3.

Die Reitprobe

[30] Während dessen war der junge Mann, welchen wir zuerst bei Mutter Röse trafen, in das Vorzimmer des Fürsten getreten, wie wir gesehen haben. Dort wandte er sich an den dienstthuenden Lakaien mit der Frage:

»Hat Er nicht vielleicht heut einen Zwiebelhändler hier herumlaufen sehen?«

Der Gefragte lachte mit dem ganzen Gesichte.

»Wie kommt Er denn dazu, einen Zwiebelhändler hier zu suchen?«

»Nu, der Mann hat mich herbestellt, und da unten an der Thür stand Einer, der hat mich hier heraufgewiesen!«

»So, na, da gehe Er nur immer dahinein! Vielleicht findet Er da Seinen guten Freund von der Mutter Röse her.« –

Noch immer rollte der Aerger seine Wogen durch die Adern des Fürsten, welcher unter dem Einflusse der gehabten Aufregung mit langen Schritten im Zimmer auf- und abspazierte. Als er den Eintretenden bemerkte, glättete sich sein faltenreiches Gesicht zusehends, trotzdem aber klang es kurz und barsch:

»Wen sucht Er hier?«

»Den Zwiebelhändler!«

»Den Zwie – ja ja, den Zwie – hahahaha – den Zwie–wie–wiebelhändler!« Und sich breitspurig vor ihm hinstellend, rief er, immer noch lachend: »Will Er mich wohl einmal recht genau angucken?«

»Warum denn nicht, wenn's Euch solchen Spaß macht!«

»Gut! Was sieht Er denn nun da, he?«

»Was ich sehe? Nu, was denn Anders als Euch!«

»Höre Er 'mal, das versteht sich ja ganz von selber! Aber ich meine, ob Er nicht so Etwas bemerkt von wegen einer gewissen Aehnlichkeit.«

»Aehnlichkeit?« und dabei musterte er mit der größten Aufmerksamkeit die Figur des Fürsten. »Nein, davon sehe ich Nichts.«

»Was? Er sieht gar Nichts in Beziehung auf mich und den Zwiebelhändler? Ich hätte wahrhaftig nicht gedacht, daß Er so wenig Grütze im Kopfe hat!«

Bei diesen Worten richtete sich der Fremde einige Zoll höher empor.

»Grütze? Höre Er, wem es von uns Beiden an Grütze fehlt, das wird sich finden, aber beleidigen lasse ich mich nicht, versteht Er wohl? Daß er mein Zwiebelhändler ist, das sieht wohl jedes Kind, und wer man selbst ist, dem kann man doch nicht ähnlich sehen. Also frage Er ein andermal gescheidter, wenn Er keine dumme Antwort haben will!«

»Alle Wetter,« lachte der Fürst, daß ihm die Thränen über die Backen liefen, »ist Er den nicht bei Troste, hier an diesem Orte so aufzutreten!«

»Ich bin den ganzen Tag bei Troste, und Abends und des Nachts erst recht, am allermeisten aber jetzt eben! Hat Er's verstanden? Er denkt wohl, weil er Seine Zwiebeln vielleicht in dem fürstlichen Garten bauen und also auch diese alte, speckige Livree tragen darf, oder weil Er ein Glas Bier und ein Stück Käse für mich bezahlt hat, so soll ich mir's gefallen lassen, daß Er mich mit meinem Grütze aufzieht? Da kommt Er bei mir an den Rechten, denn grade beim Grütze bin ich am Allerempfindlichsten!«

Leopold konnte vor Lachen nicht antworten. Der Aerger war vollständig verschwunden und hatte der besten Laune Platz gemacht. Mit den Händen immer abwechselnd die Thränen aus den Augen wischend, bemerkte er auch nicht, daß es hier und da wie helle Belustigung über das Gesicht des Sprechers zuckte.

»Ja, lache Er nur! Ich kann meinen Käse schon noch selber bezahlen und brauche auch Seine Fürsprache gar nicht, denn ich werde auch ohne Ihn mit dem Fürsten reden können!«

»Ohne mich? Hahahaha! Das möchte ich doch einmal sehen, wie es zuginge!«

»Wie das zuginge? Gut, das werde ich Ihm gleich zeigen!«

Er drehte sich um, schritt nach dem Eingange und hatte diesen schon geöffnet, als es hinter ihm erscholl:

»Halt, komme Er noch einmal her!«

Langsam und zögernd folgte er dem Rufe.

