1. Psychologie des Geschlechtskampfes
Das Kampfmoment der Geschlechtsbeziehung – »Die Oberhand behalten« – Wer leistet Gefolgschaft? – Das Dämonium des Mißverstehens – Der psychische Fetischismus des modernen Mannes – Sein Partialitätstrieb – Frivolität als Äquivalent für den gebrochenen Geschlechtstrieb – Geschlechtliche Ernüchterung eine Folgeerscheinung »zerebraler Versandung« – Der Knax ins Asketische – Nietzsche über Buddha – Die Erniedriger des Sinneslebens.

[327] Von der Überlegung sagt Kleist, daß sie nach getaner Handlung besser am Platze sei als vorher, wo sie angetan wäre, die Kraft, die aus einem herrlichen Gefühl quillt, das zur Tat drängt, zu mindern, während die Überlegung nach abgetaner Handlung erkennen läßt, wie das Getane nächstens besser zu machen sei. – Ebenso ist's mit dem Liebeserleben. Den Gang der Beziehung vorher zu »durchschauen«, seine Gefühle dieser Voraussicht gemäß zu ändern oder gänzlich auszuschalten, ist schlechterdings unmöglich. Hingegen kann durch gemachte Erfahrungen eine Überlegung a posteriori, eine Erkenntnis früher unerkennbarer Gesetze herbeigeführt werden und die Disposition des handelnden Individuums für den nächsten Fall a priori ändern. Wie viele Herzen, so viele Arten zu lieben, und jedes einzelne Paar liefert andere Sexualerfahrungen. Das Kampfmoment in jeder Geschlechtsbeziehung wird natürlich um so schärfer, je subtiler die Individualitäten sind, je erregbarer die Leidenschaften. Der Sieg dieses Kampfes heißt, wie schon die kleine Hilde Wangel sagt: »Die Oberhand behalten«. Wer schneller die Kühle seines Blutes und die Macht seines Verstandes verliert oder doch verändert, ist der eher Besiegte. Aber diese Kühle und diese Verständigkeit zu verlieren, ist andererseits doch wieder der Zweck des ganzen Erlebens – und so wird die ganze Bewegung wahrlich immer hyperbolischer, wird immer mehr und mehr »eine ziemlich verzwickte Bewegung«, deren geheimnisvolles Rotieren in den seltsamsten Konstellationen und Figuren erfolgt – »nur die gerade Linie ist allgemein verhaßt«.

Für die Qualen und Kämpfe der Geschlechtsliebe Erklärungen zu finden, haben sich alle produktiven[328] Geister bemüht. Nach Giordano Bruno90 wäre das Wesen unglücklicher Liebe fast immer in einer Minderwertigkeit des geliebten Partners zu suchen, der durch seine Reaktion Unglück, statt Glück erzeugt. Auch ein anderer Mystiker, ein Bruder im Geiste des Giordano Bruno – Maeterlinck – schreibt die verfehlte Reaktion, das Gefühl der Unbefriedigung in der Liebe der Unvollkommenheit des Partners zu. Er sagt: »Wie unvollkommen auch einer sei, er kann doch der Liebe eines wundervollen Wesens genügen, aber das wunderbarste Wesen kann seiner Liebe nicht genügen, wenn er nicht ganz vollkommen ist.«

