2.

Beim »Alten«

[15] »Der alte Knasterbart«, wie der Feldmarschall des heiligen römischen Reiches deutscher Nation und Preußens, Leopold von Anhalt-Dessau, gern von seinen Soldaten genannt wurde, saß in seinem Arbeitszimmer. Die kleinen Fältchen an den äußeren Augenwinkeln waren zusammengezogen und die tiefen Furchen der Stirn senkten sich nieder fast bis auf die Nasenwurzel – ein Zeichen, daß er sich mit unangenehmen Gedanken beschäftige.

Früher war es seine treue Lebensgefährtin, die einstige Apothekerstochter Anna Luise Föhsin gewesen, welche mit mildem Zuspruche so manche Wolke verscheucht, so manche Sorge mit ihm getheilt hatte, aber die lag nun im Grabe, die alte, liebe, gute Anneliese, und er mußte nun allen Aerger, alle Kränkung allein tragen, und das wollte ihm doch gar nicht in den harten Trotzkopf, der die lange Reihe von Jahren bis auf den heutigen Tag kein anderes Gesetz gekannt hatte, als seinen eigenen Willen.

Aergerlich schob er den Stuhl zurück, riß einige Knöpfe des Uniformrockes auf und maß mit langen, raschen Schritten das Zimmer.

»Das ist doch geradezu, um des hellen lichten Teufels zu werden!« monologisirte er. »Da hat der König am dreißigsten September bei Sorr die Oesterreicher mit seinen achtzehn Tausend gegen volle vierzig Tausend auf's Haupt geschlagen, ihnen zweiundzwanzig Kanonen, zwölf Fahnen und zwei Tausend Gefangene abgenommen und glaubt nun, daß sie sich auf eine solche Schlappe heuer nicht wieder herauswagen werden. Die Armee cantonnirt bei Schweidnitz, und General du Moulin soll sie mit seinem Cordon an der Grenze schützen. Der König ist nach Berlin gegangen und spielt Flöte, seine Soldaten liegen in ihren Baracken und rauchen Tobak, und Keiner merkt, daß man unterdessen da hinter dem Gebirge einen Trank zusammenbraut, der ganz verteufelt nach Schwefel und Salpeter schmecken wird.«

Dem alten Kriegshelden schien es wohl zu thun, sich immer weiter in seinen Grimm hineinzureden.

»Ja, ja, mich macht die österreichische Therese nicht dumm, und der Kaunitz, na, der taugt so wenig, daß ich ihn für zehntausend Thaler nicht in eine Compagnie stecken möchte. Der Kerl ist ja die reine Flaumfeder und zieht zehn Röcke, zwanzig Ueberröcke und dreißig Pelze an, wenn er sich in den Hundstagen einmal an die Luft fahren läßt, und so einem Ofenhocker sollte der Dessauer nicht in die Karte gucken können? Profit die Mahlzeit! Aber was hilft's denn, he? Einen Brief nach dem anderen schicke ich nach Berlin, warne, mahne, bitte, drohe, kurz und gut, ziehe alle möglichen Saiten auf – und was ist die Folge? Man antwortet mir nicht einmal, lacht mich vielleicht gar noch dazu aus. Da muß doch gleich ein himmelmiserables Graupelwetter d'reinschlagen, mich auch noch auszulachen! Wenn ich nur ein einziges Wort davon höre, so nehme ich meine zwölf Tausend Buntröcke, marschire auf Berlin und lasse das ganze armselige Nest Spießruthen laufen vom König an bis herunter zum letzten Schusterjungen!«

Jetzt befand sich der Sprecher in der vollsten Rage. Bei den letzten Worten war er stehen geblieben und hatte drohend den Arm erhoben. Er dachte gar nicht daran, daß er sich in der schönsten Revolution gegen seinen Feldobersten befinde, und als habe Jemand einen Einspruch gegen seine Rede erhoben, fuhr er plötzlich auf den Absätzen herum und rief:

»Was, das thäte ich nicht? Warum denn nicht, he? Wer will mir's denn verwehren, mir, dem Sieger in den Niederlanden, am Rhein, in Bayern, in Italien, in Schweden und so weiter? Aber was ich gethan habe, das hat man vergessen, und wenn ich warne, da lacht man und – bläst Flöte dazu. I, da spielt meinetwegen Rumpelbaß oder Brummeisen, aber auslachen lasse ich mich nicht, und Antwort will ich haben, wenn ich schreibe! Aber ich weiß wohl, der Fritz ist mir nicht gut, weil ich bei seinem Alten, der Herrgott hab' ihn selig sammt seinem Tabakscollegium, einen Stein im Brette hatte. Ja, der kannte seine Leute, und wenn er auch manchmal ein wenig unbequem werden konnte, so – – Na, was will Er denn, Er Schockschwerenöther?« unterbrach er sich, als in diesem Augenblicke ein Diener unter der Thür erschien.