»Sage Er doch in des Teufels Namen, wo will Er denn da eigentlich hin?«

»Wohin denn anders als zum Fürsten? Mit Ihm werde ich mich doch nicht etwa lange hier herumärgern!«

Wieder brach der Fürst in ein schallendes Gelächter aus, und nur mit Mühe brachte er die Frage hervor:

»Aber sieht Er denn wirklich nicht, daß ich der Fürst selber bin?«

»Er? Na, Er wäre mir der Rechte!«

Das Lachen wurde immer dröhnender, bis sich Leopold endlich mit Gewalt beherrschte und mit ernster Miene dicht an den Ungläubigen herantrat.

»So, Er glaubt es nicht?«

»Nein, nicht eher, als bis Er mir Sein Wort giebt, daß es wahr ist.«

»Gut, hier hat Er meine Hand darauf, daß ich Leopold heiße!«

»Jaaa – Leopold heißen Viele!«

»Na, und daß ich der Fürst bin!«

Der Fremde hatte bisher in bequemer und gemüthlicher Haltung dagestanden, jetzt aber reckte sich wie unter einem electrischen Schlage seine Gestalt in stramme Breite und Höhe, und selbst das Auge des feinsten oder strengsten Exerziermeisters hätte nicht die leiseste Veranlassung zu[30] irgend einem Tadel wahrgenommen. Wohlgefällig überflog Leopold den kraftvollen und dabei doch so geschmeidigen Gliederbau und meinte dann in freundlichem Tone:

»Also eine Stelle sucht Er bei den Pferden?«

»Durchlaucht, nicht bei den Pferden, sondern bei Euch!«

»Das ist hüben wie drüben: die Pferde sind meine, und meine sind die Pferde, also wenn Er eine Stelle bei meinen Pferden hat, da – na was lacht Er denn?«

»Entschuldigung, Durchlaucht – da habe ich bei den Pferden auch eine Stelle!« antwortete der Gefragte rasch, der den Eindruck der wunderlichen Logik des Fürsten nicht schnell genug überwinden konnte.

Verdutzt sah ihn dieser an, bis ihm endlich ein Licht aufging über die gehabte sprachliche Confusion; er lachte selbst darüber und rief:

»Ja, so geht's Einem, wenn man sein A-B-C mit dem Säbel schreibt und seine Verse mit den Kanonen singt! Der Dessauer ist eben nicht zum Schulmeister geboren. Aber bleiben wir doch bei der Fahne! Also Er getraut sich jedes Pferd zu reiten, wie Er am Vormittage sagte?«

»Ja.«

»Gut, ich nehme Ihn beim Worte. Leibknecht kann Einer eigentlich erst nur nach langen Dienstjahren werden; so ein Mann will erprobt sein. Aber Er gefällt mir, und so will ich Ihm denn ein Generalstückchen aufgeben, welches ebenso viel wiegt wie eine lange Dienstzeit. Drunten steht ein Rapphengst, der hat neunundneunzig Teufel im Leibe; satteln und aufzäumen läßt er sich, aber damit ist's basta; er hat bisher Alle in den Sand geworfen, die sich an ihn gewagt haben, und es waren Kerle d'runter, vor denen man Respect haben muß. Will Er's versuchen?«

»Warum nicht, Durchlaucht? Den wollen wir schon kriegen!«

»Das hat Jeder gesagt; aber sitzen bleiben ist die Hauptsache. Komme Er 'mal mit!«

Einen leichten Ueberrock umwerfend, schritt er voran hinunter zu den Stallungen.

Sämmtliches Personal von dem eben anwesenden Oberstallmeister bis herab zum letzten Jungen betrachtete den Fremden mit neugierigen Blicken, als der Befehl ertheilt wurde, den Rappen vorzuführen. Es war ein prachtvolles Thier, dessen Bau einen jeden Kenner und Liebhaber in Entzücken versetzen mußte; aber aus den dunkel von der Weiße des Augapfels abstechenden Pupillen loderte unbezähmte Wildheit.

Vier starke Reitknechte waren nothwendig, es herbeizuführen, und kaum hatten sie mit ihm den Platz betreten, so zogen sich alle Andern ängstlich zurück, um bei dem zu erwartenden Schauspiele nicht beschädigt zu werden. Die Hauptperson auf der Scene aber, der Fremde nämlich, schien für das Thier gar keine Aufmerksamkeit zu haben, sondern sein Blick war auf eine Person gerichtet, welche an einem der geöffneten Fenster stand und mit unverkennbarer Angst in dem schönen Angesichte dem Vorgange zuschaute.

