte man den Kapitän und die Offiziere zu überrumpeln, die Waffen- und Pulverkammer zu besetzen, und nach diesen Vorbereitungen durfte man hoffen, mit der Bemannung leichter fertig zu werden.

Nachdem einem Jeden seine Rolle zugetheilt worden war, wurden die Boote an die Insel gerudert, wo sie unter der Aufsicht eines einzigen Mannes zurückblieben. Die Uebrigen, mit dem Kapitän grad zwanzig Mann, gingen in das Wasser und schwammen, Einer immer hinter dem Andern, dem Engländer entgegen, den sie auch wirklich unbemerkt erreichten. Eine Minute später standen die Drei bereits hinter der Bugverkleidung. Die Vorderdeckwache lehnte am Fockmaste, ihnen den Rücken zukehrend.

»Er steht gut,« flüsterte Surcouf dem Deutschen zu. »Leise hinan, und nimm ihm die Kehle fest zusammen. Er darf keinen Laut ausstoßen!«

Der Angeredete schlich sich nach dem Maste; ein rascher Griff seiner kräftigen Hände genügte, und in den nächsten Sekunden hatte die Wache einen Knebel vor Mund und Nase und war mit Armen und Beinen an den Mast gebunden. Die Hinterwache wurde ebenso glücklich überrascht, und nun gab Surcouf den unten im Wasser harrenden Leuten das Zeichen, emporzuklettern. Dies geschah so vorsichtig, daß diejenigen, welche am Ankertaue emporritten, nur ein fast ganz unmerkliches Neigen des Buges hervorbrachten. Kaum waren Alle an Deck, so schlich ein Jeder sofort nach seinem Posten.

Der Kapitän ließ sich mit dem Lieutenant von dem Deutschen nach der Kapitänskajüte führen. Die Thür derselben war von innen verriegelt, und Surcouf klopfte leise.

»Wer ist's?« erscholl drinnen die schläfrige Frage.[813]

»Der Lieutenant,« antwortete Bert Ervillard leise in englischer Sprache.

»Was gibt's?«

»Pst, Capt'n, redet nicht laut! Es muß an Bord irgend eine Teufelei los sein, die wir belauschen können. Steht auf und kommt schnell!«

»Ah! Bin gleich fertig!«

Man hörte seine hastigen Bewegungen und das Klirren einer Waffe; zugleich sah man durch eine schmale Ritze, daß er Licht machte.

»Vorsicht!« flüsterte Surcouf. »Er darf nicht schießen, sonst weckt er alle Mannen. Nimm Du sofort seine beiden Hände, während Du, Ervillard, ihn bei der Gurgel fassest. Das Uebrige besorge ich.«

Jetzt wurde der Riegel zurückgeschoben, und die Thür öffnete sich. In ihrem hell erleuchteten Raume war Schooter mit vollster Deutlichkeit zu erkennen; er hatte einen Degen umgelegt und trug in jeder Hand eine Pistole, deren Hähne glücklicher Weise noch nicht gespannt waren. Ehe sein Auge die auf der Kajütentreppe herrschende Dunkelheit zu durchdringen vermochte, war er sowohl an beiden Händen als auch am Halse gepackt. Die Pistolen entfielen ihm; ein leises Gurgeln drang aus seiner Kehle; dann wurde er in die Kajüte zurückgedrängt, auf sein Lager gelegt, gebunden und geknebelt.

Ganz denselben Verlauf nahm die Ueberwältigung des Lieutenant in der Backbordkoje; der Deutsche, welcher jeden Winkel des Schiffes ganz genau kannte, diente als Führer. Hierauf versicherte man sich der Waffen- und Munitionsvorräthe. Bis hierher war Alles ganz glücklich abgelaufen, und da der Deutsche versicherte, daß die Bemannung sich unbewaffnet in ihren Hängematten befinden werde, so wurden die vorgefundenen Gewehre geladen, und dann stieg man durch die Vorderluke hinab in das Mannschaftsquartier.

