Viertes Kapitel

[39] Wie Lazaro einem Edelmann diente und was ihm bei demselben begegnete.


Ich sah mich also genötigt, aus Schwäche Stärke zu ziehen, und kam nach und nach, mit Hilfe guter Leute, in die berühmte Stadt Toledo, wo, Gott sei es gedankt! meine Wunde in vierzehn Tagen zuheilte. Während ich krank war, gab man mir immer einige Almosen, seit ich aber wieder gesund war, sagten mir alle: Du bist ein Taugenichts[39] und Landstreicher! Suche dir einen Herrn, dem du dienen kannst! – Und wo soll ich denn diesen finden, fragte ich heimlich, wenn Gott ihn nicht erst erschafft, wie er die Welt erschuf?

Als ich so mit sehr wenig Trost von Tür zu Türe ging (denn die Mildtätigkeit war schon wieder in den Himmel gestiegen), ließ mich Gott auf einen Edelmann stoßen, der, gut gekleidet und die Haare wohl gekräuselt, mit gravitätischen und abgemessenen Schritten über die Straße ging. Er sah mich an, und ich ihn, und sagte zu mir: Junge, suchst du einen Herrn?

Ich antwortete ihm: Ja, mein Herr!

Nun, so folge mir, erwiderte er. Gott hat dir eine große Gnade verliehen, daß du mich getroffen hast. Du mußt heute ein wirksames Gebet getan haben.

Ich folgte ihm und dankte Gott für das, was ich ihn sagen hörte, und auch, weil er mir, nach seiner Kleidung und seinem Anstand zu schließen, gerade der Mann schien, den ich nötig hatte.

Es war des Morgens, als ich diesen meinen dritten Herrn fand, und er führte mich durch den größten Teil der Stadt hinter sich her. Wir gingen über die Marktplätze, wo man Brot und andere Lebensmittel feil hatte, und ich glaubte und hoffte, er würde mich hier mit diesen Waren beladen, da es eben die rechte Zeit zum Einkaufen war; aber er ging mit großen Schritten vor allen diesen Dingen vorbei. Vielleicht, sagte ich, steht ihm dies nicht an, und wir werden wohl an einem andern Ort einkaufen.

So gingen wir herum, bis es elf schlug. Jetzt trat er in die Domkirche, und ich hinter ihm her, und hier sah ich ihn sehr andächtig die Messe hören und dem übrigen Gottesdienst beiwohnen, bis alles geendigt war und die[40] Leute sich wegbegaben. Nun traten auch wir aus der Kirche und gingen mit starken Schritten eine Straße hinunter. Ich war der vergnügteste Mensch von der Welt, da ich sah, daß wir uns gar nicht damit befaßten, Lebensmittel zu suchen, indem ich mir einbildete, mein neuer Herr müsse ein Mann sein, der sich mit allem im Ganzen versähe, und das Mittagsmahl würde schon angerichtet sein, wie ich es nur immer wünschen könnte und nötig hatte.

Währenddes schlug es ein Uhr nachmittag, und wir kamen zu einem Hause, vor welchem mein Herr stehen blieb, und ich mit ihm. Nachdem er den Zipfel seines Mantels über die linke Schulter geschlagen hatte, holte er einen Schlüssel aus dem Ärmel und schloß die Tür auf. Wir traten in das Haus, welches einen so finstern und düstern Eingang hatte, daß es dem Eintretenden Furcht erweckte, wiewohl inwendig ein kleiner Hof und einige anständige Zimmer waren. Nachdem wir eingetreten, tat er seinen Mantel ab und fragte mich, ob ich saubere Hände habe; dann stäubten wir ihn ab, schlugen ihn zusammen, und als er eine steinerne Bank, die daselbst stand, rein abgeblasen hatte, legte er ihn darauf. Hierauf setzte er sich daneben und fragte mich sehr weitläufig aus, woher ich sei und wie ich in diese Stadt gekommen. Ich gab ihm ausführlichere Nachricht, als mir lieb war; denn es schien mir eher Zeit zu sein, den Tisch zu decken und die Suppe anrichten zu lassen, als diese Fragen an mich zu tun.

Nichtsdestoweniger leistete ich ihm mit der Erzählung über meine eigene Person vollkommene Genüge und belog ihn, so gut ich konnte, indem ich ihm alles Gute von mir sagte und hingegen alles andere, was sich meinem Bedünken nach in einer Stube zu erzählen nicht ziemte, verschwieg. Hierauf verhielt er sich eine Zeitlang ganz stille,[41] was ich sogleich für ein schlimmes Zeichen hielt; denn es war schon beinahe zwei Uhr, und ich sah ihn ebensowenig als einen Toten Lust zum Essen äußern. Außerdem überlegte ich auch, daß er die Tür verschlossen hielt und daß man weder oben noch unten im Hause Schritte einer lebendigen Seele hörte. Alles, was ich gesehen hatte, waren kahle Wände; es gab weder Stuhl noch Schemel, weder Bank noch Tisch, nicht einmal eine solche Kiste wie die bekannte. Kurz, es schien ein bezaubertes Haus zu sein.

Nach einer Weile sagte er zu mir: Junge, hast du schon gegessen? – Nein Herr! antwortete ich; es hatte ja noch nicht acht geschlagen, als ich Eur Gnaden antraf.

Obgleich es noch früh war, fuhr er fort, so hatte ich doch schon gefrühstückt, und ich muß dir sagen, wenn ich um diese Zeit etwas esse, so dauere ich damit bis abends. Deshalb sieh zu, wie du dich hinbringst; nachher wollen wir zu Abend essen.

Eur Gnaden kann glauben, daß, als ich dies hörte, nicht viel fehlte, daß ich nicht in Ohnmacht gefallen wäre: nicht sowohl aus Hunger, als weil ich sah, daß mein Geschick immer mehr und mehr ungünstig wurde. Es stellten sich mir jetzt alle meine erlittenen Mühseligkeiten wieder vor Augen, und ich beweinte von neuen meine Drangsale. Es kam auch die Betrachtung in mein Gedächtnis zurück, die ich machte, als ich den Pfarrer zu verlassen gedachte, wo ich sagte, daß ich, obschon dieser filzig und geizig wäre, doch vielleicht einen noch schlimmern finden könnte. Ich beweinte mein vergangenes kummervolles Leben und meinen künftigen nahen Tod; doch suchte ich mich, so gut ich konnte, zu verstellen und sagte: Gnädiger Herr, ich bin ein Bursche, der sich, Gott sei Dank! aus dem Essen so gar viel nicht macht. Ich kann mich vor allen meinesgleichen[42] vorzüglich der Mäßigkeit rühmen, und alle meine Herren, die ich bis jetzt gehabt habe, haben mich deshalb gelobt.

