1.

Bei »Mutter Röse«

[12] Obgleich es noch früh am Tage war, ging es auf den Gassen, Straßen und Plätzen der guten Haupt- und Residenzstadt Dessau doch schon lebhaft zu. Es war heut ja Wochenmarkt, an welchem die Bewohner der Umgegend herbeiströmten, entweder um die Producte ihres Gewerbfleißes in Angebot zu bringen oder Dasjenige einzukaufen, was zur Befriedigung ihrer wirthschaftlichen, häuslichen und persönlichen Bedürfnisse nothwendig war.

Durch die Alt-, Neu- und Vorstadt-auf-dem-Sande bewegten sich die Wagen, Karren und Fußgänger der von dem Fürsten Leopold erst neu angelegten Cavalierstraße zu, welche noch heut mit ihren Rasenplätzen und dem unvergleichlichen Blick auf die Johanneskirche eine der größten Zierden der Stadt ist. Dorthin zog es die Neugierigen, und gruppenweise standen sie vor den Ladenfenstern oder wagten sich scheu und einzeln in eins der »grausam vornehmen« Gasthäuser, wo es zu sehen, zu hören, zu essen und zu trinken gab, was noch keinem der biedern Landbewohner vorgekommen war.

Die Meisten von ihnen aber kehrten doch schließlich nach dem engen, an der Mulde gelegenen Stadttheile zurück, in welchem »Mutter Röse«, die dickste und zugleich beste Wirthin des ganzen Anhalt'schen Landes residirte, die es außerordentlich gut verstand, ihre Gäste gegen die beiden Erbübel der Menschheit, den Hunger und den Durst, in nachdrücklichen Schutz zu nehmen.

Wie eine Königin thronte sie zwischen zahllosen Flaschen, Gläsern und Krügen hinter dem langen, massiven Schenktische, hatte für Jeden einen freundlichen Gruß, ein vertrauliches Kopfnicken oder wohl gar einen kräftigen Händedruck und ließ wie eine Sonne die Strahlen ihres vollen und stets lächelnden Gesichtes bis in die entfernteste Ecke fallen. Nirgends war das Bier so frisch und erquickend, nirgends der Braten so saftig und nirgends die Bedienung so aufmerksam wie bei »Mutter Röse«, und wem es gar widerfuhr, von ihr selbst bedient zu werden, der konnte sich diesen Vorzug für eine wirkliche Ehre anrechnen und wurde darüber von den Andern groß angesehen. Aber ebenso kräftig und entschieden konnte sie auch gegen Den auftreten, welcher es wagte, sie aus ihrem Gleichgewichte zu bringen, und gar mancher Gast schon hatte ein solches Beginnen mit einem blitzesschnellen »An die Luft setzen« büßen müssen.

Auch jetzt hatte sie sich mühsam zwischen den vielen anwesenden Marktgästen hindurchgedrängt, um an dem hintern Tische einen der erwähnten Bevorzugten mit ihrer Aufmerksamkeit zu beglücken, als sich die Thür öffnete und ein Mann eintrat, welcher sich tief bücken mußte, um seinem Kopfe eine unliebsame Berührung mit den Querbalken zu ersparen. Obgleich er die Sechzig längst zurückgelegt haben mußte, trug er sich doch so stramm und kräftig, als stehe er noch zwischen zwanzig und dreißig, und das dunkle, scharfe Auge hatte in jugendlicher Lebhaftigkeit das Zimmer mit einem einzigen kurzen Blicke überflogen.

Er schritt zu dem allein noch leerstehenden Tische, ließ sich auf den lautkrachenden Stuhl fallen, zog die bestaubten Gamaschen in die Höhe, warf den Dreispitz von dem zierlich bezopften Kopfe und wartete nun augenscheinlich auf irgend einen dienstbaren Geist, um sich mit dessen Hilfe von einem der obengenannten Erbübel zu befreien.

Zufälliger Weise aber war sein Kommen nicht bemerkt worden, und so zupfte er zunächst etliche Male ungeduldig an dem blauen Leinwandsacke herum, welcher seinen breitschultrigen Oberkörper bedeckte, wirbelte sodann mit unmuthiger Miene die beiden Spitzen seines Schnurrwichses um die Zeigefinger, und als auch diese Manipulation erfolglos blieb, erhob er endlich den dicken Knotenstock, welcher mittelst eines Lederriemens an seinem Handgelenk hing, und ließ ihn lautdröhnend auf die eichene Platte des Tisches fallen.

