Drittes Kapitel

[90] Wie Lazaro aus dem Meere kam.


Ich zog nun die Lumpen aus, die mir mein Herr, der Kavalier, hinterlassen hatte, band mir das Seil an den Fuß und fing an zu schwimmen. Obgleich ich nichts davon verstand, so gab dennoch die Not meinen Füßen Flügel und meinen Händen Ruder. Die Fische, welche sich ringsumher befanden, kamen sogleich herzu, mich anzubeißen, und trieben mich durch ihre Bisse zum schnellern Fortbewegen[90] an. So kamen wir, sie beißend und ich abwehrend, beinahe bis an die Oberfläche des Wassers, wo mir eine Sache widerfuhr, die Ursache alles meines nachherigen Unglücks wurde.

Die Fische und ich kamen zusammen in Netze, die einige Fischer aufgestellt hatten, und wurden von diesen in ihre Kähne gezogen. Beim ungestümen Anziehen der Netze schoß mir das Wasser mit solcher Gewalt in den Mund, daß ich die Besinnung verlor und beinahe ertrunken wäre. Sie fanden den Strick, der an meinen Fuß gebunden war, und fingen an, an demselben zu ziehen; da dieser aber nicht nachgab und ihre Barke unters Wasser tauchte, schnitten sie, um sich aus der Gefahr zu befreien, das Seil ab, und mit ihm die schönen Hoffnungen des Lazaro. Sie stellten mich das Unterste zu oberst, damit ich das eingeschluckte Wasser von mir gäbe, und als sie sahen, daß ich nicht tot war (welches nicht das Schlimmste für mich gewesen wäre), reichten sie mir ein wenig Wein, wodurch ich wieder, wie eine Lampe durch Öl, zu mir selbst kam. Das erste, was ich sie fragte, war, daß ich mich nach dem Springstock erkundigte, den ich am Beine angebunden hatte, und sie sagten mir, daß sie ihn abgeschnitten hätten.

Hier ging Troja unter, und Lazaros wohlberechnete Aussichten: hier fingen seine Schmerzen, seine Not und Drangsale an. Es gibt keinen größern Schmerz in der Welt, als, wenn man sich reich und bis zum Himmel erhoben gewußt hat, sich auf einmal arm und abhängig von Toren zu sehen. Alle meine Entwürfe gründeten sich im Wasser, und dies zerstörte sie auch alle wieder. Ich erzählte den Fischern, was sie und ich dadurch verloren hätten, daß sie mir das Seil abgeschnitten, und der Verdruß, den sie darüber empfanden, war so groß, daß sie zu verzweifeln glaubten. Einer von ihnen tat den Vorschlag, mich ins Meer[91] zurückzuwerfen und hier so lange auf mich zu warten, bis ich wieder herauskäme, da ich ja den Weg schon kannte. Die Begierde nach Reichtum blendete sie so sehr, daß sie, ungeachtet der Gegenvorstellungen, die ich ihnen machte, schon im Begriff waren, mich hinauszuwerfen, als, zu meinem Glück oder Unglück, eine fremde Barke heranruderte. Damit die andern von dem Schatze nichts erführen, gaben sie für jetzt ihr böses Vorhaben auf und warfen mich, um mich zu verbergen, unter die übrigen Fische, in der Absicht, wenn sie könnten, zurückzukehren und den Schatz zu suchen.

Sie trugen mich hierauf in eine Hütte, die in der Nähe war, und einer, der um das Geheimnis nicht wußte, fragte, wer ich denn wäre? Sie gaben ihm zur Antwort, ich sei ein Meerungeheuer, daß sie mit Thunfischen gefangen hätten. Als sie mich in der elenden Hütte niedergesetzt hatten, bat ich sie, mir einige Lumpen zu geben, womit ich meine Blöße bedecken könnte; sie gaben mir aber hierauf eine mir damals unverständliche Antwort.

Der Ruf von dem Meerungeheuer verbreitete sich in der ganzen Nachbarschaft, und es kamen viele Menschen herbei, mich zu sehen. Die Fischer aber sagten, sie müßten erst die Erlaubnis des Herrn Bischofs und der Herren Inquisitoren erwarten, um mich zeigen zu können. Ich war darüber ganz bestürzt und wußte nicht, was ich sagen, noch was ich tun sollte, da ich ihr Vorhaben nicht erriet. Es ging mir wie einem Hahnrei, der immer der letzte ist, welcher erfährt, daß er es ist.

Diese Teufel nun machten eine Erfindung, wie selbst der Satan keine ähnliche hätte aussinnen können und welche ein neues Kapitel und neue Aufmerksamkeit verdient.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 90-92.
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