Das ist eine große Tugend, sagte er, und du bist mir deshalb noch weit lieber; denn Gefräßigkeit ziemt den Schweinen, Mäßigkeit aber gesitteten Menschen.

Ich habe dich wohl verstanden, sprach ich bei mir selbst; aber verflucht sei die Arznei und die Ergötzlichkeit, die alle meine Herren, welche ich treffe, im Hungern finden!

Ich stellte mich in eine Ecke des Eingangs und zog einige Stückchen Brot aus dem Busen, die mir noch von dem, was ich um Gottes willen erhalten hatte, übriggeblieben waren. Wie er mich essen sah, sagte er: Komm einmal her, Knabe! was issest du denn? – Ich ging zu ihm hin und zeigte ihm das Brot. Er nahm mir von drei Stücken, die ich hatte, das beste und größte weg, indem er sagte: So wahr ich lebe, das scheint gutes Brot zu sein! – Wie, Herr, sagte ich, sollte es wohl noch gut sein? – Bei meiner Treu, es ist es! antwortete er; wo empfingst du es denn? ob es wohl von reinen Händen geknetet ist? – Das weiß ich nicht, gab ich ihm zur Antwort; aber sein Wohlgeschmack läßt mich nicht an Ekel denken. – Gott gebe, daß es so sei! fuhr mein armer Herr fort, und indem er es zum Munde brachte, fing er an, ebenso große Bisse hineinzutun als ich in das andere Stück. Bei Gott! sprach er dann, dieses Brot ist sehr schmackhaft.

Wie ich gewahr wurde, wo ihn der Schuh drücke, eilte ich mit meiner Arbeit; denn ich merkte, daß er wohl imstande wäre, wenn er eher fertig würde als ich, sich herabzulassen, mir auch noch bei dem zu helfen, was ich übrig hätte. So wurden wir beinahe zugleich fertig. Hierauf schüttelte er einige kleine Brosamen ab, die auf seiner Halskrause[43] liegen geblieben waren, ging in ein Kämmerchen, das sich in der Nähe befand, und holte einen nicht sehr neuen Krug mit abgebrochenem Halse heraus, und nachdem er getrunken hatte, bot er ihn mir dar. Ich, um den Enthaltsamen zu spielen, sagte: Gnädiger Herr, ich trinke keinen Wein. – Du kannst schon trinken, antwortete er mir, es ist Wasser. – Nun nahm ich den Krug, trank aber nicht viel; denn aus Durst entsprangen meine Leiden nicht.

So blieben wir bis in die Nacht beisammen, von mancherlei Dingen sprechend, über die er mich befragte und die ich ihm, so gut ich konnte, beantwortete. Nun führte er mich in die Kammer, wo der Krug stand, aus welchem wir getrunken hatten, und sagte zu mir: Junge, tritt hierher und gib acht, wie das Bett gemacht werden muß, damit du in Zukunft betten kannst. – Ich stellte mich an das eine Ende und er sich an das andere, und so machten wir das schmutzige Bett, an dem nicht viel zu machen war. Es bestand nämlich aus einer Rohrmatte, die auf einigen Bänken lag; darüber war der Bettsack ausgebreitet, der zur Matratze diente, obgleich er nicht so aussah, da er nicht oft gewaschen sein mochte und viel weniger Wolle enthielt, als nötig war. Diesen dehnten wir, indem wir versuchten, ihn aufzulockern; das war aber unmöglich, denn das Harte läßt sich schwer weich machen. Der verfluchte Sack hatte so wenig in sich, daß, wenn er über der Rohrmatte lag, alle einzelnen Rohrhalme durchschienen und recht eigentlich dem Rückgrat eines abgezehrten Schweines glichen. Über dieser ausgehungerten Matratze lag eine Bettdecke von ähnlicher Beschaffenheit, deren Farbe ich nicht unterscheiden konnte.

Das Bett war nun gemacht und die Nacht eingebrochen. Lazaro, sagte er zu mir, schon ist es spät, und von hier[44] bis zum Markte ist es weit; überdies gibt es in dieser Stadt viele Spitzbuben, welche zur Nachtzeit Mäntel stehlen. Behelfen wir uns, so gut wir können; morgen früh wird Gott schon sorgen. Weil ich bis jetzt allein gelebt habe, so habe ich mir keinen Vorrat angeschafft, und ich habe auch diese Tage außer dem Hause gegessen; aber von jetzt an wollen wir es anders einrichten.

Gnädiger Herr, erwiderte ich, meinetwegen machen sich doch Eur Gnaden ja keine Sorgen. Eine Nacht werde ich wohl ohne zu essen hinbringen, und wenn es nötig wäre auch noch mehre.

Du wirst auch weit gesünder leben, antwortete er mir; denn, wie wir heute schon gesagt haben, es gibt, um lange zu leben, kein besseres Mittel auf der Welt, als wenig zu essen.

Wenn dem also ist, sagte ich bei mir selbst, so werde ich niemals sterben; denn diese Regel habe ich aus Zwang immer befolgt, und ich hoffe auch, daß ich sie, bei meinem Unstern, mein ganzes Leben lang befolgen werde.

Er ging nun zu Bette und machte aus seinen Hosen und aus seiner Weste ein Kopfkissen; mir befahl er, mich zu seinen Füßen zu legen, welches ich auch tat. Aber der Schlaf soll verwünscht sein, den ich genoß; denn die Rohrhalme und meine hervorstehenden Knochen waren die ganze Nacht hindurch miteinander in Zank und Streit. Ich hatte nämlich bei meinen Drangsalen und Unglücksfällen und bei meiner Hungersnot kein Pfund Fleisch mehr auf dem Leibe: und noch überdies, da ich diesen Tag beinahe gar nichts gegessen hatte, glaubte ich vor Hunger, der mit dem Schlafe in gar keiner Freundschaft steht, rasend zu werden. Den größten Teil der Nacht hindurch verwünschte ich (Gott verzeihe mir es!) tausendmal mich und mein[45] Mißgeschick, und was das Schlimmste war, da ich es nicht wagte, mich umzuwenden, um ihn nicht aufzuwecken, so bat ich Gott vielmals um den Tod.

