VI

Im Goldthale

[266] Die Dunkelheit der Nacht, welche bereits in die Dämmerung des Morgens überging, umhüllte die Landschaft und zeigte sie nur in großen, weit gezogenen Kontouren. Am Himmel, welchen ein Stern nach dem andern verließ, malten sich die Spitzberge der Sierra ab wie Thürme und phantastische Zinnen, deren Zacken ein graulicher Nebel bekränzte.

Auf den Abdachungen der Sierra deuteten dichte Schatten tiefe Spalten an: Am Fuße des Gebirges erhob sich ein isolirter Felsen wie eine vorgeschobene Bastion; er war von der Masse der naheliegenden Berge vollständig getrennt. Hinter der Oberfläche seiner Spitze stürzte sich mit imposantem Brausen ein Wasserfall in einen bodenlos scheinenden Abgrund. Diesseits dieses isolirten Felsenstocks, welcher sich in Form eines abgestumpften Kegels erhob, zeigte eine bewegliche Linie von kleinen Weiden und Baumwollenbäumen entweder die Nähe eines laufenden Wassers oder die Einfassung eines Alluvialbodens an.

Das von dem Rio Gila gebildete Delta war von der Spitze bis zur Basis nur wenig über eine Stunde lang,[266] diese Basis aber hatte eine beinahe dreimal so große Ausdehnung.

Die Dunkelheit wich dem Tage. Die Finsterniß stieg von den Bergzacken zur Tiefe herab und machte dem bläulichen Lichte des Morgens Platz. Wie aus der ersten verworrenen Anlage eines Gemäldes tauchten die Spitzen des Gebirges nach einander aus der düsteren Tinte der Morgendämmerung hervor.

In die Schluchten der amphitheatralisch über einander aufgethürmten Bergkolosse drang nach und nach eine unbestimmte Helle. Auf der Oberfläche des isolirten Felsens dehnten zwei Fichten wie zwei sichtbar gewordene Phantome ihre gewaltigen Zweige aus und neigten sich über den Abgrund hin.

Am Fuße dieser Bäume stand das Skelett eines Pferdes und zeigte auf seinen gebleichten Knochen noch die Zierrathen, welche es früher getragen hatte. Bruchstücke von einem Sattel umgaben seine all ihres Fleisches beraubten, durchsichtigen Flanken.

Die aus der Dämmerung sich entwickelnde Morgenhelle beleuchtete unheimliche Embleme. Auf Pfosten, welche in gewissen Entfernungen angebracht waren, flatterten Menschenhaare im leichten Winde, Menschenschädel lagen in Haufen oder zerstreut am Boden, und die Bruchstücke von zerschlagenen Waffen aller Art waren in Menge zu finden. Diese Trophäen bildeten das Wahrzeichen, daß ein durch seine Heldenthaten berühmter Indianerhäuptling auf der Spitze der natürlichen Pyramide seine letzte Ruhestätte gefunden habe.

Noch im Tode beherrschte der Häuptling die Ebenen, auf denen sein Kriegsgeschrei so oft erschallt war, und über[267] welche ihn das Schlachtpferd getragen hatte, dessen Gebeine nun auf seinem Grabmale von dem Thaue der Nächte und der glühenden Hitze des Tages gebleicht wurden. Raubvögel flogen krächzend über der einsamen Begräbnißstätte hin und her, gleich als ob ihre häßlichen Stimmen Den erwecken sollten, der für immer schlief und dessen Hand nie mehr die Keule schwingen, das Messer führen und die blutigen Festmahle bereiten konnte.

Der den Nebelbergen gegenüber liegende Horizont erschien in blasser Beleuchtung; rosenfarbene Wölkchen stiegen gegen den Zenith empor. Aehnlich dem ersten Funken einer im Entstehen begriffenen Feuersbrunst, traf wie ein goldener Pfeil der erste Sonnenstrahl die Dünste der Sierra, und nun übergossen Lichtströme die Tiefen der Thäler wie mit einem schillernden und brillirenden Flammenteppiche.

Der Tag war da, doch wurde die Hügelmasse noch von einem undurchdringlich scheinenden Nebelmantel verhüllt.

Diese Nebel zertheilten sich nach und nach und wurden von dem Morgenwinde wie eine wallende Draperie emporgehoben. Dunstflocken blieben kapriziös an den Blättern der Gesträuche hangen oder hüpften von Gipfel zu Gipfel, ließen tiefe Engpässe sehen, an deren Eingange die Opfergaben, mit denen der indianische Aberglaube die Geister der Berge bedacht hatte, sich in großer Menge zeigten, und enthüllten dem Auge wilde Abgründe, in die sich schäumende Wasserfälle stürzten.

Ueber dem Grabe des indianischen Häuptlings sandte die Kaskade einen feuchten Staub empor und bildete hinter den Gebeinen des Schlachtpferdes flüchtige, schillernde Regenbogen.[268]

Am Fuße der Pyramide, auf welcher sich das Grabmal befand, lag ein kleiner See mit stehendem Wasser, welches unter einer Vegetation von Wasserpflanzen kaum zu erkennen war. Zwischen diesem See und den gegenüber liegenden, steil abfallenden Felsen, die mit einem langfaserigen, grünen Pflanzenmantel bekleidet waren, dehnte sich eine enge, tiefe Schlucht, welche man aber nicht bemerken konnte, da sie dicht mit blaßblätterigen Weiden und offenschotigen Baumwollenbäumen eingefaßt wurde. Diese Bäume waren mit allerlei Schlinggewächsen durchwoben und durchzogen, als wolle die verschwiegene Natur das Menschenauge verhindern, durch die eng geschlossene Pflanzenwand einen Blick in die Schlucht zu werfen. Aber das Korn des Sandes, der eigenthümliche Glanz der umherliegenden Steine, sowie über haupt die ganze Bodenformation war sehr geeignet, einen erfahrenen Gambusino zur Aufmerksamkeit zu veranlassen.

Diese Schlucht war das Goldthal, wie Marcos Arellanos den Ort getauft hatte, der ihm das Leben kostete. –

Cuchillo war noch während der Nacht in der Nähe der Bonanza angekommen, da er aber fürchtete, sich in der Dunkelheit zu verirren, so hatte er Halt gemacht, um das Grauen des Morgens abzuwarten. Er hatte zwar die Konfiguration der Gegend nicht vergessen, doch sein von Habgier fieberhaft gehendes Herz trieb ihm das Blut sausend nach Ohren und Augen und raubte dem Gesichte seine sonst so untrügliche Schärfe.

Trotzdem war es noch ziemlich dunkel, als er in der Nähe der sich über dem Goldthale erhebenden Pyramide ankam, und die feuchten Ausdünstungen verhüllten sowohl[269] die Schlucht als auch den steilen Hügel, auf welchem sich das indianische Grabmal befand, mit einem dichten Schleier.

Das dumpfe Rauschen der Kaskade, dessen er sich noch recht gut erinnerte, war für ihn das Zeichen, daß er die Bonanza erreicht habe, denn er hatte nicht vergessen, daß sich der Wasserfall ganz in der Nähe des Placer in den Abgrund stürzte.

Er war ziemlich sicher, daß niemand seine Flucht aus dem Lager bemerkt hatte, und glaubte auch nicht, daß ihm bei der bedrohlichen Stellung der Wilden Jemand folgen werde. Dennoch aber beschloß er, die Pyramide zu ersteigen, um zu sehen, ob sich vielleicht ein lebendes Wesen bemerken lasse.

Vorher aber mußte er sich überzeugen, ob das Placer sich noch in demselben Zustande befinde wie vor zwei Jahren, als er es unberührt hatte liegen lassen müssen. Er zog mit den Händen den grünen Vorhang auseinander und warf einen Blick in die Schlucht. Zahlreich wie am Rande des Meeres lagen hier Kiesel von verschiedener Größe aufgehäuft, und es wären Tage erforderlich gewesen, sie zu zählen. Jeder andere Mensch, nur ein Goldsucher nicht, hätte sich durch das Aussehen dieser in die Schlucht geschwemmten Steine täuschen lassen, die in ihrem Aeußeren ganz den Vitrifikationen glichen, welche man am Fuße der Vulkane zu finden pflegt. Ein Gambusino jedoch mußte unter der unscheinbaren Thonhülle das gediegene Metall, das reine Jungferngold erkennen, wie es die Bäche von den Bergen in die Ebenen herabwälzen.

Der Morgenstrahl drang durch die von Cuchillo in den Pflanzenvorhang gemachte Oeffnung in die Schlucht und ließ unzählige mysteriöse Blitze aus den Steinen[270] sprühen. Vor den Augen des vor Begierde zitternden Banditen lag der reichste Schatz ausgebreitet, den je ein Menschenauge in der Wildniß erblickt hatte, und er sah sich vollständig überzeugt, daß keine Hand nach ihm diesen Reichthum berührt habe.

Er ließ die Schlinggewächse wieder fallen und schritt auf die Pyramide zu.

Wenn der verschmachtende Araber sich langsam durch die glühenden Oeden der Sahara schleppt, ohne im ausgetrockneten Schlauche einen kühlenden Tropfen für seine brennenden Lippen zu finden; wenn ihn der Samum niederwirft, um ihm den letzten Rest von Lebensfeuchtigkeit aus dem Körper zu ziehen, wenn er dann, schon mit dem Tode ringend, grüne Palmenwedel und den Dunst der Oase am Horizonte bemerkt, so sind die Freude und der Jubel, welche ihn erfassen, dem Wahnsinne gleichzustellen.

Aehnlich ging es Cuchillo mit dem Anblicke des goldenen Schatzes. Er erklomm die Pyramide wie im Delirium; seine Glieder zitterten, und vor seinen Augen lag es wie ein Nebel, welcher ihn verhinderte, scharfen Ausguck zu halten. Er mußte sich setzen.

Er nahm eine Stellung ein, welche es ihm ermöglichte, das Goldthal fest im Auge zu behalten.

»Und diesen Reichthum soll ich an Andere abtreten!« murmelte er vor sich hin. »Nein und tausendmal nein! Marcos Arellanos hat sterben müssen, warum sollen die Andern leben? Ihre Begleitung hat mich sicher an Ort und Stelle gebracht; ich bedarf ihrer nicht mehr und werde den Indianern Gelegenheit geben, sie Alle zu vernichten.«

Er hielt die Hände über die Augen, nach deren Gesäßen[271] das aufgeregte Blut sich drängte, daß er die Empfindung hatte, als bewegten sich purpurne und feurige Räder vor seinem Gesichte. Es dauerte lange, ehe sein Blick die frühere Befähigung wieder erlangt hatte.

Jetzt erhob er sich und hielt von der Höhe seines gegenwärtigen Standpunktes Umschau über die vor ihm liegende Gegend.

»Ich bin allein, vollständig allein und werde – –«

Er hielt mitten im Satze inne, denn sein Auge war auf einen Gegenstand gefallen, der ihm nach einer genaueren Betrachtung einen lauten, langgezogenen Schrei der Ueberraschung entlockte. Dieser Schrei klang gar nicht, als sei er aus einer menschlichen Kehle gestoßen, und wurde von den Felsenwänden in gellenden Echo's zurückgeworfen.