»Heda, alte Klatschmaschine, mach', daß Du bald vorkommst, sonst werde ich Dir Beine machen!«

Auf diese mit lauter und kräftiger Baßstimme hervorgedonnerten Worte trat über das ganze Zimmer hinweg augenblicklich eine tiefe Stille ein, und Aller Augen wandten sich nach dem Manne, welcher es wagte, die zwar gute, aber sehr streng auf ihre Reputation haltende Wirthin in dieser Weise zu insultiren. Jedermann war überzeugt, daß der Sprecher in wenig Secunden draußen vor der Thür stehen werde, zumal Mutter Röse, schnell herumfahrend, die beiden Hände in die Hüften stemmte, was bei ihrer Corpulenz allerdings ein gewagtes und höchst schwieriges Unternehmen war, und mit vor Zorn hochrothem Gesichte über die Häupter der Sitzenden hinweg rief:

»Wer ist denn der unverschämte Kerl, he, der da vorn so dicke thut? Wart 'mal, Bürschchen, wir werden gleich sehen, wer von uns Beiden dem Andern Beine macht!« Und sich nach dem Schenktisch wendend, wo eben ein vierschrötiger Hausknecht ein Faß auf die Stellage hob, setzte sie befehlend hinzu: »Christian, nimm ihn doch 'mal bei der Perrücke und zeige ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!«

»Laß Dich nicht auslachen, alte Bierliese, und halte den Schnabel. Ihr wärt mir die Rechten von wegen dem Zimmermannsloche!«

Das war der Wirthin doch zu stark, zumal nun auch der Aerger über den Hausknecht dazu kam, denn dieser machte nicht die geringste Miene, dem Befehle seiner Herrin Folge zu leisten, sondern lehnte in höchster Verlegenheit an der Küchenthür. Mit raschen Schritten wand sie sich[12] zwischen den Gästen hindurch, um den Fremden, den sie der Entfernung wegen noch gar nicht hatte sehen können, in Augenschein zu nehmen.

»Was wären wir? die Rechten? Ja, das sind wir auch, und das will ich Ihm sofort beweisen, Er Grobian! Glaubt Er denn, daß man eine ehrsame und tugendhafte Wittwe – – Herrjeh!« unterbrach sie sich, die dicken Hände in höchstem Schrecke zusammenschlagend, als sie jetzt in das sich ihr zuwendende Gesicht des Ausgescholtenen blickte, »wer denkt denn so Etwas! Bitte hunderttausend Mal um Verzeihung, Durchl – –«

»Will Sie wohl endlich ruhig sein und mir einen Krug Zerbster bringen und was dazu gehört!« unterbrach er sie schnell. »Oder glaubt Sie etwa gar, daß ich hereingekommen bin, nur um Ihre schönen Redensarten anzuhören?«

»Ja freilich, einen Krug Zerbster,« wiederholte sie eilfertig, »und was dazu gehört, gleich, gleich sollen Durchl – –«

»Ich frage Sie nur,« fiel er ihr wieder rasch und diesmal mit dem Fuße stampfend in die Rede, »ob Sie schweigen will. Wenn Sie noch ein einzig Mal dieses Wort ausspricht, so mag Sie Ihr Zerbster selbst hinunterspülen!«

»Ja ja, schön, schön, ich wollte nur sagen, daß ich Ew. Durchl – –«

Das Wort blieb ihr bei dem fürchterlichen Blicke, welcher sie traf, im Munde stecken; sprachlos vor Verlegenheit über ihre dreimalige Indiscretion eilte sie nach dem Schenktisch, brachte den vollen Thonkrug herbei, stellte ihn auf den höchst eigenhändig mit ihrer weißen Schürze abgewischten Tisch, und bald lag neben dem Trunke auch ein mächtiges hausbackenes Roggenbrod, ein Stück gelber Butter und ein großer, appetitlicher Landkäse.

Der Gast leerte den Krug auf einen Zug und gab ihn der Wirthin zum Füllen zurück. Sodann griff er zum Messer und beschäftigte sich sehr eifrig und erfolgreich mit dem Imbiß, während die Anwesenden die Köpfe zusammensteckten und sich nicht genug über das eigenthümliche Vorkommniß wundern konnten, bis ein Name leise von Stuhl zu Stuhl, von Tisch zu Tisch geflüstert wurde und die Fremden dann mit halb scheuen, halb ehrfurchtsvollen Blicken die hohe Gestalt des Essenden musterten.