Liebe ist vor allem hohe Bewußtheit über das Wesen, dem sie gilt; der Liebende »fühlt«, weiß das andere Wesen oder glaubt es zu »wissen«, daher hat es noch nie einen Künstler gegeben ohne die Fähigkeit, tief zu lieben und zu leiden durch die Liebe. Das Furchtbare der Geschlechtsmächte hat in Mythos und Legende seinen Ausdruck gefunden. In allen Religionen mußte das Göttliche, das Unsterbliche stets vom Geiste empfangen sein, während das »phallisch Gezeugte« stets dem Tode unterworfen ist. Das letzte Problem dieses ganzen Kampfes aber heißt: wer leistet Gefolgschaft? Einer muß sie leisten, denn darauf beruht die Gemeinschaft. Es fragt sich, wer. Derselbe, der sie einer Person verweigert, leistet sie vielleicht gern und willig einer anderen. Das wahre Dämonium des Geschlechtes aber ist das ewige Mißverstehen der Geschlechter. Die grandiose Fabel von Penthesilea und Achill hat uns diesen Vorgang in den allerhöchsten Repräsentanten der Menschheit und der Mythe dargestellt. Aber wir brauchen gar nicht so hoch zu gehen. Dieses ganze ungeheuerliche, tief tragische und fast immer unvermeidliche Erlebnis stellt ein kleines Gedicht von Heine dar91: Ein Käfer[329] wirbt um Fräulein Fliege und Fräulein Fliege weist ihn ab. Neckisch ist's gemeint, denn was sich liebt, das neckt sich. Der unglückliche Käfer versteht aber diese Neckerei nicht und »flog fort mit großem Grämen«. Unterdessen rüstet Fräulein Fliege, die ihre eigene Abweisung gänzlich ignoriert, weil sie ja im Innersten zu dieser Werbung ja sagte, zur Hochzeit. Geschmückt erwartet sie ihn. »Die Glocken läuten, bimbam, bimbam – wo bleibt mein lieber Bräutigam?«...

Auch zwischen den Menschen hängt der Ausgang des »Kampfes« von unberechenbaren Mächten ab, von Mächten der Umwelt sowohl, als von denen der eigenen Seele. Besonders des Mannes Seele ist es, die, mitten im lebhaftesten Begehren, sich gegen die Erfüllung dieses Begehrens noch sträubt. Selbst wenn er arg »verbrannt« ist, hofft er noch in einem letzten Winkel seiner Seele, das »Gleichgewicht« wiederherzustellen. Er hofft damit, »frei« bleiben zu können, und wird er unfrei, so ist das eigentlich gegen seinen tiefsten Grundwillen. Wie aber sollte – wie Shaw es nennt – die Frau zu ihren Wehen gelangen, bliebe er in diesem Kampfe »Sieger«?

Ob ein Paar zusammengehörte, entscheidet die Natur vor allem an seinen Früchten. Den Forschungen der Physiologen gemäß werden die besten Erfahrungen in bezug auf Nachkommenschaft dort gemacht, wo die Eltern weder allzu gleichartig, noch durch Inzucht geschwächt sind. Durch solche Kreuzungen wird die Lebenskraft des neuen Individuums erhöht, vermehrt. Und Lebenskraft, angeborene Tauglichkeit ist alles! Werden hingegen allzu verschiedene oder allzu gleichartige Varietäten gekreuzt, »so zeigen die Nachkommen ... hauptsächlich vorelterliche Merkmale, während die auffallenden Charaktere der Eltern verloren gehen«92. Rückschläge[330] auf überwundene, nicht mehr genügend angepaßte Varietäten sind da zu verzeichnen.

Gerade zu diesen beiden Extremen, sowohl zu der Paarung mit dem Allzuähnlichen, als zu der mit dem Allzuunähnlichen, zu diesen beiden Formen der Kreuzung, welche die Lebenskraft der Nachkommenschaft dezimieren, besteht heute, von seiten der Dekadenten, besondere Neigung. Die Verbindung mit dem Ergänzenden, die die biologisch günstigste ist, »langweilt« zumeist, übt einen zu geringen Reiz auf die abgestumpfte Sensualität der Heutigen aus. »Der moderne Mensch«, sagt Bourget93 »ist ein Tier, das sich langweilt und eine Erregung, die sein Herz erzittern macht, kann er nicht teuer genug bezahlen.« Wäre nur er der Zahlende, so wäre gegen diese Neigung zu erotisch-biologischen Sensationen weiter nichts einzuwenden. Leider aber ist es die Rasse, die bezahlt, die Gattung. Aufregungen ohne rechten Zusammenhang bilden denn auch die beliebteste Form des heutigen Liebeslebens.