Als der Tag angebrochen war, standen wir auf, und er fing sogleich an, seine Hosen, Weste, Rock und Mantel abzuputzen und auszustäuben. Er kleidete sich dann mit Bequemlichkeit und Muße an, und ich half ihm bei Kleinigkeiten und reichte ihm Waschwasser. Hierauf kämmte er sich, steckte seinen Degen in das Gehänge und sagte, während er dies tat: O Knabe, wenn du wüßtest, was für ein kostbares Stück dieser Degen ist! es gibt keine Mark Goldes auf der Welt, für die ich ihn hingäbe; denn bei keinem einzigen von allen denen, die Antonio verfertigt hat, ist ihm das Härten des Stahls so gut gelungen wie bei diesem! – Er zog ihn aus der Scheide und fuhr mit dem Finger darüber hin, indem er sagte: Besieh ihn nur einmal! ich mache mich verbindlich, mit ihm einen Rocken Wolle zu durchhauen. – Und ich, sagte ich heimlich, mit meinen Zähnen, obschon sie nicht von Stahl sind, ein Brot von vier Pfunden.

Er steckte ihn wieder in die Scheide, gürtete sich ihn um, hing einen Rosenkranz mit großen Korallen an seinen Gürtel und ging mit gravitätischen Schritten und geradem Körper, mit welchem er, so wie auch mit dem Kopfe, sehr angenehme Bewegungen machte, zur Tür hinaus. Er schlug dabei das Ende des Mantels bald über die Schulter, bald über den Arm, setzte die rechte Hand in die Seite und sagte zu mir: Lazaro, gib auf das Haus acht, während ich ausgehe, die Messe zu hören, mache das Bett und hole in dem Kruge Wasser aus dem Flusse, der gleich hier unten fließt; schließe aber die Tür mit dem Schlüssel zu, damit man uns nichts stiehlt, und stecke[46] den Schlüssel hier unter die Türangel, daß ich hereinkommen kann, wenn ich unterdessen zurückkommen sollte.

Er ging die Straße hinauf mit einem so vornehmen Anstand und Wesen, daß, wer ihn nicht kannte, hätte glauben sollen, er wäre ein sehr naher Verwandter des Grafen von Arcos oder doch wenigstens sein Kammerdiener.

Gebenedeit seist Du, o Herr! sagte ich, indem ich zurückblieb, der Du die Krankheit gibst, aber auch das Mittel dagegen. Wer, der meinem Herrn begegnet, sollte nicht, bei der Zufriedenheit, die er zeigt, denken, daß er gestern abend herrlich zu Nacht gegessen, daß er in einem vortrefflichen Bette geschlafen und, obgleich es noch früh ist, köstlich gefrühstückt habe? Groß, o Herr, sind die Geheimnisse, die Du wirkest und die den Menschen verborgen sind! Wen sollte dieses gute Ansehen, dieser ansehnliche Mantel und Rock nicht täuschen, und wer sollte es wohl glauben, daß dieser Kavalier den ganzen gestrigen Tag mit einem Stückchen Brot hingebracht hätte, das sein Bedienter Lazaro einen Tag und eine Nacht in dem Schrein seines Busens herumtrug, worin sich wohl nicht viel Reinliches befinden konnte? – Ganz gewiß wird es niemand argwöhnen, daß er heute, nachdem er sich die Hände und das Gesicht gewaschen, aus Mangel eines Handtuches sich eines Zipfels seines Rockes bediente. O Herr! wie viele solcher Menschen sind wohl in der Welt zerstreut, die für das Ungeheuer, welches sie Ehre nennen, weit mehr erdulden, als sie selbst für Dich ertragen würden!

So stand ich, diese Dinge erwägend und betrachtend, an der Haustür, bis mein Herr und Gebieter die lange, schmale Straße hinunter war. Ich ging in das Haus zurück und in Zeit eines Credo durchlief ich es von oben bis unten, ohne mich aufzuhalten und ohne etwas zu finden,[47] wobei ich es gekonnt hätte. Ich machte das schmutzige, harte Bett, nahm den Krug und ging nach dem Flusse, von wo aus ich meinen Herrn in einem Garten im zärtlichen Liebesgespräche mit zwei verschleierten Frauenzimmern erblickte, die dem Ansehen nach von denen waren, welche an diesem Orte nicht selten sind. Viele von ihnen haben die Gewohnheit, an den Sommermorgen längs dem kühlen Gestade des Flusses zu lustwandeln, um sich zu erfrischen und um zu frühstücken, wenn sie gleich nichts dazu mitbringen, mit dem Vertrauen, daß es nicht an jemand fehlen werde, der ihnen etwas anbietet, so, wie es auch bei den Edelleuten dieser Stadt Sitte ist.

Mein Herr stand, wie gesagt, als ein zweiter Macias1 zwischen ihnen, indem er ihnen mehr Süßigkeiten vorsagte, als selbst Ovid schrieb. Als sie sahen, daß er zärtlich wurde, schämten sie sich nicht, ihn für die gewöhnliche Bezahlung um ein Frühstück zu bitten. Da er sich aber in dem Beutel ebenso kalt als in dem Magen heiß fühlte, so überfiel ihn Hitze und Frost so heftig, daß er die Farbe seines Gesichtes veränderte; er fing an, sich in seinen Reden zu verwirren und kahle Entschuldigungen vorzubringen. Die Damen, die gut unterrichtet sein mochten, ließen ihn, als sie seine Krankheit bemerkten, für den, der er war, stehen.

Ich hatte unterdessen in aller Schnelle zu meinem Frühstücke einige Kohlstrünke verzehrt und eilte nun, als ein neuer Bedienter, ohne von meinem Herrn bemerkt worden[48] zu sein, nach Hause. Ich wollte einen Teil desselben auskehren, dessen es sehr bedürftig war, fand aber nichts, womit ich es hätte tun können. Ich überlegte nun, was ich vornehmen könnte, und es schien mir das Ratsamste zu sein, auf meinen Herrn bis Mittag zu warten, um zu sehen, ob er käme und etwas zu essen mitbrächte. Meine Hoffnung war aber vergebens. Wie ich daher sah, daß es schon zwei Uhr war und er noch nicht kam, und wie der Hunger mich zu sehr quälte, schloß ich meine Tür zu, legte den Schlüssel dahin, wohin es mir befohlen worden, und kehrte zu meinem alten Gewerbe zurück. Mit leiser und schwacher Stimme, die Hände auf die Brust gelegt, Gott vor Augen und seinen Namen auf der Zunge, fing ich an, vor den Türen und den Häusern, die mir die größten schienen, Brot zu betteln. Da ich dieses Gewerbe gleichsam mit der Muttermilch eingesogen hatte, oder vielmehr, da ich aus der Schule meines großen Meisters, des Blinden, als ein so geschickter Schüler gekommen war, so wußte ich doch, obgleich in dieser Stadt die Mildtätigkeit sehr selten und das Jahr nicht sehr ergiebig war, meine Geschicklichkeit so gut anzuwenden, daß ich, ehe noch die Glocke vier schlug, schon eben so viele Pfunde Brot in meinen Magen und mehr als zwei andere in die Ärmel und den Busen in Sicherheit gebracht hatte.