Dieser bekümmerte sich nicht im Geringsten um die Andern und war so sehr in seine Arbeit vertieft, daß er den Eintritt eines neuen Gastes gar nicht bemerkte, welcher, ihn erblickend, ein Zeichen der Ueberraschung nicht unterdrücken konnte, dann aber wie in Folge eines raschen Entschlusses auf ihn zuschritt und nach einem Stuhle griff.

»Ist der Stuhl erlaubt?« fragte er kurz.

»Warum nicht?« antwortete mit einem tiefen Brummen der Kauende. »Ich habe ihn nicht gemiethet!«

Der also Berichtete setzte sich und meinte:

»Wünsch guten Appetit!«

»Danke,« brummte es wieder; »aber lasse Er mich jetzt ungeschoren! Ich habe mehr zu thun, als mir Seine Höflichkeiten gefallen zu lassen.«

»Ist mir auch recht!« klang die Antwort unter einem belustigten Lächeln des Sprechenden. »Heda, Mutter Röse, habt Ihr nicht noch ein Messer bei der Hand? Der Mann da wird die ganze Portion wohl nicht für sich allein brauchen!«

Jetzt erst blickte der Essende auf und überflog mit einem erstaunten Blicke seinen Gegenüber. Das Resultat mußte ein zufriedenstellendes sein, denn als die Wirthin antwortete:

»Ich habe schon noch das Nöthige für Ihn übrig,« entgegnete er in befehlendem Tone:

»Mach Sie keine Faxen und lasse Sie ihn immer hier mit zugreifen!«

Mit einem raschen Griffe schwang er dem jungen Manne das schwere Brod hinüber, schob ihm Butter und Käse zu und nahm dann die unterbrochene Beschäftigung mit erneutem Nachdrucke auf. Der Andere griff ebenso fleißig zu, und als die beiden Hungrigen endlich ihre Arbeit beendigten, war außer einem bescheidenen Brodreste nichts Genießbares mehr auf dem Tische zu bemerken.

Die leeren Krüge wurden wieder gefüllt, und sich mit einem behaglichen Laute die Magengegend streichend, begann der zuerst Angekommene:

»So, das wäre abgemacht, und nun kann man auch wieder sprechen. Er schlägt keine schlechte Klinge!«

»Hm, so 'was lernt sich schon, und der Käse war gut!«

»Meint Er? Ja, bei der Mutter Röse weiß man, was man bekommt. Er ist wohl kein Dessauer Kind?«

»Nein.«

»So ist Er wohl in Geschäften hier?«

»Ja und nein, je nachdem man's nimmt.«

»Ja und nein – so sprecht doch deutlicher, wie es einem vernünftigen Menschen zukommt!«

»Warum?«

»Warum, fragt Er noch? Na, zum Tausendsapperlot, wenn wir nicht hier sitzen und Maulaffen feil halten wollen, so müssen wir doch Etwas reden. Und auf eine gutgemeinte Frage gehört doch wohl eine ehrliche Antwort!«

»Da habt Ihr wohl recht; nur weiß ich nicht, was es Euch und mir nützen soll, wenn wir über meine Angelegenheiten verhandeln!«

»Mir wird's freilich nicht viel nützen, aber für Euch kann's vielleicht gut sein. Ich bin hier bekannt, und wenn es auch weiter gar nichts wäre, so kann doch wenigstens ein guter Rath nie Schaden bringen.«

»Ihr sprecht wahrhaftig grad' wie ein Buch; aber wahr ist's trotzdem, was Ihr sagt. So sollt Ihr denn meinetwegen wissen, daß ich mir hier eine Stelle suchen will.«

»Eine Stelle? Was denn für eine?«

»Beim Alten!«

»Beim Alten? Bei was denn für einen Alten, he, wenns gefällig ist?«

»Nu, beim Fürsten.«

»Beim Fürsten? Bei dem wollt Ihr eine Stelle haben und nennt ihn doch den Alten?« fuhr er zornig auf. »Da schlage doch ein Himmelmillionenschock – na, ich sehe da gar nicht ein, warum ich mich über Seine Malicen ärgern soll. Seine Stelle kann mir ja ganz gleichgültig sein!«

»Ich habe Nichts dagegen, aber wer neugierig ist, muß auch die Antworten nehmen, wie sie kommen.«

»Hört 'mal, Ihr seid ein verteufelt aufrichtiger Kerl, und ich glaube, das Flunkern habt Ihr nicht gelernt!«