»Oberlieutenant von Polenz. Meldung aus Halle!«

»Herrrrein!«

In der nächsten Secunde stand der Genannte gerade und steif wie ein Ladestock vor dem Fürsten, diesem mit der Rechten ein versiegeltes Schreiben hinreichend. Leopold trat mit demselben an's Fenster, erbrach das Couvert und begann, den Inhalt zu buchstabiren. Er war nie ein Freund und Bewunderer der edlen Schreibekunst gewesen, und Meldungen lesen oder gar selbst die Feder führen, gehörte für ihn zu den größesten Strapazen des Erdenlebens. Die Zeilen konnten nichts Gutes enthalten, denn seine Miene verfinsterte sich immer mehr, und als er fertig war, ballte er das Schreiben in der Hand zusammen und trat mit Unheil verkündender Miene auf den Offizier zu.

»Weiß Er, was in dem Wische steht?«

»Zu Befehl, Excellenz.«[15]

»Weiß Er auch, was d'raus wird, wenn das so fortgeht?«

»Zu Befehl, nein, Excellenz.«

»So! Oberlieutenant will Er sein, und weiß das nicht, was sich ein jeder Tambour denken kann? Wenn das Desertiren und Ausreißen so fortgeht, so steht Er zuletzt ganz allein im Standquartiere und sperrt das Maul auf, oder kann sich auch so nach und nach verduften wie die Anderen. Da schlage doch das Wetter in die Disciplin! Kein Tag vergeht, wo ich nicht vom Durchbrennen höre, und allemal sind's die besten Kerls, welche sich davon machen, während die Taugenichtse kleben bleiben. Heut' wieder der Korporal Nauheimer, der bravste Unteroffizier in der ganzen Armee. Auf den hätte ich Häuser gebaut! Warum hat sich der salvirt, he? Das muß doch einen Grund haben, denn ohne Grund desertirt kein Nauheimer!«

»Halten zu Gnaden, Excellenz, ich weiß es nicht; der Korporal Nauheimer hat sich einen Urlaub von drei Tagen genommen und ist nicht wieder eingetroffen.«

»So! Und da zetert Ihr gleich über Desertion? Es kann doch dem Manne sonst 'was zugestoßen sein. Werde die Sache untersuchen! – Aber was ist denn nun das Andere, he? Da wagen sich die sächsischen Werber herüber über die Grenze und schnappen uns nicht nur die besten Bauernburschen, sondern auch die eigenen Soldaten weg! Nun hört mir aber Alles auf! Zwölf Tausend Preußen stehen da, ziehen die Nachtmützen über die Ohren und lassen sich die feindlichen Werber geradezu zwischen den Beinen hindurchkriechen – will Ihm denn da sein Bischen Verstand nicht still stehen, he? Da sollen doch gleich zehn Millionen Granaten in die ganze saubere Geschichte hineinfahren! Na, ich werde hinüberkommen und die guten Herren beim Schopfe nehmen, daß es ihnen grün und gelb vor den Augen funkeln soll! Wie weit ist Er denn mit seiner Liebsten?«

»Excellenz, immer noch auf dem alten Flecke.«

»Kann mir's denken! Tabak rauchen, Karte spielen, mit dem Säbel rasseln, den Verstand vertrinken, einem braven Bürgersmädchen den Kopf verdrehen, Schulden machen, Schlägereien anzetteln, das könnt Ihr alle; aber wenn es endlich einmal ernstlich einem gescheidten und anständigen Frauenzimmer gilt, da klebt Ihr in der Buttermilch und wißt kein Geschick d'ran zu machen!«

»Excellenz, halten zu Gnaden, das Fräulein von Naubitz hat die Marotte, nur mit einem Offizier anzuknüpfen, der eine Compagnie hat, und da –«