Ich kehrte nun nach Hause zurück und sprach, da ich über den Kuttelnmarkt ging, eine Kaldaunenhökerin um Almosen an. Sie gab mir ein Stück Kuhfuß und etwas gekochte Kaldaunen. Als ich nach Hause kam, war mein guter Herr schon daselbst, hatte seinen Mantel zusammengeschlagen und auf die Bank gelegt und ging im Hofe spazieren. Wie ich hineintrat, kam er auf mich zu, wie ich glaubte, um mich wegen meines langen Ausbleibens[49] auszuzanken; aber Gott schickte es besser. Er fragte mich, woher ich käme, und ich antwortete ihm: Gnädiger Herr, bis um zwei Uhr habe ich hier gewartet, und wie ich sah, daß Eur Gnaden nicht kamen, ging ich durch die Stadt, um mich guten Leuten zu empfehlen, die mir auch das gegeben haben, was Ihr hier seht. – Ich zeigte ihm das Brot und die Kaldaunen, die ich im Rockzipfel trug.

Er machte jetzt ein sehr freundliches Gesicht und sagte: Nun, ich habe mit dem Essen auf dich gewartet, wie ich aber sah, daß du nicht kamst, habe ich gegessen. Du handelst aber hierin wie ein rechtschaffener Mann; denn es ziemt sich weit eher, etwas um Gottes willen zu erbitten, als es zu stehlen; und so helfe mir Gott, wie ich dies für gut halte. Nur das einzige befehl' ich dir an, laß es um meiner Ehre willen niemand merken, daß du bei mir lebst, wiewohl ich glaube, daß es geheim bleiben wird, da ich in dieser Stadt, in die ich niemals hätte gekommen sein mögen, so wenig bekannt bin.

Sein deshalb der gnädige Herr ohne Sorgen, antwortete ich ihm; niemand hat mich um diese Auskunft zu fragen, und ich brauche sie ja nicht zu geben.

So iß nun, armer Schelm, fuhr er fort; bald werden wir uns, so Gott will, außer aller Not sehen. Ich muß dir aber sagen, daß mir, seit ich in dieses Haus getreten bin, nichts nach Wunsch gegangen ist. Es muß auf einen schlechten Grund gebaut sein; denn es gibt solche unselige, schlecht gegründete Häuser, die über die, welche darin wohnen, nichts als Unglück bringen. Dieses muß ohne Zweifel ein solches sein; aber ich verspreche dir, daß ich nach Ablauf dieses Monats nicht länger darin bleiben werde, wenn man mir es auch gleich schenken wollte. Ich setzte mich nun ans Ende der steinernen Bank, und damit er mich nicht[50] für einen Vielfraß halten möchte, verschwieg ich das schon verzehrte Vesperbrot und fing an, zu Abend zu speisen und in die Kaldaunen und in das Brot zu beißen. Verstohlnerweise blickte ich dabei nach meinem unglücklichen Herrn, welcher kein Aug' von meinem Schoße verwendete, der mir damals als Teller diente. Gott möge ebensoviel Mitleid mit mir haben, als ich mit ihm hatte; denn ich fühlte, was er empfand, und hatte dasselbe oft genug an mir selbst erfahren und erfuhr es noch täglich. Ich überlegte, ob es wohl schicklich wäre, ihn zu Gaste zu bitten; da er mir aber gesagt hatte, er habe schon gegessen, so fürchtete ich, er würde meine Einladung nicht annehmen. Ich wünschte aber sehr, daß der arme Sünder seinem Übel durch meine Arbeit abhelfen und mit mir frühstücken möchte, wie er den Tag zuvor getan hatte, besonders da ich besser darauf eingerichtet war; denn meine Gerichte waren besser und mein Hunger geringer. Und Gott wollte meinen und, wie ich glaube, auch seinen Wunsch erfüllen. Als ich nämlich zu essen anfing, spazierte er auf und ab; dann trat er zu mir und sagte: Ich versichere dir, Lazaro, du hast den herrlichsten Anstand beim Essen, den ich je in meinem Leben an einem Menschen sah, so daß dir niemand zusehen kann, dem du nicht Appetit machtest, wenn er schon auch keinen hat.

Der vortreffliche, den du schon hast, sagte ich bei mir selbst, wird dich wohl meinen Anstand so schön finden lassen.

Nun glaubte ich aber ihm helfen zu müssen, da er sich selbst zu helfen suchte und mir den Weg dazu öffnete, und sagte deshalb zu ihm: Gnädiger Herr, eine gute Zurüstung macht einen guten Künstler! Dieses Brot ist außerordentlich schmackhaft, und dieser Kuhfuß ist[51] so vortrefflich gekocht und gewürzt, daß es wohl niemanden geben wird, den er nicht durch seinen Geschmack einlüde.

Einen Kuhfuß hast du? fragte er mich.

Ja, gnädiger Herr, erwiderte ich ihm.

Das ist der beste Bissen auf der Welt, sag' ich dir, fuhr er fort, und kein Fasan ist mir so lieb.

Nun, so koste ihn der gnädige Herr, sagte ich dar auf, und er wird finden, daß es so ist.

Ich gab ihm den Kuhfuß und drei bis vier Stücke von dem weißesten Brote in die Hand. Er setzte sich neben mich und fing an zu essen wie einer, der sehr guten Appetit hat, indem er jedes Knöchelchen abnagte, besser als ein Windhund es würde getan haben.

Mit einer Knoblauchbrühe, sagte er, ist dies ein ganz köstliches Essen.

Du ißt es mit einer noch bessern Brühe, sagte ich heimlich.

Bei Gott! fuhr er fort, es hat mir geschmeckt, als ob ich heute noch keinen Bissen gegessen hätte.

So gewiß als dies der Fall ist, sprach ich zu mir, so gewiß möge ich glückliche Jahre erleben.