Der heutige Mann steht überdies noch unter dem Zeichen einer besonderen Abhängigkeit. Sie besteht, wie schon in einem früheren Kapitel angedeutet wurde, in einem merkwürdigen Fetischismus, dem fast jeder Mann untersteht. Fast jedes Mannes Liebeswilligkeit und -tauglichkeit ist abhängig von irgendeinem für die Umwelt ganz unberechenbaren Fetisch. Irgendeine ganz besondere »Nuance« muß da sein, um sein erotisches Empfinden zu erregen. Und zumeist handelt es sich nicht etwa um körperlichen Fetischismus (diese klinischen Fälle wollen wir hier nicht weiter erörtern), sondern um seelischen Fetischismus. Ein ganz bestimmter »Zug« zieht ihn an, eine bestimmte Eigenschaft, eine bestimmte Geste der Seele. Die sucht er und von deren Vorhandensein ist seine Sexualität – bis zur Verdunkelung der natürlichen[331] Rasseinstinkte – abhängig. Mit Recht sagt Robert Müller: »Wenn die zum Fetisch gewordene Eigenschaft, sei es eine körperliche oder seelische, eine solche Macht über das Vorstellungsleben gewinnt, daß alle anderen Eigenschaften in den Hintergrund treten, so kann von geschlechtlicher Gesundheit nicht mehr die Rede sein.« Genau dieser Zustand ist heute der typische, zumeist auf seiten des Mannes. Fast jeder Mann ist besessen von seinem Fetisch, dermaßen, »daß alle anderen Eigenschaften in den Hintergrund treten.« Und die Frauen stehen vor diesem Phänomen, das sie immer wieder erfahren und erleben, fassungslos, ratlos. Sie wissen keine Deutung für den plötzlichen Zusammenbruch des Erlebnisses, für die Enttäuschung ihrer Erwartungen, denn die Frauen, deren Geschlechtsleben, verglichen mit dem des Mannes, ein seit Jahrtausenden geschontes, daher noch zum größten Teil gesundes ist, haben zumeist keine Ahnung davon, daß es sich um schwere Erkrankungen der männlichen Seele handelt, deren Folgen sie nur immer zu spüren bekommen, sowie sie in intimere Beziehungen mit dem Manne geraten. Die große Liebessehnsucht, die auch der Mann zumeist hat, findet ihre Erlösung nur durch den Fetisch; bietet sich der, so ist sein Genußvermögen hergestellt und damit auch eine grenzenlose Opferwilligkeit des Mannes nicht selten entfesselt. Alles, was er hat und ist, legt er dann der betreffenden Frau zu Füßen und wird ihr besinnungsloser Sklave. Sein kranker Geschlechtstrieb vermag es nicht, ein Weib von allgemein guten Eigenschaften des Körpers und der Seele zu lieben, sie in vollen Zügen zu genießen, sondern eine besondere Seite, deren Wert oder Unwert gar nicht in Frage kommt, ist für ihn das Entscheidende. Daher sind Wesen, die irgendeine besondere seelische oder körperliche Eigentümlichkeit stark ausgeprägt besitzen, heute im sexuellen Wettkampf im Vorteil, da sich immer jemand findet, der für diese[332] Partialität, oder besser gesagt Spezialität, die sie repräsentieren, stark empfänglich ist, während biologisch und psychologisch vollständigere, ausgeglichenere, also komplettere Persönlichkeiten sich am ehesten isoliert finden. Wir glauben, mit dieser Beobachtung, die wir an Hunderten von Fällen (die wir zum Teil schriftlich aufgezeichnet haben), gemacht haben, einem bisher noch nicht erkannten, in der Gegenwart wirkenden Gesetz auf die Spur gekommen zu sein.

