Siebentes Kapitel

[99] Was Lazaro auf dem Wege nach dem Tajo zustieß.


Niemand verzweifle, so geängstigt er auch sein mag; denn wenn er es am wenigsten vermutet, wird Gott die Türen und Fenster seiner Barmherzigkeit öffnen und wird zeigen, daß ihm nichts unmöglich ist und daß er die Anschläge der Bösen kennt und sie in heilsame und zuträgliche Mittel für die, die auf ihn vertrauen, verwandeln kann und will.

Da es diesen grausamen Henkern dünkte, daß der Tod nicht scherze (wie das auch gar nicht seine Gewohnheit ist), so steckten sie mich in einen Sack und legten mich quer über einen Maulesel, wie einen Schlauch mit Wein, oder, besser zu sagen, mit Wasser, womit ich bis an den Mund angefüllt war. So führten sie mich nach dem Tajo, trauriger als wenn sie ihren Vater, der sie gezeugt, oder ihre Mutter, die sie geboren, zu begraben gingen. Da ich mit dem Bauche auf dem Maulesel lag und mein Kopf herunterhing, so fing ich an, das verschluckte Wasser von mir zu geben, gleich als ob die Falltüre einer Schleuse aufgezogen wäre. Ich kam wieder zur Besinnung und bemerkte, daß ich mich außer dem Wasser befand und daß mir die verwünschten Haare abgenommen waren; doch wußte ich nicht, wo ich war und wohin man mich brächte. Indem hörte ich sagen: Es ist zu unsrer Sicherheit nötig, einen tiefen Strudel zu suchen, damit man ihn nicht so bald findet.

An einem Faden zieht sich das ganze Knäuel nach. Ich wurde jetzt inne, was mit mir vorging, und indem ich die Gefahr erwog, in welcher ich mich befand, hörte ich Geräusch einiger vorübergehender Leute und schrie deshalb: Um Gottes willen, Hilfe! Hilfe![100]

Es war die Runde, die das Getöse gemacht hatte und die auf mein Schreien mit entblößten Degen herzulief. Sie besichtigte den Sack, fand den armen Lazaro wie einen eingewässerten Stockfisch zusammengebogen und brachte uns alle zusammen ins Gefängnis. Die Fischer weinten, sich gefangen zu sehen, und ich lachte über meine Freiheit. Jene steckten sie in ein tiefes Loch und mich in ein gutes Bett.

Den folgenden Morgen wurden wir verhört. Die Fischer gestanden, wie sie mich, in der Meinung, ich sei ein Fisch, mit Erlaubnis der Herren Inquisitoren durch Spanien geführt hätten, und ich sagte die Wahrheit von allem. Man ließ den Herrn Erzpriester und mein gutes Weib kommen, um zu erfahren, ob es wahr sei, daß ich Lazaro von Tormes wäre, wie ich versicherte. Mein Weib trat zuerst herein, und nachdem sie mich genau betrachtet hatte, sagte sie: es sei wahr, ich gliche ihrem lieben Manne ein wenig, sie glaube aber nicht, daß ich derselbe sei; denn ich sei von jeher sehr dumm gewesen und würde eher einen Ochsen als einen Fisch vorgestellt haben. Nachdem sie dies gesagt, machte sie eine tiefe Verbeugung und ging hinaus.

Jetzt trat der Herr Erzpriester ein, der, als er mich so bleich und runzlig wie ein altes Weib sah, sagte, er kenne mich weder dem Gesichte noch der Gestalt nach. Ich erinnerte ihn aber an einige sehr geheime Vorfälle, welche sich unter uns ereignet hatten, und damit ich nicht fortführe mit meinen Beweisen, die er fürchtete, gestand er, es sei wahr, ich wäre Lazaro, sein guter Freund und Bedienter. Der Prozeß endigte sich mit dem Zeugnis des Hauptmanns, der mich aus Toledo mit sich genommen hatte und der aus dem Schiffbruch gerettet worden war. Ein jeder der Fischer wurde zu zweihundert Rutenstreichen[101] verurteilt und ihr Vermögen eingezogen, ein Teil für den König, der zweite für die Gefangenen und der dritte für Lazaro. Es fanden sich zweitausend Realen, zwei Maulesel und eine Karre, wovon es mir, nach Abzug aller Kosten und Gebühren, zwanzig Dukaten trug.