Er verlangte nun den Wasserkrug, und ich reichte ihm denselben, wie ich ihn geholt hatte, ein Beweis, daß sich mein Herr mit seiner Mahlzeit eben nicht überladen haben mochte, da an dem Wasser nichts fehlte. Wir tranken und gingen sehr vergnügt schlafen, wie die vorige Nacht.

Und um nicht weitschweifig zu werden, solchergestalt lebten wir acht bis zehn Tage miteinander, indem der arme Sünder des Morgens mit jener Zufriedenheit und jenem gravitätischen Gange durch die Straßen spazierte,[52] um frische Luft zu schöpfen, während er an dem armen Lazaro einen wahren Wolfskopf besaß2.

Ich stellte öfters über mein Mißgeschick Betrachtungen an, wie ich, nachdem ich den schlechten Herren, die ich gehabt hatte, entlaufen war, um Verbesserung zu suchen, gar einen gefunden hatte, der nicht nur mich nicht ernährte, sondern den ich auch noch ernähren mußte. Bei alledem war er mir dennoch sehr lieb, weil ich sah, daß er nicht mehr hatte noch konnte, und ich fühlte mehr Mitleid als Haß gegen ihn. Oftmals lebte ich selbst schlecht, um etwas nach Hause zu bringen, wovon er leben könnte. Denn eines Morgens, als der arme Schelm im Hemde aufstand und auf den Hausboden ging, um etwas Nötiges zu verrichten, durchsuchte ich unterdes, um darüber aus allem Zweifel zu kommen, seine Weste und Hosen, die er auf dem Kopfkissen zurückgelassen hatte, und fand darin ein Beutelchen von glattem Sammet, in hundert Falten gedrückt, in welchem sich weder eine einzige Blanke befand noch ein Merkmal, daß seit langer Zeit eine darin gewesen war. Dieser, sagte ich, ist arm, und niemand kann etwas geben, wenn er selbst nichts hat; aber der geizige Blinde und der verruchte Filz von Pfarrer, denen beiden es Gott gab, dem einen durch einen Handkuß und dem andern durch eine gewandte Zunge, ließen mich Hungers sterben. Diese verdienen Haß, aber jener Mitleid.

Gott ist mein Zeuge, daß ich noch heutigen Tages, wenn mir einer mit ähnlicher Kleidung oder mit seinem Schritt und Anstand begegnet, Mitleid mit ihm habe, weil ich mir einbilde, daß er eben das leidet, was ich den ertragen sah, welchem ich, bei aller seiner Armut, weit[53] lieber gedient habe als den andern, aus schon erwähnten Ursachen.

In einem einzigen Stücke mißfiel er mir. Ich hätte nämlich gewünscht, er möchte nicht so viel Stolz besitzen und seinen Eigendünkel ein wenig herabstimmen, da doch seine Not so groß war. Wie mir es aber scheint, ist es unter dieser Art von Menschen angenommene und befolgte Regel, von der sie nicht abweichen, daß, wenn sie gleich keinen Cornado zu wechseln haben, doch das Barett an seinem Orte stehen muß. Dafür mag Gott der Herr helfen, sonst sterben sie noch alle an diesem Übel!

So stand es mit mir, und so lebte ich, wie ich eben erzählt habe; aber mein widerwärtiges Schicksal, das noch nicht satt war, mich zu verfolgen, wollte nicht, daß diese mühselige und entehrende Lebensart für mich von längerer Dauer wäre. Es begab sich nämlich folgendermaßen: da in der dasigen Gegend ein brotarmes Jahr war, wurde in der Ratsversammlung der Beschluß gefaßt, daß alle fremden Armen die Stadt verlassen sollten, und es wurde zugleich bekannt gemacht, daß der, der von nun an ertappt würde, gestäupt werden sollte. Dieser Befehl wurde so streng vollzogen, daß ich schon den vierten Tag nach seiner Bekanntmachung eine Prozession solcher Armen unter Staupenschlägen durch die Straßen führen sah. Dies erfüllte mich mit so großer Furcht, daß ich es nicht wagte, den Befehl zu übertreten und zu betteln.

Nun hätte man die Enthaltsamkeit in unserm Hause und die Traurigkeit und Stille seiner Bewohner sehen sollen! Es ging so weit, daß wir zwei bis drei Tage zubrachten, ohne einen Bissen zu essen und ohne ein Wort zu reden. Mir erhielten ein paar Weiber das Leben, die Baumwolle spannen und Mützen machten und gleich neben uns[54] wohnten. Mit ihnen unterhielt ich Nachbarschaft und Bekanntschaft, und sie gaben mir von dem wenigen, was sie verdienten, etwas weniges ab, womit ich mich sehr kümmerlich hinbrachte. Ich hatte aber mit mir selbst weniger Mitleid als mit meinem armen Herrn; denn in acht Tagen verzehrte er nicht einen einzigen Bissen; wenigstens zu Hause aßen wir nichts, und ich weiß auch nicht, wann und wohin er ging und was er aß. Um Mittag sah ich ihn immer die Straße herunterkommen, mit gedehntem Körper und dünner als ein Windspiel von echter Rasse. Seiner nichtigen sogenannten Ehre wegen nahm er dann einen Strohhalm von denen, die in unserm Strohsack gerade nicht überzählig waren, trat in die Tür und stocherte seine Zähne, in denen doch nichts war, indem er sich dazu immer über die schlechte Wohnung beklagte. – Es ist doch schrecklich, sagte er, was für Unglück uns dieses Haus bringt. Wie du siehst, ist es düster, traurig und dunkel, und so lange wir hier wohnen, werden wir noch manches Ungemach zu ertragen haben; deshalb wünsche ich, daß nur dieser Monat zu Ende sein möchte, damit wir herausziehen können.

Während wir nun diese Verfolgung des Elends und Hungers ertrugen, gelangte mein Herr eines Tages, ich weiß nicht durch welchen Zufall oder durch welches Glück, zu dem armseligen Besitz eines Reals, mit welchem er so vergnügt nach Hause kam, als ob er den Schatz von Venedig besäße. Mit einem fröhlichen und lächelnden Gesichte gab er ihn mir und sagte: Nimm, Lazaro! Gott fängt schon an seine Hand aufzutun! Geh auf den Markt, kaufe Brot, Wein und Fleisch, wir wollen einmal dem Teufel ein Auge ausschlagen. Und damit du dich noch mehr freust, so wisse, daß ich ein anderes Haus gemietet habe und daß[55] wir in diesem unseligen nicht länger als bis zu Ende des Monats bleiben werden. Verflucht sei es und auch der, der den ersten Stein dazu gelegt hat; denn zu meinem Unglück bin ich in dasselbe gekommen! Bei Gott, unserm Herrn! seit ich hier wohne, habe ich weder einen Tropfen Wein getrunken noch einen Bissen Fleisch gegessen, noch habe ich sonst einen guten Tag gehabt: ein solches Ansehen, eine solche Dunkelheit und Düsterheit hat es. Nun laufe und komme bald zurück; wir wollen heute wie Grafen schmausen!