Als ein Äquivalent des ungebrochenen Geschlechtsbedürfnisses ist unschwer die Neigung zur Frivolität zu erkennen, das heißt die Neigung, dieses Große, Furchtbare, Ganze des Geschlechtserlebens, das man nicht mehr bewältigen kann, durch kleine Witze, Scherze und dergleichen zu zermürben und zu zerbröckeln. Die Triebkraft, die nicht mehr stark genug ist, sich in ungebrochenen sexuellem Willen zu dokumentieren, gibt den Rest ihrer Energien im Witz aus. Ähnlich sagt auch Dr. Heinrich Pudor: »Frivolität ist das folgerichtige Produkt und die Begleiterscheinung jener geschlechtlichen Ernüchterung, die sich auf zerebrale Versandung und Austrocknung zurückführen läßt.« Diese anmutige Blüte unserer Kultur ist wiederum ihrerseits die Frucht jener wenig auslesenden Kreuzungen, wie sie sich aus dem Heiratssystem ergeben, die die Schwächung der vitalen Impulse erklärlich machen. »In der Tat«, heißt es weiter bei Pudor, »können wir beobachten, daß Menschen, die zur Frivolität neigen, an Frische und Reichtum des Intellektes und des Gemütes ebensoviel zu wünschen übrig lassen wie an geschlechtlicher Empfänglichkeit und sinnlicher Kapazität.« Diese Frivolität ist aber noch die liebenswürdigere Begleiterscheinung jener »zerebralen Versandung«. Es gibt eine andere Folge dieser Krankheit, die nicht einmal die erheiternden und daher versöhnenden Erscheinungen der Frivolität aufweisen kann. Diese andere Folgeerscheinung[333] jener »Versandung« ist der Knax ins Asketische, der geradezu Mode ist. In seiner Abhandlung über asketische Ideale zitiert Nietzsche den Buddha; »Eng bedrängt, dachte er bei sich, ist das Leben im Hause, eine Stätte der Unreinheit. Freiheit ist ein Verlassen des Hauses; – dieweil er also dachte, verließ er das Haus.« Nietzsche aber nennt die, die in die Wüste gehen, um »frei« zu sein, im Gegensatz zu starken Geistern – starke Esel, ja, er findet noch schönere Namen für diese Keuschheitsanbeter. Der eine davon lautet »verunglückte Schweine«. Damit dürfte er dem Wesen dieser Anbetung tatsächlich sehr nahe gekommen sein, denn um verunglücktes und verunreinigtes Triebleben dürfte es sich bei diesem Phänomen zumeist handeln. »Zwischen Keuschheit und Sinnlichkeit gibt es keinen notwendigen Gegensatz; jede gute Ehe, jede eigentliche Herzensliebschaft ist über diesen Gegensatz hinaus«94. Immer waren es Menschen von geschwächtem Geschlechtstrieb und abgestumpften Sinnen, die die Schönheit des Sinnenlebens erniedrigten. Bei entkräftenden und chronischen Krankheiten ist der Geschlechtstrieb herabgesetzt. Die Neurasthenie aber gehört mit zu den allgemeinsten Schwächezuständen, trifft daher auch die Energien der Keimdrüsen, von denen die geschlechtlichen Neigungen abhängen. Jeder Mensch mit lebhaftem Freiheitsdrang wird auch unwillkürlich von starkem oder doch normalem Zeugungsdrang erfüllt sein. Fleischliche und politische Emanzipation sind, nach Bachofen, Zwillingsbrüder. Die asketische Auflehnung, die zu einem lange währenden Kampf gegen die sich immerhin meldenden geschlechtlichen Triebe führt, scheint gegen die Instinkte der Rasse. Aus einem Aufsatz über die Traditionen in alten Adelsgeschlechtern erfahren wir, daß »das Weib mit der Befruchtung gleichsam überrascht, das heißt, die Kontrektationsperiode[334] auf das geringst mögliche Maß verkürzt wurde«.

Die Ritter dieser alten Traditionen waren freilich in dem entscheidenden Punkte noch nicht »verunglückt!«


