Fünftes Kapitel

[95] Wie sie Lazaro an den Hof brachten.


Meine Henker führten mich aus den Städten in Flecken, aus Flecken in Dörfer und aus Dörfern in Meiereien, vergnügter über ihren Gewinn als Ostern über seine Blumen. Einer von ihnen hielt eine lange Rede, in der er die seltsame Art, wie sie mich gefangen hätten, meine Lebensart und tausenderlei Lügen erzählte. Wenn wir durch unbewohnte Gegenden reisten, so erlaubten sie mir zu reden: dies war die größte Gunst, die ich von ihnen empfing.

Ich fragte sie, welcher Teufel es ihnen eingegeben hätte, mich auf diese Art in einem Wassertroge herumzuführen? Und sie gaben mir zur Antwort, wenn sie dies nicht täten, würde ich auf der Stelle sterben; denn da ich ein Fisch wäre, so könnte ich außer dem Wasser nicht leben. Da ich sie so hartnäckig auf ihrer Meinung beharren sah, so überredete ich mich endlich dessen, weil mich alle dafür hielten. Volksstimme, Gottesstimme! dachte ich und vermutete, daß mich das Meerwasser verwandelt haben müsse.

Sie brachten mich an den Hof, wo ihr Gewinn groß war, weil daselbst die Menschen, die den Müßiggang zu ihrem ständigen Begleiter haben, große Freunde von Neuigkeiten[95] sind. Unter vielen, die mich zu sehen kamen, waren auch zwei Studenten, welche, nachdem sie meine Gesichtszüge genau betrachtet hatten, halblaut sagten, sie wollten auf einen geweihten Altar schwören, daß ich kein Fisch, sondern ein Mensch sei, und wenn sie nur Diener der Gerechtigkeit wären, so wollten sie die Wahrheit schon an den Tag bringen, indem sie uns allen die Schultern mit einer Peitsche abfegen lassen würden.

Ich bat Gott im Innersten meiner Seele, daß sie dies doch tun möchten, und suchte ihnen behilflich zu sein, indem ich ihnen sagen wollte: Die Herren Bakkalauren haben recht! Aber kaum hatte ich den Mund geöffnet, als ihn auch meine aufmerksame Schildwache mit Wasser füllte. Das Geschrei, das alle erhoben, als ich untertauchte, verhinderte die guten Lizentiaten, in ihrem Gespräche fortzufahren. Ich dachte über das nach, was diese gebenedeiten, weisen Männer gesagt hatten, und wurde darin bestärkt, daß ich ein Mensch sei, worüber ich zweifelhaft gemacht worden war; denn außer dem, daß man mich in Wasser gelegt herumführte, hatte auch meine Frau mir oftmals gesagt, ich sei ein Vieh; und die Knaben in Toledo pflegten mir immer zuzurufen: Herr Lazaro, setzt doch den Hut ein wenig tiefer, sonst sieht man die Hörner! – Aber von dieser Zeit an hielt ich mich nun immer für einen Menschen und suchte mich deshalb aus den Händen dieser Henkersknechte zu befreien.

In einer Nacht, als ich sah, daß meine Wächter im tiefen Schlafe lagen, suchte ich mich loszubinden; da aber die Schnüre naß waren, so war es mir unmöglich. Ich wollte schreien, aber ich überlegte, daß mir dies zu nichts nützen würde; denn der erste, der es hörte, würde mir mit einem Nößel Wasser den Mund verstopft haben. Da ich[96] also die Tür zu meiner Rettung verschlossen sah, so fing ich an, mich vor großer Ungeduld in meiner Lache herumzuwälzen, und machte es so arg, daß die Kufe umfiel und alles Wasser herauslief. Da ich mich frei sah, schrie ich und rief um Hilfe. Die erschrockenen Fischer, als sie gewahr wurden, was ich angerichtet hatte, sprangen herzu, verstopften mir den Mund mit Gras, und um mein Geschrei zu verbergen, erhoben sie ein noch größeres und riefen: Hilfe, Hilfe! Während sie so schrien, füllten sie die Kufe mit der größten Schnelligkeit wieder mit Wasser.

Der Wirt kam herbeigelaufen, mit einer Hellebarde bewaffnet, und das ganze Hausgesinde, einige mit Bratspießen, andere mit Knitteln; auch die Nachbarn und ein Alguazil mit sechs Häschern, der von ungefähr vorbeiging, kamen herzu. Man fragte, was es gäbe, und die Fischer antworteten, es wären Diebe, die ihnen ihren Fisch hätten stehlen wollen. Alles rief nun: Diebe, Diebe! und man untersuchte, ob sie durch die Tür entkommen wären oder von einem Dache zum andern sprängen.

Zufällig traf es sich, daß alles Wasser, was aus der Kufe verschüttet war, durch ein Loch in ein unteres Zimmer lief, gerade auf ein Bett, in welchem die Tochter des Wirtes schlief, die, durch Mitleid bewegt, einen Geistlichen in dasselbe aufgenommen hatte. Beide erschraken über die Sündflut, die sich über ihr Bett ergoß, und über das Geschrei, das alle ausstießen, so sehr, daß sie, ohne zu wissen, was sie tun sollten, zu einem Fenster hinaussprangen. Der Mond schien hell; sie wurden deshalb bald entdeckt, und alle schrien: Diebe! Haltet die Diebe! Der Alguazil und die Häscher setzten ihnen nach, holten sie bald ein, weil sie, da sie barfuß waren, auf den Steinen nicht[97] schnell laufen konnten, und man brachte sie, ohne sie zu hören oder näher zu betrachten, ins Gefängnis.

Die Fischer reisten sehr früh nach Toledo ab, ohne zu erfahren, was Gott aus dem gutherzigen Jüngferchen und dem frommen Geistlichen gemacht hatte.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 95-98.
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