Hier brannte eine Lampe, deren Schein den niedrigen, dumpfen Raum mit den vielen Hängematten nur nothdürftig erleuchtete. Das Passiren der schmalen, knarrenden Treppe konnte nicht mit der gewünschten Geräuschlosigkeit vor sich gehen; die Leute des »Eagle« wurden aufmerksam, und Einer derselben stieß verdrießlich einen Fluch aus. Er glaubte, es sei die abgelöste Deckwache, fuhr aber doch sehr schnell aus seiner Hängematte empor, als er sah, daß die Störung nicht von den beiden Kameraden, sondern von einer ganzen Anzahl Unbekannter herrühre.

Er rief die Andern wach, doch schon stand Surcouf mit den beiden vorgehaltenen Pistolen des Kapitäns am Eingange und gebot mit donnernder Stimme:

»Ein Jeder an seinen Platz! Ich bin Kapitän Surcouf, und Euer Schiff ist bereits in meiner Gewalt. Wer es wagt, sich zu wehren, den lasse ich einfach an die Fockraa hängen!«

Bei der Nennung dieses Namens sanken die Arme wieder nieder, welche sich bereits erhoben hatten; Keiner der gefürchteten Bemannung des »Eagle« hatte den Muth oder die Geistesgegenwart, ein Wort zu sagen. Die Sache war ihnen so unglaublich, so unmöglich, und doch sahen sie den gefürchteten Privateer mit seinen Leuten vor sich; es gehörte Zeit dazu, das zu begreifen, zumal ihr Schiff nicht geentert worden war, und sie an den nassen Kleidern der Franzosen erkannten, daß diese schwimmend herbeigekommen seien. Surcouf fuhr fort:

»Ihr habt Euch ohne Bedingung zu ergeben und einzeln hinauf an Deck zu steigen. Vorwärts, marsch!«

Er faßte den ihm zunächst Stehenden bei der Schulter und schob ihn nach der Treppe hin; der Mann gehorchte ganz verblüfft, und dieses Beispiel wurde von den Andern nachgeahmt. Sie stiegen in Zwischenräumen – Einer hinter dem Andern –nach oben und sahen sich dort empfangen genommen und gefesselt, ehe sie sich noch gänzlich in ihrer Lage zurecht gefunden hatten. Dann wurden sie hinunter in den Ballastraum gebracht, wo sie unter der scharfen Aufsicht einer Wache standen.

Jetzt ließ Surcouf Raketen aus der Pulverkammer kommen; ihr aufsteigendes Licht und ein einziger gelöster Kanonenschuß sollten den »Falken« benachrichtigen, daß der »Eagle« sich in den Händen der Sieger befinde. Diese Zeichen wurden bemerkt, und nach einer halben Stunde, während welcher Surcouf eine eingehende Besichtigung des »Eagle« vornahm, kam der Schooner herbei und warf neben dem Engländer den Hauptanker. Nun wurden auch die drei zurückgelassenen Boote herbeigeholt, und das Unternehmen gegen den »Adler« war glücklich beendet.

Jetzt galt es nur noch, den entführten Missionär ausfindig zu machen. Kein einziger Mann der Schiffsbesatzung hatte Auskunft über ihn gegeben; Alle hatten vielmehr jeder Bitte und jeder Drohung ein halsstarriges Stillschweigen entgegengesetzt. Nun wurde der Lieutenant vernommen; auch dieser schwieg. Darum schickte Surcouf nach dem Kapitän, welcher noch immer gefesselt in seiner Kajüte lag, und empfing ihn an Deck, von sämmtlichen Leuten des »Falken« umgeben.

Mehrere jetzt an den Masten aufgehängte Laternen verbreiteten ein genügendes Licht, um den berüchtigten Mann genau in Augenschein nehmen zu können. Er hatte eine lange, hagere, vornüber gebeugte Gestalt und ein Gesicht, dessen Physiognomie nichts weniger als Vertrauen erweckend war. Man hatte ihm den Knebel abgenommen und die Füße entfesselt; die Hände aber blieben gebunden. Er schien von dem, was ihn betroffen hatte, und dessen Tragweite er noch gar nicht kannte, keineswegs niedergeschlagen zu sein, sondern sein Auge blitzte, und sein Gesicht war geröthet vor Zorn, als er, in den Kreis tretend, mit barscher Stimme frug:

»Was geht hier vor? Wer ist es, der es wagt, sich auf meinem Schiffe als Herr zu geberden?«

»Auf Ihrem Schiffe, Mr. Schooter?« antwortete Surcouf. »Ich denke, daß es das meinige ist!«

