Viertes Kapitel

[92] Wie Lazaro durch Spanien geführt wird.


Gelegenheit macht Diebe! Als die Fischer bemerkten, daß sich ihnen eine so gute darbot, ergriffen sie solche mit beiden Händen. Sie sahen nämlich, daß eine große Menge Menschen herbeiliefen, den neuen Fisch zu sehen, und beschlossen deshalb, sich für den erlittenen Verlust zu entschädigen. Und so schickten sie danach, die Erlaubnis von den Herren Inquisitoren zu erbitten, einen Fisch mit einem Menschengesicht in ganz Spanien sehen zu lassen, und erhielten sie auch leicht, vermittelst eines Geschenks.

Als nun der arme Lazaro Gott dankte, daß er ihn aus dem Walfischbauch hervorgezogen habe (denn das Wunder war um so größer, je kleiner meine Geschicklichkeit im Schwimmen war, das ich so gut verstand, wie eine Bleistange), machten sich viere von den Fischern, schlimmere Henker als die, welche Christum kreuzigten, über mich her, banden mir die Hände und setzten mir einen großen Bart und eine Mütze von Moos auf, so daß ich einem Waldmenschen glich. Die Füße umwickelten sie mir mit Wasserlilien.

Ich beweinte mein Mißgeschick und sprach unter Tränen: O Geschick! was ist die Ursache, daß du mich so verfolgst? Ich habe mein ganzes Leben hindurch mancherlei Erfahrungen an dir gemacht und kenne dich dennoch nicht. Wenn sich aber aus den Wirkungen der Ursprung erforschen läßt, so glaube ich, daß es keine Sirene, keinen Basilisken, keine Natter, keine säugende Löwin gibt, welche grausamer wäre als du! Du hebst die Menschen durch Liebkosung und Schmeicheleien bis zum Gipfel deiner Wollüste und Reichtümer empor und läßt sie dann[93] von demselben in den Abgrund alles Unglücks und Elends hinabstürzen, das um so größer ist, je mehr es deine Gunstbezeugungen waren!

Dieses Selbstgespräch hörte einer jener Henker und sagte zu mir: Wenn der Herr Thunfisch noch ein Wort spricht, so werden wir ihn zu seinen Kameraden ins Salz legen oder wie ein Ungeheuer totschlagen. Die Herren Inquisitoren, fuhr er fort, haben befohlen, dich durch ganz Spanien zu führen und als ein Ungeheuer und Naturwunder sehen zu lassen.

Ich schwur es ihnen zu, daß ich weder ein Thunfisch noch ein Ungeheuer wäre, sondern ein Mensch, so gut wie jedes andre Nachbarskind, der ins Meer gefallen sei; aber sie waren taub gegen meine Vorstellungen. Da ich sah, daß alle meine Bitten verloren waren wie die Lauge, mit der man dem Esel den Kopf wäscht, so beschloß ich, in Geduld auszuharren, bis die Zeit, die alles heilt, auch mein Übel heben würde. Sie legten mich mit gebundenen Füßen in eine Kufe, die so weit voll Wasser war, daß es mir bis an die Lippen reichte. Zwischen den Haaren meines falschen Bartes ging eine Schnur herunter; wenn ich mich nun beklagen oder reden wollte, so zog einer an derselben, wodurch ich genötigt war, wie ein Frosch unterzutauchen. Ich schloß den Mund, bis ich merkte, daß der, welcher zog, nachließ: dann reckte ich den Kopf, gleich einer Schildkröte, wieder hervor. In dieser Stellung zeigten sie mich allen, die mich zu sehen herbeiliefen und deren so viele waren, daß sie in einem Tage zweihundert Realen gewannen.

Der mitleidigen Betrachtung des geneigten Lesers überlasse ich es, zu überlegen, was sich in solch einem Falle empfinden läßt. Gefangen, in einer so seltsamen Art von[94] Kerker, meiner Freiheit auf dem Lande beraubt, gefesselt, und, was das Schlimmste war, genötigt, stumm zu sein, brachte ich sechs Monate lang, Tag und Nacht in diesem nassen Fegfeuer zu. Meine Speise war durchnäßtes Brot, welches mir die, welche mich zu sehen kamen, zuwarfen, um mich essen zu sehen, und mein Getränk Wasser aus der Kufe, das, wie man sich denken kann, eben nicht das reinste war.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 92-95.
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