»Das will ich wohl zugeben. Man kommt mit der Ehrlichkeit immer noch weiter als mit der Flunkerei.«[13]

»So? Da habt Ihr es wohl schon weit gebracht?«

»O ja, bis zum Reitknechte.«

»Alle Wetter, das ist allerdings weit; so wohl ist mirs noch nicht geworden! Und da will Er wohl auch in diesem Fache Beschäftigung beim Fürsten haben, den Er den ›Alten‹ nennt, he? Na, ich wollte Ihn dafür kurranzen, wenn ich der ›Alte‹ wäre!«

»Errathen!« antwortete der Stellesuchende lächelnd über das »Er«, mit welchem er an Stelle des »Ihr« betitelt wurde, seit er von sich als Reitknecht gesprochen hatte. »Aber aus dem Kurranzen würde wohl nichts werden.«

»So! Warum denn nicht?«

»Weil Ihr es bleiben lassen würdet. Wenigstens seht Ihr grad' wie ein verständiger Mann aus, und ein brauchbarer Diener hat auch seinen Werth.«

»I der Kuckuk, sehe ich wirklich wie ein verständiger Mensch aus?« rief der Alte lachend, daß ihm die Thränen in die Augen traten. »Na, das wollte ich Ihm auch gerathen haben. Was Er aber da von dem Diener schwatzt, das klingt recht nach Einbildung.«

»Da irrt Ihr Euch grade. Ein Mann soll nicht mehr, aber auch nicht weniger von sich halten, als er darf!«

»Jetzt spricht ja Er wie ein Buch. Kann Er denn wirklich ein Pferd reiten?«

»Ein Pferd? Hm! Sprecht lieber, jedes Pferd!«

»Jedes? Höre Er 'mal, dazu gehört mehr als Brod essen! Der ›Alte‹ zum Beispiel, wie Ihr den Fürsten nennt, hat einen Rapphengst, der noch Niemanden im Sattel gelitten hat. Das ist eine Bestie, wie es in der ganzen Welt weiter keine giebt!«

»Wer, der Alte oder der Rapphengst?«

»Mohrenelement, wie meint Er das? Er Himmelhund will doch nicht etwa seinen Narren aus mir machen. Das sollte Ihm ganz außerordentlich schlecht bekommen!«

»Halt, guter Freund, was Ihr da sagt, das fällt mir ja gar nicht ein. Ich habe Euch nur nicht recht verstanden und meinte gar, Ihr wolltet den Fürsten verschimpfiren. Aber da hättet Ihrs mit mir zu thun bekommen, denn der ist ein Kerl, welcher mehr wiegt, als fünfmalhunderttausend von der Sorte, wie Ihr seid. Ich habe einen heidenmäßigen Respect vor ihm, und wer ihn schlecht machen will oder gar eine Bestie nennen, wie mir es vorhin schien, dem schlage ich das Lästermaul so breit, daß man darauf sechsspännig herumfahren kann!«

»So, so!« schmunzelte es wohlgefällig um den schwarzen Schnurrwichs. »Er macht mir da ein schönes Compliment mit den Fünfmalhunderttausend!«

»Na, ist's etwa anders? Ich habe Euch noch nicht gefragt, wer und was Ihr seid, aber der Fürst ist Souverain, Feldmarschall, Gouverneur, Ritter von fünf Schock Orden und was Alles sonst noch. Ist das etwa nicht genug, he?«

»Hm, Etwas ist's schon; aber was glaubt Er denn, was ich bin?«

»Ihr? I na, ich habe so einen Blick, so einen gewissen Geruch, um zu sagen, was Einer ist, und ich irre mich selten. Ich glaube, Ihr – Ihr – handelt mit – mit – na, mit Zwiebeln!«

»Ich hand – le – mit – Zwie – Zwie – Zwie – beln – hahahaha – mit Zwie – Zwie – wie – wie – beln!« brach der Alte mit einem Lachen los, welches fast in einen Lachkrampf ausartete und die Wände des Zimmers zu erschüttern schien. »O, Er ist ein weiser Salomo; aber errathen hat Er es doch: ich handle – hahaha – mit Zwie – wie – wie – beln – hahahaha – ja, und ich habe schon Manchen in eine Zwiebel beißen lassen, daß ihm die Augen übergegangen sind! Höre Er, Er ist kein unebener Kerl, und ich möchte Ihm gern einen Gefallen erweisen. Will Er wirklich zum Fürsten?«