»Ah, welche Frechheit! Wer sind Sie?«

»Ich bin Robert Surcouf, Unterthan der französischen Republik, und das Schiff, dessen Licht Sie hier über Steuerbord sehen, ist der ›Falke‹, dessen Bekanntschaft Sie so gern machen wollten. Ich hoffe, Sie danken es mir aufrichtig, daß ich Ihnen die Mühe erspare, noch längere Zeit erfolglos nach mir zu suchen!«

Als der Kapitän diesen Namen hörte, erbleichte er; doch war dies das einzige Zeichen seines Schreckens, denn er antwortete in stolzem Tone:

»Robert Surcouf? Hm! Ja! Ah, ich erinnere mich jetzt, diesen Namen irgendwo einmal gehört zu haben. Sind Sie Seemann?«

»Ich will dies nicht behaupten, hoffe jedoch, daß man mich für einen Seemann hält.«

»Was haben Sie an Bord des ›Eagle‹ zu suchen?«

»Ich suche Kapitän Schooter – – –«

»Nun wohl, der bin ich. Was weiter?«

»Ferner suche ich einen Missionspriester, welchen Sie vor einigen Tagen von Java entführt haben. Sie werden die Güte haben, mir seinen Aufenthalt zu nennen!«

»Ich werde diese Güte nicht haben, Herr! Ich pflege –«

»Pah!« unterbrach ihn Surcouf jetzt mit barscher Stimme. »Was Sie zu pflegen belieben, das ist hier vollständig gleichgültig; jetzt gilt nur das, was mir beliebt. Ich ersuche Sie, Robert Surcouf nicht für einen Mann zu halten, mit welchem man Komödie spielen darf. Ich halte Sie nicht für wahnsinnig und nehme also an, daß es Ihnen nicht an Einsicht mangelt, Ihre gegenwärtige Situation vollständig zu begreifen. Werden Sie mir sagen, wo sich der Missionspriester befindet, oder nicht?«

»Einem Surcouf antwortet Kapitän Schooter nicht!«

»Nun wohl; Sie sind mein Gefangener. Da Sie sich weigern, dem Kapitän Surcouf die verlangte Auskunft zu geben, so wird er Ihnen den Mund öffnen müssen. Lieutenant Ervillard, ein Tauende! Dieser Mann erhält dreißig scharfe Hiebe auf den bloßen Rücken!«

Bei diesem Befehle trat Schooter hastig einen Schritt weiter vor.

»Was sagen Sie da?« rief er, vor Grimm bebend. »Schlagen wollen Sie mich lassen! Mich, einen Offizier! Den Kapitän des ›Eagle‹, vor dem noch jeder Feind gezittert hat!«

Surcouf zuckte die Achsel sehr gleichmüthig und antwortete:

»Hoffentlich zählen Sie mich und meine braven Jungens nicht zu den Leuten, von denen Sie gefürchtet worden sind. Ja, ich werde Ihnen den Mund mit guten Hieben öffnen lassen!«

Schooter antwortete zunächst nur mit einem heisern Schrei; dann aber rief er:[814]

»Mensch, das wagst Du nicht! Noch gibt es ein Völkerrecht! Ich bin kein Seeräuber, sondern ein Privateer, der mit vollgültigen Kaperbriefen versehen ist. Und wenn diese nicht geachtet werden, so ist Kapitän Schooter der Mann, ihnen Achtung und sich selbst Genugthuung zu verschaffen. Zittern Sie vor meiner Rache! Sie haben mein Schiff genommen; nun wohl, ich kann nichts dagegen haben, obgleich meine Schlafmützen dies fürchterlich büßen sollen; aber Sie müssen mich am nächsten Hafen abliefern, und dann, dann werde ich Ihnen zeigen, was es heißt, einem Manne von meiner Qualität mit dem Tauende zu drohen!«