Das hinter der Pyramide herabstürzende Wasser, welches eine Brücke von flüchtigem Silber über den Abgrund zu dehnen schien, oscillirte bisweilen in seinem Falle, und dann funkelte durch die irisirten Dünste hindurch ein heller, goldener Schein, welcher von einem Goldblock herstammte, den die hundertjährige Wirkung des Wassers blosgelegt hatte.

Durch den feuchten Staub der Kaskade ohne Unterlaß gewaschen, erschien dieser Block in seinem ganzen, sinnberückenden Glanze. Er hatte die doppelte Größe der größten Kokosnuß und schien in Folge seiner bedeutenden Schwere jeden Augenblick seine Kieselhülle verlassen zu wollen, um in dem Abgrunde zu verschwinden.

Cuchillo schien den Block durch das bloße Ausstrecken seines Armes erreichen zu können. Mit gierigen Blicken über den Abgrund hingeneigt, warf er die Hände diesem[272] Reichthume, welcher das Lösegeld eines Königs bilden konnte, entgegen, ohne ihn erfassen zu können. Seine Brust schwoll zum Zerbersten und er drohte, der gewaltigen Gemüthsbewegung zu erliegen, wenn nicht ein zweiter, noch unartikulirterer Schrei dem eingepreßten Athem Luft gemacht hätte.

Wie die Augen des Tigers die ahnungslose Beute zu verschlingen drohen, so funkelten diejenigen Cuchillo's hinüber nach dem unschätzbaren Goldblocke, über welchen auf der Höhe des Felsens der Stamm einer jungen, grünen Eiche in einer Spalte wurzelte.

»Er muß mein werden! Von hier aus ist dies unmöglich; ich muß sehen, ob die Eiche zu erreichen ist. An sie befestigte ich den Lasso und lasse mich dann hinab, um ihn herauszubrechen. Vorwärts; kein Krösus hat solch einen Block besessen!«

Er eilte von der Pyramide hinab.

In seiner Aufregung hatte er den Schall eiliger Pferdehufe überhört und die vier Reiter übersehen, welche um die nächste Felsenecke gebogen waren.

Don Estevan mit Diaz, Baraja und Oroche hatten die Spuren Cuchillo's nicht aus den Augen verloren. Besonders war es Diaz, der furchtbare Indianertödter, welcher hierbei einen Scharfsinn entwickelte, der die drei Andern in gerechtes Erstaunen versetzte.

Er ritt mit Arechiza voran, während Baraja und Oroche in einiger Entfernung folgten.

»Was meint Ihr, Sennor Diaz,« frug Don Estevan, »werden wir ihn erreichen, ehe er zur Bonanza kommt?«

»Das kann ich nicht sagen, da mir die Lage der Bonanza unbekannt ist. So viel aber weiß ich, daß sein[273] Vorsprung vor uns kein bedeutender mehr ist. Seht hier! Der Huf seines Pferdes hat ein Stückchen Thonschiefer zermalmt, und das Mehl davon ist liegen geblieben. Vor einer halben Stunde hat sich der Morgenwind gedreht. Hätte das Mehl vorher hier an der zugigen Stelle gelegen, so wäre es vom Winde aufgeblasen worden. Es sind also höchstens dreißig Minuten vergangen, seit er hier vorüber ist.«

»Ihr seid ein tüchtiger Pfadfinder, Sennor Diaz, und habt der Expedition auch sonst sehr bedeutende Dienste geleistet. Bekommen wir das Placer, so werde ich mit Euch anders rechnen, als mit den Uebrigen.«

Diaz schüttelte den Kopf.

»Ich habe mich Euch nicht der Bonanza wegen angeschlossen, sondern um der Gelegenheit willen, mit den Rothen ein vertrauliches Wörtchen sprechen zu können. Euer Gold reizt mich nicht; es ist nur dazu da, den Menschen zu verweichlichen, zu verschlimmern und ihn in die Gewalt des Lasters und die Hände des Teufels zu bringen. Ich verzichte auf mein Antheil. Nehmt es für Euch oder gebt es den Anderen!«

Dasselbe Gold bildete auch den Gegenstand des Gespräches zwischen den beiden Schelmen Baraja und Oroche.

»Was meint Ihr wohl, Sennor Baraja,« meinte der letztere, »warum Don Estevan dem Cuchillo nachreitet, obwohl unsere Gegenwart in dem von den Wilden bedrohten Lager so nothwendig ist?«

»Hm, ich habe allerdings so meine Meinung darüber. Ehe wir aufbrachen, habe ich den alten Benito gefragt, und Ihr wißt ja, Don Oroche, daß dieser Vaquero immer eine gute Ansicht zu haben pflegt.«[274]

»Welche Ansicht hatte er?«

»Er hält Cuchillo für einen Spitzbuben, der nicht werth sei, daß sich ihm so brave und ehrliche Männer anvertrauen, wie wir sind.«

»Dem stimme ich allerdings vollständig bei!«

»Cuchillo hat die Verwirrung des Kampfes, den er ja selbst erst herbeiführte, benutzt, um sich aus dem Staube zu machen. Und wohin wird er gegangen sein?«

»Nach der Bonanza, denke ich.«

»Natürlich! Entweder will er sich ganz von uns trennen, um das Gold für sich allein zu behalten, oder er beabsichtigt, einen Theil desselben auf die Seite zu schaffen, ehe er uns das Placer übergiebt.«

»Der Teufel soll ihn holen!«

»Der Teufel nicht, sondern wir, Sennor Oroche, denn dies und nichts anderes ist die Absicht Don Estevans. Dieser Diaz ist ein ganz famoser Kerl, der sogar auf diesem felsigen Boden die Spur zu finden weiß, als sei sie mit den deutlichsten Buchstaben in die Steine eingegraben.«

»Das ist sein Handwerk,« warf Oroche ein, indem er seine Mantelfetzen so malerisch wie möglich über die Schulter warf. »Ein Jeder muß sein Metier verstehen, und ich denke, daß ich in dem meinigen auch kein Stümper bin, wie ich Euch gerade jetzt beweisen könnte.«

Baraja horchte auf. Oroche gab vor, ein ausgezeichneter Gambusino zu sein. Befand er sich vielleicht gerade jetzt in der Lage, dies durch die That bekräftigen zu können?

»Ihr seid, wie Jedermann weiß, einer der trefflichsten Goldfinder, die es geben kann, Sennor Oroche, und es[275] sollte mich allerdings freuen, wenn Ihr dieser guten Meinung jetzt, da wir uns der Bonanza nähern, entsprechen könntet.«

»Das vermag ich allerdings, Don Baraja,« antwortete der Aufgeforderte, stolz die langen Locken schüttelnd. »Seht Euch doch einmal die Art und das Gefüge der Gesteine hier an, so werdet Ihr sehr bald etwas sehr Wichtiges bemerken.«

Baraja ließ das Auge aufmerksam umherschweifen.

»Ich bemerke leider nichts.«

»Das ist nicht zu verwundern, denn Ihr seid kein Gambusino, dessen Auge für solche Erscheinungen eingeübt ist. Wenn mich nicht alles täuscht, so befinden wir uns in einer Gegend, welche außerordentlich goldreich ist, und wer die rechte Zeit hätte, hier zu suchen, könnte vielleicht viel, sehr viel finden.«

»Vielleicht ist die Bonanza in der Nähe!«

»Sehr wahrscheinlich. Seht Ihr, wie aufmerksam Diaz wird? Er hat nur Augen für die Spur und reitet langsamer und vorsichtiger als vorher.«

In diesem Augenblicke erscholl der erste Schrei Cuchillo's.

Die vier Reiter hielten an.

»Was war das?« frug Don Estevan.

»Sollte dies eine menschliche Stimme sein?« antwortete Diaz. »Ich kenne kein Thier, welches solche Töne hervorbringt.«

Der Schrei wiederholte sich.

»Das ist ein Mensch,« erklärte Arechiza, »aber ein Mensch in fürchterlicher Aufregung, in einer ganz ungewöhnlichen Ekstase. Die Echo's verhindern zu hören, wo er sich befindet.«[276]

»Jedenfalls in der Nähe. Bleibt zurück, Don Estevan, und laßt mich rekognosziren. Man muß immer vorsichtig sein.«

Er lenkte sein Pferd vorsichtig um die nächste Felsenecke, wo er die Pyramide und ihre Umgebung von der Seite, woher er gekommen war, vollständig überblicken konnte. Sofort fiel ihm ein Gegenstand in die Augen, welcher von der größten Wichtigkeit für ihn war: Der Schimmel Cuchillo's. Das Thier stand zwischen der Pyramide und dem Goldthale; es war nicht angepflockt; sein Herr mußte sich also in der Nähe befinden.

Mit einigen raschen Sätzen hatte Diaz es erreicht, nahm es beim Zügel und brachte es hinter die Felsenecke zurück.

»Hier, Don Arechiza, habt Ihr einen Anhalt darüber, wer den Schrei ausgestoßen hat!«

»Cuchillo!«

»Ja. Es war ein Schrei des Entzückens. Er hat die Bonanza gefunden und im Jubel darüber die Vorsicht vergessen.«

»Wo ist er?«

»Ich sah ihn nicht.«

»So müssen wir ihn suchen. Wir steigen ab und umgehen die Pyramide. Auf diese Weise werden wir ganz sicher auf ihn stoßen.«

»Die Umgehung dieses Grabmales ist nicht nöthig. Wir haben seine Spur und werden ihr folgen. Das ist genug.«

Sie stiegen ab, koppelten die Pferde an und folgten Diaz, welcher Schritt um Schritt den für ein anderes Auge vollständig unsichtbaren Fußspuren Cuchillo's nachging.[277] Als sie an dem Placer vorüberschritten, blieb Oroche unwillkürlich stehen und heftete sein Auge auf den Boden.

»Was gibt es, Sennor Oroche?« frug Baraja.

»Etwas unendlich Wichtiges. Seht Euch einmal diese Felsenritze an!«

»Warum?«

»Bemerkt Ihr nichts Auffallendes an ihr?«

»Nein. Ich sehe nur den Sand, welchen das Wasser in ihr abgespült hat.«

»Nun wohl, Sennor Baraja, ich bin ein Gambusino und wette meinen Kopf gegen eine Caktuskugel, daß dieser Sand wenigstens fünfzehn Prozent Gold enthält.«

»Ah! Wir müssen Don Estevan darauf aufmerksam machen!«

»Was fällt Euch ein! Die Ritze ist tief. Wer weiß, wie viele Pfunde Goldstaub sie enthält. Wollt Ihr einen solchen Fund verschenken?«

»Ihr habt Recht, Sennor Oroche; es wäre Thorheit!«

»Ihr mögt es als einen Beweis meiner ganz besonderen Freundschaft für Euch anerkennen, daß ich Euch diese Entdeckung mitgetheilt habe. Ein Anderer aber soll nichts davon erfahren. Wenn Zwei theilen, erhält man mehr als wenn Vier oder gar noch mehr ihr Antheil fordern.«

Sie folgten den andern Beiden. Baraja hatte mit seiner Absicht, die Entdeckung Arechiza mitzutheilen, nur seinen Kameraden sondiren wollen, und dieser wieder ärgerte sich jetzt, den Fund nicht vollständig verschwiegen zu haben. Es waren zwei Männer, von denen der Eine gerade so wenig werth war, wie der Andere.