»Papperlapapp! Meine Anneliese hat auch nicht nach der Compagnie gefragt! Wenn man so ein Mädchen nur zu packen weiß, da fällt sie einem ganz von selbst um den Hals; ich weiß das ganz genau. Aber da scheint es Ihm am Besten, nämlich an der Anstelligkeit zu fehlen. Die Naubitz ist meine Pathe; Sein Vater schreibt mir und bittet mich um Protection, und ihm zu Liebe, der ein alter Kriegskamerad von mir ist, thue ich auch alles Mögliche, um die Sache zu Stande zu bringen, aber wenn Er selbst den Brei immer wieder anbrennen läßt, so mag Er zusehen, wenn ein Anderer kommt und sie Ihm vor der Nase wegschnappt.«

»Verzeihen Excellenz, das glaube ich nicht befürchten zu müssen!«

»Nicht? Da weiß ich mehr als Er. Das Teufelsmädel ist schön, reich und klug, und ich glaube, sie hat bei ihrem letzten Besuche in Berlin Einen gefunden, der es geschickter anzudrehen weiß als Er. 'S ist ein Rittmeister bei den Ziethenhusaren, und die sind in allen Dingen gewohnt, g'rad d'reinzuschlagen. Da ihre Eltern todt sind, so hat der Mann kurz und bündig mich um das Jawort gebeten, und, wahrhaftig, er hätte es mit Freuden bekommen, wenn mir nicht noch zur rechten Zeit Sein Vater eingefallen wäre.«

»Gestatten Excellenz die Frage nach dem Namen des Rittmeisters?«

»Meinetwegen; es ist der Herr von Platen, derselbe, von dem man sich so manches lustige Reiterstückchen erzählt. Der König scheint ihn sehr zu protegiren. Er kann sehen, wie Er ihn aus dem Sattel bringt!«

»Werde es versuchen und sage Excellenz meinen schuldigen Dank für gnädige Information.«

»Schon gut! Das Mädel ist g'rad noch hier im Schlosse, geht aber schon in einigen Stunden auf ihr Gut nach Beyersdorf. Er ist noch im letzten Augenblicke gekommen; gehe Er zu ihr und mache Er seine Sache besser als bisher!«

Während des letzten Theiles der Unterredung hatte sich der Unmuth des Fürsten etwas gelegt und einer freundlicheren Stimmung Platz gemacht, ein Umstand, aus welchem sich schließen ließ, daß der Vater des vor ihm stehenden Offiziers bei ihm in gutem Andenken stehen müsse. Am Schlusse der Endermahnung gab er mit der Hand das Entlassungszeichen und wandte sich zurück. Der Oberlieutenant aber blieb, trotzdem er den Wink bemerkt haben mußte, stehen und zog zwischen den Rabatten der Uniform ein Papier hervor.

»Excellenz!«

»Was giebt's denn noch?«

Ohne ein Wort der Erklärung auszusprechen, reichte der Gefragte das Schriftstück hin. Der Fürst trat wieder an das Fenster hin und studirte eine ganze Weile auf dem Zettel herum bis er endlich ärgerlich in die Worte ausbrach:

»Was ist denn das für ein dummer Wisch, he? Das sieht ja gerade aus, als hätte Einer Hände und Füße in die Tinte gesteckt und wäre dann mit allen Vieren auf dem Papiere herumgekrochen. Und so eine heillose Sudelei wagt man, mir zu schicken!« Die Stirnadern schwollen wieder ganz bedenklich an, und die Augen begannen von Neuem, ihre Blitze zu werfen. »Da kann ja kein Mensch einen richtigen Buchstaben herausfinden. Wird Er mir wohl sagen, welcher Esel das geschrieben hat?«

»Verzeihen, Excellenz,« stotterte der Offizier in größter Verwirrung; »Oberst von Brandow läßt ganz gehorsamst bitten, mir mitzutheilen, was die Zeilen enthalten.«[16]

»Oberst Brandow – mittheilen – enthalten – –? Seid Ihr denn alle mit einander verrückt geworden! Was habe denn ich mit der Correspondenz des Obersten zu thun? Soll der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau etwa Schreiberdienste bei ihm verrichten? Nun ist mir's aber genug, und wenn Er nicht sofort macht, daß Er zur Thür hinaus kommt, so werde ich Ihm sammt Seinem unverschämten Obersten zeigen, wie man sich gegen seinen Vorgesetzten zu verhalten hat. Hier ist der Wisch, und dort ist das Loch; vorwärts marsch!«