»Ich sehe doch, daß Ihr Zorn Ihren Verstand auf eine sehr ungünstige Weise beeinflußt,« antwortete Surcouf. »Eigentlich habe ich hier keinem einzigen Menschen gegenüber meine Befehle und Handlungen mit Gründen zu belegen, aber in Rücksicht auf Ihr krankhaftes Denkvermögen will ich mich doch zu einer Erklärung herbeilassen. Ja, es gibt ein Völkerrecht, aber eben dieses Völkerrecht verbietet einem Kaper, ein Pirat zu sein; jedem ehrlichen Kapitän aber gebietet es, einen Piraten auch als Pirat, das heißt, als Seeräuber zu behandeln. Ob Sie mit Kaperbriefen versehen sind, ist mir durchaus gleichgültig; ich habe die Beweise, daß Sie wehrlose Ansiedler überfielen und friedliche Seefahrer tödteten, obgleich dieselben sich Ihnen ohne Widerstand ergaben; daß Sie sogar einen Krieg, einen Vernichtungskrieg gegen fromme Priester führen, welche keine anderen Waffen besitzen, als Worte der Liebe oder der Ermahnung. Ihre Briefe kann ich also nicht achten, denn Sie sind kein Privateer, sondern ein Seeräuber. Auch Genugthuung muß ich Ihnen versagen, da kein Dieb und Räuber satisfaktionsfähig ist. Ihre Rache fürchte ich nicht. Und endlich will ich Ihnen noch bemerken, daß ich keineswegs gezwungen bin, Sie im nächsten Hafen abzuliefern; ich bin vielmehr berechtigt und sogar verpflichtet, einen jeden Seeräuber ohne Weiteres baumeln zu lassen. Mit Ihnen habe ich bereits zu viele Worte gemacht. Ihr Schicksal ist einfach folgendes: Beantworten Sie mir meine Frage, so werde ich geneigt sein, Sie dem Gouverneur der nächsten mir im Curse liegenden französischen Besitzung als eingefangenen Piraten auszuliefern; bleiben Sie jedoch bei Ihrem Schweigen, so lasse ich Sie zunächst auspeitschen, sodann kielholen und endlich, wenn auch das zu keinem Ergebniß führt, an die Raa hängen.«

»Versuchen Sie es!« rief Schooter sinnlos vor Wuth. »Es soll Ihnen schlecht bekommen!«

»Lieutenant Ervillard, vorwärts!« gebot Surcouf.

Auf einen Wink des Lieutenant wurde Schooter von sechs kräftigen Fäusten gepackt und nach dem Vorderdeck geschafft.

»Bei Gott, er wagt es!« hörte man Schooter rufen. »Führt mich zurück; ich werde die Antwort geben!«

»Er wurde zurückgebracht und gestand, daß er heut am Morgen den Priester den wilden Sakuru-Dayaks übergeben habe.«

»Welchen Preis haben Sie erhalten?« frug Surcouf.

»Den Beutel mit Goldstaub, den Sie in meiner Kassette finden,« lautete die Antwort.

»Wo wohnen diese Dayaks?«

»Eine Stunde weit, von der Mündung des Flüßchens aufwärts.«

»Gut! Ich habe Ihnen nur noch zu sagen, daß ich Sie allerdings ausliefern werde, falls es mir gelingt, den Gesuchten unbeschädigt zurückzuerhalten; ist ihm aber das Geringste geschehen, so werden Sie dennoch aufgeknüpft. Ich handle also in Ihrem eigenen Interesse, wenn ich Sie auffordere, mir einen Ihrer Leute zu nennen, der geeignet ist, als Ihr Bote zu den Dayaks zu gehen; den Beutel soll er mitbekommen, doch werden ihn zwei meiner Männer begleiten, welche gewohnt sind, mit diesen Wilden zu verkehren. Nennen Sie den Namen!«

»Untersteuermann Harcroft.«

»Das genügt. Nun will ich Ihnen noch einen braven Mann vorstellen, der an sich selbst erfahren hat, daß Sie Seeräuber sind, und dem wir es verdanken, daß wir so schnell und erfolgreich in Ihr Kielwasser gekommen sind.«

Er gab einen Wink – die Leute traten aus einander – die Gestalt des Deutschen war zu sehen.

»Holmers! Schurke!« rief der Gefangene und erhob die Fäuste, um sich trotz seiner gefesselten Hände auf den Genannten zu werfen; doch wurde er sofort gefaßt und auf Befehl des Kapitäns hinüber nach dem »Falken« gebracht.