»Halt!« erscholl da die Stimme Diaz.[278]

Er hatte Cuchillo erblickt, welcher von der Pyramide gestiegen war und eben im Begriffe stand, sich zu seinem Pferde zu begeben.

Der Angerufene blieb bei dem Anblicke seiner Verfolger einen Augenblick lang erschrocken stehen; dann aber wandte er sich, um die Flucht zu ergreifen. Nur die Ueberraschung war Schuld, daß er sich zu diesem unklugen Schritte, mit welchem er die ganze Absicht seiner Entfernung von dem Lager verrieth, entschloß.

Zwei Hähne knackten hinter ihm. Sowohl Don Arechiza als auch Diaz hatten ihre Büchsen zum Schusse erhoben.

»Steht, Cuchillo, sonst seid Ihr verloren!« befahl der erstere.

Der verrätherische Wegweiser der Expedition wandte sich um. Sein Auge glühte, man konnte nicht unterscheiden, ob vor Haß und Rache oder vor Wuth über die unerwartete Ueberrumpelung.

»Was wollt Ihr?«

»Euch. Tretet näher!«

»Ich habe mit Euch nichts mehr zu schaffen!«

»Aber desto mehr wir mit Euch! Tretet näher, sage ich zum letzten Male! Wenn Ihr glaubt, ich scherze, so könnt Ihr sofort erfahren, daß ich im Ernste handele.«

Cuchillo trat langsam und zögernd herbei.

»Warum habt Ihr Euch vom Lager fortgeschlichen?«

»Fortgeschlichen? Das ist mir nicht eingefallen, Sennor Arechiza. Ich bin frank und frei davongeritten, und wenn Ihr es nicht sofort bemerkt habt, so fällt die Schuld nicht auf mich, sondern nur auf Euch.«

»Ich streite natürlich nicht mit Euch, Cuchillo, aber[279] das ist sicher: wer ohne meine Erlaubniß öffentlich oder im Geheimen das Lager verläßt, ist ein Verräther und wird auch als ein solcher behandelt!«

»Gerade weil man mich für einen Verräther hielt, bin ich fortgegangen. Ich bin der Mann, durch welchen die Expedition in den Besitz von Millionen kommen soll, und habe nicht Lust, dafür von mir sagen zu lassen, daß ich die Indianer auf Eure Fährte bringe.«

»Gut! Ihr seid der Mann, der uns Millionen versprochen hat. Wo ist die Bonanza?«

»Ich habe sie noch nicht wiedergefunden.«

»Ihr habt sie!«

»Nein!«

»Erinnert Euch, Cuchillo! Als ich Euch engagirte, gab ich Euch zu verstehen, daß ich jede und auch die kleinste Untreue streng bestrafen würde. Ich rufe Euch dies in das Gedächtniß zurück, weil in diesem Augenblicke Euer Leben an einem einzigen, dünnen Haare hängt! Wo ist die Bonanza?«

»Ich muß sie erst suchen!«

»Nun wohl! Ich gebe Euch gerade fünf Minuten Zeit, sie zu finden. Ist diese Frist verstrichen, ohne daß Ihr uns das Placer zeigt, so erhaltet Ihr vier Kugeln.«

»Das würde Euch nichts nützen, denn ohne mich entdeckt Ihr das Goldthal nie.«

»Meint Ihr?« lächelte Don Estevan spöttisch. »Ihr seid so unvorsichtig gewesen, mir die Gegend ganz genau zu beschreiben, und ich sehe sie jetzt in all ihren Einzelnheiten vor mir liegen. Die Bonanza ist hier, ich wette, nicht weiter als in einem Umkreise von höchstens hundert[280] Schritten. Sobald Ihr die Kugeln habt, werden wir suchen und das Gold entdecken.«

Cuchillo knirschte mit den Zähnen.

»Ihr werdet nichts finden!«

»Spart Eure unnützen Behauptungen! Ihr habt nur noch drei Minuten Zeit. Seht, wie gut diese Leute zielen!«

Diaz, Baraja und Oroche hielten ihre Gewehre auf den Verräther gerichtet, bereit, auf ein Wort Don Estevans loszudrücken.

Cuchillo versuchte den letzten Trumpf.

»Wollt Ihr heut zum Mörder werden gerade, wie damals in der Nacht auf Elanchovi, wo Ihr Eure eigene Schwägerin, die Gräfin Luisa von Me – – –«

»Ja,« fiel ihm Arechiza donnernd in die Rede, »ich will an Euch zum Mörder werden, wie Ihr es an dem armen Marcos Arellanos geworden seid, dem Ihr wegen der Bonanza das Leben genommen habt!«

Cuchillo's Fäuste ballten sich; seine Augen schossen verzehrende Blitze; seine Lippen bebten; er hatte ganz das Aussehen eines wilden Thieres, welches sich auf Jemand stürzen will, und die Wuth hatte ihn in der Weise übermannt, daß er seine gewöhnliche Vorsicht vollständig vergaß.

»Euch gegenüber brauche ich das nicht zu leugnen. Arellanos war so dumm, mir die Bonanza zu verrathen, und mußte dafür in den Rio gehen. Das verstand sich ganz von selbst, und ein jeder Andere hätte es ebenso wie ich gemacht. Er war mir fremd, Donna Luisa de Mediana aber war Eure Schwägerin und – – –«

»Schweigt!«

»Nein, ich schweige nicht. Wir befinden uns hier in[281] der freien Steppe und nicht auf dem Piratenschiffe, wo hinter Eurem Befehle der Tod stand. Ich heiße jetzt Cuchillo und nicht mehr Juan und habe gegen Euch nicht mehr die Verpflichtung wie damals, als Ihr mir gebotet, die Gräfin zu erdolchen. Ich sage Euch, Diaz Baraja und Oroche, daß dieser – – –«

»Schweigt, sonst erschieße ich Euch mit dieser meiner eigenen Hand!« gebot Arechiza, bebend vor Aufregung.

»Daß dieser Mann,« fuhr Cuchillo unbeirrt mit erhöhter Stimme fort, »der Graf Antonio de Mediana ist, der seine eigene Schwägerin ermorden ließ und ihren Sohn, den kleinen Fabian de Mediana, auf der See aussetzte, um – – –«

Der Schuß Don Estevans krachte. Cuchillo hatte während des Sprechens das Auge scharf auf den Zeigefinger des Grafen gehalten und sich, sobald er den Drücker berührte, zur Seite geworfen. Die Kugel flog hart an seinem Kopfe vorüber.

»Schießt, schießt doch!« gebot Arechiza den drei Andern.

Baraja und Oroche wollten diesem Gebote Gehorsam leisten, sahen sich aber durch Diaz verhindert. Dieser schlug die Läufe ihrer Gewehre nieder und sprang zwischen Don Estevan und Cuchillo, um einem Zusammenpralle derselben zuvorzukommen.

»Halt, keinen Schuß!« rief er.

»So schlage ich ihn nieder!« schäumte Arechiza.

»Das mögt Ihr thun, wenn es Euch nicht anders beliebt; zuvor aber wird mir Sennor Cuchillo einige Fragen beantworten!«

»Wie, Ihr wollt mir Widerstand leisten, Diaz?«[282]

»Nein. Vergangene Dinge und Alles, was Ihr mit Cuchillo habt, geht mich nichts an; aber in Beziehung der Bonanza werde ich mir einige Auskunft holen müssen.«

»So fragt ihn!« meinte Arechiza beruhigt, da er die Absicht des Indianertödters nicht im Geringsten ahnte.

»Diaz stemmte den Kolben seines Gewehres auf die Erde, legte die Arme über die Mündung des Laufes und stellte sich fest und breitspurig Cuchillo gegenüber. In seiner malerischen Kleidung und dieser Stellung hatte er ganz das Aussehen eines Mannes, welcher sehr genau weiß, was er will.«

»Sennor Cuchillo, ich denke, Ihr kennt mich ein wenig!«

Der Angeredete zog vor, zu schweigen, und Diaz' Vorhaben erst kennen zu lernen.

»Ich bin ein Mann,« fuhr dieser fort, »der für jede Rothhaut eine Kugel hat, aber niemals eines Weißen Richter ist, wenn dieser mich thun läßt, was mir gefällt. Dies will ich Euch zu Eurer Beruhigung sagen. Auch will ich nicht nach der Bonanza forschen, denn ich glaube, ich habe kein Recht, auch nur den geringsten Theil von ihr zu besitzen. Aber das könnt Ihr mir wohl sagen: Hat Marcos Arellanos sie vor Euch gekannt?«

»Ja.«

»Warum hat er sie nicht gehoben?«

»Die Indianer hinderten ihn.«

»Dann hat er Euch sein Geheimniß mitgetheilt?«

»Ja.«

»Und Euch mitgenommen, um sie mit ihm auszubeuten?«[283]

»So ist es. Wir mußten wieder fliehen und – er starb unterwegs.«

»Er starb! Das ist wenig und auch viel. Wißt Ihr vielleicht, daß er einen Sohn hat?«

»Ihr meint Tiburcio Arellanos? Ihr wißt doch, daß ich ihn kenne!«

»Allerdings, Sennor Cuchillo. Ich mag meine Fragen vielleicht nicht genau so aussprechen wie andere Leute, aber das thut nichts zur Sache. Ich glaube, Ihr seid viel in der Welt herumgekommen. Kennt Ihr vielleicht die Gesetze der Berge, der Savanne und das stillschweigende Uebereinkommen aller braven und ehrlichen Gambusino's?«

»Ich denke!«

»Gut! So wißt Ihr auch, daß jede Bonanza ohne Widerrede dem gehört, der sie entdeckt hat, außer es kommt, wenn er an der Ausbeutung verhindert wurde und sich entfernte, ein Anderer, der sie ebenso entdeckte – versteht Ihr wohl, entdeckte!«

»Was wollt Ihr damit sagen, Sennor Diaz?«

»Daß wir nicht ausgezogen sind, die Bonanza hier zu entdecken, sondern sie aufzusuchen, und darin liegt ein großer Unterschied. Ihr hattet kein Recht, Don Estevan Euer Geheimniß mitzutheilen, denn es gehörte nicht Euch, sondern dem Erben von Marcos Arellanos.«

»Tiburcio?« frug Cuchillo verwundert.

»Tiburcio!« bekräftigte Diaz.