Die Fischer waren nun gerupft und zerhauen und ich reich und zufrieden; denn in meinem ganzen Leben hatte ich nicht so vieles Geld auf einmal besessen. Ich führte von nun an ein Leben wie ein Graf. Die vergangenen Leiden schienen mir ein Traum, das gegenwärtige Wohlsein ein Hafen der Ruhe und die zukünftigen Hoffnungen ein Paradies von Vergnügen. Ich hatte mir ein Kleid von geschnittenem Sammet und einen Mantel von Sersche aus Segovia gekauft und trug einen Degen, mit dessen Scheide ich das Steinpflaster aufriß.

Es war mein Vorsatz, mein Weib durchaus nicht zu besuchen, teils um sie selbst nach meinem Anblicke verlangen zu machen, teils auch mich wegen der Beleidigung zu rächen, die sie im Gefängnis gegen mich ausgestoßen hatte. Ich glaubte zuversichtlich, wenn sie mich so gut gekleidet sähe, so würde es sie gereuen, und sie würde mich mit offenen Armen empfangen. Allein, an einem Mohren ist das Waschen verloren! Ich fand sie als Wöchnerin und seit kurzem verheiratet. Als sie mich erblickte, sagte sie laut schreiend: Schafft mir diesen eingewässerten Fisch, dieses gerupfte Gänsegesicht weg, oder, so wahr mein Vater gelebt hat, ich springe auf und kratze ihm die Augen aus.

Mit vieler Gleichgültigkeit antwortete ich ihr: Gemach, gemach, Frau Laternenputzerin! Wenn Sie mich nicht für Ihren Mann erkennt, so erkenne ich Sie ebensowenig für mein Weib. Gebe Sie mir nur meine Tochter heraus, und wir sind gute Freunde wie zuvor. Ich habe mir ein[102] hübsches Vermögen erworben, um sie auf eine ehrenvolle Art verheiraten zu können.

Der Herr Erzpriester war aber meinem Verlangen entgegen und sagte, daß sie nicht meine Tochter sei. Zum Beweise zeigte er mir das Taufbuch, woraus sich, nachdem wir es mit meinen Ehepakten verglichen hatten, ergab, daß das Kind vier Monate, nachdem ich meine Frau hatte kennen lernen, geboren worden war. Jetzt fiel ich von dem Esel, den ich bis jetzt als Pferd geritten hatte, indem ich geglaubt, die sei meine Tochter, die es doch nicht war. Ich schüttelte den Staub von meinen Schuhen und wusch mir die Hände zum Zeichen meiner Unschuld und meines Abschiedes auf immer. Darauf wendete ich mich so getröstet um, als ob ich sie nie gekannt hätte. Ich suchte meine Freunde auf, erzählte ihnen den Fall, und sie suchten mich zu trösten, was gar nicht nötig gewesen wäre.

Nach einiger Zeit begegnete ich einmal, als ich nach dem Tore von Visagra spazieren ging, einer alten Bekannten, die mir erzählte, wie meine Frau jetzt weit geschmeidiger wäre, nachdem sie erfahren, wieviel ich Geld besäße, und vornehmlich, da sie Gabacho mit Schlägen gemißhandelt und verlassen habe. Sie glaube ohne allen Fehl, fuhr sie fort, wenn ich Fürbitter an meine Elvira abschicken wollte, sie würde mich wie zuvor aufnehmen.

Dies war eine Nachricht für mich, die mir das Oberste zu unterst kehrte, und ich war sogleich bereit, den Rat der guten Alten zu befolgen, doch wollte ich ihn vorher meinen Freunden mitteilen.

Quelle:
Mendoza, D. Diego Hurtado de: Leben des Lazarillo von Tormes. Berlin 1923, S. 99-103.
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