»Marie!« flüsterte er. »Sie hat mich erkannt. Sie schien vorhin ausgehen zu wollen, und ist doch zurückgeblieben, um zu sehen, was ich bei dem Alten thue. Nur getrost, mein süßes Mädchen – werde ihm das verweigerte Jawort schon noch abzwingen!«

Er wandte sich dem Pferde zu, welches abwechselnd vorn und hinten in die Höhe ging und die Knechte mit wirklichem aber immer nur kurzem Erfolge von sich abzuschütteln suchte.

»Aufgepaßt!« commandirte er. »Sobald ich springe, laßt Ihr fahren und bringt Euch in Sicherheit!«

Eben bäumte sich der Rappe auf den Hinterfüßen hoch empor – ein kühner Sprung – der Reiter saß im Sattel, und die vier Leute flogen nach allen Richtungen davon.

Im ersten Augenblicke schien das Thier gar nicht zu wissen, was mit ihm geschah und stand eine Weile vollständig bewegungslos, dann aber schnellte es plötzlich mit allen Vieren in die Luft und versuchte durch eine Reihe von Seitensprüngen sich der Last zu entledigen. Als ihm das nicht gelang, warf es sich nieder, sprang wieder empor, wälzte sich, dazwischen immer wieder von Neuem aufspringend und sich zur Erde werfend, nach allen Seiten hin und her, gebrauchte Hufe und Zähne, um sich des Reiters zu erwehren, aber immer blieb dieser über ihm und schien desto größeres Gaudium zu empfinden, je toller es die Bestie unter ihm trieb. Jetzt sauste er im rasenden Galoppe dahin, riß das Pferd im halsbrecherischen Schwunge auf den Hinterhufen herum, sprengte bis gegenüber der Thür, unter welcher der Fürst stand, und rief mit lauter Stimme:

»Aufgepaßt jetzt, wer Etwas lernen will!«

Mit kräftigem Stoße grub er den Daumen der geballten Hand zwischen Hals- und Rückenwirbel des Pferdes ein; dieses stieß einen Schmerzensschrei aus, der mit dem Klange des gewöhnlichen Wieherns nicht die entfernteste Aehnlichkeit hatte, und versuchte, wieder in die Höhe zu steigen. Aber wie eingemauert stak sein Leib zwischen den Schenkeln des Reiters, deren gewaltiger Druck ihm trotz der Anstrengung aller Muskeln und Fibern den Athem und die Bewegung raubte. Es war ein Anblick zum Angstwerden. Hier kämpfte nur Körperkraft gegen Körperkraft, und die geistige Ueberlegenheit des Menschen war für den Augenblick suspendirt. Die Stirnadern des muskelstarken Mannes traten blau und angeschwollen her vor; blutroth lag die Anstrengung auf seinem Gesichte, und groß und schwer fielen die Tropfen des Schweißes ihm von den Wangen herab. Bewegungslos waren seine Züge, starr hing das Auge an dem Kopfe des Pferdes, und dem Zerreißen nahe spannten sich die Zügel. Der Odem des Rappen drang pfeifend durch die Nüstern; die Beißkette knirrschte unter den vor Angst zusammengepreßten Zähnen; die Hufe hoben sich unter den krampfhaft zuckenden Beinen und suchten doch sofort wieder den Boden. So hielten Roß und Reiter eine ganze kleine Ewigkeit an derselben Stelle, bis endlich das Erstere lautlos zusammenbrach.

Ein allgemeines »Ah« der Bewunderung und Erleichterung entfuhr den Lippen Aller, welche Zeugen dieses Meisterstückes gewesen waren; über alle Rufe hinweg aber ertönte die Stimme des Fürsten:

»Mensch! Kerl! Wo hat Er nur um aller Welt willen diese heidenmäßige Stärke her? Da stehen Einem ja die Haare zu Berge, wenn man daran denkt, daß man einmal unversehener Weise zwischen Seine Beine gerathen könnte. Er hat mir ja den Rappen zusammengedrückt, daß er nach Luft schnappt wie ein Karpfen! Höre Er, ist Er denn auf dem Wagen auch so zu Hause wie auf dem Pferde?«[31]

»Ich denke, Durchlaucht.«

»So! Nun, wenn Er es denkt, so wird es auch schon wahr sein; ich habe es Ihm gleich angesehen und auch gesagt, daß Er das Flunkern nicht gelernt hat. Er soll die Stelle haben. Dort steht der Herr Oberstallmeister, der wird Ihm Seine Instruction geben! Ueber Seine früheren Verhältnisse werden wir schon noch reden!«

Langsam entfernte sich der Fürst. Die Knechte zogen das bis auf's Aeußerste ermattete Pferd, welches sich unterdeß wieder aufgerichtet hatte, in den Stall, und der Vorgesetzte, an welchen der Pferdebändiger gewiesen worden war, unterwies denselben in seinen Obliegenheiten, und zwar in einer Weise, welche deutlich erkennen ließ, daß dabei das Wohlwollen des Fürsten bedeutend mit in Betracht gezogen werde.