»Durchlaucht, Excellenz – –«

»Marsch, sage ich!«

»Bitte tausend Mal – –«

»Himmel-Kreide-Pech und Hölle, wird Er wohl Subordination leisten! Rrrrraus!«

»Excellenz haben – –«

»Rrrrraus!!«

»Diese Ordre hier – –«

»Rrrrraus!!!«

»Ja selbst geschrieben!«

»Rrrr – – – w–a–a–as, selbst geschrieben? Ich? Diese Klexerei? Mensch, ich lasse Ihn auf der Stelle krumm schließen, wenn er das noch einmal sagt! Glaubt Er etwa, ich kann nicht schreiben oder gar mein Geschriebenes nicht lesen?«

»Kein Mensch wird wagen, so Etwas nur zu denken, Durchlaucht; aber bitte, die Unterschrift zu bemerken, und hier ist das Couvert!«

»Die Unterschrift? Hm, hm, ich unterschreibe mich doch ›Leopold‹, aber da ist kein L, kein e und auch kein o zu erkennen, und das ›pold‹ ist ganz und gar in der Tinte ersoffen. Zeige Er das Couvert! Hm – hm – was soll denn die ganze Geschichte vorstellen?«

»Es ist die Ordre, welche Excellenz gestern durch einen reitenden Boten dem Herrn Obersten von Brandow zu – –«

»Was, meine Ordre ist's? Und die kann der Oberst nicht lesen? die schickt mir der Oberst zurück? Alle Stern-Hagel-Blitz-und-Granatensplitter – jetzt hört endlich 'mal die Geduld auf – jetzt steigt mir's in den Kopf – jetzt lasse ich die ganze saubere Gesellschaft krumm schließen!«

Mit dem Zeichen der höchsten Erregung stürmte er im Zimmer auf und ab, stampfte mit den Füßen und focht mit den Armen in der Luft. Der vor Angst förmlich zitternde Polenz schwieg eine geraume Weile und unternahm es sodann, den Obersten zu entschuldigen:

»Excellenz, die Schrift –«

»Solche unmenschliche Dummheit! – ja ja – die Schrift –«

»Ist durch die Hände –«

»Sollte man nicht – – ja ja – durch die Hände –«

»Des ganzen Offiziercorps gegangen!«

»Für möglich halten! ja ja – Offiziercorps geg – was sagt er da? des ganzen Offizierscorps? Eine Ordre, die nur an den Obersten gerichtet war? Und das nennen diese Menschen militairische Discretion! Na, ich komme hinüber – freut Euch nur!«

»Und Keiner –«

»Was noch, he?«

»Hat sie lesen können!«

»Keiner – kein Einziger – das wird immer toller!«

»Und da der Ordre doch Gehorsam geleistet werden muß – –«

»Das will ich mir auch ausgebeten haben, Ihr Himmelsackermenter!«

»So bin ich im Carrière herübergeritten – –«

»Nun und –?«

»Um gehorsamst zu fragen, welchen Befehl sie enthält.«

»Welchen Bef – – Mensch, sind Ihm denn alle Sinne abhanden gekommen, alle miteinander? Da ist wohl der Befehl noch gar nicht ausgeführt worden?«

»Excellenz verzeihen gnädigst, was man nicht lesen kann, kann man auch nicht ausführen.«

»Und das sagt Er mir? wirklich mir? Himmelherrgott, wo nehme ich nur heute diese übermenschliche Geduld her! Eigentlich sollte ich Ihn in Kochstücke hauen! Gebe ich da einen Befehl – und dieser Befehl wird nicht befolgt – weil man nicht lesen kann – und nun soll ich meine eigene Ordre lesen! Sage Er mir doch in drei Teufels Namen, für wen sie geschrieben ist!«

»Für den Herrn Oberst von Brandow.«

»Gut, jetzt scheint Ihm doch der Verstand wieder zu kommen! Wer hat sie also zu lesen?«

»Der Herr Oberst, Excellenz.«

»Richtig, ganz richtig! Bin ich aber etwa der Herr Oberst von Brandow?«

»Nein.«

»Richtig, sehr richtig! Also wer hat sie nicht zu lesen?«

»Ew. Durchlaucht.«

»Gut, vortrefflich! Merke Er sich das und sage Er das auch Seinem Herrn Obersten. Ich brauche nicht so zu schreiben, daß ich es lesen kann, denn ich schreibe keine Briefe und Ordres an mich selbst. Da ich heut' aber ausnahmsweise einmal nachsichtig bin, so werde ich Ihm die Geschichte noch einmal zu Papiere bringen. Warte Er also!«

Mit einem grimmigen Lachen setzte er sich an den Tisch, und bald knirrschte und kratzte die Feder mit lautem, geräuschvollem Schreien über das Papier.