Sobald der Morgen zu grauen begann, stieß ein Boot ab, um die drei Boten an das Festland zu bringen. Der Untersteuermann Harcroft hatte ausgesagt, daß er es sei, welcher mit Karima, dem Häuptlinge der Dayaks, zu verhandeln gehabt hatte, und die beiden ihm beigegebenen Männer verstanden das Malayische hinlänglich, um ihrem Auftrage genügen zu können.

Es war ausgemacht worden, daß Surcouf bis Mittag warten, dann aber, falls sie noch nicht zurückgekehrt seien, annehmen wollte, daß er ihnen zu Hilfe kommen müsse. Auch Holmers, der Deutsche, erzählte, daß er bei dem vorigen Aufenthalte Schooter's hier mit am Lande gewesen sei und die Gegend genügend kenne, um als Führer dienen zu können. Nach seinen Angaben konnte der Kapitän einen Situationsplan entwerfen. Er hatte überhaupt diesen Mann trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins bereits lieb gewonnen. Holmers' Trübsinn war eine Folge seiner Sehnsucht nach dem Vaterlande, welches er von ganzer Seele liebte und zu dem er doch nicht mehr zurückkehren durfte. Als Deserteur sah er sich verurtheilt, sein Haupt dereinst in fremder Erde zur Ruhe zu legen.[815]

Die abgelaufene Frist verstrich, ohne daß die drei Boten zurückkehrten, und so sah sich Surcouf zu einer kriegerischen Expedition an das Land verpflichtet. Er übergab dem Lieutenant das Commando der beiden Schiffe und stellte sich selbst an die Spitze der zwanzig Männer, welche zur Landung ausersehen waren. Sie wurden mit guten Waffen ausgerüstet und mußten trotz der hier herrschenden Hitze drei Anzüge über einander tragen, um das Eindringen der vergifteten Pfeile der Dayaks zu erschweren. Die Schiffe verließen die Insel und warfen in der Nähe des Festlandes Anker, damit sie die Küste desselben nöthigen Falles mit ihren Kanonen bestreichen könnten. Dann stießen die Boote ab, um an der Bucht zu landen, welche von einem kleinen, hier in das Meer mündenden Flüßchen gebildet wurde.

Das Ufer zeigte nur einen schmalen, sandigen Strich ohne Pflanzenwuchs; dann aber begann ein dichter Urwald, dessen Schlinggewächse das Fortkommen sehr erschwerten. Da fiel zum Beispiele sogleich ein beinahe hundert Fuß hoher Baum in die Augen, der einen Umfang von vielleicht zwanzig Fuß haben mochte. Seine weiße Rinde war rissig, und seine Früchte hatten die Größe einer Pflaume. Das war der fürchterliche Antschar7, dessen Milchsaft schon durch seine Ausdünstung sehr schmerzhafte Geschwülste hervorbringt; es ist der berüchtigte Upas, von dem so viel Schreckliches gefabelt wird. Er soll ganz allein im »Todesthale« auf Java stehen und die Luft meilenweit so verpesten, daß kein Baum, kein Strauch, kein Gras gedeiht und alle lebenden Wesen in seiner Nähe dem Tode verfallen. Das ist nicht wahr; vielmehr findet er sich in den dichtesten Wäldern, und man hat sich nur vor der Berührung mit seinem Gifte und vor dem längeren Einflusse seiner Ausdünstung zu hüten. An ihm kletterte eine fast armsdicke Schlingpflanze empor, welche bis in bedeutende Höhe völlig astlos war, dann aber zwischen seinen eliptischen Blättern grünlich-weiße Blumen zeigte, welche einen jasminartigen Geruch ausströmten. Das war der javanische Brechnußbaum8, dessen Wurzelrinde einen giftigen Saft gewinnen läßt, welcher unter den Namen Upas tschettek oder Upas radscha bekannt ist; er führt nach der geringsten Verwundung heftige Convulsionen und einen schmerzhaften Tod herbei. In der Nähe wuchsen ganze Massen einer fünf Fuß hohen Pflanze, welche ellenlange, weich behaarte Blätter und einen röthlich weißen Blüthenstrauß trug. Es war der indische Galgant9. Auch wilder Cassamumar-Ingwer10 und die strauchige Beißbeere11 wuchsen da. Aus diesen fünf Pflanzen nebst einigen anderen bereiten die Bewohner des indischen Archipels ihr berüchtigtes Pfeilgift, über welches schon so viel Wahres und Unwahres erzählt worden ist. Die Bereitung geschieht auf folgende Weise: Man nimmt ein Quantum Antscharsaft, den zehnten Theil davon Saft der Galgant-Alpinie, eben so viel Saft des Cassamumar-Ingwers und des Arons, den Saft einer Zwiebel, etwas fein gepulverten schwarzen Pfeffer und vermischt das innig mit einander. Hierauf gibt man nach Umständen den Wurzelrindensaft der javanischen Brechnuß dazu und den Samen der Beißbeere, welcher ein starkes Aufbrausen verursacht. Hat das Brausen aufgehört und ist die Mischung filtrirt, so ist das Gift fertig. Wird dasselbe in nicht zu großen Quantitäten genossen, so erregt es in der Regel nur ein heftiges Erbrechen, kommt es jedoch mit dem Blute in Berührung, so wirkt es schnell tödtlich.