Als er das Schloß verließ, um zu Mutter Röse zu gehen, wo er seit seiner gestrigen Ankunft in Dessau logirt und also seine Effecten liegen hatte, hörte er das Rauschen einer seidenen Robe hinter sich und vernahm zugleich die Worte:

»Curt, Du hier? Was soll diese Maskerade?«

Er zog die Schritte etwas ein, und während die Fragerin vorüberpassirte, antwortete er:

»Grüß Dich Gott, mein Herzensschatz! Ich nahm Urlaub, um auf den mir gewordenen abschlägigen Bescheid unerkannt die Verhältnisse zu sondiren. Im Gasthause traf ich auf den Fürsten und bin durch die Macht der Umstände in seinen Dienst gerathen, obgleich das gar nicht in meiner ursprünglichen Absicht lag. Nun mag's laufen wie es läuft.«

»Ich gehe nach Beyersdorf. Sehen wir uns dort?«

»Ja, wenn es möglich zu machen ist. War das vorhin der Polenz?«

»Ja,« hörte er noch, dann hatte sie ihn so weit überholt, daß keine weiteren Bemerkungen ausgetauscht werden konnten.

Bei Mutter Röse angekommen, trat er zunächst noch einmal in die allgemeine Gaststube, um sich nach der gehabten Anstrengung an einem Kruge guten Bieres zu erquicken. Obgleich er anfänglich nicht daran dachte, die Anwesenden zu beobachten, wurde seine Aufmerksamkeit doch bald durch zwei Männer in Anspruch genommen, welche an dem benachbarten Tische saßen.

Der Eine, lang und hager, aber starkknochig gebaut, trug einen schwarzen Knebelbart; seine kleinen, stechenden Augen blickten listig unter den buschigen Brauen hervor, und jeder Zug seines von der Sonne verbrannten Gesichtes verrieth den schlau berechnenden Egoisten, dessen höchster Lebenszweck der Gewinn ist. Der Andere und Jüngere war, wie aus der Aehnlichkeit zwischen Beiden sich schließen ließ, jedenfalls sein Sohn und schien auch in geistiger Beziehung ganz das Ebenbild seines Vaters zu sein.

»Was sagst Du da, Junge? Du hättest zum Beispiel eine Gelegenheit gefunden?« fragte der Letztere.

»Ja, und was für eine!«

»Wo denn, zum Beispiel?«

»In Bitterfeld.«

»In Bitterfeld? Wie bist Du denn dahin gekommen? Dort giebts ja fast nur lauter Tuchmacher, Töpfer und Schuster.«

»Oho, es giebt auch ganz bedeutenden Getreidebau dort, den die Fläminger betreiben, die ihr eigenes Recht haben. Aber diese Leute sind so zähe, daß Unsereiner an ein Geschäft mit ihnen gar nicht denken kann. Ich wollte es versuchen, deshalb ging ich hin, aber umsonst. Der Einzige, mit dem sich ein Wörtchen reden läßt, ist der Bäcker Wolstraaten; das ist ein Kerl, mit dem sich Etwas machen läßt, aber es fehlt ihm eben auch am Besten!«

Dabei machte der Sprecher die Geberde des Geldzählens.

»So! Was zum Beispiel läßt sich denn mit ihm machen?«

»Hm, ich denke, so ziemlich Alles, wenn's nur 'was einbringt.«

»Junge, Du bist ein Schlauberger, und wenn Du von Jemandem so Etwas sagst, so hast Du auch Deine Gründe dazu. Hab' ich Recht?«

»Möglich.«

»Ja ja, bist ganz nach mir gerathen, ganz nach mir. Also, was ist's zum Beispiel mit dem Bäcker?«

Der Gefragte sah sich scheu um; da aber unser Lauscher in seinen Bierkrug vertieft zu sein schien und die andern Gäste zu entfernt saßen, um Zeugen des Gespräches sein zu können, so antwortete er, wenn auch in etwas gedämpfterem Tone:

»Der fragt bei Allem, was ihm vorkommt, nur, ob es ihm 'was einbringt, und je mehr es trägt, desto weniger bekümmert er sich darum, wie man es nennt. Er hat in einem Umkreise von mehreren Meilen die Hauptniederlage für den Elbschmuggel, steht mit allen Langfingern in ziemlicher Freundschaft und weiß vielleicht auch von den Seelenverkäufern und Werbern zu reden, welche die Gegend dort herum so unsicher machen.«

»Das ist ja ein ganz außerordentlich gefährlicher Kerl! Mit dem mag ich zum Beispiel nichts zu thun haben, gar nichts.«

»Ja, das wäre wohl auch meine Meinung, aber der Mann hat auch eine ganz vortreffliche Seite.«

»Welche denn?«

»Die, daß er Vormund ist.«

»Vormund? Von wem denn zum Beispiel?«

»Na, von Der, die ich vorhin meinte!«

»Ach so! Aber mache mir die Sache doch etwas deutlicher!«

»Du weißt, die Fläminger sind eigne Leute, die so ihre altherkömmlichen Gebräuche haben und sich den Teufel um unsre Gesetze und Regeln kümmern. Bei ihnen hat ein Vormund eine ganz ungewöhnliche Macht über sein Mündel und darf mit dessen Person und Habe schalten und walten fast nach Belieben. Und da wäre denn mit dem Wolstraaten ein Geschäft zu machen.«

»Wieso?«

»Sein Mündel, ein blitzsauberes Mädel, soll eine Erbschaft gemacht haben in Haarlem oder so daherum; die wird jetzt ausgezahlt und –«

»Da hast Du Dich an das Mädel gemacht?«

»Ja, noch mehr aber an den Vormund.«[32]

»Höre, Du bist ein ganzer Junge! Bei den schweren Kriegsläuften zum Beispiel haben wir im Geschäfte mehr zugesetzt als profitirt, und da könnte man so eine Zubuße schon gebrauchen. Wie ist's denn gegangen mit der Sache?«

»Gut und schlecht, jenachdem man es nimmt. Das Sofje, wie die Flamänder statt Sophie sagen, hat einen Liebsten, und ich habe also nicht viel ausrichten können; den Bäcker aber habe ich auf meiner Seite, und das ist doch immer die Hauptsache.«

»Wie hast Du denn das zu wege gebracht?«

»Das ist doch so einfach wie nur 'was: ich lasse ihn mit erben!«

»Das war gescheidt! Politisch muß man sein, und Du bist bei mir zum Beispiel in eine gute Schule gegangen. Ihr seid also einig geworden?«

»Ja; es fehlt nichts weiter, als daß Ihr nach Bitterfeld fahrt und die Sache mit ihm vollends in Ordnung bringt. Das schöne Geld sticht Einem in die Augen, und wenn man erst das Mädel sieht, da möchte man gleich mit ganzen Beinen d'reinspringen.«

»Ich glaube, Du bist gar verliebt! Da wird man ja selbst ordentlich neugierig. Weißt Du 'was? Ich werde gleich morgen oder übermorgen hinauffahren. Zu thun giebts hier nicht viel, und bei solchen Dingen darf man keine Zeit verlieren. Also einen Liebsten hat sie? Was ist es denn für ein Mensch?«

»Er heißt Nauheimer und ist Korporal.«

»Also ein Buntrock ist er? Da ist es mir gar nicht angst, denn diese Sorte darf zum Beispiel gar nicht so leicht an's Heirathen denken, und das Mädel wird, wenn sie Etwas auf sich hält, sich bedanken, einen solchen Bruder Leichtfuß zu nehmen.«

»Verrechnet Euch nur nicht! Ein bildschöner Kerl ist er, das muß ich sagen, und das Sofje ist auch ganz vernarrt in ihn. Außerdem soll der alte Dessauer große Stücke auf ihn halten, und wo so ein Herr dahintersteckt, da weiß man nicht, wie es werden kann.«

»Dieser Punkt darf Dir keine große Sorge machen! Du bist ja auch ein Kerl, der sich sehen lassen kann, und wenn der Nauheimer sich etwa gar zu breit macht, so hast Du ja ein Paar gute und gesunde Fäuste, mit denen sich zum Beispiel schon Etwas machen läßt. So ein Korporal hat seinen Rücken auch nicht von ungefähr und fühlt eine Tracht Prügel ebenso gut wie jeder Andere. Als ich zu Deiner Mutter auf die Freite ging, habe ich gar manchen herzhaften Puff austheilen müssen, ehe ich sie den Andern wegschnappte, aber Püffe, sage ich Dir, Püffe, die thun manchmal Wunder, besonders wenn sie nicht gar zu zart sind!«