Ich nahm meinen Real und Krug, und indem ich meine Füße in Bewegung setzte, ging ich eilig und über die Maßen vergnügt und wohlgemut die Straße hinauf, dem Markte zu. Aber wozu nützte mir es, da es in meinem unglücklichen Geschick beschlossen war, daß keine Freude ohne Leid bei mir einkehren sollte? Und so war es auch diesmal; denn als ich die Straße hinaufging und meine Berechnung machte, wozu der Real am besten und vorteilhaftesten anzuwenden wäre, und dabei Gott tausendfachen Dank sagte, daß er meinen Herrn mit Geld versehen hatte, kam mir ganz unerwartet eine Leiche entgegen, die man, von der Geistlichkeit und vielem Volke begleitet, auf einer Bahre trug. Ich drückte mich an die Mauer an, um ihnen Platz zu machen. Als die Leiche vorbei war, kam gleich hinter der Bahre ein Weib in tiefer Trauer, das die Frau des Verstorbenen sein mochte, und mit ihr noch viele andere Weiber. Sie weinte laut und rief: Mein Herr und Gemahl, wohin bringt man dich! In das traurige, unglückselige Haus, in die dunkle, düstre Wohnung, in das Haus, wo man weder ißt noch trinkt!

Als ich dies hörte, verwirrte sich vor mir Himmel und Erde, und ich schrie: Ach ich Unglücklicher! in mein[56] Haus tragen sie den Toten! – Ich kehrte sogleich um, drängte mich mitten durch die Leute und lief, so schnell ich konnte, die Straße wieder hinunter nach unserm Hause. Ich sprang hinein, verschloß mit der größten Eile die Tür und rief meinen Herrn um Hilfe und Beistand an, indem ich ihn flehentlich bat, mir den Eingang verteidigen zu helfen. Er wurde darüber etwas bestürzt, weil er glaubte, es möchte etwas anderes sein, und sagte zu mir: Was gibt es denn, Junge? Was schreist du? Was hast du denn, daß du die Tür mit einer solchen Wut verschließest?

O gnädiger Herr! antwortete ich ihm, helft mir nur! Sie bringen uns einen Toten herein.

Wieso? sagte er.

Dort oben bin ich ihm begegnet, fuhr ich fort, und seine Frau rief immer: Mein Herr und Gemahl, wohin bringt man dich? In das düstre und finstre Haus, in die traurige, unglückselige Wohnung, in das Haus, wo man weder ißt noch trinkt! – Hieher bringen sie ihn uns, gnädiger Herr!

Als mein Herr dies hörte, lachte er, obgleich er eben keine Lust zu lachen hatte, so sehr, daß er lange Zeit kein Wort vorbringen konnte. Ich hatte indes die Tür verriegelt, auch noch zu stärkerer Verteidigung meine Schulter davorgestemmt.

Die Leute zogen mit ihrem Toten vorüber, aber ich besorgte noch immer, sie möchten ihn uns ins Haus bringen. Als endlich mein guter Herr satt war, mehr vom Lachen als vom Essen, sagte er zu mir: Es ist wahr, Lazaro, nach dem, was die Witwe sagte, hattest du ganz recht, das zu glauben, was du geglaubt hast; da es aber Gott besser geschickt hat und sie weitergezogen sind, so öffne, öffne und hole etwas zu essen![57]

Gnädiger Herr, erwiderte ich ihm, laßt sie nur erst die Straße vollends hinunter.

Endlich kam mein Herr an die Haustür und öffnete sie mit Gewalt, was auch bei der Furcht und Angst, die ich hatte, nötig war. Ich machte mich nun von neuem auf den Weg. Obgleich wir diesen Tag sehr gut speisten, so hatte ich doch keinen Appetit, und ich erhielt kaum in den drei folgenden Tagen meine Farbe wieder. Mein Herr konnte sich des Lachens nicht enthalten, wenn ihm meine Angst in den Sinn kam.

Auf diese Weise lebte ich mit diesem Edelmann, meinem dritten, armen Herrn, mehrere Tage und wünschte immer die Ursache seiner Ankunft und seines Aufenthaltes in dieser Stadt zu wissen; denn vom ersten Tage an, wo ich bei ihm in Dienste trat, merkte ich aus der wenigen Bekanntschaft und dem seltenen Umgang, den er mit den Einwohnern hatte, daß er ein Fremder war. Endlich wurde mein Wunsch erfüllt, und ich erfuhr das, was ich gern wissen wollte. Als wir nämlich eines Tages wacker geschmaust hatten und er ziemlich aufgelegt war, erzählte er mir seine Vermögensumstände und sagte mir, daß er aus Altkastilien gebürtig wäre und daß er sein Vaterland aus keiner erheblichern Ursache verlassen hätte, als weil er vor einem Edelmann, seinem Nachbar, den Hut nicht habe abziehen wollen.

Gnädiger Herr, sagte ich, wenn er das war, was Ihr sagt, und dazu mehr besaß als Ihr, so war es nicht unschicklich, daß Ihr zuerst den Hut abtatet, besonders da jener, wie Ihr sagt, ihn auch für Euch abtat.

Das ist alles wahr, fuhr er fort; er grüßte mich wohl auch, aber unter so vielen Malen, als ich meinen Hut vor ihm zuerst zog, wäre es doch kein Unglück gewesen, wenn er sich einmal bequemt hätte, mir zuvorzukommen.[58]

Mich deucht, gnädiger Herr, sagte ich, ich würde gar nicht darauf achten, vornehmlich wenn einer mehr wäre und mehr hätte als ich.