»So – da lese Er 'mal!«

»Excellenz, das – kann – ich – nicht – lesen!«

»Das will ich Ihm auch gerathen haben; ich kann's auch nicht lesen! Meine Befehle soll, darf und kann – versteht Er wohl? – kann auch nur Der lesen, an den sie gerichtet sind. Und wer's nicht kann, der mag sich zum Teufel scheeren. Merke Er sich auch das, und sage Er es[28] Wort für Wort dem Herrn Oberst wieder. – Jetzt aber mache Er, daß Er endlich fortkommt!«

Mit erleichtertem Herzen trat Polenz unter militärischem Grüße ab und schritt so schnell durch das Vorzimmer und über den Corridor, daß er fast mit einer jungen Dame zusammengerannt wäre, welche sich eben anschickte, die Treppe hinabzusteigen. Erschreckt fuhr er zurück, verbeugte sich erröthend und stammelte:

»Entschuldigung, Fräulein von Naubitz, ich befinde mich so sehr in Eile – –«

»Daß ich den Herrn Lieutenant keinen Augenblick aufhalten, sondern ihm gern den Vortritt lassen werde,« fiel sie ihm in stolzer Haltung und mit einem feinen, überlegenen Lächeln in die Rede, indem sie mit einer abweisenden Handbewegung zurücktrat.

»O, meine Gnädige – so groß ist diese Eile denn doch nicht, – daß ich nicht einige Worte – –«

»Danke, danke! Der Dienst geht vor, und Ihr befindet Euch im Dienste. Bitte voranzutreten!«

»Ich werde gehorchen; aber zuvor bitte ich, mir zu sagen, warum Ihr gegen meine Person eine so große Abneigung hegt!«

»Ich muß bemerken, Herr von Polenz, daß hier nicht der geeignete Ort ist, von Zu- oder Abneigungen zu sprechen.«

»Dann ersuche ich ganz ergebenst um die Erlaubniß, einige kurze Minuten bei Fräulein eintreten zu dürfen!«

»Ich stehe eben im Begriff, der Einladung einer Freundin Folge zu leisten. Es ist ein Abschiedsbesuch, welcher sich unmöglich aufschieben läßt!«

Polenz wollte grad' eine Entgegnung aussprechen, als sich unten eine tiefe, wohlklingende Stimme vernehmen ließ:

»Höre Er, guter Freund, ist im Laufe des Vormittages nicht ein Zwiebelhändler hier gewesen?«

Die Sonderbarkeit der Frage ebenso wie der Wohllaut der sonoren Stimme, aus welcher trotz der in den Worten liegenden Erkundigung doch etwas Befehlendes klang, erregte die Aufmerksamkeit der Obenstehenden in der Weise, daß sie ihre eigenen Angelegenheiten vergaßen.

»Ein Zwiebelhändler? O, ja,« tönte unter einem leisen Lachen die Antwort. »Er will wohl mit ihm sprechen?«

»Ja.«

»Dann ist Er wohl der Fremde, der bei Mutter Röse mit ihm gegessen hat?«

»Ja.«

»Gut, so gehe Er diese Treppe hinauf. Hinter der Thür, welche Ihm links entgegensteht, wird man Ihm Bescheid sagen!«

Das war die Thür des fürstlichen Vorzimmers; es handelte sich also vielleicht um eines jener spaßhaften Vorkommnisse, welche zuweilen einzutreten pflegten, wenn der Fürst die Stadt oder deren Umgegend einmal incognito durchstrichen hatte. Die beiden an der Treppe Postirten sahen in Folge dessen dem Erscheinen des Fragers mit einer gewissen Neugierde entgegen.

Jetzt kam er langsam und gemächlich die Stufen heraufgestiegen. Es war ein noch junger Mann, welcher vielleicht dreißig Jahre zählen mochte. Von nicht zu hoher Gestalt, war er breitschulterig gebaut, von kräftigen Formen und gewandten Bewegungen. Wie er so mit über den Rücken gelegten Armen den Fuß von Stufe zu Stufe setzte, war es fast, als sei er hier zu Hause oder finde ganz und gar nichts Besonderes in einem Besuche bei dem strengsten Souverain des deutschen Reiches.