»Hört, Vater, Euer Wort in Ehren, da kommt Ihr bei dem Nauheimer an den Rechten. Ich hab's auch ohne Euch gewußt, was eine derbe Faust zu Stande bringt, aber bei dem mag ich's mein Lebtag nicht wieder versuchen.«

»Was? Du bist wohl schon mit ihm zusammengerathen?«

»Na, das versteht sich, und wie!«

»Nu, und weiter?«

»Was denn weiter? Ich habe meine Prügel eingesteckt und das Nachsehen gehabt!«

»Mohrenelement! Du hast Dich so ruhig abwarten lassen und bist dann fortgeschlichen? Da muß ich mich als Dein Vater ja wirklich schämen. Das hätte zum Beispiel mir passiren sollen; alle Wetter, hätte ich den Kommisbrodbeißer kurranzen wollen! Aber so ist's jetzt bei Euch Dämlingen: Ein sauberes und reiches Mädchen sticht Euch wohl schon in die Augen, aber wenn es gilt, für sie einmal d'reinzuschlagen, da salvirt Ihr Euch und reibt den Buckel!«

»Oho, da seid Ihr allerdings auf dem Holzwege! Ich bin auch kein Hasenfuß und weiß mich meiner Haut schon zu wehren, aber der Korporal steht für Zehne; so einen Goliath habe ich noch gar nicht gesehen. Deshalb hält ja eben der alte Dessauer so große Stücke auf ihn, denn der Nauheimer und der Rittmeister Platen von den Ziethenhusaren, das sind die beiden stärksten Kerle in der ganzen preußischen Armee, das weiß jedes Kind. Ich glaube, wenn die Zwei 'mal zusammen kämen, die hauten eine ganze Kompagnie zusammen!«

»So schlimm ist's doch wohl nicht! Von dem Platen habe ich auch gehört, und der soll ein ganz verteufelter Satan sein, was aber Deinen Korporal betrifft, so ist er mir noch nicht mit einem einzigen Worte vor die Ohren gekommen, und ich glaube, es läßt sich mit ihm schon fertig werden! Wie ist es denn zum Beispiel eigentlich mit Eurer Balgerei gewesen?«

»Das war so: Das Sofje wollte am Sonntag Abends auf den Tanz gehen, das erfuhr ich von dem alten Wolstraaten. Das Mädel ist eine flotte Tänzerin, und der Bäcker gab mir da einen Wink, mich an sie zu machen, ›denn,‹ sagte er, ›ein guter Tänzer und eine flotte Tänzerin geben einen tüchtigen Hopser, und zwei Hopser ein Liebespaar.‹ Ich machte mich also auch auf den Saal und suchte sie auf; aber das Ding war gar nicht so leicht, wie ich es mir gedacht hatte.«

»Wieso denn zum Beispiel?«

»Weil um das Mädel ein Gezerre und Gereiße war, als ob es auf der ganzen Welt weiter gar keine Andere gäbe. Einer nahm sie dem Andern nur immer so vor der Nase weg, und ich kam gar nicht einmal dazu, nur ein Wörtchen mit ihr zu reden.«

»Donnerwetter, das muß doch ein ganz außerordentlich hübsches Geschöpfchen sein, daß es den Burschen die Köpfe so verdreht! Ich werde immer neugieriger auf das Mädel. Morgen fahre ich hinauf nach Bitterfeld!«

»Ja, da guckt sie Euch nur einmal an! Die hat ein Gesicht wie Milch und Blut; ein Paar Augen macht sie,[44] daß es Einem ganz weich im Magen wird, und gewachsen ist sie dazu, wie – wie – na, die vornehmste Dame brauchte sich nicht zu schämen, und Ihr werdet es ja selbst sehen, wenn Ihr hinkommt. – Also ich mußte nur immer so von Weitem stehen, und Ihr könnt Euch wohl denken, daß es mir darüber ganz kollerig und grimmig zu Muthe wurde. Am liebsten hätte ich schon jetzt dreinschlagen mögen; aber es hatte mir ja eigentlich noch gar Niemand Etwas gethan, und so mußte ich meinen Aerger im Stillen hinunterkauen. – Da auf einmal geht die Thüre auf, und es tritt ein Kerl herein, so lang und breitschultrig, daß er oben, hüben und drüben fast anstößt, und dabei quirlt er sich den Schnurrbart und reißt ein Gesicht wie ein General.«