Du bist noch ein Knabe, entgegnete er, und hast noch kein Gefühl für Ehre, in der heutzutage der ganze Reichtum rechtschaffener Männer besteht. Du mußt wissen, ich bin, wie du siehst, ein armer Edelmann; aber ich schwöre dir bei Gott, daß ich, wenn ein Graf mir auf der Straße begegnet und nicht, wie sich's gebührt, den Hut vor mir abzieht, das nächste Mal, wenn ich wieder auf ihn stoße, in ein Haus trete, indem ich tue, als ob ich darin ein Geschäft habe, oder in eine Seitengasse gehe, wenn es eine gibt, ehe er mit mir zusammentrifft, um ihn nicht zu grüßen. Ein Edelmann ist außer Gott und dem Könige niemand etwas schuldig, und es ist nicht recht, wenn ein rechtschaffener Mann es nur einen Augenblick versäumt, seine Person zu achten. Ich erinnere mich, daß ich einmal in meiner Heimat einen Handwerksmann beschimpfte und im Begriff war, Hand an ihn zu legen; denn so oft er mir begegnete, sagte er zu mir: Gott behüte Eur Gnaden! – Grober Bauer! fuhr ich ihn an, warum hast du dich nicht besser erziehen lassen? Gott behüte Euch, willst du zu mir sagen, gleich als ob ich, ich weiß nicht, wer wäre? – Von der Zeit an zog er seinen Filz schon von weitem vor mir ab und sprach, wie sich's gehörte.

Ist es denn keine gute Art, fragte ich, wenn ein Mann den andern mit Gott behüt' Euch! grüßt?

Wisse ins Henkers Namen, Junge, sagte er, gemeine Leute kann man auf diese Art grüßen; aber zu Männern von Stande, wie ich bin, kann man nicht weniger sagen als: Ich küsse Eur Gnaden die Hände! oder zum wenigsten: Sennor, ich küsse Euch die Hände! – wenn nämlich der,[59] welcher zu mir spricht, auch Edelmann ist. Deshalb wollte ich es nicht von dem in meiner Vaterstadt, der mich mit einem Behüteuch begrüßte, leiden, und litt es nicht, und werde es auch von keinem Menschen auf der Welt, vom König an, leiden, daß man mir sage: Behüt' Euch Gott!

O weh! sagte ich; deshalb trägt Gott so wenig Sorge, dich zu behüten, weil du nicht leiden willst, daß ihn jemand darum für dich bitte.

Und noch überdies, fuhr er weiter fort, bin ich auch nicht so ganz arm; denn ich besitze in meinem Vaterland einen Bauplatz. Wenn auf diesem wohleingerichtete Häuser standen und sechzehn Meilen von meinem Geburtsort entfernt, an dem Hügel von Valladolid lägen, würden sie mehr als zweimal hunderttausend Maravedis wert sein: zumal da man sie groß und stattlich bauen könnte. Auch einen Taubenschlag besitze ich, der, wenn er nicht eingestürzt wäre, jährlich mehr als zweihundert junge Tauben liefern würde; und noch andere Dinge verschweige ich, die ich um meiner Ehre willen im Stiche ließ. Ich kam in diese Stadt, in der Hoffnung, eine gute Anstellung zu erlangen; es ist mir aber nicht geglückt, wie ich dachte. Canonici und geistliche Herren fand ich genug; das ist aber ein so beschränktes Volk, daß die ganze Welt es nicht aus seinem Gleise bringen kann. Edelleute vom Mittelschlage sprechen mich wohl an; aber diesen zu dienen, ist eine schwere Arbeit. Denn wenn Ihr am Ausspielen seid, wollen sie, daß Ihr die Manille haben sollt: wo nicht, so sagen sie Euch: Geh mit Gott! Und noch dazu schieben sie größtenteils ihre Zahlungen auf die lange Bank, und ihre sicherste Zahlung ist die Kost für den Dienst. Wenn sie ja einmal ihr Gewissen reinigen und Euch Euern Schweiß vergelten wollen, so geben sie Euch eine Anweisung auf ihre Kleiderkammer,[60] auf eine verschwitzte Weste oder einen abgeschabten Mantel oder Rock. Wer aber bei einem großen Herrn Dienste erlangen kann, der läßt sein Elend hinter sich. Oder vielleicht habe ich nicht so viel Geschicklichkeit, einen solchen zu seiner Zufriedenheit zu bedienen! Bei Gott! wenn ich zu einem kommen könnte, ich würde bald sein größter Vertrauter sein und würde ihm tausend Dienstleistungen zu erzeigen wissen; denn ich wollte ihn belügen so gut als ein anderer und mich fest in seine Gunst setzen; seinen Witz, seine Gewohnheiten, wenn sie auch eben nicht die besten von der Welt wären, würde ich sehr belachen; ich würde keiner Sache erwähnen, die ihm unangenehm sein könnte, wenn sie auch von noch so großer Wichtigkeit für ihn wäre. In seiner Gegenwart würde ich in Worten und Werken sehr emsig sein; ich würde mich aber nicht zerreißen, Dinge, die er nicht zu sehen bekäme, vorzüglich gut zu machen. Das Hausgesinde wollte ich da, wo er es hören könnte, ausschelten; denn es würde scheinen, als ob ich mich um seine Sachen sorgfältig bekümmere. Wenn er mit einem Bedienten zankte, würde ich ihm einige scharfe Stiche geben, um seinen Zorn zu entflammen, auf eine Art, daß es scheinen müßte, als täte ich es zugunsten des Schuldigen. Von dem, dem er geneigt wäre, würde ich alles Gute sagen, so wie ich im Gegenteil der boshafteste Spötter sein würde. Das Hausgesinde und Fremde würde ich verleumden: auch würde ich es mir angelegen sein lassen, die Lebensweise anderer Leute zu erfahren, um sie ihm wiederzuerzählen, und ich würde mich noch außerdem tausenderlei Ränke befleißigen, deren man sich heutzutage in den Palästen bedient und an denen die Großen Wohlgefallen finden. Denn sie mögen in ihren Häusern keine redlichen Menschen leiden, ja sie hassen und verachten sie und nennen sie[61] Dummköpfe und sagen, sie seien Menschen, die sich zu keinem Geschäft schickten und die ihren Herren die Langeweile nicht zu vertreiben wüßten. Solcher Mittel bedienen sich, wie gesagt, heutzutage die Schlauköpfe, deren auch ich mich bedienen würde; leider aber läßt mich mein Mißgeschick keine solche Gelegenheit finden.

