44. Der erlöste Kapuziner.

[158] Ein Bauersmann hatte eine Tochter, die mußte ihm auf dem Felde die Schweine hüten; weil ihr aber seit einiger Zeit fast an jedem Tage ein Schwein verloren gieng, so bestrafte sie endlich der Vater recht tüchtig. Da passte sie das nächste Mal den ganzen Tag auf und wandte ihr Auge von der Heerde gar nicht mehr ab. Als nun die Mittagsstunde kam, lief eine Sau fort. Da sprang das Mädchen ihr sogleich nach, um sie zurückzutreiben; aber die Sau rannte in Einem fort und das Mädchen rannte hinter ihr her, bis sie in eine »Klinge« (Thal) kam. Da sah sie großmächtige Felsen. Auf einmal aber war das Schwein verschwunden,[158] und als das Mädchen zu der Stelle kam, bemerkte es daselbst einen Eingang und begab sich hinein. Da war sie in einer Höhle und fand dort das Schwein, indem es aus einer Spühlgelte fraß, und nachdem es sich satt gefreßen, wollte sie es hinaustreiben. Da rief aber eine Stimme dem Mädchen zu: »die Sau darf nicht wieder fort, sondern muß hier verzehrt werden; und Du darfst auch nicht mehr fort; denn Du bist dazu geboren, daß Du mich erlösen kannst. Deshalb mußt Du hier bleiben und mußt für mich kochen. Ich bin ein Kapuziner, bin schwarz und muß weiß werden, und wenn ich so einmal komme, dann bin ich erlöst. Es werden jeden Tag zwölf Männer in die Höhle kommen, die werden hier eßen, und wenn sie gegeßen haben, werden sie tanzen und alsdann wieder fortgehen. Du darfst aber nie ein Wort mit ihnen reden, sonst werden sie Dich umbringen. Wenn Du nun Alles so machst, wie ich Dir's gesagt habe und meine Erlösung zu Stande bringst, dann sollst Du alle Schätze haben, die in dieser Höhle verborgen sind.«

Darauf that das Mädchen in Allem so, wie ihr der Kapuziner gesagt hatte, und versah seine Küche. Als sodann die zwölf Männer kamen, die halb weiß und halb schwarz gekleidet waren, sprachen sie sogleich zu dem Mädchen: »was machst Du da?« Das Mädchen aber gab ihnen keine Antwort. Dann aßen sie und tanzten und giengen weiter.

Das dauerte so eine lange Zeit und oft dachte das Mädchen still für sich: »ach, wenn doch nur erst der Kapuziner im weißen Kleide erschiene, daß ich aus der Höhle[159] wieder hinaus könnte!« – Und endlich und endlich kam auch ein schneeweißer Mann, der sprach: »jetzt bin ich erlöst; Du kannst nun heimgehen und einen Wagen holen, und alles Geld nehmen, das hier in der Höhle ist.« Darauf verschwand er. Das Mädchen aber lief voller Freuden zu ihren Eltern zurück und erzählte ihnen Alles, wie es ihr gegangen war: wie sie dem Schwein nachgelaufen und in die Höhle gekommen sei und einen Mann habe erlösen müßen.

Da waren auch die Eltern froh, denn sie hatten große Sorge wegen ihrer Tochter ausgestanden und sie schon überall gesucht, aber nirgends eine Spur von ihr gefunden, und erkannten sie fast nicht mehr. Dann fuhr ihr Vater mit einem Wagen hin und holte das Gold und Silber aus der Höhle, so daß er auf einmal unermeßlich reich wurde.

Quelle:
Ernst Meier: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben. Stuttgart 1852, S. 158-160.
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