»Du, das war wohl zum Beispiel der Nauheimer?«

»Freilich war er's, aber ich wußte es noch nicht und hatte auch noch gar nichts von ihm gehört. Als ihn die Sophie sieht, läßt sie ihren Tänzer grad' mitten auf dem Saale stehen, lacht vor Freude bis hinter die Ohren und drängt sich durch das Gewühle bis hin zum Korporal. Und der packt sie auch ganz ungenirt unter den Armen, hebt sie in die Höhe und klebt vor allen Leuten seinen Schnurrbart unter ihr Näschen, als ob er dort vierzehn Tage hängen bleiben sollte.«

»Ja, so Einer mit zweierlei Tuch zum Beispiel nimmt sich gar viel heraus. Aber mach' weiter!«

»Als er sie wieder auf die Füße gestellt hat, gucken sie sich einander in die Augen, als hätten sie sich seit Abraham's Zeiten nicht gesehen, und dann packt er sie plötzlich um den Leib und – heidi, geht's los, rund herum, daß die andern Paare auseinander fliegen und es Einem ordentlich wirbelig wird.«

»Der macht kurzen Prozeß; das muß ja ein Tausendsapperloter sein!«

»Hm, ja, und die Bursche hatten einen solchen Respect vor ihm, daß sich Keiner von jetzt an mehr an das Mädchen wagte. Das war grad' so, als wäre er ganz allein Hahn im Korbe, und auch die Musikanten spielten blos die Tänze auf, die er bestellte.«

»Aha, es schwant mir schon, und jetzt zum Beispiel geht der Teufel los!«

»Ihr habt's errathen! Die Geschichte wurmte mich natürlich ganz ungemein, und da ich mich nun von den Andern nicht mehr zurückgedrängt sah, so wartete ich erst noch ein Weilchen und steuerte dann auf sie zu, um sie zum Tanze wegzunehmen. Das Mädel lachte mich an und meinte:

›Warum denn nicht, wenn's mein Liebster da erlaubt!‹

Jetzt mußte ich ihn fragen, aber er antwortete mir gar nicht, sondern drehte sich zu ihr:

›Du weißt ja, wie ich es gehalten haben will: wenn ich nicht da bin, so kannst Du meinetwegen mit jedem honnetten Burschen tanzen, wenn ich aber komme, so hat's damit ein Ende. Wer ist denn der?‹

›Das ist ein Getreidehändlerssohn aus Dessau, der mit dem Vater Geschäfte macht.‹

›So, dagegen kann ich nichts haben, aber mit Dir soll er keine Geschäfte machen!‹ Und darauf wandte er sich herum und sagte: ›Hat Er's gehört? Marsch, ab!‹«

»Alle Hagel, grad' als hätte er einen Rekruten vor sich. Was zum Beispiel hast Du denn dazu gesagt?«

»Das Commandiren fuhr mir in die Nase. ›Der soll sich verrechnet haben,‹ dachte ich, und deshalb antwortete ich grad' in demselben Tone wie seiner gewesen war: ›Höre Er 'mal, hier ist ein öffentlicher Ort, und ein Mädchen, das hierher kommt, muß mit Jedem tanzen, der sie wegnimmt, wenn sie noch nicht versprochen ist. Mein Geld ist auch kein Blech, und wenn ich bezahle, so tanze ich, mit wem ich will!‹«

»Da hast Du es ihm aber zum Beispiel tüchtig gesteckt! Und was sagte er dazu?«

»Erst gar nichts; er blinzelte mich nur so verdächtig vom Kopfe bis zum Fuße an; nachher stand er auf, stellte sich groß und breit vor mich hin und meinte ganz freundlich:

›So ist's recht, mein Junge, so gefällst Du mir! Aber mache, daß Du fortkommst, sonst könnte ich Dir nicht gefallen!‹«

»Da bist Du doch nicht etwa fortgelaufen?«

»Freilich bin ich gegangen! Ich weiß selber nicht, wie das gewesen ist, das war so eine sonderbare Freundlichkeit, daß es mir ordentlich in die Beine gefahren ist, und ehe ich zur rechten Ueberlegung gekommen bin, habe ich wieder in meiner Ecke gestanden. Die dabei gewesen sind, haben mich ausgelacht, und da ist eine wirkliche Wuth über mich gekommen. Als der nächste Tanz losging, bin ich wieder auf die Beiden zugetreten und habe den Korporal gefragt:

›Ist Seine Liebste jetzt versprochen?‹

›Nein,‹ antwortete er.«

»Und Er tanzt auch nicht mit ihr?«

»Nein, diesmal nicht.«

»So werde ich's einmal mit ihr versuchen.«

»Das lasse Er ja bleiben. Es könnte Ihm am Ende einen Schnupfen eintragen!«

»Oho, glaubt Er etwa, die Mädels seien alle nur für Ihn gewachsen?«

»Dabei habe ich sie beim Arme ergriffen und mit ihr fortgewollt; aber ehe ich's mir nur versehen konnte, bin ich durch das Gedränge hindurch bis grad' vor die Thür geflogen, so daß ich rechts und links ein halbes Dutzend von den im Wege Stehenden mit niedergerissen habe, und da ist er auch schon wieder bei mir gewesen, hat mich angefaßt, so daß ich mich gar nicht rühren konnte, und mich die Treppe hinunter bis vor das Haus getragen. Da ist drüben über der Straße ein langer, hölzerner Wassertrog gestanden, in den hat er mich der Länge lang hineingelegt, so daß mir das Wasser aus dem Rohre grad' über die Nase gelaufen ist.«

»Und Du hast Dir das so ruhig gefallen lassen? Das hätte er zum Beispiel einmal mit mir probiren sollen!«

»Ihr hättet auch nichts machen können! Der Mensch ist ja so stark, daß mir nicht nur der Athem, sondern auch Hören und Sehen vergangen ist. Und so habe ich mich denn aus dem kalten Bottich herausgekrabbelt und bin meiner Wege gegangen. Als ich so pudelnaß zum Bäcker kam, ist der fuchswilde über das Mädchen gewesen, und ich mag die Predigt nicht mit anhören, die sie später jedenfalls bekommen hat. Ich bin in andere Kleider gefahren, habe einen warmen Schluck zu mir genommen, und dann sind wir noch lange beisammen gesessen, um unsre Heirathsgeschichte in Ordnung zu bringen. Als ich am frühen Morgen fortging, hat er mir noch einen schönen Gruß an[45] Euch aufgetragen, und Ihr solltet nur recht bald kommen, um Euch die Gelegenheit einmal anzusehen.«

»Na, das ist ja ein ganz miserables Abenteuer gewesen, und hier ist zum Beispiel gar nicht viel Zeit zu verlieren! Ich werde, wie gesagt, schon morgen fahren, und es müßte nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn ich den Handel nicht zu Stande brächte. Ich bin schon noch der Mann, so einem nichtsnutzigen Korporal den Braten zu verderben! Komm, trink' aus; wir müssen das Geschirr putzen, daß morgen Alles recht hübsch sauber ist. Wer gut schmiert, der fährt auch gut!« –

Bei der Erwähnung des Rittmeisters Platen hatte sich unser schweigsamer Zuhörer vorhin eines leisen Lächelns nicht erwehren können; jetzt blickte er den beiden sich entfernenden Männern mit ironischem Ausdrucke nach und winkte dann die Wirthin herbei.

»Kennt Ihr die Zwei, welche hier an diesem Tische saßen, Mutter Röse?«

»Ei freilich werde ich sie kennen. Es war der Getreidehändler Habermann mit seinem Sohne.«

»Habermann? So so! Das sind wohl reiche Leute?«

»Steinreich, wie die Leute sagen. Der Alte ist ein Pfiffikus, aber auch ein sonderbarer Kauz. Bei jedem Worte sagt er ›zum Beispiel‹. Wollt Ihr Geschäfte mit ihm machen?«

»Nein. Ein fürstlicher Bediensteter darf keine Geschäfte in Getreide oder Mehl unternehmen.«

»Ach so, Ihr seid in die Dienste der Durchlaucht getreten! Deshalb waret Ihr wohl auf dem Schlosse?«

»Ja.«

»Und nun wißt Ihr auch, mit wem Ihr heut' Vormittag gesprochen habt?«

»Es war der Fürst selber.«

»Ja, der macht sich gern den Spaß, einmal in einem alten Rocke nachzuschauen, wie es unter den Bürgern zugeht. Morgen fährt er wieder nach Halle. Da müßt Ihr wohl auch mit?«

Der Gefragte nickte bejahend und erhob sich dann, um nach seinen Reisehabseligkeiten zu sehen, die noch oben im Zimmer lagen.

Quelle:
Unter den Werbern. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauer von Karl May. In: Deutsches Familienblatt. 2. Bd. Dresden (1876). Heft 3, S. 44-46.
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