Dergestalt beklagte mein Herr sein widriges Schicksal und gab mir Auskunft über seine würdige Person. Indem traten ein Mann und ein altes Weib zur Tür herein; der Mann verlangte die Miete für das Haus, und die Alte für das Bett. Sie machten ihre Rechnung, und es kam ihnen für zwei Monate so viel zu, als er in einem ganzen Jahre nicht hätte zusammenbringen können: ich glaube, es waren zwölf oder dreizehn Reale. Er gab ihnen eine sehr artige Antwort und sagte, er wolle auf den Markt gehen, um eine Dublone zu wechseln, und sie möchten nur gegen Abend wiederkommen. Sein Ausgang war aber ohne Wiederkehr, so daß, als sie später wiederkamen, es zu spät war. Ich sagte ihnen, daß er noch nicht zurückgekehrt sei.

Als die Nacht kam und er nicht, fürchtete ich mich, allein im Hause zu bleiben; ich ging deshalb zu den Nachbarinnen, erzählte ihnen den Vorfall und schlief bei ihnen. Des andern Morgens stellten sich die Gläubiger wieder ein und erkundigten sich an der Nachbarstür nach ihm. Die Weiber sagten ihnen: Hier ist sein Junge und der Schlüssel zur Haustür. Sie fragten mich nun nach ihm, und ich gab ihnen Antwort, daß ich nicht wüßte, wo er wäre, daß er auch nicht wieder nach Hause gekommen sei, nachdem er ausgegangen, das Geld zu wechseln, und daß ich vermutete, er habe sich mit der gewechselten Münze von mir und von ihnen fortgemacht.

Als sie dies von mir hörten, liefen sie nach einem Alguazil[62] und einem Notar, mit welchem sie sogleich zurückkamen. Sie nahmen den Schlüssel, riefen mich, riefen Zeugen und öffneten die Tür. Dann gingen sie hinein, um auf das Hausgeräte meines Herrn Beschlag zu legen, bis sie die Bezahlung ihrer Schuld erhalten hätten. Sie durchliefen das ganze Haus und fanden es leer, wie ich schon erzählt habe. Darauf sagten sie zu mir: Wo sind denn die Sachen deines Herrn, seine Kisten und Teppiche, sein Hausgeräte?

Das weiß ich nicht! antwortete ich.

Ohne Zweifel, sagten sie darauf, haben sie diese Nacht alles ausgeräumt und an einen andern Ort geschafft. Herr Alguazil, haltet nur diesen Burschen fest; der weiß es, wo es steckt.

Der Alguazil trat zu mir und faßte mich beim Halskragen, indem er sagte: Junge, du wirst ins Gefängnis gebracht, wenn du nicht bekennst, wo das Vermögen deines Herrn steckt.

In einer solchen Lage hatte ich mich noch nie befunden; denn wenn ich gleich vielmals beim Kragen gefaßt worden war, so war ich doch nur ganz sanft an demselben gehalten worden, um dem, der nicht sah, den Weg zu zeigen. Ich hatte daher große Furcht und versprach weinend, alles zu sagen, was sie mich fragen würden. – Wohl, sprachen sie, so sage frei, was du weißt, und sei ohne Furcht.

Der Notar setzte sich auf eine steinerne Bank, um das Inventarium zu schreiben, indem er mich fragte, was denn da wäre.

Meine Herren, sagte ich, alles was mein Herr besitzt, ist, wie er mir gesagt hat, ein sehr schöner Bauplatz und ein verfallener Taubenschlag.

Gut, sagten sie; so wenig das auch wert ist, so reicht es doch zu, uns für die Schuld bezahlt zu machen. Und in[63] welcher Gegend der Stadt besitzt er denn dies? fragten sie weiter.

In seiner Heimat, erwiderte ich ihnen.

Bei Gott! sagten sie, jetzt steht es vortrefflich mit unserem Geschäfte. Und wo ist seine Heimat?

Er sagte mir, daß er aus Altkastilien wäre, gab ich zur Antwort.

Der Alguazil und der Notar lachten sehr und sagten: Wir haben nun Bericht genug, um eure Schuld einzuziehen, und wenn sie noch größer wäre.

Die Nachbarinnen, welche zugegen waren, sagten: Ihr Herren, der Bursche ist ein unschuldiges Kind und nur erst seit einigen Tagen bei diesem Edelmann; er weiß von ihm nicht mehr als Eur Gnaden. Der arme Schelm kam hieher in unser Haus, und wir haben ihm oft um Gottes willen zu essen gegeben, so viel wir konnten, und des Nachts ging er zu seinem Herrn schlafen.

Als sie sich von meiner Unschuld überzeugt hatten, ließen sie mich los und gaben mich frei. Der Alguazil und der Notar forderten von dem Manne und der Frau ihre Gebühren, worüber diese einen großen Zank und Lärm erhoben; denn sie behaupteten, sie wären nichts zu bezahlen schuldig, weil nichts da wäre, wovon dies geschehen könne, und weil man auf nichts Beschlag gelegt habe. Jene entgegneten aber, sie hätten, weil sie hieher gegangen wären, ein anderes Geschäft versäumt, das ihnen mehr würde eingebracht haben. Endlich, nach langem Zanken, lud ein Gerichtsdiener das alte Bett der Alten auf, woran er nicht schwer zu tragen hatte, und alle fünfe zogen unter lautem Schreien fort, und ich weiß nicht, was für einen Ausgang es genommen hat. Ich glaube aber, daß das arme Bett für alle bezahlen mußte, und das hatte es auch wohl verdient;[64] denn zu der Zeit, wo es sich hätte von seinen erlittenen Mühseligkeiten erholen und ausruhen sollen, mußte es noch als Mietstück herumwandern.

Solchergestalt verließ mich, wie ich eben erzählt habe, mein dritter, armer Herr, wobei ich mein widriges Schicksal recht aus dem Grunde kennen lernte; denn indem es alles gegen mich aufbot, was es nur konnte, machte es, daß es mir mit meinem Tun so verkehrt ging, daß, wenn gewöhnlich die Herren von ihren Bedienten verlassen werden, es bei mir umgekehrt war, indem mich mein Herr verließ und von mir lief.

Fußnoten

1 Macias, mit dem Beinamen der Verliebte, war ein galicischer Dichter und Ritter, der in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts lebte und sich als tapferer Streiter gegen die Araber in Granada auszeichnete. Er war ein Freund schwärmerischer Liebe in Versen und im wirklichen Leben, die ihm zuletzt den Tod durch die Hand eines eifersüchtigen Ehemannes zuzog.


2 In Spanien ist es gewöhnlich, daß der, welcher einen Wolf erlegt, dessen Kopf in den Dörfern herumträgt und Geschenke dafür erhält.


Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 39-65.
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