»Seid Ihr wahnsinnig, Sennor?«

»Ich bin so vollständig bei Sinnen, daß mir selbst Eure Millionen nicht die Ueberlegung rauben können.«

»Marcos Arellanos hat mich zum Eigenthümer des[284] Geheimnisses gemacht, und ich konnte also damit thun, was mir beliebte.«

»Ihr irrt Euch,« antwortete Diaz mit einer Ruhe, als handle es sich um einen vollständig werthlosen Gegenstand. »Marcos Arellanos hat Euch das Geheimniß nicht geschenkt, sondern nur anvertraut – versteht Ihr wohl, anvertraut! Wäret Ihr dieses Vertrauens würdig gewesen, so hättet Ihr im Falle der Ausbeutung Gold erhalten, welches nicht etwa Euer rechtmäßiger Antheil, sondern nichts anderes als ein allerdings sehr hoher Arbeitslohn gewesen wäre. Durch die Ermordung von Marcos Arellanos seid Ihr unrechtmäßiger Besitzer des Geheimnisses geworden. Von der Bonanza gehört Euch höchstens so viel, als Tiburcio Euch für die Mittheilung des Geheimnisses bieten würde. Ich erkläre hiermit, daß nur ihm allein das Placer gehört. Waret Ihr ein redlicher Mann, Sennor Cuchillo, so dachtet Ihr nicht eher an eine Expedition, als bis Ihr mit ihm gesprochen hattet!«

»Ihr seid wirklich so sehr bei Sinnen, daß Ihr einen mehr habt als andere Leute!« spottete Cuchillo trotz der mißlichen Lage, in welcher er sich befand.

»Wenn Ihr die Ehrlichkeit oder das Gewissen nennt, so habt Ihr allerdings Recht,« entgegnete Diaz kalt. »Ich an Eurer Stelle hätte gerade so gehandelt, wie ich sage. Ihr könnt zwar thun und lassen, was Euch gefällt, nun ich aber weiß, daß Marcos Arellanos der erste Entdecker der Bonanza war und durch Eure Hand gefallen ist, halte ich sie für das Eigenthum seines Sohnes und werde mich nicht an dem kleinsten Flimmerchen des Goldes vergreifen!«

»So sagt Ihr Euch von uns los oder wollt vielleicht[285] gar diese vermeintlichen Rechte des Tiburcio Arellanos vertheidigen?« frug jetzt Arechiza, welcher der eigenthümlichen Verhandlung mit Spannung gefolgt war.

»Die Arellanos sind mir nicht verwandt. Ich habe weder Marcos Tod zu rächen noch für die Rechte seines Sohnes zu kämpfen und bleibe also bei Euch, so lange Ihr mir nicht zumuthet, etwas zu thun, was zur Erlangung des Goldes führen soll. Mein Gewehr also wird Cuchillo nicht zwingen, die Bonanza zu verrathen!«

Cuchillo athmete erleichtert auf; Baraja und Oroche blickten mit stillem Erstaunen auf den Mann, der so unbegreifliche Ansichten an den Tag legte, Don Estevan aber entgegnete, schwankend zwischen Spott und Zorn:

»Laßt mich Euch bewundern, Sennor Diaz! Ihr aber, Cuchillo, seid jetzt nicht besser daran als vorher. Wo ist die Bonanza? Eure fünf Minuten sind bereits abgelaufen!«

Auf einen Wink von ihm erhoben Baraja und Oroche ihre Gewehre wieder. Diaz trat zurück und musterte scheinbar theilnahmslos die Umgebung; es war ihm jetzt gleich, ob der Mörder eine Kugel erhielt oder nicht.

Eines der hinter der Felsenecke stehenden Pferde wieherte; Cuchillo vernahm den Ton und wußte nun, wo sein Thier sich befand. Er maß mit dem Auge die Distanz, welche er zu durchlaufen hatte. Aber Arechiza war ein scharfsichtiger Gegner. Auch er hatte das Wiehern vernommen, und als er den Blick Cuchillo's bemerkte, ahnte er sofort dessen Absicht und verlegte ihm, die Büchse zum Schusse bereit haltend, den Weg.

»Glaubt ja nicht, uns zu entkommen! Wo ist die Bonanza?«[286]

»Ich weiß es nicht!« behauptete knirschend Cuchillo.

Er hatte seinen Karabiner am Sattelknopfe seines Pferdes gelassen und sah sich mit dem Dolche den auf ihn gerichteten Büchsen wehrlos gegenüber.

»Und dennoch,« behauptete Arechiza, »werden wir in wenigen Augenblicken das Placer wissen oder Ihr seid todt. Ich zähle bis Drei; bei Drei drücken wir los.«

Cuchillo strengte sein Gehirn vergebens nach einem Auswege an.

»Eins!«

Der Schweiß trat auf Cuchillo's Stirn, aber er schwieg.

»Zwei!«

Es flimmerte dem Bedrängten vor den Augen. Eins mußte er lassen, das Leben oder das Gold, und Beides hatte einen beinahe gleichen Werth für ihn.

»Dr – – –!«

»Halt!« keuchte er. »Ihr sollt es erfahren!«

»Keine Sekunde zu früh, Cuchillo,« lächelte Don Estevan. »Es muß ein außerordentliches Placer sein, da Ihr um seinetwillen Euch den Tod so nahe treten laßt!«

Cuchillo antwortete nicht. Wie im Traume trat er zu dem grünen Vorhange, welcher das Goldthal verhüllte, und schob die Schlinggewächse auseinander.

»Hier – so nahe?« frug Arechiza überrascht und schlüpfte durch die Oeffnung.

Im nächsten Augenblicke standen Baraja und Oroche neben ihm. Alle Drei stießen bei dem Anblicke des beispiellosen Reichthumes laute Rufe des Entzückens aus. Don Estevan stand todesbleich neben den beiden Andern, welche sich zu Boden geworfen hatten und gierig in den Nuggets wühlten. Durch die Beschreibungen Cuchillo's[287] waren große Hoffnungen in ihm erweckt worden; eine so überschwengliche Menge des reinsten, gediegenen Metalles aber hatte er nicht erwartet. Der Athem versagte ihm; alle seine Pulse fieberten; die Beine zitterten, und er mußte sich an den Zweigen festhalten, um sicher stehen zu können.

Da gewahrte er, daß Baraja und Oroche sich die Taschen zu füllen begannen.

»Halt! Der Schatz gehört nicht allein Euch. Legt weg die Stücke!«

Oroche erhob sich. Mantel und Hut waren ihm entfallen. Seine lange, hagere Gestalt stand mit den vor Aufregung verzerrten Zügen wie ein Gespenst vor Arechiza.

»Don Estevan, ich gebe Euch für jeden dieser Steine einen Schluck meines Blutes. Trinkt mich todt, aber laßt mir einmal die Wonne, meine Taschen voll zu haben!«

Auch Baraja richtete sich empor.

»Sennor, rechnet aus, wie viel mir gehört! Ich weiche keinen Schritt von dieser Stelle, bis ich meinen Antheil habe.«

In den Augen der beiden Menschen lag jene düstere Gluth, welche den Wahnsinn verkündet. Sie waren gepackt worden von dem finsteren Geiste, welcher nach der nordamerikanischen Sage sich hinter den »deadly dust«, den »goldigen Schimmer« versteckt, um dem menschlichen Körper die lebendige Seele zu rauben. Obgleich selbst in größter Aufregung, erkannte Don Estevan die Gefahr, in welcher er sich mit ihnen befand. Er raffte sich zusammen und zog das Pistol.

»Wer nicht augenblicklich das Gold von sich legt, den schieße ich nieder!«[288]

Sie kannten seine Strenge, doch die Angst vor derselben war nicht größer, als ihre Gier nach dem verführerischen Metalle.

»Schießt los. Auch wir haben Kugeln!«

Sie erhoben Beide ihre Gewehre.

Arechiza befand sich in einer keineswegs beneidenswerthen Lage, aber jetzt, wo er seiner ganzen Geistesgegenwart bedurfte, war ihm dieselbe vollständig zurückgekehrt.

»Wer hier kämpfen will, verzichtet auf das Glück, einen Reichthum zu besitzen, um welchen ihn ein König beneiden würde. Legt die Waffen ab und gebt die Nuggets zurück. Wir werden unsere Pferde mit so viel Gold beladen, als sie außer uns zu tragen vermögen; morgen wird das Uebrige geholt, und dann erhält ein Jeder so viel, als er zu fordern hat.«

Dies beruhigte die beiden Männer, welche, sonst nur zu feigen, hinterlistigen Thaten fähig, aus der Goldgier den Muth zu einer offenen Drohung geschöpft hatten. Dennoch gaben sie nur zögernd die Nuggets zurück, ehe sie wieder durch den grünen Vorhang schlüpften.

Als Arechiza sich umsah, bemerkte er nur Diaz, welcher auf einem Felsstücke saß und ruhig an dem Laufe seines Gewehres herumputzte, als befinde er sich in einer sichern, ärmlichen Venda und nicht in der gefährlichen Nähe eines Schatzes, wie ihn die Bonanza bot.

»Wo ist Cuchillo?«

»Quien save, wer weiß es!« antwortete er gleichmüthig.

Don Estevans Auge blitzte zornig auf.

»Ihr wißt es nicht? Wie konntet Ihr zugeben, daß er sich entfernte?«[289]

Diaz erhob sich und blickte dem Sprecher groß in das Auge.

»War er mein Gefangener, Don Arechiza?«

»Der unsrige und also auch der Eurige!«

»Ihr irrt, Sennor. Seit ich weiß, daß die Bonanza nicht uns gehört, kenne ich keine Verpflichtung mehr, welche sich auf das Gold bezieht. Das habe ich Euch bereits gesagt, und Ihr werdet zugeben, daß es unnöthig ist, weiter darüber zu sprechen. Es ist mir gleichgültig, was Ihr thut, nur ersuche ich Euch, mich nicht bei der Hebung Eures Schatzes in irgend einer Weise verwenden zu wollen!«

»Hat er mit Euch gesprochen?«

»Nein. Er ging, stieg auf sein Pferd und ritt davon. Das ist Alles, was ich weiß.«

Der Grimm über die erneute Flucht Cuchillo's war Arechiza deutlich anzusehen, doch bezwang er sich. Die ruhige, selbstbewußte Haltung des ehrlichen, unbestechlichen Diaz imponirte ihm wider Willen.

»So wißt Ihr auch nicht, welche Richtung er eingeschlagen hat?«

»Diejenige nach dem Lager.«

»Dann hat er neue, verrätherische Absichten. Hätte er sich nach den Bergen gewandt, so wäre die Absicht zu vermuthen, sich nach unserer Entfernung von hier aus der Bonanza zu bereichern. Da er aber hinaus nach der Ebene ist, so vermuthe ich, daß er uns die Indianer schicken will. Wir müssen ihm schleunigst folgen. Holt die Pferde!«

Baraja und Oroche folgten dieser Aufforderung; die Decken wurden ausgebreitet, welche so viel von dem Golde aufnahmen, als man den Kräften der Pferde zutrauen konnte.[290]

»Sennor Diaz, wollt Ihr uns Eure Serape leihen?« frug Arechiza.

»Zu diesem Zwecke nicht,« antwortete der feste Mann. »Gebietet über mich in jeder Beziehung, nur in dieser nicht!«

Trotz alledem konnte der Führer der Expedition zu keinem rechten Zorne über den Indianertödter kommen. Diaz war die hervorragendste Persönlichkeit der ganzen Gesellschaft, zumal nachdem diese in dem gestrigen Kampfe so sehr gelichtet worden war, und Strenge wäre hier sicherlich ganz am unrechten Platze gewesen.

Das Gold wurde den drei Pferden aufgeladen, und schon machte sich Don Estevan bereit, aufzusteigen, als ein Ruf erscholl, welcher ihn zaudern ließ.