Daß der dichte Wald auch von gewaltigen Thieren belebt sei, zeigte den Seeleuten eine breite Rhinozerosspur, welche längs des Flüßchens aufwärts führte und in welche mehrere andere mündeten. In diese lenkte der Führer Holmers ein. Die Gefährlichkeit der Lage erforderte die Bildung einer Vorhut, und darum sandte Surcouf fünf Mann voraus, welche den Weg und dessen Umgebung auszuspähen hatten.

Man war beinahe eine halbe Stunde lang vorgerückt, als von dieser Vorhut das Zeichen gegeben wurde, daß etwas Auffälliges in Sicht sei. Schnell rückten die Anderen nach und gelangten an eine Stelle, wo sich ganz am Ufer des Flüßchens mehrere Rhinozeroswege vereinigten und also ein verhältnißmäßig freier Platz gebildet wurde. Dieser war abgeschlossen rechts durch den Fluß, links durch den dichten Urwald und vorn durch – eine mehrfache Reihe bewaffneter Dayaks, welche außerdem auch das andere Ufer des Wassers besetzt hielten. Sie[817] hatten die Europäer bereits gesehen, schwangen ihre Spieße und Blasrohre und erhoben ein mächtiges Geschrei.

»Da,« meinte der Oberconstabel, welcher mit einer Flinte und einer riesigen Keule bewaffnet war, »da haben sie sich uns in das Fahrwasser gelegt. Ich denke, wir segeln sie über den Haufen, Kapitän!«

»Nein,« antwortete der Gefragte. »Noch wissen wir nicht, ob sie uns freundlich oder feindlich gesinnt sind.«

Er ließ die Mehrzahl seiner Leute zurück und schritt mit Holmers und noch drei Anderen vorwärts, bis er sich nur noch in einer Entfernung von vierzig Schritten von den Malayen befand. Er durfte sich sicher fühlen, da die Zurückgebliebenen die Dayaks ganz gut mit ihren Kugeln erreichen konnten. Als die Letzteren sein Manöver bemerkten, traten auch von ihnen Fünf vor. Der Eine von ihnen erhob den Wurfspieß und rief:

»Ada tuan-ku?«

Diese Worte bedeuten: »Welcher ist mein Herr?« Sie enthielten eine Höflichkeit, und es ließ sich vermuthen, daß die Dayaks nicht die Absicht hegten, feindlich vorzugehen. Surcouf hatte sich so viel des Malayischen angeeignet, daß er antworten konnte:

»Ich bin der Anführer dieser Männer. Was führt Euch an diese Stelle?«

»Wir wollen Dich empfangen,« lautete die Antwort.

»Woher wißt Ihr, daß wir kommen?«

»Die drei Männer, welche Du uns sandtest, haben es uns gesagt.«

»Wo sind sie?«

»Es sind nur noch Zwei; sie sind bei uns gefangen.«

»Warum?«

»Sie haben uns einen Mann getödtet. Sie kamen zu uns, um den Pengadschar12 zurückzuverlangen; ich bin der Häuptling; sie wollten mir mein Gold wiedergeben, ich aber verlangte ein Gewehr mit Blei und Pulver. Sie wollten nicht, und als sie den Pengadschar erblickten, ergriffen sie ihn, um mit ihm zu entfliehen. Wir traten ihnen entgegen; da nahm der Eine sein Messer und erstach den Sohn meines Bruders. Mein Bruder war nicht da, darum ergriff ich meinen Spieß und stach den Mann in die Hand; er starb, denn dieser Speer ist in das Tapu-Upas getaucht. Nun haben wir die zwei Uebrigen gebunden; sie liegen in meiner Hütte, und Du kannst sie sehen.«

Die Worte dieses Mannes klangen genau so, als ob er die volle Wahrheit gesagt habe. Die Boten Surcouf's hatten unvorsichtig gehandelt und die Malayen gereizt.

