Schwarzschattende Kastanie

[10] Schwarzschattende Kastanie,

Mein windgeregtes Sommerzelt,

Du senkst zur Flut dein weit Geäst,

Dein Laub, es durstet und es trinkt,

Schwarzschattende Kastanie!

Im Porte badet junge Brut

Mit Hader oder Lustgeschrei.

Und Kinder schwimmen leuchtend weiß

Im Gitter deines Blätterwerks,

Schwarzschattende Kastanie!

Und dämmern See und Ufer ein

Und rauscht vorbei das Abendboot,

So zuckt aus roter Schiffslatern

Ein Blitz und wandert auf dem Schwung

Der Flut, gebrochnen Lettern gleich,

Bis unter deinem Laub erlischt

Die rätselhafte Flammenschrift,

Schwarzschattende Kastanie!


Quelle:
Conrad Ferdinand Meyer: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 2, München 1968, S. 10-11.
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