»Halt!« ertönte es mit einer Stimme, welche dem Donner glich, der durch kumulirende Wolken fährt.

Die vier Männer blickten auf.

Droben auf der Pyramide, hart am Rande ihrer oberen Fläche stand eine hohe, breite, hünenhafte Gestalt, die schwere Büchse zum Anschlage bereit.

»Der Tigertödter!« rief erschrocken Baraja. »Was thut er hier? Er hat uns beobachtet und wird uns das Gold rauben!«

Rechts und links zu den Füßen des riesigen Jägers blickten zwei andere Büchsenläufe zwischen den Steinen hervor.

»Wer sich von der Stelle rührt, ist verloren!« erscholl seine Stimme wieder.

»Was wollt Ihr?« frug Diaz, der sich zuerst gefaßt hatte, oder vielmehr zwar überrascht gewesen, aber gar nicht aus der Fassung gekommen war.

»Zweierlei: Den Mann, welchen Ihr Estevan de[291] Arechiza nennt und sodann das Placer, von dem kein Körnchen Euch gehört!«

»Mit welchem Rechte fordert Ihr das?«

»Wir haben mit Estevan Arechiza ein Savannengericht zu halten, und das Goldthal gehört Tiburcio Arellanos, dem Sohne seines Entdeckers.«

»Ist Tiburcio selbst bei Euch?«

»Ja.«

»Er mag sich zeigen!«

Fabian de Mediana erhob sich.

Ein Laut des Entsetzens entfuhr Arechiza, Baraja und Oroche. Sie hatten Tiburcio für todt gehalten, ertrunken in den Fluthen des Salto de Agua, und jetzt sahen sie ihn, hoch aufgerichtet und in voller Frische und Gesundheit droben auf der Pyramide stehen.

»Die Bonanza gehört mir! Wer will sie mir streitig machen?« rief er hinab.

»Ihr habt Recht: sie gehört nur Euch allein!« antwortete Diaz. »Darum habe ich, noch ehe ich wußte, daß Ihr zugegen seid, auch nicht ein Stäubchen von ihr angerührt. Das Uebrige aber mögt Ihr mit diesen Sennores selbst abmachen.«

»Gut, so sind Drei gegen Drei!« ließ sich die Stimme des Kanadiers wieder vernehmen. »Herunter von den Pferden mit dem Golde!«

Arechiza hatte bisher geschwiegen. Er war bei dem Anblicke des Todtgeglaubten auf das Heftigste erschrocken und sann auf einen Ausweg aus der peinlichen Lage, in welche er sich versetzt sah. Es war ihm vollständig klar, daß die drei Männer ihm von der Hazienda aus gefolgt waren, um Rache an ihm zu nehmen; er kannte den Ruf,[292] in welchem Tiburcio stand; er hatte an der Cisterne ein überzeugendes Beispiel von dem Muthe, der Festigkeit und Geschicklichkeit der beiden Anderen gesehen; dazu kam, daß er sich nicht mehr auf Diaz verlassen konnte, und so kam es, daß er aus reiner Rathlosigkeit diesen letzteren bisher die Unterredung hatte führen lassen. Jetzt aber hielt er es für nothwendig, selbst das Wort zu ergreifen.

»Ihr habt kein Recht zu dieser Forderung. In der Savanne gilt das Recht des Ersteren, und dieses haben wir, denn wir sind vor Euch hier gewesen.«

»Und Marcos Arellanos vor Euch.«

»Dieser lebt nicht mehr; seine Ansprüche sind mit seinem Tode erloschen.«

»Habt Ihr die Bonanza entdeckt oder seid Ihr zu ihr geführt worden?«

»Geführt.«

»Durch wen?«

»Durch Cuchillo.«

»Wo befindet sich dieser?«

»Er ist uns entflohen.«

»Hättet Ihr das Placer entdeckt, so wollten wir Eure Ansprüche in Berathung ziehen; da dies aber nicht der Fall ist, so bleibt es bei meinem Befehle: Herunter von den Pferden mit dem Golde!«

Keiner von den Dreien machte Miene, diesem Gebote Folge zu leisten.

»Zum letzten Male herunter!«

Arechiza schickte sich zu einer weiteren Entgegnung an, kam aber zu spät. Zwei Schüsse krachten von der Pyramide herab, wenige Augenblicke später ein dritter, und, während der Kanadier die Untenstehenden mit seiner Büchse im[293] Schach hielt, stürzten die mit dem edlen Metalle beladenen Pferde durch das Auge getroffen zur Erde.

Unwillkürlich erhob Arechiza seine Büchse, welche er bisher gesenkt gehalten hatte, weil er wohl wußte, daß ihm jede mit der Waffe ausgeführte drohende Bewegung das Leben kosten könne.

»Nieder mit der Flinte!« donnerte Rosenholz.

Sofort ließ Don Estevan das Gewehr wieder sinken. Er stand Männern gegenüber, denen er nicht gewachsen war. Jetzt erhob sich auch Pepe aus seiner geschützten Stellung auf der Platte der Pyramide. Dem früheren Miquelete dauerte die Verhandlung zu lange.

»Santa Lauretta, ist das ein langsames Treiben hier zu Lande. Rosenholz, laß mich weiter machen!«

Und sich nach unten wendend, fuhr er fort:

»So, das ist abgemacht! Jetzt aber haben wir ein Wort mit Euch zu sprechen, Herr Graf Antonio de Mediana. Wir klagen Euch an des Kindesraubes und des Mordes an Eurer Schwägerin, der Gräfin Donna Louisa. Wir werden über Euch zu Gericht sitzen; die Andern aber können dahin gehen, wo sie hergekommen sind!«

Sofort waren Baraja und Oroche um die Pyramide verschwunden. Der Anblick der Tigertödter und Fabians, gegen den sie sich des Mordversuches schuldig gemacht hatten, war von so ernüchternder Wirkung auf sie gewesen, daß sie sofort den Werth des Lebens wieder erkannten und daher von der ihnen so unerwartet ertheilten Erlaubniß den schleunigsten Gebrauch machten. Noch war ja nicht Alles verloren, und wenn sie sich so wenig wie möglich von der Bonanza entfernten, konnten sie das Vorgehende[294] beobachten und vielleicht Gelegenheit erhalten, eine wenn auch nur kleine goldene Ernte vorzunehmen.

Diaz hatte mit widerstreitenden Gefühlen zu kämpfen.

Die vorhergegangenen Eröffnungen Cuchillo's hatten ihn eine dunkle Episode aus dem Leben Don Estevans erblicken lassen. Er mußte mit vollständiger Gewißheit annehmen, daß die Anklage, welche Pepe diesem von der Pyramide herab entgegengeschleudert hatte, auf Wahrheit beruhe, und doch sprach eine innere Stimme zu Gunsten seines bisherigen Führers und Gebieters. Dieser war kein gewöhnlicher Mann, hatte ihn stets den Andern vorgezogen und rechnete jedenfalls auf seine Unterstützung. Durfte er dieses Vertrauen täuschen? Noch war nichts bewiesen – er beschloß, ihm die Flucht zu ermöglichen.

»Auch ich darf gehen?« frug er zur Höhe empor.

»Auch Ihr.«

»Mit meinem Pferde?«

»Ja. Es trägt kein Gold. Steigt auf!«

Diaz trat zu seinem Thiere, und während er that, als habe er am Sattelgurte und Riemenzeug zu schnallen, flüsterte er Arechiza seinen Plan zu.

Noch immer waren die drei Büchsen von oben herabgerichtet; Diaz aber wußte jetzt, daß man ihn schonen wolle. Er schwang sich auf und gab seinem Pferde die Sporen so kräftig, daß es mit einem einzigen Satze bis gerade vor Don Estevan schnellte. Im nächsten Augenblicke saß dieser vor Diaz und von dessen breiter Figur vollständig gedeckt, im Sattel, und im schnellsten Laufe jagte das Thier mit seiner doppelten Last davon.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Als Bois-rosé, Pepe Dormillon und Fabian auf ihrer[295] schwimmenden Insel den Indianern so glücklich entgangen waren, bestand ihre erste Aufgabe in der Aufsuchung der Bonanza. Sie war ja der Ort, nach welchem die Mörder der Gräfin de Mediana und des Marcos Arellanos strebten.

»Sag, mein Sohn, wirst Du das Placer finden?« frug Bois-rosé.

»Sicher, mein Vater! Ich habe die Zeichnung, welche die Mutter mir übergab, bei mir. Sie ist sehr genau und vollständig, so daß ein Irrthum gar nicht vorkommen kann.«

»Willst Du sie uns einmal zeigen?«

Fabian suchte das unter seinem Jagdanzuge sorgfältig verborgene Blatt hervor. Die drei Jäger setzten sich zur Erde, und der junge Mann erklärte:

»Hier dieser Strich bedeutet den Rio Gila, welcher von Osten nach Westen fließt. Er bildet hier an dieser Stelle zwei Arme, von denen der linke seine ursprüngliche Richtung beibehält, der rechte aber nach Nordwest abbiegt, die dort liegenden Berge durchschneidet und dann nach Südwest zu dem andern Arm zurückkehrt. So entsteht ein Dreieck, in dessen oberster Spitze die Nebelberge liegen. Wir sind heut Nacht an der Stelle, wo der Rio sich theilt, vorübergeschwommen und befinden uns am linken Arm, in der Nähe des Punktes, wo er den rechten wieder aufnimmt. Gehen wir also an diesem aufwärts, so erreichen wir die Berge von der dem Lager der Goldsucher entgegengesetzten Seite. Innerhalb der Ecke, welche der rechte Arm umbiegt, um sich nach Südwest zu lenken, liegen neben einander fünf Berge, welche hier abgezeichnet sind. Der mittlere von ihnen fällt nach Süden steil ab und bildet da eine Felswand, an welcher ein Wasserfall zur Tiefe[296] stürzt. Diesem Falle gegenüber erhebt sich das Grabmal eines Indianerhäuptlings, und höchstens dreißig Schritte von demselben nach Osten liegt das Goldthal, welches von einer dichten Wand von Weiden- und wilden Baumwollbäumen dem Auge entzogen ist. Unweit davon liegt ein kleiner See, dessen Oberfläche so mit grünen Wasserpflanzen überzogen ist, daß man das Wasser kaum zu sehen vermag. So hat mein Pflegevater, ehe er nach Tubac ging, um die Apacheria zum zweiten Male aufzusuchen, meiner Pflegemutter das Placer beschrieben, und diese Zeichnung hier stimmt so genau damit überein, daß wir die Bonanza so sicher finden werden wie unser Messer, wenn wir hinab in den Gürtel greifen.«

Bois-rosé blickte nachdenklich vor sich hin.