»Und was verlangt Ihr jetzt für den Pengadschar?« frug nun Surcouf.

»Das, was ich gesagt habe, denn ich rede nicht mit zwei Zungen. Aber den Todten mußt Du uns bezahlen.«

»Er ist bereits bezahlt, denn Du hast seinen Mörder getödtet; doch erlaube ich Dir, einen Preis zu fordern.«

»Das wird sein Vater thun, welcher bei seiner Leiche in der Hütte sitzt. Du wirst mit uns gehen müssen.«

»Versprichst Du uns volle Sicherheit?«

»Ja. Ihr werdet meine Gäste sein.«

Sie wurden weiter flußaufwärts geführt, bis sie ein Thal erreichten, unter dessen Bäumen die primitiven Wohnungen der Dayaks standen. In der größten derselben, welche dem Häuptlinge gehörte, sollte die Berathung geschehen, zu welcher sich die Angesehensten versammelten. Auch der Bruder des Häuptlings erschien; er hatte sich mit allerlei Zeichen seiner Trauer behangen und blieb während der ganzen Verhandlung stumm. Natürlich begehrte Surcouf vor allen Dingen, den Missionspriester und die beiden Boten zu sehen. Dieser Wunsch wurde ihm gewährt.

Als der Priester gebracht wurde, erkannte der Kapitän sofort den Pater Martin in ihm. Dieser blieb am Eingange stehen, freudig erstaunt, so viele Europäer hier zu sehen, von deren Anwesenheit er auf eine glückliche Wendung seiner Lage schließen konnte. Als sein Blick auf den Kapitän fiel, schien er in seiner Erinnerung vergeblich nachzusuchen.

»Ich heiße Surcouf,« begann der Kapitän.

»Robert Surcouf! Kapitän Surcouf! Jetzt erkenne ich Sie trotz Ihres mächtigen Bartes und der sonnverbrannten Farbe. Kommen Sie in meine Arme, mein muthiger Wohlthäter!«

Der Inhalt ihrer kurzen Unterredung läßt sich denken. Pater Martin war glücklich nach Italien entkommen und hatte dann Europa verlassen, um in Indien für die Bekehrung der Heiden thätig zu sein. Er erzählte in seiner schlichten Weise, daß er viel Ungemach überwunden habe, das Schlimmste aber sei ihm an Bord des »Eagle« widerfahren, wo man die heilige Religion gelästert und ihren Diener auf die boshafteste Weise verspottet habe. Schließlich sei er gar noch verkauft worden, um bei irgend einem Begräbnisse als Todtenopfer geschlachtet zu werden. Surcouf versprach ihm natürlich seine Befreiung, erzählte ihm von der Gefangennahme Schooter's, und der Priester pries Gottes Güte, welche ihm so augenfällig in seinem alten Beschützer abermals einen Retter gesandt hatte.

Als die zwei Boten gebracht wurden, waren es die beiden Leute des »Falken;« der am Upasgifte Gestorbene war also der englische Untersteuermann gewesen, welcher, wie seine Begleiter aussagten, so unvorsichtig kühn gehandelt habe, um sich das Wohlwollen Surcouf's zu erwerben.

Nun begann die Unterhandlung mit den Dayaks. Häuptling Karima schien kein Freund von Umschweifen zu sein, und so wurde bis zur Einigung nicht viel überflüssige Zeit verschwendet. Seine klare, prompte Einleitung lautete:

