Liebesflämmchen

[14] Die Mutter mahnt mich abends:

»Trag Sorg zur Ampel, Kind!

Jüngst träumte mir von Feuer –

Auch weht ein wilder Wind.«


Das Flämmchen auf der Ampel,

Ich lösch es mit Bedacht,

Das Licht in meinem Herzen

Brennt durch die ganze Nacht.


Die Mutter ruft mich morgens:

»Kind, hebe dich! 's ist Tag!«

Sie pocht an meiner Türe

Dreimal mit starkem Schlag


Und meint, sie habe grausam

Mich aus dem Schlaf geschreckt –

Das Licht in meinem Herzen

Hat längst mich aufgeweckt.


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 14.
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