»Wir befinden uns also,« meinte er, »im Südwest von dem Placer, und das Lager der Mexikaner gerade im Ost von ihm. Wenn ich mich nicht irre, so haben die Goldsucher gerade so weit zum Goldthale wie wir. Wie mir scheint, haben sie gestern Abend die Rothen geschlagen, und es ist nicht ganz unwahrscheinlich, daß sie oder doch Einige von ihnen bereits mit dem Morgen aufgebrochen sind, um die Bonanza aufzusuchen. Demnach haben wir keine Zeit zu verlieren, wenn wir ihnen zuvorkommen wollen.«

»Das ist auch meine Meinung,« stimmte Pepe bei. »Laßt uns machen, daß wir vorwärts kommen!«

Für jetzt hatten sie weder von den Mexikanern, noch von den Wilden, deren Lager sich ja noch hinter dem der ersteren im Osten befand, Etwas zu befürchten; sie schritten also nur unter den gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln vorwärts und erreichten schon nach zwei Stunden den ersten der fünf Berge, von denen Fabian gesprochen hatte.[297]

Diese fünf Höhen hingen eng zusammen und waren blos in ihren Kuppen von einander getrennt. Die Sonne hatte sich schon längst erhoben und beleuchtete mit ihrem hellen, klaren Lichte die Gegend, daß man bis in weite Entfernung hin zu blicken vermochte.

Wortlos und im raschen Schritte eilten die drei Jäger vorwärts. Der erste Berg lag nun hinter ihnen, der zweite bald auch und – da blieb Fabian, welcher voranging, halten und deutete mit der Hand nach seitwärts empor.

»Seht Ihr den Wasserfall?«

Die ihnen entgegenstehende Sonne warf ihr funkelndes Licht in die niederstürzende Wassermasse und erzeugte hinter derselben, zwischen dem Wasserbogen und der Felsenwand, ein köstliches Spiel von gebrochenen Lichtern, welche alle Farben des Regenbogens zeigten, im prächtigen Durcheinander auf und nieder zuckten, sich haschten, sich durchkreuzten, sich flohen und einen Anblick boten, von dem das Auge sich zu wenden sträubte.

Einige Augenblicke lang standen die Jäger still, um das wundervolle optische Schauspiel zu betrachten. Dann erhob Fabian wieder zeigend seine Hand.

»Und dort ist das Grab des Häuptlings. Seht Ihr das Pferdeskelett und die Trophäen, mit denen es geschmückt ist? Hinter ihm liegt die Bonanza.«

In diesem Augenblicke drang ein Laut von der Pyramide zu ihnen herüber, der sie aufhorchen ließ. Die Entfernung war zu groß, als daß sie den Schrei Cuchillo's in seiner ganzen Stärke hätten hören und in seiner eigenthümlichen Klangfarbe hätten unterscheiden können.

Sie waren zu erfahren, als daß Einer von ihnen jetzt[298] die Stille hätte unterbrechen mögen; vielmehr warteten sie mit angestrengtem Gehör auf eine Wiederholung des Lautes.

Der zweite Schrei Cuchillo's erscholl, dann blieb es ruhig.

»Das war ein Mensch,« meinte Pepe.

»Ein Thier allerdings nicht,« antwortete Rosenholz. »Was meinst Du, Fabian? Deine Ohren sind jünger als die unsrigen und also auch empfindlicher für den Schall.«

»Ein Mensch war es, aber der Ton war kein Ruf, der Jemanden galt, sondern ein Schrei entweder großen Schmerzes oder außerordentlicher Freude. Welches von diesen beiden das Richtige ist, kann ich nicht unterscheiden, da wir uns nicht nahe genug befinden.«

»Der Mann wird bei der Bonanza sein und vor Entzücken geschrieen haben,« vermuthete Pepe Dormillon.

Bois-rosé schüttelte den Kopf.

»Mein Sohn, wo meinst Du wohl, daß sich Derjenige befindet, welcher die beiden Schreie ausgestoßen hat?« frug er Fabian.

Der alte, biedere Kanadier versäumte keine Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß sein Pflegesohn den Ruf als Rastreador, in welchem er stand, auch wirklich verdiene.

Fabian erkannte die Absicht und lächelte.

»Er steht nicht an der Bonanza« antwortete er, »sondern auf dem Indianergrabe, sonst hätten wir die Laute kaum vernommen.«

Er hatte Recht. Zwischen ihnen und der Pyramide lag eine kleine, langgestreckte Erhöhung, über welche nur der obere Theil des Grabmales herüberblickte. Beide, die[299] Pyramide und Anhöhe, hätten die Schallwellen abgeleitet, wenn sich Cuchillo unten an der Bonanza befunden hätte.

»Gut! Und was folgt für uns daraus, mein Sohn?«

»Daß er uns sehen kann, wenn er ein gutes Auge hat, während wir ihn in Folge seiner gedeckten Stellung nicht zu erkennen vermögen.«

»Richtig. Wenn er nach uns herüberblickt, wird er uns als drei Punkte bemerken, die sich ihm nähern. Da wir aber hier keine Deckung finden können, so bleibt uns nur übrig, daß wir so schnell wie möglich und ganz dicht hinter einander die Anhöhe zu erreichen suchen. Er wird dann einige Sekunden lang nur einen Punkt sehen, und dann sind wir hinter dem Hügel verschwunden.«

Hätten sie gewußt, wie vollständig Cuchillo jetzt von anderen Dingen in Anspruch genommen wurde, so wäre diese Vorsichtsmaßregel von ihnen als überflüssig erkannt worden. Als erfahrene Jäger aber durften sie nicht anders handeln.

Bei der Anhöhe angekommen, erklimmten sie dieselbe und konnten nun, hinter einem Felsen versteckt, die Pyramide genau beobachten.

Eben eilte Cuchillo von derselben herab; sie konnten seine Gestalt deutlich sehen, und Fabian, dessen Auge in Folge seiner Jugend schärfer war als das der beiden Andern, erkannte ihn sofort.

»Cuchillo!«

»Der Mörder?« frug Pepe. »Santa Lauretta, da haben wir ja den Hallunken sofort, wenn wir hinüberspringen. Vorwärts, Rosenholz!«

»Langsam, Pepe! Oder weißt Du vielleicht, wer sich noch hinter dem Grabmal befindet?«[300]

»Das werden wir sofort sehen, wenn wir hinkommen,« meinte der frühere Küstenwächter, welcher als Spanier ein feurigeres Temperament hatte als der bedächtige Kanadier.

»Dazu ist es später immer noch Zeit. Laß uns warten, ob sich vielleicht noch Jemand zeigt!«

Sie verharrten in ihrer gegenwärtigen Stellung. Lange konnten sie nichts Auffälliges bemerken, und schon wollte Pepe ungeduldig werden, als auf einmal Cuchillo hinter der unteren Seite der Pyramide zu Pferde hervorkam und im Galopp zwischen ihnen und dem Grabmale dahinritt.

»Soll ich ihn niederschießen, Rosenholz?« frug Pepe, die Büchse erhebend.

»Nein. Wir müssen mit ihm sprechen ehe er stirbt. Laß ihn also; seine Spur bleibt uns sicher und gewiß!«

Dormillon senkte das Gewehr. Cuchillo verschwand in einer Schlucht, welche sich zwischen den Bergen zur Höhe zu ziehen schien.

Sie warteten noch eine kurze Zeit; dann aber ließ sich Pepe nicht länger halten.

»Geht Ihr mit, oder soll ich allein hinüber?«

Bois-rosé warf das Auge noch einmal forschend umher, dann antwortete er:

»Wir bestreichen mit unsern Büchsen den ganzen Raum zwischen hier und dem Grabmale. Springe hinüber, Pepe, und steige hinauf. Du wirst sehen, ob sich Jemand hinter dem indianischen Monumente befindet, und uns ein Zeichen geben, was wir thun sollen. Wir bleiben einstweilen zurück, um Dir Hülfe zu leisten, wenn Du ihrer bedarfst.«

Kaum waren die Worte gesprochen, so befand sich Pepe schon unterwegs. Er kletterte an der jenseitigen[301] Senkung des Abhanges hinab, eilte im Laufschritte auf die Pyramide zu und erklimmte dieselbe. Als er mit dem Kopfe ihren Rand erreichte, blickte er erst vorsichtig über denselben hinüber, um sich zu überzeugen, ob sich Jemand auf dem Plateau befinde. Er bemerkte, daß dasselbe vollständig verlassen sei und schwang sich vollends hinauf.

Dort bückte er sich nieder und kroch nach der entgegengesetzten Seite hinüber, von wo aus man hinab nach dem Goldthale blicken konnte. Sein Auge fiel auf Diaz, welcher jetzt ganz allein unten auf dem Steine saß und sich mit seiner Büchse beschäftigte. Außer dem Indianertödter war niemand zu bemerken; darum winkte Pepe nach der Anhöhe zurück, um die beiden Gefährten zu bedeuten, daß sie ihm folgen sollten.

Nach wenigen Augenblicken befanden sie sich an seiner Seite.

»Kennt Ihr diesen Mann, Sennor Fabian?« frug Dormillon.

»Diaz!« antwortete Tiburcio verwundert. »Diaz und Cuchillo! Wie kommt die Ehrlichkeit mit der Bosheit zusammen?«

»Ehrlichkeit? Ein Mexikaner und ehrlich!« warf Pepe hin.

»Ja. Die Sonne hat noch keinen kühneren und ehrlicheren Mann beschienen, als dieser Diaz ist. Mag geschehen was da wolle, ich werde nicht zugeben, daß ihm auch nur ein Haar gekrümmt werde. Aber er ist ein Reiter. Wo hat er sein Pferd?«

Bois-rosé trat an den andern Rand der Pyramidenplatte.

»Komm her, mein Sohn, wenn Du es sehen willst!«[302]

Fabian folgte ihm, und auch Pepe trat hinzu.

»Vier Pferde, und also auch vier Reiter!«

»Ja, mein Sohn. Und wenn ich mich nicht irre, so sehe ich hier die Rappstute, welche am Salto de Agua den Mann trug, welcher sich Don Estevan de Arechiza nennen läßt.«

»Richtig. Er muß in der Nähe sein und noch zwei Andere mit ihm. Aber wo befinden sie sich?«

»Jedenfalls da, wohin Diaz das Gesicht wendet; denn wer auf eine Person wartet, der kehrt unter diesen Verhältnissen der Richtung, aus welcher sie kommen soll, nicht den Rücken zu,« antwortete der scharfsinnige Kanadier.

»Dann befinden sich die Drei hinter jener Wand von Weiden und Baumwollsträuchern, die wir da – ah, Vater, Pepe, jetzt erkenne ich den Ort! Hinter diesem grünen Vorhange befindet sich das Goldthal; das ist so sicher, als wir hier auf dem Indianergrabe stehen!«

»Dann haben sie es entdeckt und sind dabei, es zu untersuchen.«

»Und auszubeuten.«

»Nein, mein Sohn. Sie haben nichts, worein man das Gold fassen könnte, mit, als ihre Decken, und diese liegen noch auf den Pferden. Ueberdies ist es doch beinahe fraglich, ob sie sich hinter der Pflanzenwand befinden oder, wenn dies wirklich der Fall sein sollte, ob dort die Bonanza liegt.«

»Warum? Ich bin vollständig sicher, daß sich das Goldthal nirgends wo anders befindet als hier.«

»Sage selbst, mein Sohn, ob dieser Diaz dann hier unten säße und so ruhig an seinem Karabiner herumputzte.«[303]

»Du kennst diesen Mann nicht, Vater. Für ihn hat nichts Werth, als der Skalp eines Indianers. Die Wilden haben ihm einst sein Weib und seine Kinder getödtet, und seit dieser Zeit kennt er kein anderes Vergnügen, als die Jagd auf Rothhäute. Und seine Gleichgiltigkeit kann ja auch einen noch andern augenblicklichen Grund haben.«

»Das ist allerdings möglich, und wenn – ah, nieder, nieder mit den Köpfen! Sie kommen!«

Bois-rosé sprach dies in demselben Augenblicke, an welchem Don Estevan mit den beiden Banditen aus dem Goldthale trat.