»Freilich! Ich habe gehört, daß der Leibknecht abgegangen ist, und wollte fragen –«

»Halt da! Er versteht wohl von der Sache noch gar Nichts? Leibknecht kann nicht jeder hergelaufene Fremde werden, sondern zu einem solchen Posten kommt nur Einer, der erstens sein Fach aus dem Fundamente versteht, und zweitens vom Stalljungen auf gedient und sich das Vertrauen des Fürsten erworben hat. Das ist ein Vertrauensposten, auf den ein Unbekannter sich keine Rechnung machen darf.«

»Das ist mir Alles gar wohl bekannt; aber man weiß doch manchmal nicht, wie der Hase läuft, und ein Fremder ist zuweilen ebenso brauchbar wie Einer, der sich von Stelle zu Stelle emporscherwenzelt hat.«

»Ich will da nicht mit Ihm streiten, aber der Leibknecht des Fürsten muß, so viel ich weiß, nicht nur ein excellenter Reiter sein, sondern auch nach der Schnur fahren können, denn der ›Alte‹, wie Er den Fürsten nennt, ist etwas mürbe geworden, und das Fahren fällt ihm leichter als das Reiten, da er seine Achtundsechzig auf dem Rücken hat. Er steht jetzt mit seinen Buntröcken in Magdeburg und muß auch zuweilen hier in Dessau sein; da geht es denn oft herüber und hinüber, und der Leibknecht ist dabei meist seine einzige Begleitung. Versteht Er nun, was ich meine?«

»Warum denn nicht? Ihr macht es Einem ja so deutlich, als wenn Ihr gar auf Schulmeister gelernt hättet, und man bekommt einen wirklichen Respect vor Euch. Aber Ihr sollt mir doch keine Angst machen, und ich werde mein Heil versuchen! Der Fürst soll jetzt grad' in Dessau sein, und ich werde mich noch heut' Vormittags erkundigen, wie man es anzufangen hat, um mit ihm sprechen zu können.«

»Da braucht Er gar nicht erst ewig herumzufragen, denn ich kann es Ihm ebenso gut berichten, wie jeder Andere. Ich muß nachher auch auf's Schloß; habe mit dem Hofgärtner so Einiges abzumachen und werde wegen Ihm einmal zuhorchen. Bin auch nicht ganz so ohne alle Connexionen, und bei Hofe geht es manchmal wunderbar zu – von der Nichte zum Vetter, vom Vetter zur Muhme, von der Muhme zur Tante, von der Tante zum Onkel, und so weiter, versteht Er! Wollen doch 'mal sehen, ob ich Ihn bis zum Kammerlakaien hinaufschieben kann; das Andere ist dann Seine Sache.«

»Ja, da habt Ihr recht, daß bei Hofe zuweilen Einer etwas thun kann, dem man es gar nicht angesehen hat, und ich habe alles Vertrauen zu Euch. Wenn Ihr ein Wort für mich sprechen wollt, so werde ich es Euch herzlich Dank wissen; aber wie habe ich mich denn sonst noch zu verhalten?«

»Das ist sehr einfach. Gehe Er einmal so in anderthalb Stunden auf's Schloß; da steht unter dem Thore[14] Einer, der muß Jeden fragen, was er dort zu suchen hat, und dem kann er es einmal im Vertrauen sagen, daß er den Zwie – hahahaha – den Zwie – wie – wiebelhändler sucht. Er wird Ihm sagen, wo ich stecke, und dann wird sich ja zeigen, ob ich derweile Etwas für Ihn habe thun können.«

»Gut, ich werde mich pünktlich einfinden und Euch Ehre zu machen suchen!«

»Das will ich auch hoffen. Heda, Mutter Röse, hier ist Geld!«

Die Wirthin kam so eilig herbei, als ihr Körperumfang es ihr gestattete und nahm von ihm die Bezahlung für beide Gäste in Empfang.

»Habe Seine Zeche mit abgemacht! Er hat mit mir gegessen und getrunken und war also mein Gast. Leb' er wohl und verbummle Er die richtige Zeit nicht!«

»Habt keine Sorge. Danke für das Zahlen!«

Die Wirthin begleitete den Fortgehenden bis an die Thür, während der Zurückbleibende ihm mit einem listigen und befriedigten Lächeln nachblickte.

Quelle:
Unter den Werbern. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauer von Karl May. In: Deutsches Familienblatt. 2. Bd. Heft 1, S. 12-15.
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