Ein anderes Phänomen, das die Beziehungen der Geschlechter wenig erquicklich erscheinen läßt, ist eine besondere Art von Geschlechtshaß. Nicht der allgemeine Liebeshaß, von dem in diesem Buche schon die Rede war, ist gemeint, sondern etwas wie eine mehr oder minder stille Wut und Auflehnung gegen das andere Geschlecht im allgemeinen. Besonders der Weiberhaß zählt zahlreiche Anhänger. Man nennt eine Frau mit Hohn männerfeindlich, wenn sie nicht die »Objektivität« so weit treibt, die Wahrheit zu verleugnen zugunsten des Mannes. Die Weiberfeindlichkeit des Mannes kommt in allen Sprachen, in allen Literaturen der Welt zum Ausdruck, ohne ihm Hohn einzutragen. Der des Weibes am wenigsten entraten kann, ist nicht selten der zutiefst am Weibe Leidende. Strindbergs Monomanie wirkt immer wieder tragisch, tragisch wie das Schicksal seines Adepten, des jungen Weininger, der die Abkehr vom Weibe und damit vom Geschlecht folgerichtig mit dem Tode von eigener Hand besiegelte. Das metaphysische Motiv dieses psychischen Phänomens des Weiberhasses, das heute in den Seelen vieler Männer Platz greift, liegt vielleicht in jener triebhaften Furcht des Mannes, der seine geistige Natur durch sinnliche Eindrücke bedroht fühlt. Daher dieser Geschlechtshaß, diese knirschende Auflehnung gerade jenem Typus Mann am nächsten liegt, der seiner geistigen Persönlichkeit, gegenüber den Eindrücken der sinnlichen Erlebnisse, am wenigsten mächtig ist – dessen Nervenkraft zur »Isolierung« (das Wort in dem Sinne gebraucht, in dem es in der Elektrizität verwendet wird) von Geistigem[335] und Sinnlichem und Sinnlichem und Geistigem nicht ausreicht. Daß der Weiberhasser am meisten an seinem Schicksal leidet, geht aus Strindbergs Bekenntnisschriften hervor. Seine Monomanie erregt nicht mehr Auflehnung, sondern tiefes Mitleid, denn sie bedeutet tiefe Tragik. Ich kann nicht umhin, hier einen Passus, der von diesem schmerzlichen Verhängnis berichtet und dabei das tief Mystische dieser Vorgänge veranschaulicht, wiederzugeben. »Es gibt ein Weib, dessen Nähe ich nicht vertrage, das mir aber aus der Entfernung lieb ist. Wir schreiben uns Briefe, immer achtungsvoll und freundlich. Wenn wir uns eine Zeitlang nacheinander gesehnt haben und uns treffen müssen, geraten wir sofort in Streit, werden alltäglich und unsympathisch, trennen uns im Zorn. Wir lieben uns auf einer höheren Ebene, können aber nicht im selben Zimmer sein. Wir träumen von einem Wiedersehen, dematerialisiert, auf einer grünenden Insel, auf der nur zwei weilen dürfen, höchstens noch unser Kind. Ich erinnere mich einer halben Stunde, als wir drei wirklich Hand in Hand auf einer grünenden Insel am Meeresufer uns ergingen. Da hatte in den Eindruck, das sei der Himmel. Dann läutete die Mittagsglocke, und wir waren wieder auf der Erde, und gleich darauf in der Hölle.« Der Haß in Geschlechtsbeziehungen, besonders außerhalb des Rahmens der Ehe, deren suggestive Wirkungen wir ja schon gewürdigt haben, ist eine so häufige Erscheinung, daß die Vermutung nahe liegt, daß Verhältnisse, die sich dauernd glücklich und fröhlich erhalten und dennoch nicht in eine Ehe münden, tatsächlich platonisch geblieben sind. Hat eine Frau die Widerstandskraft, der sexuellen Werbung eines sie liebenden Mannes zu widerstehen und ihm dabei doch zu zeigen, daß sie ihm gut ist, so bleibt er ihr erhalten und das Verhältnis ist gerettet. Es muß sich aber mit einem gesunden Menschenmaterial doch wohl auch ein Glück ergeben[336] können, das nicht auf asketischem Märtyrertum aufgebaut ist.

Angesichts dieser aufs äußerste »verzwickten Bewegung«, die die Gestirne Mann und Weib um einander vollführen, dieser vielen Parabeln, Hyperbeln, Ellipsen, die sich aus dem Geschlechtsleben der modernen Menschen ergeben, fragt man sich manchmal, ob nicht äußerste Primitivität besser wäre als alle diese Wirrungen und Irrungen? ob nicht die Eskimos, bei denen das Mädchen bei der Geburt, oder die Buschmänner, bei denen die Kinder im Mutterleibe verlobt werden – die Klügeren sind? Ein Mann, ein Weib, – als Genus behandelt, nicht als Spezies – ist's nicht »vernünftiger« angesichts dieser Unzulänglichkeit menschlicher Selbstbestimmung, dieser mehr und mehr zunehmenden Unfähigkeit zum Glück?!

90

»Eroici furori«.

91

»Die Launen der Verliebten«.

92

Robert Müller: »Sexualbiologie«.

93

»Psychologie der modernen Liebe«.

94

»Genealogie der Moral«.

Quelle:
Grete Meisel-Hess: Die sexuelle Krise. Jena 1909, S. 326-337.
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