»Antonio de Mediana,« flüsterte Pepe. »Santa Lauretta, wir treffen ihn zur rechten Zeit und auch am passenden Orte. Er soll sich über Pepe, den Miquelete von Elanchovi, nicht zu beklagen haben.«

»Baraja und Oroche!« fügte Fabian hinzu.

»Die beiden Schufte, welche am Salto de Agua die Gewehre auf Dich anlegten,« vervollständigte Bois-rosé.

Sie vernahmen jedes Wort des Wortwechsels zwischen Arechiza und Diaz.

»Siehst Du, mein Vater,« sprach Fabian leise, »daß er sich aus dem Golde nichts macht?«

»Er spricht: ›Seid ich weiß, daß die Bonanza nicht uns gehört.‹ Was mag er damit meinen?«

»Sollte er eine Ahnung davon haben, daß Marcos Arellanos sie entdeckt hat, wie Ihr uns erzähltet, Don Fabian?« flüsterte Dormillon.

»Möglich! Jedenfalls werden wir uns über diesen Punkt aufklären.«

»Sie denken, dieser Cuchillo sei nach dem Lager zurückgekehrt, um die Indianer zu holen. Jedenfalls ist[304] der Mörder nur deshalb in die Berge, um bei passender Gelegenheit zur Bonanza zurückzukehren. Horcht! Sie holen die Pferde, um das Gold in die Decken zu wickeln!«

Platt am Boden liegend, sahen sie dem unter ihnen sich abspielenden Vorgange zu.

»Was thun wir, Fabian?« frug Bois-rosé.

»Der Graf darf uns nicht entkommen, Vater!«

»Das ist sicher,« stimmte Pepe bei. »Virgen de los Dolores, ich danke Dir, daß Du ihn in meine Hände gegeben hast! Ich werde ihm heut zeigen, was es zu bedeuten hat, Pepe, den Schläfer, nach dem Präsidio Ceuta auf den Thunfischfang zu schicken!«

»Pepe, Ihr werdet ihm nur das thun, was wir andern Beiden für recht und billig halten,« warnte Fabian.

»Recht und billig ist hier nur eine Kugel, eine Klinge, oder ein Stückchen Lasso, das ihm um den Hals gewickelt wird, um seinen Athem ein wenig kürzer zu machen.«

»Er hat mich geraubt und ist der Mörder meiner Mutter, das ist wahr. Dennoch aber sehe ich in ihm den Bruder meines Vaters. Wir werden über ihn zu Gerichte sitzen, und es darf keine schnelle, unüberlegte That stattfinden!«

Pepe antwortete nicht; nur ein leises, mürrisches Brummen bewies, daß er mit der Absicht Fabians nicht völlig einverstanden sei.

»Bois-rosé hatte hier keine eigene Meinung, und selbst wenn er einen selbstständigen Plan gefaßt hätte, so war doch seine Liebe zu Fabian zu groß, als daß er sich nicht hätte in den Willen desselben fügen wollen.«

»Und dieser Diaz,« frug er, »ihm soll auch nichts geschehen?«[305]

»Ohne Noth wird ihm kein Haar gekrümmt. Ich kenne keinen Mann, der so würdig wäre, Euer Freund zu sein, wie er. Er hat nichts gemein mit den Menschen, welche wir verfolgen, und sich der Expedition nur deshalb angeschlossen, weil sie ihm Gelegenheit bietet, seinem Hasse gegen die Indianer Folge zu leisten. Ich bitte Euch, ihn zu schonen, als ob er mein Freund oder als ob ich selbst es wäre!«

»Und die beiden Menschen, die Du Baraja und Oroche nennst?«

»Unsere Kugeln sind für sie zu gut, und wenn wir sie laufen lassen, so glaube ich nicht, daß sie uns jemals nur den geringsten Schaden machen werden.«

»Aber sie wollten Euch erschießen, Don Fabian!«

»Es ist ihnen nicht gelungen. Man muß nie Menschenblut vergießen, wenn es nicht unumgänglich nöthig ist.«

»Ich stimme Dir bei, mein Sohn, obgleich ich eigentlich auf einige Tropfen Indianerblutes nicht mehr Werth lege, als sie auf das meinige. Aber diese beiden Männer kennen nun die Bonanza, und wenn wir sie entkommen lassen, so kann Dein Gold in große Gefahr kommen.«

Fabian lächelte.

»Seit ich Dich wieder habe, mein Vater, und meinen wirklichen Namen kenne, ist mir das Handwerk eines Gambusino gleichgültig geworden. Ich bin noch unentschlossen, was ich mit dem Golde thue, und Männer wie Baraja und Oroche haben wir niemals zu fürchten.«

»Das Placer ist Dein, thue damit, was Dir beliebt!«

Nicht dieses Gespräch ausschließlich hatte ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, vielmehr war dieselbe[306] noch weit höher durch den Anblick erregt worden, welchen ihnen die Haufen gediegenen Goldes boten, die vor ihren Augen in die Serapen gehüllt wurden. Alle drei wußten sie, daß der Reichthum nicht das höchste Gut des Lebens ist, und dennoch konnten sie die Blicke nicht von dem Glanze wenden, der zu ihnen emporstrahlte.

»Santa Lauretta, ist das eine Menge Goldes,« meinte Pepe. »Ich glaube mit dem Inhalte einer einzigen Decke könnte man die ganze Herrschaft Elanchovi baar bezahlen. Und wenn ich bedenke, daß hinter der Wand jedenfalls noch mehr, noch viel mehr liegt, so wird mir es ganz schwindelig vor den Augen. Aber sollen diese Leute denn das Gold wirklich mit fortnehmen dürfen, Sennor Fabian?«

»Nein. Sie mögen sich an seinem Anblicke berauschen, um dann desto nüchterner zurückzukehren!«

»Dann ist es hohe Zeit zum Handeln, mein Sohn,« mahnte Bois-rosé. »Siehe, sie laden die Decken bereits auf die Pferde! Soll ich sie anrufen?«

»Ja.«

»So legt Eure Büchsen an, damit das, was ich ihnen sagen werde, den gehörigen Nachdruck bekommt!«

Die Plattform des Indianergrabes war mit Steintrümmern übersäet, die besonders am Rande derselben aufgehäuft lagen und eine Art Brustwehr bildeten, hinter welcher man sich genügend zu verbergen vermochte. Pepe und Fabian steckten die Läufe ihrer Büchsen zwischen den Steinen hindurch, und der Kanadier erhob sich. Es war sicher, daß keiner von den vier Goldsuchern den drei Jägern entgehen konnte, deren Augen und Gewehre die besten waren, die man gegenwärtig in der Apacheria finden mochte.[307]

Schon setzte Don Estevan seinen Fuß in den Steigbügel, als Bois-rosé die Büchse anschlug.

»Halt!« rollte es donnernd aus seiner breiten, gewaltigen Brust hervor.

In seinem einfachen Anzuge und der hohen Fuchspelzmütze stand der riesige Mann da oben auf der Plattform, als sei die Pyramide nicht ein Indianergrab, sondern die Ruhestätte eines vorsündfluthlichen, hünenhaften Menschenkindes, welches durch die Anwesenheit der Abenteurer in seiner Ruhe gestört worden sei, und sich nun erhoben hatte, um an ihnen Rache zu nehmen.

Er sah, daß drei von ihnen heftig erschraken, und nur der vierte, Diaz, sich so beherrschen konnte, daß man ihm seine Ueberraschung nicht anzumerken vermochte. Diaz hatte Bois-rosé schon am Salto de Agua gesehen und dann auch erfahren, daß er und sein Gefährte in einer Minute zwei Tiger getödtet hatten; ihre Namen aber kannte er nicht.

Der Indianertödter gab Antwort und führte das Gespräch. Auch Fabian mußte sich erheben, und wurde von den Untenstehenden beinahe wie ein Gespenst angegestarrt. Als Arechiza der Aufforderung des Kanadiers, das Gold wieder abzuladen, nicht gehorchte, bedurfte es nur eines Winkes von Rosenholz, die Büchsen Pepe's und Fabians krachten, Pepe hatte augenblicklich wieder geladen und abgedrückt, und unter den drei Kugeln waren die Pferde todt zur Erde gestürzt. Als Estevan nun sein Gewehr zu erheben wagte, konnte es Pepe nicht mehr in seiner zuwartenden Stellung aushalten; er sprang empor, und auf seine etwas zu schnelle Mahnung suchten Baraja und Oroche das Weite. Auch Don Estevan gelang es,[308] auf das Pferd Diaz' zu kommen. Das war dem guten Miquelete von Elanchovi zu viel. Er erhob die Büchse und legte schon den Finger an den Drücker, um den Grafen de Mediana vom Thiere herabzuschießen, als Fabian noch zur rechten Zeit seinen Arm ergriff.

»Halt, nicht schießen! Schont sie beide!«

Der Kanadier lächelte wie Einer, dem die Ausführung einer großen Schwierigkeit nur Spaß und Unterhaltung gewährt.

»Hab keine Sorge, mein Sohn; das Pferd gehört meiner Kugel. Lauft schnell, ihnen nach!«

Fabian und Dormillon ließen sich sofort mit augenscheinlicher Lebensgefahr an den steilen Felsenwänden der Pyramide herabgleiten und sprangen den Fliehenden nach. Rosenholz aber folgte mit dem Laufe seiner langen, schweren Büchse, welche wie auf einer eisernen Gabel in seinen Händen ruhte, den Sprüngen des Pferdes auf der Ebene.

Die zwei Reiter, welche in gerader Linie vor ihm flohen, schienen nur einen und denselben Körper zu bilden. Das Kreuz des Pferdes, die Schultern des Petro Diaz – das waren die einzigen Punkte, die seiner Kugel erreichbar schienen, und kaum kam einmal, von einem Augenblicke zum andern, eine Ohrenspitze des Pferdes zum Vorschein. Diaz opfern, hieß gegen den Willen Fabians handeln und einen unnützen Mord begehen, denn Don Estevan entkam dann dennoch – nur noch einen einzigen Augenblick, und die Flüchtlinge waren aus dem Bereiche des auf sie gerichteten Gewehres.

Aber der Kanadier gehörte zu jener Klasse von Jägern, die eine Fischotter oder einen Biber in das Auge schießen, um das Fell nicht zu verderben, und es galt, den[309] Kopf des Pferdes zu treffen, da dieses, wenn es an einem andern Körpertheile nur verwundet wurde, seine Reiter aus dem Bereiche der drei Jäger noch fortgetragen hätte.