Oben angekommen, erhob er mit einem raschen und offenen Aufschlage den bis jetzt niedergerichteten Blick. Ein Blitz freudiger Ueberraschung leuchtete, als er die Dame erblickte, aus dem großen, dunklen Auge, aber so schnell, so kurz, daß Polenz ihn gar nicht bemerkte und dann klang es in gleichgültig fragendem Tone unter dem sorgfältig gepflegten Bärtchen hervor:

»Wo ist die Thür, die Einem hier links entgegensteht?«

Fräulein von Naubitz war bei seinem Anblicke bis tief in den Nacken hinab erröthet und schien durch die possirliche Frage ganz aus der Fassung gebracht zu werden. Desto mehr aber bewahrte der Lieutenant seine Würde.

»Kerl,« rief er, »ist Er denn wirklich so heidenmäßig dumm, daß Er nicht weiß, was links und was eine Thür ist?«

»Freilich! Ich hielt Sein großes Maul für das Loch, durch das ich kriechen soll. Er reißt es ja sperrangelweit genug auf!«

Damit drehte sich der Fremde nach links und trat in das Vorzimmer. Polenz hob schon den Fuß, ihm nachzueilen, um ihn für die Beleidigung zu züchtigen, aber die Gegenwart der Angebeteten veranlaßte ihn, seinen Zorn zu beherrschen.

»Freches Subject!« brummte er. »Solches Volk darf man aber gar nicht beachten! – Also das gnädige Fräulein steht im Begriff, auszugehen? Und doch läßt mich der Dienst keine spätere Stunde erwarten.«

»Nun, so theilt mir schnell mit, was Ihr von mir wollt!«

»Was ich will, fragt Ihr? Nichts weiter, als eine endgültige Entscheidung. Ihr kennt mich und meine Verhältnisse und wißt auch, daß ich nicht ohne Protection bin.«

»So wißt Ihr desto weniger, daß die Protection der Liebe nur schadet. Diese läßt sich nicht commandiren, sie handelt nach eigenem Ermessen und ist nur für den Preis zu haben, den sie selbst bestimmt.«

»So nennt mir diesen Preis!« bat der Offizier, indem sein Blick sich mit verlangender Gluth an die schönen, vollen Formen der Sprecherin heftete.

Mit träumerisch glücklichem Ausdrucke suchte ihr Auge die Thür, hinter welcher vor wenigen Secunden der Fremde verschwunden war, und leise klang es von ihren Lippen:

»Ich kann nur einem Manne angehören, der neben imponirender Körper- und Geisteskraft auch einen Sinn für die feineren Gefühle des Herzens besitzt. Das profane, alltägliche Leben muß mit den Strahlen der Romantik übersponnen werden, wenn die Liebe heimisch werden soll, und ich kann mir nichts Entzückenderes denken, als wenn zum Beispiel ein stolzer Ritter die Zeichen seines Standes von sich legt, um im unscheinbaren Kleide nach dem Besitze der Geliebten zu ringen!«

In süßer Selbstvergessenheit haftete ihr Auge noch immer an der Thür, als könne sie durch dieselbe das Wesen erblicken, von welchem ihre Worte berichteten; dann aber richtete sie sich stolz empor, grüßte den Lieutenant mit einem kurzen Nicken des weißgepuderten Lockenköpfchens und rauschte die Stufen hinab.[29]

»Die Zeichen seines Standes von sich legt – also incognito – in unscheinbarem Kleide – stolzer Ritter – Besitz der Geliebten ringen –« murmelte Polenz. »Hm, habe noch gar nicht gewußt, daß sie an solchen alten Burg- und Rittergeschichten Wohlgefallen findet. Mir soll's recht sein – da bin ich mit dabei. Nach Beyersdorf geht sie? Gut, ich komme auch nach Beyersdorf – – aber natürlich ganz incognito. Da giebts dann vielleicht Eduard und Kunigunde, und nachher zur Abwechslung Kunigunde und Eduard!«

Unter diesen Gedanken stieg auch er jetzt mit nachdenklicher Miene nach unten.

Quelle:
Unter den Werbern. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauer von Karl May. In: Deutsches Familienblatt. 2. Bd. Dresden (1876). Heft 2, S. 28-30.
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