»Wir wollen über unsere Feinde siegen, und dazu brauchen wir Waffen, wie die Euerigen sind. Ich werde Dir sagen, was Du uns geben sollst: eine Büchse und Pulver und Blei für den Getödteten; eine Büchse und Pulver und Blei für den Pengadschar, wenn er nicht hier bleiben will. Bleibt er bei uns, so soll er uns das lehren, was wir nicht wissen. Die Dayaks da oben in den Bergen und im Innern der Insel haben keine Gedanken; wir aber erkennen, daß Ihr viel weiser seid, als wir; wir wollen von Euch lernen und mit Euch einen Bund schließen. Wenn Du das thust, so werde ich Dir Goldsand und schöne Steine zeigen, welche wir in den Bergen finden, und Du sollst mir sagen, wie viele Flinten, Pulver und Blei, Beile und Messer Du uns dafür geben kannst. Auch Tücher und Kleider möchten wir gern. Dann scheiden wir in Frieden und werden uns freuen, wenn Du wiederkommst oder uns einen Boten sendest.«

Surcouf war ganz erstaunt ob dieses ebenso friedfertigen wie Gewinn verheißenden Anerbietens.

»Das ist nicht Zufall, das ist Gottes Schickung!« meinte der Priester. »Der Herr hat diesen Häuptling bei der Hand erfaßt, um ihn auf den rechten Weg zu leiten, und mir gibt er einen Fingerzeig für den Ort einer segensreichen Wirksamkeit. Kapitän Surcouf, ich bleibe hier! Wollen Sie dafür sorgen, daß ich mit der Welt in Verbindung bleibe?«

»Gern, ich verspreche es Ihnen!«

Surcouf wandte sich an den Häuptling:

»Du hast klug und weise gesprochen, wie ein Mann, welcher der Häuptling Vieler werden wird. Das Land, aus dem ich komme, kann Dir Alles bieten, was Du brauchst: Schutz gegen Deine Feinde, Waffen, Kleider, Geräthe aller Art. Deine Worte haben mich zu Deinem Freunde gemacht. Ich werde Dir Alles geben, was Du verlangt hast. Einige meiner Leute können gehen, um es zu holen. Ich werde Dir eine Büchse, Pulver und Blei für diesen Pengadschar geben, trotzdem er wünscht, hier bei Dir zu bleiben. Willst Du ihn als Deinen Gast behalten und beschützen, so werde ich Dir außerdem noch zwei Gewehre, drei Pistolen, drei eiserne Töpfe zum Kochen, ein rothes und ein blaues Kleid für Dich, einen Spiegel, welcher dreimal größer ist, als Dein Kopf, und allerlei andere Sachen geben. Willst Du mir nun den Goldsand und die Steine zeigen?«

Karima gab einen Wink, und bald brachten drei Männer das Gewünschte in Säckchen herbei. Der Goldsand war rein und wog vielleicht zwanzig Pfund, und die Steine waren ächte Diamanten, manche von der Größe einer dicken Erbse.

»Was verlangst Du dafür?« fragte Surcouf.

»Herr, sage selbst, was Du denkst!«

»Gut! Ich werde Dir dafür geben eine – – höre! – eine Kanone!«

Es war erstaunlich, welche Wirkung dieses Zauberwort auf alle Hörer hervorbrachte. Die braunen Gesichter der Malayen glänzten vor Wonne, und ihr Häuptling rief:

»Herr, eine Kanone, ist's möglich?«[818]

»Ich sage es ja! Eine Kanone mit hundert großen Kugeln und Pulver zu hundert Schüssen.«

»Oh, so bist Du der beste Freund, den wir besitzen, denn nun müssen alle unsere Feinde vor uns zu Schanden werden.«

»So sind wir also einig. Macht Euch bereit, mich auf das Schiff zu begleiten; dort sollt Ihr Alles erhalten, was ich Euch versprochen habe!«

In kurzer Zeit setzte sich ein ziemlich langer Zug in Bewegung, und bald mußten die Boote vom Schiffe abstoßen, um die Kameraden und Dayaks an Bord zu bringen. Dort erhielten sie eine Einpfünder-Drehbasse nebst Munition und alles sonst Versprochene.

Surcouf blieb drei Tage in der Sakurubucht, dann nahm er von den Malayen und dem Priester, welchen er mit allem Nöthigen reichlich versehen hatte, einen herzlichen Abschied.

Quelle:
Robert Surcouf. Ein Seemannsbild von Ernst von Linden. In: Deutscher Hausschatz in Wort und Bild. 8. Jg. 1881/82. Heft 18. Regensburg, New York, Cincinnati (1882). Nr. 52, S. 817-819.
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