Nur eine Sekunde lang wandte das Thier, dem Zügel gehorchend, den Kopf ein wenig zur Seite – dieser Augenblick genügte dem Kanadier. Er drückte ab, der Schuß krachte, und die Kugel pfiff so nahe an den Wangen von Estevan und Diaz vorbei, daß es sie kalt überlief.

Im nächsten Momente stürzte das Pferd todt zu Boden und die beiden Reiter mit ihm.

Der Sturz war so heftig, daß er die Abgeworfenen beinahe betäubte. Trotz der Dringlichkeit ihrer Lage vermochten sie sich nur langsam wieder aufzurichten, und da kamen auch schon Fabian und Pepe, die Büchse in den Fäusten, und die Messer zwischen den Zähnen, in weiten Sätzen auf sie zugesprungen.

Weit hinter seinen beiden Freunden kam jetzt auch Bois-rosé mit Riesenschritten nach und lud während des Laufes seine Büchse wieder. Als er mit dem Laden fertig war, blieb er stehen, unbeweglich, wie ein aus der Erde gewachsener Eichenstamm. Er war sich gewiß, so die Situation beherrschen zu können.

Der Karabiner von Petro Diaz war weit fortgeschleudert worden und hatte sich entladen; er konnte jetzt seinem Besitzer nichts nützen. Dieser bog sich nieder und zog aus dem Knieriemen seiner Reitgamaschen ein langes, scharf geschliffenes Messer hervor.

Don Estevan hob seine englische Flinte, welche ihm auch entfallen war, wieder auf und schlug an. Er war unentschlossen, ob er mit dem ersten Schusse Fabian oder Pepe niederstrecken sollte, – aber der Kanadier beobachtete[310] jede seiner Bewegungen. Noch ehe er zu einem Entschlusse gekommen war, blitzte es aus der Büchse desselben auf, und die sichere Kugel des gewaltigen Jägers zerschmetterte die Flinte an dem Punkte, wo sich der Lauf mit dem Holze verbindet.

Arechiza erhielt dadurch einen Schlag, der ihm das Gleichgewicht raubte. Er stürzte zur Erde nieder.

»Endlich, endlich! nach fünfzehn Jahren!« jubelte Pepe.

Er stürzte sich auf den Grafen los, und setzte ihm das Knie auf die Brust.

Don Estevan versuchte vergebens, sich zu wehren. Sein durch die Kontusion empfindungslos gewordener Arm versagte ihm jeden Dienst. Ein Moment genügte Dormillon, den wollenen Gürtel, welcher ihm mehrere Male um den Leib ging, loszumachen. Er band damit die Glieder des Grafen fest zusammen und blickte sich dann nach Diaz um.

Fabian kannte den Indianertödter fast gar nicht. Nur das eine Mal war er auf der Hazienda del Venado mit ihm zusammengetroffen, aber der Ruf des berühmten Mannes bestimmte ihn, sein Leben zu schonen.

»Petro Diaz, ergebt Euch!« rief er, einem Dolchstiche ausweichend, den der Mexikaner nach ihm führte.

Diaz warf ihm einen stolzen Blick in das Gesicht.

»Ergeben? Euer Freund könnte ich sein, Tiburcio Arellanos, aber mich Euch ergeben? Niemals!«

»So nehmt meine Freundschaft an!«

»Nur nach dem Kampfe, wenn wir noch leben! Ich floh vor Euch, und muß Euch zeigen, daß dies nicht aus Furcht geschah.«[311]

»Das weiß ich,« entgegnete Fabian, einen zweiten und dritten Stoß vermeidend. »Steckt das Messer ein!«

»Vertheidigt Euch, Sennor Tiburcio!«

Es entspann sich jetzt ein Kampf, in welchem es der eine dem andern an Gewandtheit und Behendigkeit zuvorthun wollte. Zu ritterlich, um seine Feuerwaffe wider einen Gegner zu gebrauchen, dessen einzige Waffe in einem Dolche bestand, suchte Fabian Diaz blos zu entwaffnen. Er hielt den Lauf seiner Büchse in der rechten und bediente sich des Kolbens, wie einer Keule, mit welcher er den Arm, welcher das Messer führte, treffen wollte. Allein er hatte es mit einem Gegner zu thun, der ihm bei dieser nachsichtigen Kampfesweise gewachsen war.

Diaz sprang bald auf die rechte, bald auf die linke Seite, um den Kolbenschlägen auszuweichen, und als er kein Resultat erzielte, fuhr er einen Schritt zurück, nahm den Griff des Messers zwischen die drei ersten Finger der Rechten, holte aus, und schleuderte den spitzen, scharfen Stahl mit aller Gewalt nach der Brust Fabians.

Dieser hatte die gefährliche Absicht errathen. Er umfaßte seine Büchse fester, und in demselben Augenblicke, an welchem er vor dem daherblitzenden Messer auf die Seite sprang, wirbelte der Kolben des schweren Gewehres mit solcher Gewalt an die Stirn des Mexikaners, daß dieser zur Erde stürzte.

Zu gleicher Zeit kam Pepe herbei und warf sich sofort auf den Gefallenen, den er mit seinen kräftigen Armen umschlang, daß er sich nicht zu rühren vermochte.

»Demonio,« rief er, »muß man Euch denn umbringen, damit Ihr Euch ergebt? Seid Ihr verwundet, Don Fabian? Nein? Santa Lauretta, das ist ein Glück für Euch, Sennor[312] Diaz, denn hättet Ihr ihm auch nur die Haut geritzt, so wäre es mit Euch Matthäi am Letzten gewesen!«

Selbst jetzt noch versuchte Diaz Widerstand zu leisten.

Es war vergebens, da mittlerweile auch Bois-rosé herbeigekommen war, und die drei Gefährten banden den überwundenen Diaz so, daß er keine gefährlichen Bewegungen mehr zu machen vermochte.

Er sah sich zum ersten Male in seinem Leben besiegt, und dies war es, was trotz seiner freundlichen Gesinnung für Tiburcio Arellanos seinen Grimm anfachte.

»Schießt mich nieder, Sennores; ich bin überwunden; ich mag keinen Pardon haben, ich bin noch nie gefesselt gewesen!«

»Diese Fesseln habt Ihr nur Euch selbst zuzuschreiben,« antwortete der Kanadier. »Wir wollten Euch nicht feindlich behandeln; Ihr aber habt uns dazu gezwungen!«

»Warum versuchtet Ihr, uns den Grafen Antonio de Mediana zu entziehen?« frug Pepe.

Diaz schwieg. Er sah ein, daß er unüberlegt gehandelt hatte, und war doch zu stolz, dies einzugestehen.

»Ihr hörtet, daß ein Savannengericht stattfinden sollte. Ein ehrlicher Mann widersetzt sich in keinem solchen Falle!«

»Ich antworte nicht in Banden!« murrte Diaz finster.

Fabian griff in edelmüthiger Weise zu dem besten Mittel, den Zorn des ehrgeizigen Mannes zu entwaffnen. Er hob das Messer auf.

»Pepe, nehmt ihm die Fesseln ab!«

Pepe gehorchte dieser Weisung, und Fabian drückte Diaz sein Messer in die Hand.

»Sennor Diaz, wenn Ihr keine gute Meinung von[313] mir habt, so stoßt mir diese Klinge in das Herz; ich werde mich nicht wehren!«

Diaz ließ das Messer wieder fallen.

»Sennor Tiburcio, Ihr seid ein Rastreador, der meine ganze Achtung besitzt, und Ihr sollt es nicht bereuen, mich kennen zu lernen. Doch habe ich heilige Verpflichtungen gegen diesen Sennor Don Estevan de Arechiza, und ich mußte diesen Verpflichtungen allerdings auf eine Weise nachkommen, welche Euch nicht angenehm gewesen ist. Vielleicht wird mir einmal Gelegenheit, diesen Umstand wieder gut zu machen.«

Er reichte Fabian die Hand und frug dann:

»Wollt Ihr mir nicht die Namen dieser Sennores sagen?«

»Vielleicht sind Euch die Namen bekannt, welche meine Gefährten von den Indianern erhalten haben. Dieser Sennor hier wird von ihnen der ›große Adler‹ und dieser der ›zündende Blitz‹ genannt.«

Diaz trat erstaunt einen Schritt zurück.

»Ist es möglich? Der ›große Adler‹ und der ›zündende Blitz,‹ die beiden berühmtesten Waldläufer, welche es giebt? Sennores, der heutige Tag erfüllt den größten meiner Wünsche, weil er mich mit Euch zusammenführt. Hätte ich gewußt, wer Ihr seid, so hätte ich mich Eurem Savannengerichte nicht widersetzt, denn ich weiß, daß die ›Fürsten der Wälder und Prairien‹ stets gerechte Ursache haben, wenn sie ein solches vornehmen wollen.«

Er drückte auch Rosenholz und Dormillon die Hand, und es war ihm anzusehen, wie außerordentlich und aufrichtig er sich über diese Begegnung freute.

Fabian trat zu Arechiza.[314]

»Don Antonio de Mediana, wollt Ihr als ein Mann von Ehre oder als ein gewöhnlicher Abenteurer behandelt sein?«

Der Gefragte blickte ihn mit finsterem Hasse an.

»Thut, was Ihr wollt!«

Pepe trat näher.

»Don Antonio de Mediana, es würde besser für Euch sein, wenn Ihr diesem Don hier ein freundlicheres Gesicht zeigen wolltet. Santa Lauretta, wenn Ihr bei dieser Miene bleibt, so kann es leicht dahin kommen, daß man kürzer mit Euch verfährt, als mit einem armen Teufel, der auf den Thunfischfang geschickt wird, weil er die Wahrheit redet. Das sagt Euch Pepe, der Schläfer!«

»Gebt Ihr uns Euer Ehrenwort, daß Ihr keinen Fluchtversuch unternehmt, wenn wir Euch von den Fesseln befreien?« frug Fabian.

»Ich werde nicht fliehen,« klang es kurz.

Auch Diaz nahm sich seiner an.

»Ich bürge für ihn,« meinte er, »wenn Ihr auf mein Wort etwas geben wollt!«

»Das genügt,« nickte Fabian. »Pepe, nehmt ihm die Fesseln ab!«

Pepe gehorchte auch jetzt.

Arechiza erhob sich vom Boden, auf welchem er lag.

Er war bleich; seine fahlen, plötzlich eingesunkenen Wangen gaben ihm das Aussehen, als sei er während der letzten zehn Minuten um ein ganzes Jahrzehnt gealtert.

»Wer gibt Euch das Recht, mich zum Gegenstand eines Gerichtes machen zu wollen?«

»Die Verpflichtung eines jeden freien Mannes, der[315] das Verbrechen straflos und trotzig das Haupt erheben sieht,« gab Bois-rosé zur Antwort. »Folgt uns zu Euren Pferden zurück und denkt daran, daß die Richter der Savanne andere Männer sind, als die feilen Knechte, die einen ehrlichen Miquelete vernichten, um die Verbrechen eines Grafen zu verbergen!« – – –[316]

Quelle:
Der Waldläufer von Gabriel Ferry. Für die Jugend bearbeitet von Carl May. Stuttgart (1879), S. 266-317.
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